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Identitäre Bewegung Extremist, Hetzer und Posterboy der Neuen Rechten: Wer ist Martin Sellner?

Martin Sellner
Martin Sellner auf einer Demonstration der Identitären Bewegung 2019
© Eibner Europa / Imago Images
Der Rechtsextremist Martin Sellner wurde durch das Geheimtreffen in Potsdam einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, bei dem er über einen "Masterplan" zu Massenabschiebungen referierte. Nun hat die Stadt Potsdam ein Einreiseverbot gegen ihn erwirkt.

Im November sollen sich mehrere hochrangige Mitglieder der AfD, zahlungsstarke Unternehmer und andere Figuren aus dem rechtsextremen Spektrum bei einem Geheimtreffen in einem Potsdamer Hotel über einen "Masterplan" zu massenhaften Abschiebungen aus Deutschland ausgetauscht haben, das berichtete das Recherchenetzwerk "Correctiv". Der mutmaßliche Rädelsführer des Plans zur massenhaften "Remigration" ist demnach der in der rechten Szene bestens bekannte Martin Sellner aus Österreich. Nun hat die Stadt Potsdam ein Einreiseverbot gegen ihn erwirkt.

Sellner bestätigte auf Anfrage des stern sowohl seine Teilnahme an dem Treffen als auch seinen Redebeitrag mit dem Plan "die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln." Wer ist dieser Aktivist, der mit seiner "Identitären Bewegung" (IB) immer wieder für Aufsehen sorgt? 

Martin Sellner fiel schon als Jugendlicher polizeilich auf

Sellner wurde 1989 geboren und wuchs in der Nähe von Wien auf. Schon in seiner Jugend knüpfte er erste Kontakte in die rechtsextreme Szene. Bereits 2006 fiel er erstmals polizeilich auf, als er Hakenkreuz-Aufkleber an einer Synagoge anbrachte. Dem Magazin "Zeit Campus" erklärte er, bis 2011 Neonazi gewesen zu sein, und bezeichnete diese Zeit im Nachhinein als "Jugendsünde". 

Seine politische Sozialisation wurde maßgeblich vom Holocaust-Leugner Gottfried Küssel und später von der schlagenden Studentenverbindung "Wiener Burschenschaft Olympia" geprägt. Ein Philosophie-Studium in Wien beendete er mit einem Bachelor-Abschluss, ein weiteres Studium der Rechtswissenschaften brach er vorzeitig ab. 

Sellner nahm früh eine sehr junge Zielgruppe für seine teils menschenverachtenden Ansichten ins Auge. Er suchte neue Wege, um rechtsextremes Gedankengut bei jungen Menschen zu verankern; die einschlägigen Parteien verfingen aus seiner Sicht nicht mehr, für ihn waren sie eingestaubt.

Ab 2012 war er maßgeblich an der Gründung der Identitären Bewegung in Österreich beteiligt. Der Ansatz: Aktivismus von rechts. Dabei orientierte sich die IB an Aktionen der Umweltbewegung und gab ihren extremistischen Botschaften einen modernen, ja geradezu jugendlichen Anstrich. Als Vorbild dienten der französische "Bloc Identitaire" und die italienische neofaschistische Bewegung "CasaPound". So unterschiedlich die Gruppierungen auch wirken mögen, ihre Strategie eint sie alle: Durch aktivistische Aktionen, Beiträge in sozialen Netzwerken und Demonstrationen soll der "vorpolitische Raum" eingenommen werden. 

Anders gesagt: Rechtsextremismus soll gesellschaftsfähig, die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben werden. Die IB und Sellner propagieren, die völkische oder wahlweise europäische Kultur beziehungsweise "Rasse" bewahren und vor einer angeblichen Bedrohung durch andere Ethnien verteidigen zu wollen.

Auf Anfrage des stern bestätigt Sellner auch, dass er bei dem Treffen in Potsdam vorgeschlagen habe, mit Hilfe von Influencern eine rechtsextremistische Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Zunächst müsse das "Meinungsklima" für das "Jahrzehnteprojekt" Remigration geändert werden.

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Die Identitäre Bewegung verfing bei vielen Jugendlichen im deutschsprachigen Raum

Innerhalb weniger Jahre konnte die IB in Deutschland, Österreich und der Schweiz hunderte, meist junge Unterstützer für sich gewinnen. Sellner wurde dabei zum Posterboy der Neuen Rechten, auch weil er schon äußerlich verkörpert, was die Gruppierung vermitteln will: Moderne Lebensweise und "traditionelle Werte" müssen sich nicht ausschließen. Mit jugendlichem Stil, Undercut und oft mit markanter Brille doziert Sellner auf Veranstaltungen, Demonstrationen und insbesondere in sozialen Netzwerken in pseudo-intellektuellen Worten, was traditionelle Werte für die IB angeblich bedeuten. 

Uralte faschistische, rassistische und xenophobe Parolen bekommen en passant einen neuen Anstrich: Denn bei Sellner wird aus einem plumpen "Ausländer raus!" die Forderung nach "Remigration", wird eine Rassenlehre mit neonazistischem Vorbild zum "Ethnopluralismus". Jede Kultur und jede Ethnie sei gut so, wie sie ist – möge aber doch bitte dort bleiben, wo sie herkommt. Das-Boot-ist-voll-Rhetorik, ohne allzu sehr nach dreckigem Stammtisch zu klingen. Rassismus im Hipster-Gewand. 

Auf stern-Anfrage bestätigte Sellner seinen Vorschlag, eine "Musterstadt" in Nordafrika zu bauen, um Menschen dort "hinzubewegen". Dort gäbe es Möglichkeiten für Ausbildung und Sport, und all jene, die sich für Geflüchtete einsetzen, könnten auch dorthin, so Sellner. Ein Internierungslager für alle, die ihm nicht ins Weltbild passen. 

Die IB sieht sich dabei in ständigem Widerstand gegen den mutmaßlichen "Großen Austausch" (Great Reset). Eine Verschwörungserzählung, wonach die europäische Bevölkerung durch vorwiegend arabisch- und afrikanisch-stämmige Ethnien ausgetauscht und ihre Kultur im Zuge dessen zerstört werden soll. 

Verbindungen zu Neonazis, Querdenkern und der AfD

Ab 2015 bekam die IB, mit Sellner als Sprecher und führendem Kopf, Auftrieb. Parallel zur Teilnahme an Demonstrationen etwa der Pegida-Bewegung setzten die Identitären auf aktivistische Aktionen und damit auf die Macht der Bilder im Netz. 2016 besetzen einige Mitglieder für wenige Minuten das Brandenburger Tor und entrollten Banner mit der Aufschrift "Remigration jetzt" und "Festung Europa". 

2017 charterte die Gruppierung ein Boot mit der Aufschrift "Defend Europe" und versuchte auf dem Mittelmeer Geflüchtete zu hindern, nach Europa zu gelangen. Dabei gab es auch Bemühungen, die Boote von NGOs bei deren Rettung von in Seenot geratenen Menschen zu stören. Anschließend verbreitete die IB Videos der Aktion im Internet. Sellner soll einer Initiatoren der Aktion gewesen sein.

Als die Migrationsdebatte in den folgenden Jahren abflaute, wurde es auch um die IB ruhiger. Die Bewegung und insbesondere ihr Aushängeschild gerieten besonders in Verruf, als öffentlich wurde, dass Sellner Kontakt zum Attentäter von Christchurch unterhielt und der ihm vor seinem Anschlag Geld gespendet hatte. Seitdem prüft der österreichische Verfassungsschutz ein Verbot der IB in Österreich. 

Erst mit den aufkeimenden Corona-Demonstrationen der Querdenker fanden Sellner und weitere Mitglieder wieder Anschluss an ein Protestmilieu. Sellner selbst fantasierte derweil von einem Zusammenhang zwischen der Ausbreitung des Virus und Migration, wie der "Tagesspiegel" berichtete. Demnach würden sich Zugezogene nicht an die Schutzmaßnahmen halten. Die Ironie, dass die IB selbst an Protesten gegen jegliche Maßnahmen teilnahm, erkannten die Mitglieder offenbar nicht. 

Aber auch abseits des Protestmilieus sind Martin Sellner und andere Mitglieder der IB bestens in rechten Strukturen vernetzt. Bereits seit 2015 ist Sellner im Thinktank "Institut für Staatspolitik" des Verlegers Götz Kubitschek aktiv, das laut Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt als "gesichert rechtsextrem" gilt. Zudem veröffentlicht Sellner im hauseigenen Verlag Bücher wie das zuletzt erschienene "Regime Change von rechts. Eine strategische Skizze". 

Weitere Überschneidungen finden sich zwischen der IB, dem rechtsextremen Verein "Ein Prozent" und insbesondere der "Jungen Alternativen", dem Jugendverband der AfD. 

Sellner tritt dabei als Strippenzieher auf. Er hat Brücken zwischen der jungen Identitären Bewegung, extremistischen Thinktanks und der parlamentarischen Rechten gebaut. Mehr denn je gilt er als Hoffnung für die Zukunft von rechtsextremen Bewegungen – oder eben als Gefahr für Demokratie und den Rechtsstaat. 

Zukünftig wird er aber wohl nicht mehr in Deutschland aktiv sein können. Am 19. März erwirkte die Stadt Potsdam ein bundesweites Einreiseverbot gegen den Österreicher. Ihm ist es fortan nicht mehr erlaubt, sich in der Bundesrepublik aufzuhalten – andernfalls droht ihm die Abschiebung. Sellner hat die Möglichkeit, gegen die Entscheidung Rechtsmittel einzulegen. 

Anmerkung: Dieser Text wurde aktualisiert

Quellen: "Zeit Campus", "Tagesspiegel", SWR Dokumentation, "Correctiv"

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