Kultur

Nicht nur Schriftstücke, sondern auch Fotografien oder wie im Fall Friedrich Rehse eine Büste können zum Nachlass gehören, der im Archiv verwahrt wird. Rehses umfangreiche Sammlung von zeitgeschichtlichen Materialien hatte einst die NSDAP aufgekauft. Später übernahmen die Amerikaner die Sammlung und gaben sie erst in den 1960er-Jahren an die Bundesrepublik zurück. (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv/Doris Wörner)

03.05.2019

Üppig sprudelnde Privatquellen

Ein gedrucktes Inventar ergänzt hervorragend die Online-Datenbank zu den Nachlässen, die das Bayerische Hauptstaatsarchiv verwahrt

Natürlich kann man online in Archivbeständen stöbern. Auch welche Nachlässe das Bayerische Hauptstaatsarchiv verwahrt, kriegt man so heraus. Aber bis man dort zu einer entsprechenden Übersicht vordringt, erfordert es nicht wenige Klicks durch den „Internet-Stammbaum“ der Generaldirektion, obendrein Fingerspitzengefühl fürs Treffen der weiterleitenden Minipfeile. Wie geradezu sinnlich praktisch ist da doch die analoge Form – auch wenn die soeben veröffentlichte Druckversion ein opulenter Band von 696 Seiten geworden ist. Trotzdem ist dieser im wahrsten Sinne des Wortes gut handhabbar, wenn es um die gezielte und schnelle Suche von A bis Z oder um die parallele Recherche von mehreren Einträgen geht.

Ideale Synergie zwischen analog und digital

Aber mehr noch ist das Buch Verzeichnis der Nachlässe im Bayerischen Hauptstaatsarchiv eine wahre Fundgrube fürs ungerichtete Schmökern – und ein hervorragendes Werbemittel für die Archivarbeit an sich. Es ist zwar ein zugegeben etwas spröder Lesestoff, der aber so recht animiert zum weiteren Nachschlagen über Persönlichkeiten oder historische Fakten und Details – und das am schnellsten wiederum im Internet: auf „Fremdplattformen“ oder zunächst in der umfangreicher bestückten Findmitteldatenbank der Staatlichen Archive.

Während im Buch nur summarisch zum Beispiel von Korrespondenzen zu lesen ist und lediglich die Namen der Briefpartner aufgelistet sind, erfährt man in der Online-Version mitunter auch stichpunktartig, worum es in den jeweiligen Schreiben ging.

Vergleicht man zum Beispiel die Einträge zu Otto Frhr. von Ritter zu Groenesteyn (1864 bis 1940), einem bayerischen Gesandten unter anderem im Vatikan, stößt man in der Online-Datenbank auf die detaillierte Erschließungsstruktur, die jeweils mit vielen Unterpunkten gliedert nach „Biografie und Privates“, „Tätigkeit im auswärtigen Staatsdienst“, „Familienüberlieferung“ und „Materialsammlung“. Unter letzterer Rubrik finden sich auch „Weihnachtsgrüße und -wünsche von Kardinälen und Erzbischöfen an Prinzregent Luitpold und König Ludwig III. und die Königin von Bayern“ – würde man das, was online an Namensverweisen allein aus dieser Archivalie angeführt ist, zudem sämtliche URN-Codes (Uniform Resource Name) und auch noch alle Bestellsignaturen in die Druckversion des Inventars übernehmen wollen, würde das ein inzwischen unzeitgemäßes, x-bändiges Werk werden.

Analog und online bilden hier Synergieeffekte – und schließen einen Dritten ein: das Archiv als physischen Ort, um sich dort den einen oder anderen Nachlass vorlegen zu lassen und um das zu studieren, was in den Verzeichnissen lediglich skizziert sein kann. Denn bislang ist nur ein einziger der aufgeführten 512 privaten Einzelnachlässe beziehungsweise Familienarchive online einsehbar: der des Grafen Montgelas. Vorlage für dieses Digitalisat war eine Mikroverfilmung in Schwarz-Weiß. In dieser alten Form sind noch mehrere Nachlässe archivalisch gesichert – aber bislang nicht online zur Verfügung gestellt.

Dass aber rund 20 Prozent der Nachlässe weder online noch analog benutzungsfrei sind, habe weder finanzielle, personelle noch logistische Gründe, sondern rechtliche, erklärt Bernhard Grau, Leiter des Bayerischen Hauptstaatsarchivs. Frühestens zehn Jahre nach dem Tod des Nachlassgebers dürfen Nutzer ihre Nasen in die Akten stecken – weil zum Beispiel darin erwähnte Korrespondenzpartner noch leben oder Rechtsnachfolger etwas dagegen haben könnten. Ausnahmen kann es für Wissenschaftler und unter Auflagen geben – oder wenn es noch lebende „Vorlassgeber“ erlauben.

Konkurrenz bei der Jagd nach dem Vorlass

Der Ehrgeiz eines jeden Archivars, der mit Nachlässen zu tun hat, ist es natürlich, für sein Haus die Privatarchivalien von Persönlichkeiten schon zu deren Lebzeiten zu sichern – so wie zum Beispiel vom früheren Landtagspräsidenten Johann Böhm und vom ehemaligen Kultusminister Hans Maier. Die annähernde Vollständigkeit eines solchen Konvoluts kommt allerdings einem Sechser mit Zusatzzahl im Lotto gleich. Die Konkurrenz ist groß: Um die Nachlässe gerade von Politikern, die auf Landes- und Bundesebene aktiv sind oder waren, reißen sich die unterschiedlichsten Archive; zudem fühlen sich die Betroffenen selbst oft Archiven ihrer Parteien, Gewerkschaften oder sonstigen Institutionen, in denen sie aktiv waren, verpflichtet. Wo bekannt, führt das Inventar unter „weitere Bestände“ auf, wo man noch fündig wird.

Vor allem: Bei diesen Nachlässen handelt es sich um Privatbesitz. Anders als beim offiziellen Schrifttum aus den jeweiligen Wirkungskreisen (zum Beispiel Ministerien), das per Gesetz an Archive abgegeben werden muss, ist niemand gezwungen, seine persönlichen Unterlagen abzugeben. Gleiches gilt für die Nachkommen; diese übergeben Archiven oft wenigstens Kopien.

Dass solche Privatnachlässe überhaupt in staatlichen Archiven sogar aktiv gesammelt werden (also auch durch Ankauf), mag verwundern, findet sich dort doch primär das Schriftgut zum Verwaltungshandeln der Ministerien und Landesbehörden. Längst aber hat die Forschung erkannt (auch im Zuge der zunehmenden Gewichtung von „oral history“), dass gerade in Privatnachlässen viele Informationen stecken, die einerseits die Persönlichkeit der Nachlassgeber erhellen (Zeugnisse, Urkunden, Familiäres), andererseits das offiziöse Schrifttum um wichtige Aspekte ergänzen oder erklären können.

Was nicht in den offiziellen Akten steht

Das gilt zum Beispiel für Kriegstagebücher, Postkarten und Briefe von Soldaten, wie sie im Kriegsarchiv verwahrt werden. Oder für den Nachlass der Juristin und Diplomatin Margarethe Bitter (1902 bis 1997) – sie war Anwältin in Kairo, hatte im Auswärtigen Amt, in der Bayerischen Staatskanzlei und im Bundesjustizministerium gewirkt. In ihren Unterlagen finden sich persönliche Berichte von und über deutsche Kriegsgefangene, Materialien zur Kriegsgefangenenfürsorge, man liest von Bemühungen um Entlassung von Kriegsgefangenen und auch von Kriegsverbrecherprozessen gegen Deutsche im In- und Ausland.

Wie in diesem Fall sind in den privaten Nachlässen sehr oft neben Schriftstücken Fotografien, Pläne, Landkarten, Presseausschnitte, Tagebücher, Gästebücher, Visitenkarten, Noten- und Kompositionsblätter (wie im Nachlass von Wolfgang Sawallisch) und dergleichen Archivgut zu finden. Im Konvolut des Fotografen und eifrigen Sammlers zeitgeschichtlicher Dokumentationen Friedrich Josef Maria Rehse (1870 bis 1952) stößt man gar auf seine Büste.

Die Größe der Nachlässe differiert: Umfangreichstes Konvolut im Hauptstaatsarchiv ist das von Hans Ehard (1887 bis 1980), des einstigen CSU-Politikers, Ministers, Ministerpräsidenten und Landtagspräsidenten, um nur die prominentesten Stationen seiner Laufbahn zu nennen. Die säurefreien Kartons mit Ehards Unterlagen beanspruchen 42 lfm (laufende Regalmeter) – sie betreffen den Zeitraum 1854 bis 1992. Man wird darin fündig über seine Vorfahren, andererseits reichen die Unterlagen über seinen Tod hinaus.

Dann wieder gibt es Nachlässe, die gerade einmal 0,02 lfm Umfang haben – „aber auch in wenigen Zentimetern kann Brisantes und außerordentlich Wichtiges stecken“, sagt Thomas Paringer. Leiter der für Nachlässe zuständigen Abteilung V im Hauptstaatsarchiv. Das gilt zum Beispiel für den Nachlass von Ernst Rattenhuber (1887 bis 1951) – aus der vielseitigen beruflichen Vita des diplomierten Landwirts und Politikers sei nur erwähnt, dass er Mitbegründer des Bayerischen Bauernverbands und der CSU sowie Bevollmächtigter Bayerns bei der Bundesregierung in Bonn war. In seinem Nachlass findet sich zum Beispiel das Rücktrittsgesuch von Bayerns erstem Ministerpräsidenten, Fritz Schäffer (1888 bis 1967), an das Hauptquartier der Militärregierung in Bayern vom 28. September 1945, und zwar in deutscher und englischer Ausführung. Dass in Wirklichkeit die Amerikaner Schäffer loswerden wollten, weil er ihnen nicht effizient genug den öffentlichen Dienst von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern befreit hatte, kann man in dem dünnen Nachlass Rattenhubers vielleicht aus dem dort ebenfalls verwahrten Antwortschreiben von Colonel Roy L. Dalferes lesen – „könnte“ muss es wohl besser heißen, denn zur Einsichtnahme muss man sich immer noch persönlich in den Lesesaal des Bayerischen Hauptstaatsarchivs begeben.

Nachlässe kommen erst im 19. Jahrhundert auf

Die ältesten Nachlassarchivalien sind wenige Einzelstücke, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen. „Aber eigentlich hat man es erst nach 1800 mit echten Nachlässen zu tun“, sagt Thomas Paringer, „Nachlässe sind ein Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts. Vorher waren solche Unterlagen nicht als Quellen anerkannt. Man hat höchstens die Briefkorrespondenz von Literaten gesammelt.“

512 Einträge hat das diese Woche vorgestellte Nachlassinventar – eine Zahl, die schon wieder überholt ist. Redaktionsschluss war Ende 2016 – damals ging Sylvia Krauß, die langjährige Leiterin der Abteilung V im Hauptstaatsarchiv, die das Inventar federführend bearbeitet hat, in Ruhestand. Seither sind „wohl um die 15 Nachlässe neu hinzugekommen“, schätzt Bernhard Grau. Um auf dem Laufenden zu sein, sieht man in der Online-Datenbank nach. (Karin Dütsch)

www.gda.bayern.de/service/findmitteldatenbank/

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