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Modalität / Temporalität in kontrastiver und typologischer Sicht Dan z ig e r Band 30 Beiträge zur Germanistik PETER LANG Andrzej Kątny / Anna Socka (Hrsg.) Die Beiträge dieses Bandes gehen auf Referate einer Tagung des Arbeitskreises Modalität im Deutschen zurück, die an der Universität Gdańsk gehalten wurden. Neben verbalen und lexikalischen Ausdrucksmitteln der Modalität wird insbesondere das Zusammenspiel der beiden semantischen Bereiche Modalität und Temporalität unter verschiedenen Gesichtspunkten behandelt. In mehreren Beiträgen wird auch auf die konzeptuelle Domäne der Evidentialität Bezug genommen. Beides geschieht meistens aus kontrastiver oder (seltener) typologischer Perspektive. Berücksichtigte Sprachen sind vor allem Deutsch, Englisch, Niederländisch, Norwegisch, Russisch und Polnisch. Andrzej Kątny, ordentlicher Professor am Institut für Germanistik der Universität Gdańsk (Polen); Forschungsgebiete: kontrastive Linguistik, Modalität, Aspektualität, Lexikologie, Sprachkontakte, die Danziger Literatur. Anna Socka, Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Gdańsk (Polen); Forschungsgebiete: Redewiedergabe, Evidentialität, kontrastive Linguistik. www.peterlang.de Modalität / Temporalität in kontrastiver und typologischer Sicht Dan z ig e r Beiträge zur germanist ik Herausgegeben von Andrzej Kątny Band 30 Peter Lang Frankfurt am Main · Berlin · Bern · Bruxelles · new York · Oxford · Wien andrzej Kątny / anna Socka (Hrsg.) Modalität / Temporalität in kontrastiver und typologischer Sicht Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Olaf Glöckler, Atelier Platen, Friedberg Umschlagabbildung: Panorama von Danzig mit dem Motto der Universität Gdańsk. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Universität Gdańsk. Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier. ISSN 1617-8440 ISBN 978-3-653-00319-2 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2010 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.peterlang.de Inhaltsverzeichnis Vorwort (Andrzej Kątny /Anna Socka) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Zur Interaktion von Modalität und Temporalität Werner Abraham Modalitäts-Aspekt-Generalisierungen: Interaktionen und deren Brüche . Woi kommen die epistemischen Lesarten ti-her? . . . . . . . . . . . . . . 13 Michail L. Kotin Zur referentiellen Identität von Tempus- und Modusformen . . . . . . . . . 29 Olga Kostrova Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen und Russischen: eine Fallstudie anhand der temporalen Konjunktionen . . . . . . . . . . . 39 Andrzej Kątny Zu Resultativ und Modalverben in epistemischer Lesart aus kontrastiver Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Sigbjørn L. Berge Modal interpretations of the preterite tense in English and Norwegian . . . . 77 II. Modal- und Modalitätsverben Heinz Vater Möchten als Modalverb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Gabriele Diewald und Elena Smirnova Abgrenzung von Modalität und Evidentialität im heutigen Deutsch . . . . . 113 Tanja Mortelmans Falsche Freunde: Warum sich die Modalverben must, müssen und moeten nicht entsprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Ole Letnes Zur „affektiven“ Komponente epistemischer müssen-Verwendungen . . . . 149 Kjetil Berg Henjum Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp „Imperativ + skal + Personalpronomen + Infinitiv“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 6 Inhaltsverzeichnis III. Lexikalische Modalitätsmarker Veronika Ehrich Das modale Satzadverb vielleicht – Epistemische (und andere?) Lesarten . . 183 Monika Schönherr Korpusgestützte Analyse der nicht-morphologischen Kodierungsformen der epistemischen Modalität in Otfrids Evangelienbuch . . . . . . . . . . 203 Irina A. Šipova Epistemische Modalität im Deutschen und Russischen in kontrastiver Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Anna V. Averina Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen im Vergleich zum Russischen und Besonderheiten ihres Funktionierens in der Rede . . 223 Anna Socka Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) . . . . . . . 239 Vorwort Der Band enthält Beiträge der vom 5. bis 7. Mai 2008 von der Universität Gdańsk veranstalteten Konferenz „Modalität / Temporalität in kontrastiver und typologischer Sicht“ . Bei dieser Tagung handelte es sich um das siebente Treffen des Arbeitskreises Modalität im Deutschen, der 1992 von Prof . Heinz Vater (Köln) und Prof . Oddleif Leirbukt (Bergen) gegründet wurde und sich regelmäßig zu Workshops und Tagungen trifft . Die Konferenzmaterialien wurden bisher in der Reihe Fokus des Wissenschaftlichen Verlags Trier herausgegeben .* Die Beiträge dieses Bandes kann man drei Themenkreisen zuordnen: 1. Zur Interaktion von Modalität und Temporalität Werner Abraham (Universität Wien und München) weist auf die Interaktion zwischen der aktionalen Charakteristik des Hauptverbs und dem Modalitätstyp, d .h . auf die enge Abhängigkeit zwischen der epistemischen Lesart des Modalverbs und der imperfektiven Aktionsart sowie zwischen der deontischen Modalverblesart und der perfektiven Aktionsart hin . Eine wichtige Funktion kommt außerdem der Zeitreferenz und dem Personsmerkmal zu . Michail Kotin (Universität Zielona Góra) stellt die These auf, dass es zwischen den Tempora und Modi nicht nur eine kategoriale, sondern auch eine referentielle Identität gibt . Es werden die wechselseitigen Beziehungen der morphologischen Tempus- und Modusmarkierung im Gemeingermanischen, Gotischen, Althochdeutschen und Altgriechischen skizzenhaft behandelt . Für die temporale Perspektive gilt folgende Verteilung: Vergangenheit in Kombination mit dem Indikativ ergibt Faktizität und mit dem Konjunktiv – Nichtfaktizität; Zukunft mit dem Indikativ oder Konjunktiv indiziert Möglichkeit, mit dem Konjunktiv – Unmöglichkeit . Olga Kostrova (Pädagogische Universität Samara) versucht die Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen und Russischen darzustellen, indem sie die temporalen Konjunktionen auf ihre Etymologie hin untersucht . Dabei geht sie von der Annahme aus, dass die räumlichen Konzepte die Hauptquelle für die Ausbildung von temporalen Bedeutungen auf dem Wege der Metaphorisierung bildeten . Weitere Möglichkeiten sind der temporale Vergleich, demonstrative Deixis und Interrogativität . Andrzej Kątny (Universität Gdańsk) wendet sich zuerst einer Gruppe der Resultativa im Polnischen (mieć-Zustandsform) zu und geht der Frage nach, ob sie auf dem Wege der Grammatikalisierung (vergleichbar mit den germanischen und romanischen Sprachen) ein neues Tempus (Perfekt) bilden bilden; im zweiten Teil * Vater, Heinz / Ole Letnes (Hgg .) (2001): Modalität und mehr / Modality and More (= Fokus 23); Fabricius-Hansen, Cathrine / Oddleif Leirbukt / Ole Letnes (Hgg .) (2002): Modus, Modalverben, Modalpartikeln (= Fokus 25); Letnes, Ole / Heinz Vater (Hgg .) (2004): Modalität und Übersetzung – Modality and Translation (= Fokus 29); Letnes, Ole / Eva Maagerø/ Heinz Vater (Hgg .) (2008): Modalität und Grammatikalisierung – Modality and Grammaticalization (= Fokus 34) . 8 Vorwort unternimmt der Verfasser den Versuch, die These von der Relevanz der aktionalen und referentiellen Charakteristik für die Deutung der Modalverben im Deutschen und Polnischen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen . Sigbjørn Berge (Universität Agder) weist einen wichtigen Unterschied zwischen dem norwegischen und dem englischen einfachen Präteritum nach: das norwegische Präteritum vermittelt neben der temporalen auch die modale Bedeutung . Dies hängt damit zusammen, dass die Modalverben im Englischen (im Unterschied zum Norwegischen) in ihrer lexikalischen Bedeutung das grammatische Merkmal ‘nichtindikativischer Modus’ enthalten und für die Kodierung der modalen (kontrafaktiven) Inhalte die im Verbsystem verankerte grammatische Form einsetzen müssen . 2. Modal- und Modalitätsverben Heinz Vater (ehemals Universität zu Köln) zeigt anhand zahlreicher aktueller Belege auf, dass sich möchten im heutigen Deutsch als ein selbständiges Modalverb herausbildet, das eine epistemische (z .B . Kommt Paul morgen? Das möchte schon sein), evidentielle (Keiner möchte auch nur Verdacht geschöpft haben), deontische (Sie möchten zum Chef kommen!) oder dispositionelle Lesart (Die Leute möchten immer gesichert sein) haben kann . Gabriele Diewald und Elena Smirnova (Universität Hannover) plädieren für eine klare Abgrenzung der beiden semantisch-kognitiven Domänen Epistemik (sprachliche Enkodierung eines deiktischen Faktizitätsgrades bezüglich des dargestellten Sachverhalts) und Evidentialität (sprachliche Enkodierung der Informationsquelle des Sprechers über den dargestellten Sachverhalt) . Werden sowie drei Modalitätsverben des Deutschen teilen mit Modalverben das epistemische Merkmal [+unsichere Faktizität], drücken jedoch zusätzlich Evidentialität aus: scheinen besitzt die Merkmale [+spezifische Evidenzen, (+)/-direkte Evidenzen], werden [- spezifische Evidenzen]. Drohen und versprechen teilen die Merkmale [+ spezifische Evidenzen, + direkte Evidenzen], unterscheiden sich jedoch im Wert des Merkmals [± erwünscht] . Die Autorinnen beschäftigen sich auch mit der weiteren Unterteilung des Bedeutungsfeldes der unsicheren Faktizität außerhalb der Evidentialität sowie mit der Frage nach Eingrenzung und Erklärung der Überschneidungsbereiche von beiden . Anhand eines Korpus vergleicht Tanja Mortelmans (Universität Antwerpen) die Funktionsbereiche des englischen Modalverbs must und seiner Äquivalente im Deutschen (müssen) und Niederländischen (moeten) . Ein besonderes Augenmerk der Autorin gilt dabei ihren epistemischen Verwendungen . Offen lässt sie die vieldiskutierte Frage nach der gegenseitigen Relation der epistemischen Modalität einerseits und der (inferentiellen) Evidentialität andererseits . Die auffällig hohe Frequenz von moeten führt sie auf die Polyfunktionalität des Verbs zurück: Es weist eine ganze Skala dispositioneller, deontischer und evidentieller Verwendungen auf . Das stark grammatikalisierte englische must hat sich dagegen auf zwei Verwendungen spezialisiert: eine sprecherbezogene deontische und eine epistemische, die auch als evidentiell interpretiert werden kann . Das deutsche müssen nimmt eine Mittelstellung ein . Zahlreiche Belege für müssen-Verwendungen des Vorwort 9 Typs Ich muss wohl verrückt sein!, die Ole Letnes (Universität Agder) anführt und typologisiert, untermauern seine These, dass sie eine deutliche affektive Komponente (die insbesondere als [+Übertreibung] oder [+Empathie] ausbuchstabiert werden kann) aufweisen . Diese Komponente, die die inferentielle überlagert oder sie sogar völlig aufhebt, bedarf einer systematischen semantischen Erklärung . Kjetil Berg Henjum (Universität Bergen) präsentiert die Ergebnisse einer Korpusuntersuchung des norwegischen Konstruktionstyps Kom (så) skal vi klippe sauen (wörtl.: ‛Komm (so) sollen wir das Schaf scheren’), in der das Modalverb skulle immer eine hortative Bedeutung hat . Bei dem imperativischen Verb handelt es sich meistens um komme ‛kommen’, bei dem Pronomen um du. Die häufigsten deutschen Übersetzungsäquivalente enthalten die Verben wollen (Komm, wir wollen das Schaf scheren) und lassen (Komm, lass uns das Schaf scheren) . 3. Lexikalische Modalitätsmarker Veronika Ehrich (Universität Tübingen) stellt die Frage nach den Lesarten des modalen Satzadverbs vielleicht. Ihre präzise und empirisch gut abgesicherte Analyse ergab, dass vielleicht in Deklarativ- und Fragesätzen, die als Aufforderungen oder Vorschläge verwendet werden, möglich ist, unterliegt aber Illokutionsbeschränkungen . Aus der Analyse geht hervor, dass vielleicht in allen seinen Vorkommen epistemische Bedeutung aufweist, d .h . „es kennzeichnet eine Proposition oder die Einstellung zu einer Proposition als hypothetisch“ . Monika Schönherr (Universität Würzburg) sucht nach nicht-morphologischen Kodierungsformen der epistemischen Modalität in dem um 860 verfassten Evangelienbuch von Otfrid; Grundlage dafür schafft das von der Verfasserin zusammengestellte und nach types und tokens sortierte Korpus von 560 Belegen . Diese nicht verbalen Mittel werden als Modalitätsangaben klassifiziert und auf ihre Distribution untersucht. Die kontrastive Analyse der Ausdrucksmittel der epistemischen Modalität von Irina Šipova (Moskauer Pädagogische Universität) zeigt u .a ., dass das Deutsche über mehr grammatische Mittel als das Russische verfügt . Im Russischen fungieren vorwiegend Modalwörter, Adverbien, Interjektionen und Modalpartikeln als Exponenten der epistemischen Modalität . An diese Probleme knüpft Anna Averina (Moskauer Pädagogische Universität) an, wobei sie ihr Augenmerk auf das Funktionieren der Epistemika auf der Text- und Satzebene richtet . Anna Socka (Universität Gdańsk) beschäftigt sich mit lexikalischen Markern der Reportativität im Polnischen (podobno, rzekomo, jakoby, niby) und ihren deutschen Äquivalenten . Die Reportativität, d .h . den Hinweis auf eine fremde Äußerungen als Informationsquelle, betrachtet sie dabei als einen Bereich der Evidentialität . Die genannten Lexeme lassen sich im Hinblick auf die mitausgedrückte epistemische Komponente weitgehend skalar einordnen . Eine von der Autorin durchgeführte Korpusuntersuchung ergab, dass sie im Hinblick auf die hohe Textfrequenz mit den deutschen reportativen Verbkonstruktionen sollen/wollen+Infinitiv vergleichbar sind, die im Defaultfall ihre Übersetzungsäquivalente darstellen . Dagegen werden sie so gut wie nie mit dem deutschen Referatskonjunktiv übersetzt . 10 Vorwort Die Tagungsbeiträge und anschließende Diskussionen brachten mehrere interessante Beobachtungen zu Tage . So zeigt der wiederholte Bezug auf den Begriff der Evidentialität, dass er in der germanistischen Linguistik einen festen Platz gefunden hat . Die nächste Tagung des Arbeitskreises, die 2010 von Gabriele Diewald und Elena Smirnova an der Universität Hannover veranstaltet wird, trägt den Titel „Modalität und Evidentialität“ . Die Herausgeber dieses Bandes möchten sich bei Michail Kotin und Ole Letnes für die Begutachtung einiger Beiträge aufs herzlichste bedanken . Die Veranstaltung der Konferenz und der Druck des Bandes waren dank der finanziellen Unterstützung durch die Universität Gdańsk und die Johann-Gottfried-Herder-Stiftung der Universität Gdańsk möglich. Andrzej Kątny /Anna Socka (Universität Gdańsk) I. Zur Interaktion von Modalität und Temporalität Werner Abraham Modalitäts-Aspekt-Generalisierungen: Interaktionen und deren Brüche. Woi kommen die epistemischen Lesarten ti-her? Zusammenschau: Es geht vor allem darum, Entscheidungspole dafür bloßzulegen, wie grundmodale (DMV) und epistemische (EMV) Lesarten bei Modalverben zustande kommen . Diese sind in sehr verschiedenen Kontexten auszumachen, die sich allerdings unterschiedlich stark einbringen und entsprechend zu Lesarten gradueller Abstufung führen . 1. Aspekt-Modalitäts-Interaktionen 1 .1 . Generalisierungen: Epistemika über Tempus Es gibt logisch begründbare Interaktionen zwischen der Aktionsartkodierung eingebetteter Prädikate und der Modalität finiter Modalverben im Matrixsatz. Im Deutschen und Englischen zeigt sich die epistemische Lesart verlässlicher bzw . präferenter bei Einbettung imperfektiven (impf) Aspekts (Aktionsart) . Vgl . (1a-e) (dazu zentral Abraham 1998, 2005) . [MV = Modalverb, EMV = epistemische Modalverblesart, DMV = deontische MV-Lesart (generell verwendet für: Grundmodallesart; ‚DMV’ wegen „deontisch“ auf modale Obligatorik beschränkt); „2DMV/1EMV“ bedeutet, dass „EMV“ im Vergleich zu „DMV“ die präferentere Lesart ist] . (1) a Sie muss [nachhause rennen/die Tür öffnen] . . . DMV/*EMV . . . DMV/EMV perf b Sie muss rennen/geduldig sein impf c Sie muss am Nachhausrennen sein . . . 2 DMV/1EMV impf d She must die . . . DMV/*EMV perf e She must be dying . . . *DMV/EMV impf Aspektuelle Perfektivität (Telizität, Terminativität – also Aktionsart- und Aspektunterschiede im slawischen Sinne überspielend) zeigt demnach hohe Affinität mit Grundmodalität (DMV), Imperfektivität (Durativität, Progressiv) dagegen mit Epistemik (EMV) . Vgl . (2)-(3) . Werner Abraham 14 (2) a (3) a perfektives E(reignis) b |>>>>>>>>>>|----------------- | emergente E-Resultat(sphase) Phase grundmodalisiertes E: b |→→→→→→|≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈| ¬E (projiziertes) E (projektive, E-Vorrealisierungsphase) imperfektives E (Zustand/Prozess): |≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈| epistemisches E: |≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈| Die zeitreferentiellen Konfigurationen sind die folgenden: Bei E(pistemik-) Lesarten gilt, dass Sprechaktzeit, ts, mit der Referenzzeit (= Ereignisbeurteilungszeit), tr, zusammenfällt, selbst wenn die Ereigniszeit, te, davor, also in der Vergangenheit liegt . Vgl . (4a,b) . (4) a Sie muss zuhause sein →(ts, sie zuhause) – EMV – Erschließung für te/ts/tr b Sie muss zuhause gewesen sein →(ts, sie zuhause) – EMV – Erschließung für (te<)tr/ts, also in der (Infinitiv-)Anteriorität/Vergangenheit Grundmodalität (Deontik) dagegen folgt anderen Voraussetzungen . Vgl . (5) . (5) a Sie muss zuhause bleiben b Sie musste da bleiben (ts, sie da bleiben) - DMV – Verpflichtung zu ts für tr=te=ts (tr, sie da bleiben) - DMV – Verpflichtung zu tr für te/tr<ts Epistemische Konstruktionen verhalten sich mit einer Art ‚Zeitenanaphorik’ anders als Nichtepistemika . Vgl . das modallose (6a,b) mit zwei Lesarten: einer sprechaktzeitabhängigen, p(ts), und einer zweiten sprechaktzeitunabhängigen, p(tr-te) . (6) a John heard that Mary is pregnant b Hans hörte, dass Maria schwanger ist . ‚Es gilt zur Sprechaktzeit/ts, dass M . schwanger ist’ ‚Es gilt zu Hs Hörzeit/te-tr, dass M . schwanger ist’ c John heard that Mary must be pregnant d Hans hörte, Maria müss(t)e schwanger sein ‚Es gilt zur Sprechaktzeit/ts, dass M . schwanger ist’ ‚Es gilt zu Hs Hörzeit/te-tr, dass M . schwanger ist’ - p(ts) ebenso wie p(tr-te) p(ts) p(tr-te) p(ts), nicht jedoch p(tr-te) p(ts) p(tr-te) Für Nichtepistemika bleiben zwei Erfüllungszeiten für p wie in (6a,b), für Epistemika dagegen bloß die aus der Sprechaktperspektive wie in (6c) . Dies zeigt deutlich, dass EMV-Lesarten zeitreferenzanaphorisch angelegt sind . Dies gilt im Englischen ebenso wie im Deutschen . Modalitäts-Aspekt-Generalisierungen… 15 Stowell (2004) hat fürs Englische gezeigt, dass EMV nur unter Bezug auf Satzreferenzzeit (-evaluationszeit) gelten . In unabhängigen Sätzen mit Referenzzeit=deiktischer Sprecherzeit gelten EMV zur Sprecherzeit wie unten in (7), während Grundmodale, DMV, auch in einer Vergangenheit Gültigkeit haben können; vgl . (8) . (7) a Günthers Frau kann nicht sehr reich sein ‚Es ist nicht möglich, dass Gs Frau reich ist’ b Günthers Frau konnte nicht sehr reich sein ‚Es ist nicht möglich, dass Gs Frau reich ist’ ‚Es war nicht möglich, dass Gs Frau reich ist’ (8) a Kevin kann seinen Arm nicht heben b Kevin konnte seinen Arm nicht heben . . . p nicht möglich zu ts . . . . . . . . . . . . p nicht möglich zu ts p nicht möglich zu te K . fähig zu ts K . fähig zu te Wir haben anhand von (6a-d) gesehen, dass der Vergangenheitsbezug bei eingebetteten epistemischen Konstruktionen in einer Art Zeitenfolge auf die Vergangenheitsreferenz des übergeordneten Satzes zurückgeht . 1 .2 Aspektphasen und Zeitreferenz Konstruktionen bestimmter Modalverben haben implikative Folgen . Diese implikative Bedeutung einer Konstruktion zeigt sich jedoch nur im Präteritum des MVs . Dies lässt sich anhand einiger diagnostischer Tests sichern . Vgl . (9) . [# bedeutet Redundanz der Textfortsetzung] . (9) a P . konnte das Rennen gewinnen, *er hat das Rennen aber nicht gewonnen . #und er hat das Rennen auch gewonnen . b P . musste die Rechnung bezahlen, *aber er hat die Rechnung nicht bezahlt . #und er hat auch bezahlt . c P . konnte das Rennen nicht gewinnen . → P. hat das Rennen nicht gewonnen . d P . musste die Rechnung nicht bezahlen . → P. hat die Rechnung nicht bezahlt .87a-d Die MVn konnte/musste wirken wie implikative Prädikate (Karttunen 1971) über die eingebettete Proposition P. das Rennen gewinnen/P. die Rechnung bezahlen: Wenn der modalisierte Satz war ist, dann ist es auch der unmodalisierte . Der jeweilige erste Folgesatz im Test (7a,b) ist kontradiktorisch, der jeweilige zweite ist redundant . Alle so zusammengestellten Texte sind inkohärent . Auch der negierte modalisierte Satz impliziert die Negation der eingebetteten Proposition, wie Werner Abraham 16 (7c,d) zeigen . Wie im Spanischen (vgl . Borgonovo & Cummins 2007: 7) gilt, dass ebensolche implikative Strukturen bei Perfektivkonstruktionen zustande kommen, dass somit Tempus die Modalität des MVs überschreibt . D .h . auch, dass Tempus über einen einzelnen Ereignispunkt existentiell quantifiziert. Modalität ist allerdings nicht ignoriert; sie drückt sich nur gleichsam adverbiell aus: zu es gelang p bzw . wurde gezwungen p also p nicht ohne Mühe bzw . p nicht ohne Widerstreben . Wenn dieser Typus von Adverbien als vP-Adjunkt anzusetzen ist (keinesfalls höher), dann wäre von einer Anhebung von MV aus seiner Grundmodalposition in Vo nur aufgrund seiner modalen Merkmale und ohne V-Realisierungsoption unterhalb von I/T auszugehen . Aspektsemantik ist durch das Verhältnis zwischen tr und te gekennzeichnet . Kein Sprechaktzeitpunkt, ts, übernimmt in diesem Verhältnis eine Rolle, er bleibt außerhalb des Kalküls . Wie diese leite sich auch die implikative Bedeutungsableitung aus der grundmodalen Setzung ab . Dabei ist zum Zeitpunkt tr(<te<ts) der Eintritt des Ereignisses noch nicht beurteilbar, genauso wie bei Präsenstemporalität mit tr/ts < te . Da aber die entscheidende Zeitreferenzcharakteristik für Präsenstempus beim MV genau so, nämlich tr<te ist, kann nur der Schluss gültig sein, dass tr<te für biphasig projektives MV unterschiedliche Phasenzugriffe erfordert . Vgl . (10a) . (10) (2) a perfektives E(reignis) |>>>>>>>>>>|----------------- | emergente E-Resultat(sphase) Phase b imperfektives E (Zustand/Prozess): |≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈| (10) b AspP 3 AssT Asp’ 3 Asp Assertionszeit Ereigniszeitreferenz vP Subassertionsniveau: Die Trennung in zwei verschiedene Zugriffsphasen ähnelt der Aspektunterscheidung einer Ereigniszeitreferenz und der Assertionsreferenz bei Demirdache & Uribe-Etxebarria (2000): Assertionszeit ist jene Ereigniskomponente, die in einem bestimmten Modalitäts-Aspekt-Generalisierungen… 17 Kontext, abhängig von Zeitadverbien bzw . Aspektmorphologie, tatsächlich assertiert wird .Das syntaktisch-semantische Strukturmuster für Aspektunterschiede in (10b) ist direkt homolog zur Phasenunterscheidung für DMV und EMV in (10a) in dem Sinne, dass das durch die Prädikation ausgezeichnete Propositionsereignis entweder teilhaft oder zur Gänze zur Sprechaktreferenz in Beziehung gebracht wird . Als Hintergrund für diese Unterschiede zwischen Modalpräsens und Modalpräteritum sehe ich folgenden (Abraham 2009) . Die modalisierten Präsensversionen wie in (1a-e) beziehen sich auf die Vorrealisierungsphase der projektiven MVn: tr < te < ts . Im Gegensatz dazu liegt die p-Realisierung bei jeder der drei Präteritumsetzungen für die gesamte Konstruktion, also MV-Präteritum+Infinitiv, MV-Präsens+Perfektinfinitiv und MV-Perfekt+Infinitiv in (11)-(12) sowie in den deutschen Glossenversionen dazu auf der Folgephase wie in (13a): tr,te < ts . (11) a At that point1, he could/might1 still have won2 the game . … EMV; (te1<te2)<ts b In October1, Gore still could1 have won2 the election . … EMV; (te1<te2)<ts modal-perfect reversal of Past-shift (12) He may/might1 have (already) won2 the game . … EMV; te2<(ts=te1) Past-shifted Für (11a,b) gilt zukünftige Möglichkeit in der Vergangenheit – also (te1<te2)<ts: Stowell (2004: 631), Condoravdi (2002) folgend, meint so als ob das nichtfinite have won finite Referenzskopus über das Modal, could/might, hätte . Dieser Schluss ist jedoch nicht für (12) zu ziehen, wo das epistemische MV Gegenwartsbezug hat (ts=te1) und die Zeitreferenz des eingebetteten Infinitivs, have won, als vergangen („past-shifted“) erscheint: te2<(ts=te1) . (11a,b) zeige also so etwas wie ein Umdrehen, ein Kippen der normalen Vergangenheitsreferenz des Komplementpräteritums bei der epistemischen Lesart – die ja T(empus)unabhängig sein sollte . Stellen wir unsere eigene Bewertung zu (11a,b) und Stowells Schlussfolgerung zum modal-perfect reversal eben noch zurück . Betrachten wir zuerst die deutschen Entsprechungen zu (11a,b) in (13) mit den synonymen Varianten (a,b) sowie den entsprechenden morphosyntaktischen Konstituentenklammerungen . (13c) entspricht (12) . [Abkürzung: part(izip)] . (13) a …, dass er gestern [[ge-wonnen haben] anterior.part präs.inf b …, dass er gestern [gewinnen [können/*ge-konnt präs.inf anterior.part c Er mag/dürfte gewonnen haben . könnte] mv.konj.prät.3.sg konj.prät.3sg hätte]] mv.konj.prät.3.sg konj.prät.3sg Die präteritale Lesart der Gesamtkonstruktion mit Tempusrealisierung entweder am MV oder als aspektuelles Anterior (in der Form des 2 . Partizips) am eingebetteten Vollverb nimmt Zeitreferenz auf die (Resultats-)Folgephase der Ereigniskonfiguration. Modalität im Präsenskonstrukt besitzt Projektivität der Werner Abraham 18 Ereignisrealisierung und damit Nichtwahrheitswertigkeit (tr < te); Modalität im Präteritumkonstrukt dagegen hat diese E(reignis)-Projektivität zugunsten von bereits ergangener E-Realisierung und damit Wahrheitswertigkeit aufgegeben . Vgl . dazu (28) und (29), in denen die tiefere Homologie zwischen Aspekt (mit ursprünglichem Präteritopräsensstatus der germanischen MVn) und Modalität darstellen (Abraham 1998, 2005) zum Ausdruck gebracht wird . Es interpretieren hätte+Inf+MV .inf ebenso wie könnte+Anteriorpartizip+Aux .inf das Modell einer Welt, in deren Vergangenheit die unaktualisierte Möglichkeit bzw . die unaktualisierte Direktive Bestand hatte, das Rennen zu gewinnen . Zum Zeitpunkt der modalen Beurteilung in der Vergangenheit, tr, ist die Möglichkeit bzw . die Notwendigkeit für p noch nicht entschieden, da ja tr < te; daher der Irrealiskonjunktiv in (13a,b) bzw . der Irrealisindikativ in (13c) . Beim Irrealisindikativ versetzt sich der Sprecher und Beurteiler in die Vorereignisvergangenheit, tr, was bei Anterior-MV ausreicht, die Realisierungsmöglichkeiten für te offen zu lassen . 2. Skopusrelationen bei Modalität Die Generalisierung zum Zusammenspiel zwischen MV und grammatischem Tempus und Aspekt bzw . Skopusrelationen ist die folgende: Tempus hat Grundmodale in seinem Wertebereich, aber nicht umgekehrt und nicht epistemische MV, deren Strukturplatz über Tempus liegt . Dies sind Erscheinungen, die zu Cinques (1999) Hierarchie der funktionalen Kategorien passen . Gegen alle Erwartung gibt es aber Fälle, wo Grundmodale über Force rangieren, während in anderen Fällen EMV unterhalb von TP liegen . Hypothese: Modale Unterschiede rühren aus dem syntaktischen Kontext her, in den sie syntaktisch eingebracht (gemergt) werden . MV sind optional mit dem Merkmal [Person] ausgestattet . Ist dieses Merkmal vorhanden, dann wird es gegen ein DP abgeglichen und valuiert; es folgt vP-Adjunktion von MV in der grundmodalen Lesart . Dagegen kann ein personsunmarkiertes MV nur oberhalb von TP syntaktisch eingebracht (gemergt) werden . Es ist dann forcerelatiert und erhält eine epistemische Lesart . Nur im 2 . Fall können Tempusvoraussetzungen des Modals und des Subjekt-DPs getrennt erfüllt werden . Nachweise sind geführt bei Zagona (2007) über die Interpretation von EMV im zusammenhängenden Diskurs sowie der relative Skopus von EMV und Quantoren . EMV stehen also strukturell höher als Tempus, aber unterhalb des Illokutionsknotens, Force; DMV dagegen stehen niedriger als Tempus und stehen demnach im Skopus von TP . Das zeigt (14) . (14) Force 3 Modemv 3 TempusP 3 Moddmv Modalitäts-Aspekt-Generalisierungen… 19 Diese Modalitätsbeziehungen stehen wie gesagt im Einklang mit Cinques (1999) Befund, dass die strukturelle Einordnung epistemischer Adverbiale (wie möglicherweise, wahrscheinlich) höher erfolgt als die von Tempus, vergleichbar also ModEMV in (14) . Der enge Zusammenhang von EMV mit ts und tr, also der Sprechaktzeit und der Beurteilungszeit des Gesamtsatzes ist begründet im Ausdruckstatus, der vom Sprecher ausgeht und die Proposition betrifft . Cinque (1999) zeigt auch, wie diese sprecherbezogenen epistemischen Adverbien sowohl Vergangenheit und Zukunft modifizieren – also strukturell und skopussemantisch allemal über TP einzuordnen sind . (15) 3 ForceP Modsprechakt 3 Modevaluat 3 Modevident 3 Modepist TP . . . . . . … . . . frankly, sincerely fortunately allegedly probably Die Beobachtungen Cinques ergeben auch, dass suffigale Vertretungen solcher sprecherbezogenen epistemischen Funktionen weiter von ihren Köpfen entfernt sind als alle anderen Suffixe, Subordinationsmerkmale ausgenommen. Daraus lässt sich die folgende Nullhypothese ableiten: nämlich dass (10) selbst das Templateigenschaften (Satzbauplaneigenschaften) für Modalkonstruktionen besitzt und dass sich die syntaktisch-semantischen Distributionseigenschaften daraus direkt ableiten lassen . Die Adverbhierarchie in (15) deckt sich mit der des Deutschen (nach Frey & Pittner 1998) . Nun zeigen aber von Fintel & Iatridou (2003), dass Skopusrelationen über Konstruktionen mit Modalen sich nicht unbedingt an die Templatpositionen in (15) halten . Zum Beispiel nehmen Quantoren aus dem vP-Bereich in epistemischen Modalkonstruktionen Skopus sowohl über Tempus als auch über die Grundmodale . Vgl . (16) mit den beiden möglichen Wertebereichen des Quantors die meisten (siehe von Fintel & Iatridou 2003 zu englisch most (students)) . (16) Die meisten unserer Studenten müssen jetzt zuhause sein a müssen > die meisten unserer Studenten b * die meisten > müssen . . . . . . . . . EMV nur für EMV-Lesart! nur für EMV-Lesart! Dass Quantoren mit EMV nicht direkt interagieren, ist nicht direkt erwartbar . Warum kann Quantifikation nicht direkt als Adjunktion zu EMV, also als A’-Versetzung ausdrückbar sein? Zagona (2007: 227) führt solche Effekte auf eine innige Verbindung zwischen EMV und der CP-Domäne zrück, was weiter damit in Zusammenhang gebracht wird, dass EMV im Unterschied zu DMV kein Personsmerkmal und damit keine Thetamarkierung tragen . 20 Werner Abraham Ziel der vorliegenden Überlegungen ist es nachzuweisen, dass strukturelle Abweichungen von (14)-(15) in Bezug auf EMV- und DMV-Konstruktionen – also Skopusverschiebungen im Sinne von (17) – immer noch in einen Erklärrahmen passen und nicht bloß arbiträre Abweichungen sind . (17) Force > #ModDMV > TempusP > #ModEMV Wenn für die beiden verschiedenen Modalitätspositionen in (14), (15) und (17) ein und dasselbe MV-Lexem herhalten kann und seine syntaktisch-semantische Funktion durch den Kontext bestimmt wird, dann folgt daraus, dass MV-Lexeme funktionell unterspezifiziert sind und durch Kontextsignale desambiguiert und entsprechend unterschiedlich syntaktifiziert werden. Strukturell gesprochen bedeutet dies, dass bestimmte MV-Merkmale die Kontextkompatibilitäten festlegen und zwischen E- und D-Lesart entscheiden . Dieser analytische Weg wird im Weiteren verfolgt werden . Es wurde in Abschnitt 1 gezeigt, in welchem Maße epistemische Modalkonstruktionen mit Tempus interagieren und in welchem Ausmaß die strukturelle Position des Tempuszuweisers bei dieser Interaktion mitwirkt . Nun sind Modale (ebenso wie Modus) sensitiv bezüglich der grammatischen Personskongruenz (Modus in jedem Fall – es gibt keine modusinfiniten Formen –, bei MVn nur die epistemischen Lesarten, wo ebenso wenig Infinitive möglich sind). Aufgrund einfacher Distributionsproben ergibt sich die Operatorenhierarchie Illokution>Modus>Modalität (EMV>DMV) . Wenn die beiden Grundgeneralisierungen zur Grammatik der Modalverben – die zur Aspektsensitivität und zur Kongruenzsensitivität (vgl . Abraham 1991-2005) – in strukturelle Begrifflichkeit umgesetzt werden als epistemisches Merge oberhalb von T, grundmodales dagegen unterhalb von T, dann ergeben sich Möglichkeiten, Abweichungen von diesen beiden Grundgeneralisierungen als spezifische syntaxkontextuelle Markierungen zu sehen und entsprechend zu beschreiben . 3. Defaultsyntax und –semantik der Modale Im Folgenden sollen (15) und (15) näher begründet werden . Es hat sich ja gezeigt, dass die beiden möglichen Lesarten der Modal, Grundmodal/DMV bzw . epistemisches Modal/EMV, und deren Syntaxstatus von den syntaktischen Kontexten abhängen, nicht von den Modallexemen selbst . D .h . MV sind als solche alleine Homonyme und syntaktisch und semantisch unterspezifiziert. Der entscheidende Faktor ist, ob das Merkmal [Person] der Modalbedeutung zugeordnet wird oder nicht . Davon, so wollen wir sagen, hängt der Ort der syntaktischen Einfügung (Merge) des lexikalischen Modalelements ab: Ist [Person] – also die prädikative Eigenschaft des Subjekts – zuordenbar, dann handelt es sich um die grundmodale Lesart, um DMV, und die entsprechende syntaktisch-strukturelle Modalitäts-Aspekt-Generalisierungen… 21 Lokation ist eine vP-Adjunktion: Sowohl Finitheit wie auch Personsbestimmtheit sind merkmalshaft vorgegeben und erfüllt (Zagona 2007) . Vgl . (18) . (18) [vP mag [vP Hans [V spielen]]] [finit] [u Person] . . . DMV-Lesart Indem das Subjekt-DP Hans das Personsmerkmal des Modals valuiert, enthomonymisiert sich das MV-Homonym im Sinne der grundmodalen mögen-Lesart . Das finite V ist für die Tempuslokation nicht zugänglich. Assertiert wird demnach nicht das Ereignis des Spielens, sondern vielmehr der Mögenstatus für Hans . Fehlt das Personsmerkmal, so kann keine lexikalische Einfügung (Merge) in vP stattfinden; MV ist nur in TP valuierbar, ohne [Person] aber ist das Inventar an φ-Merkmalen in T nicht interpretierbar. Die Ableitung scheitert („crashes“). Wird das MV dagegen oberhalb von TP eingesetzt, dann sind die Bedingungen für MV ebenso wie DP erfüllt . Vgl . (19) . (19) [ForceP[CP mag [TP [finit] Hans [V spielen]]]] [finit] [u Person] . . . EMV-Lesart Epistemik ist durch illokutiven Satzcharakter bestimmt . Mit Zagona (2007) gehe ich davon aus, dass dieser illokutiv besetzten Satzbedeutung dadurch Rechnung getragen wird, dass die entscheidenden Satzmerkmale in Force sitzen . Diese bestimmen die sprecherorientierte Interpretation von MV . Grundmodalität und epistemische Modalität unterscheiden sich also syntaktischsemantisch dadurch, dass die eine – die grundmodale, DMV – ereignis- und damit subjekt- und hauptprädikatbestimmt, die andere – die epistemische – dagegen sprecherbestimmt ist . Dies ist syntaktisch deutlich zum Ausdruck gebracht worden . Oberhalb von TP gibt es keine Möglichkeit für ein MV mit dem Personsmerkmal, da dieses tiefer, in vP, bereits einmal valuiert wurde . Die Ableitung muss ebenfalls wegen eines extra uninterpretierbaren Merkmals scheitern . 4. Syntax des Frembewusstseinsabglichs (FBA; Theory of mind) In Abraham (2008a,b) wurde betont, inwieweit EMV-Interpretationen bei verschiedenen grammatischen Personen (vornehmlich ich-du vs . er-sie-es) zu völlig unterschiedlichen grammatischen Geltungen führen . Dies kann für die semantisch entsprechenden Adverbien nicht beansprucht werden (gegen Zagona 2007: 228) . D .h . epistemische Modalverben und Adverbien erfüllen in keinem Falle dieselben Subjekts- bzw . Sprecherdeixen: die deiktische Semantik der Adverbkategorie ist sozusagen um eine ganze Deixisdimension ärmer als die der Modalverben . Inhalt Werner Abraham 22 und Umfang einer FBA-Syntax ist dabei durch folgende bisher erarbeitete Festpunkte gegeben: die syntaktische Funktion Force lizensiert ein MV, indem sie einen Teilnehmer und die Evaluationszeit einbringt . Dabei wird force in Deklarativsätzen dadurch interpretiert, dass eine Situation unter Bezug auf einen spezifischen Hintergrundskontext lokalisiert wird: nämlich den Kenntnis- und Glaubenshintergrund des Sprechers – d .h . die Propositionen, Einheiten, Bezüge und Situationen, die den Kenntnisstand des Sprechers zu einem bestimmten Sprechzeitpunkt, kurz die Sprecherwelt ausmachen (Zagona 2007: 228) . Deklarativ-Force eines Satzes ordnet dabei dem Satz einen Wert in Abhängigkeit zur Sprecherwelt zu: der Satz entspricht (oder entspricht nicht, im Falle der Satznegation) der Kenntnisbasis der Sprecherwelt zu einem bestimmten Zeitpunkt (etwa einer laufenden Konversation) . Von Zagona (2007: 229) stammt die Idee, zwischen positiven und negativen Deklarativen das Merkmal der Polarität vermitteln zu lassen . Dieses wird, verständlich nach allem Vorigen, der force-Funktion des Satzes als unvaluiertes Merkmal zugeordnet . Siehe (20) und (21) . (20) (21) Hans mag singen . Force [mag [u Polarität] [möglich] [Hans singen]] Epistemische Modalsätze treffen im Unterschied zu Deklarativen keine absoluten Aussagen zum Einbezug bzw . Ausschluss der Propositionssituation; vielmehr schließen sie diese möglicherweise bzw . notwendigerweise mit ein und zwar je nach dem Kenntnis- oder Glaubensstand des Sprechers . In jedem Fall muss ein Individuum vorhanden sein, dem solche Möglichkeits- (mag, kann) bzw . Notwendigkeits- (muss, soll) oder Vorgebbewertungen (will) zugesprochen werden können . 5. Epistemika im Kontext: abweichendes regelhaftes Verhalten Wie gezeigt können Grundmodale, DMV, in den Zeitreferenzen des Präsens und der Vergangenheit Gültigkeit haben, EMV dagegen bloß in der Beurteilungszeit, tr, für den Satz, in dem sie vorkommen . In Hauptsätzen ist diese Beurteilungszeit der epistemischen Konstruktion die Sprechaktzeit bzw . die Zeit des Sprechereignisses, ts (und in Komplementsätzen kann tr die Ereigniszeit, te, des Hauptsatzes sein) . Dagegen aber spricht das folgende Beispiel (einem ndl . Beispiel bei Boogaart (2004:15) nachgebildet) . (22) Ich tat ihr den Gefallen ihn zu besuchen . Sie liebte ihn . Er konnte ja krank sein, ihre Hilfe brauchen . = EMV-Lesart mit den Zeitreferenzen: (i) = es war möglich, dass er krank war (ii) = es ist möglich, dass er krank ist Modalitäts-Aspekt-Generalisierungen… 23 Hier gilt für Er konnte ja krank sein neben (ii) auch (i), die Vergangenheitsreferenz, die für epistemische Lesarten nicht ergeben sollte . Im satzunabhängigen (22) ebenso wie in den abhängigen Modalkonstruktionen in (23a,b) geht es um indirekte Rede: Der Sprecher berichtet über den Diskurs des Hauptsatzsubjekts . (23) a b Er wusste, dass sie in Rom sein könnte ◊(tr, sie in Rom) - EMV – Möglichkeit zu tr, also in der (Hauptsatz-)Vergangenheit S . sagte mir, sie müsse/müsste da bleiben (tr, sie da bleiben) - DMV – Verpflichtung zu tr Es sind die jeweiligen Kontexte in diesen modalen Konstruktionen, die zur Skopusumpolung – nämlich Tempus über EMV – beitragen . D .h . das Modalitätstemplat nach Cinque (1999), (15), sagt diese Skopusumpolungen nicht voraus . Die Nullhypothese zum Zusammenspiel zwischen Modalität und Quantifikation bzw. Tempus in (15) stimmt nicht generell: Sie betrifft die sichtbare Mergestelle des Modalverbs oder Modaladverbs, nicht jedoch seine Interpretation unter Quantifikation und Tempuseinfluss sowie struktureller Haupt-Nebensatz-Abhängigkeit – eine Interpretation, welche offenbar LF überantwortet werden muss . Konkreter und unter Bezug auf die zitierten Illustrationen der Abweichungen, (22)-(23): Die Beurteilungszeit einer EMV-Konstruktion ist nicht nur irgendeine Situationszeit, sondern sie wird bestimmt von einer intensionalen Prädikation mit projiziertem Sprecher (Boogaart 2004: 15) – mit anderen Worten: der Intensionstyp des Sprechakts, das ‚Ich’ bzw . Sprechersubjekt (ich in (22)) sowie das ‚Jetzt’ der indirekten Rede: eben alle eindeutigen und exhaustiven Bestimmungsstücke der Redesituation . Dies sind die Bestimmungsstücke des Satzhauptes, Force: der dort zu ortende Deklarativ als abstrakter Ausdruck über die Zuordnung und Wahrheitshaftung einer Proposition (Weltenverortung) und der Redeteilnehmer als Sprecher des unabhängigen Satzes bzw . als Anapher für ein Antezedens-DP . Als Adverbiale gedacht und in Übereinstimmung mit modalen adverbialen können dann die Grundmodale, DMV, als Adjunkte zu vP betrachtet werden, EMV als TP-Adjunkte . Als solche drücken Grundmodale einen Zustand des Subjekts aus: Verpflichtetheit oder Fähigkeit etc.; EMV dagegen beziehen sich auf Force und assertieren Möglichkeit bzw . Notwendigkeit für eine bestimmte Situation anstatt jene deren tatsächlichen Vorkommens . 6. Implementierung der Modalitätstemplatabweichung Wenn EMV wie andere Epistemika (etwa Adverbien) notwendig (aber nicht hinreichend) über Welten quantifizieren, dann sollte sich der modale Operatorstatus von MV (hier beschränkt auf kann, muss) in kratzerschen Termen folgendermaßen ausdrücken . Werner Abraham 24 (24) a b c modaler Bezug (Möglichkeit, Notwendigkeit): als unterschiedliche Quantifikationen (existentiell, universal) über mögliche Welten ausgedrückt . modale Basis (des Konversationshintergrunds): spezifiziert die Menge an möglichen Welten (= Präsuppositionsmenge, die den notwenigen Hintergrund zur Modalinterpretation setzt), über die durch den Operator quantifiziert wird. Ordnungsausgangspunkt unter den möglichen Welten: beschränkt die Bewertung modaler Sätze auf maximal normale, wirklichkeitsnahe Welten . Danach ist ein epistemischer Satz wie Hans muss jetzt zuhause sein dann und nur dann wahr sein, wenn Hans ausgehend von den Welten der modalen Basis und vom wirklichkeitsnächsten Ordnungsgesichtspunkt aus in dieser Welt zuhause ist . Dies gilt nach allem bisher Entwickelten, wenn sich Situationen auf der Stufe der CP-Phase auf eine einzige Welt beziehen: die Welt des Sprecherglaubens und –wissens. In nichtmodalen, deklarativen Sätzen spezifiziert die Satzpolaritätsrelation eine Inklusions- bzw . Exklusionsbeziehung: die Situation ist konsistent (oder gerade nichtkonsistent) mit den Inhalten der Sprecherwelt . Dagegen ist in Modalsätzen der Einbeziehungsrelation bloß in einem relativen Sinne Genüge getan: nämlich durch einen Möglichkeits- bzw . Notwendigkeitsstatus hinsichtlich der vP-Konsistenz mit der Sprecherwelt an Glaubens- und Kenntnissätzen . Unter welchen Voraussetzungen sind Epistemika ausgeschlossen? Alleine MVFinitheit für epistemische Lesarten beruht auf dem relevanztheoretischen Hintergrund, dass sich solche Ausdrücke auf dem Sprecher bekannte Welten gewusster Propositionen zur Sprechaktzeit beziehen müssen . Es ist von Bedeutung zu sehen, dass sich dies nicht in sprachidiosynkratischer Weise davon ableiten lässt, dass etwa englische MVn über keine Infinitivformen verfügen. Auch epistemische Adverbien lassen sich nicht innerhalb infinit konstruierter Konstituenten setzen (Zagona 2007: 230: *Angeblich/Wahrheitsgemäß früh aufzubrechen/aufbrechen zu müssen ist kein guter Vorsatz) . Es sind demnach auch sprecherbezogene Adverbiale mit infiniten Prädikationen unvereinbar. Weiter schließen sich EMV in solchen Sätzen aus, die des Bewertungskontexts vor dem Sprecherwissen entbehren: darunter fallen Imperative und ähnlich desiderativ-adhortative Sprechakttypen, bei denen eine Kenntnisdarlegung (ausgedrückt durch das Merkmal [Assertiv] bei Force) fehlt . Allgemein beschränken sich EMV auf Satzkontexte, deren ForceKopf ein Sprechakt mit Kenntnis- bzw . Glaubensdarlegung (für das Jetzt und das Ich jener Welt, in Bezug auf welche die Proposition bewertet wird, zusammengefasst in [Deixiszentrum]) ist . Einem solchen Force-Satzknoten kommt somit ein Merkmal zu, das das (sprecher)deiktische Zentrum der Äußerung setzt . 7. Modalität und Modus Wie ist vor dem Hintergrund des Bisherigen Modalität von Modus zu unterscheiden? Zuerst zu einer weiteren Modalitätskategorie . Evidentialparadigmen, die ja Modalitäts-Aspekt-Generalisierungen… 25 den europäischen MV-Paradigmen stark ähneln (und verschiedentlich bloß aufgrund semantisch-pragmatischer Ähnlichkeiten mit MV vereinselbigt werden), allerdings flexionsparadigmatisch ausgesondert erscheinen, können vor diesem Hintergrund als Spezifikate des Assertionsmerkmals gesehen werden: [Assertiv] wird dann weiter spezifiziert als [Assertiv über Sehen] bzw . [Assertiv über Hören] etc . (Zagona 2007: 232) . Modus deckt sich mit Modalität dahingehend, dass das Ereignis bzw . die Situation, die in vP ausgedrückt werden, nicht assertiert werden . Nichtassertion lässt sich aber auf zweierlei Art zugrundelegen; und darin unterscheiden sich ein MVund ein Konjunktivsatz . Vgl . (25) und (26) . (25) (26) Hans sei/wäre zuhause . Hans muss zuhause sein . Im MV-Fall in (25) geht Nichtassertion auf eine Eigenschaft von CP zurück, welchem der assertive Force-Kopf fehlt . Entsprechend lässt sich von vornherein nichts assertieren . Ein solch deklarativ-assertives Merkmal ist beim Force-Kopf in (26) dagegen sehr wohl vorhanden . Somit liegt Nichtassertivität nicht an Eigenschaften von C, sondern am Blockiereffekt des Modals: MV ist an der Eigenschaftserfüllung des C-Merkmals [Polarität] beteiligt; damit ist aber vP nicht erreichbar und nicht Teil der Assertion (Zagona 2007: 234) . Vgl . nochmals (10 a,b) oben zur Trennung von Ereigniszeit und Assertionszeit (nach Demirdache & Uribe-Etxebarria 2000), die sich auch an dem Unterschied zwischen äußerem und innerem Aspekt (Perfektiv-Imperfektiv) und syntaktisch am strukturhöheren AspP (Assertionszeit- äußerer Aspekt- Perfektiv) und tieferem vP (Ereigniszeit-innerer Aspekt-Imperfektiv) festmachen lässt . Bei Modalitätssätzen ist bloß das MV assertiert . Technisch gesehen blockiert das MV den Abgleich des Assertionsmerkmals in Force durch Eigenschaften des Prädikats . Valuierung des Merkmals entfällt somit . Wie Aspektauxiliare erweisen sich Modalverben als Interventionskräfte: sie behindern die direkte Wirkung des für das Ereignisses bzw . die Situation verantwortlichen Hauptverbs auf die Sprecherassertionsfunktion . Es ist bedeutsam zu sehen, welche tieferen Zusammenhänge zwischen Aspekt und Modalität sich aus solchen Bezügen ergeben: strukturhöheres AspP-Assertionszeit-äußerer Aspekt- Perfektiv bzw . strukturtieferes vP-Ereigniszeit-innerer Aspekt-Imperfektiv . Dies ist angesichts früher solcher Sichtweisen (Abraham 1991) und deren entschiedener Ablehnung (Reis 2001) eine nicht nur wissenschaftshistorisch relevante Feststellung, sondern eben auch eine empirisch wichtige Einsicht (vgl . dazu auch neuerdings Abraham & Leiss (Hgg .) (2008)) . 8. Schluss Es ist heute fast trivial, auf ein Ergebnis dieses Aufsatzes hinzuweisen: nämlich dass Modalverben nicht semantische Homonyme zwischen Epistemik und 26 Werner Abraham Grundmodalität sind, sondern dass sich diese Unterschiede auf die Existenz der Personsmerkmals, [Person], zurückführen lassen . Ein MV mit [+Person] ist als DMV, eines ohne als EMV definiert. Das Personsmerkmal verlangt ein DP-Argument beim Vollverb als Individuum, das situativer Erlaubnis, Notwendigkeit oder Voluntativität unterliegt . Ein MV ohne solches Personsmerkmal am Force-Kopf impliziert dessen Interpretation als sprechaktorientiert . Dies birgt wiederum die Interpretation für EMV als sprechaktzeitlicher Evaluierung . Es kommt also bei den verschiedenen Satzinterpretationen unter Modaleinfluss wesentlich auf die Eigenschaftserfüllung beim Satzkopf Force an, dies nicht zuletzt zur Realisierung und Erklärung von Evidentialen und dem Unterschied zwischen Konjunktiv und MV im Hauptsatz . Literatur Abraham, Werner (1991): „Modalverben in der Germania“, in: Iwasaki, Eijirô (Hg .): Begegnung mit dem „Fremden“. Akten des VIII. Internationalen Germanisten-Kongresses in Tokio 1990 . Band 4 . München: Iudicium, 109–118 . Abraham, Werner (1998): „The aspectual source of the epistemic-root distinction of modal verbs in German”, in: Boeder, Wienfried u . a . 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Modusformen eingeordnet werden, wird seit einigen Jahrzehnten die Fragestellung favorisiert, die – grob formuliert – darauf beruht, dass alternative Lösungen in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt werden . Als Paradebeispiel kann hier der bekannte Streit zwischen „Temporalisten“ und „Modalisten“ über die Funktionsgeltung der Verbalperiphrase werden + Infinitiv angesehen werden . Während z .B . Thieroff (1992), Morciniec (2008: 70 ff .) u .a . die These der traditionellen Grammatik verfechten, diese analytische Form sei ein eindeutiges Tempuszeichen, stellten Saltveit (1960, 1962, 1979), Vater (1975, 2007) u .a . die Gegenthese auf, diese Fügung gebe primär eine modale Lesart ab . Elisabeth Leiss (1992: 191 ff .; 203, 210 f .; 225 und 2002) versucht ihrerseits zu beweisen, dass die jeweilige Lesart von der Aktionsartsemantik des infinitivischen Komplements abhängt und dass somit die Aspektualität als übergeordnetes Kategorisierungsprinzip anzusehen ist . Für Diewald (2005), Smirnova (2008) u .a . ist es hingegen wiederum die Bedeutung einer Evidentialität, welche als hierarchisch übergeordnete Kategorialfunktion bei werden + Infinitiv sämtliche Fügungen steuert, die sich ebenfalls auf dem Weg zur Grammatikalisierung im Evidentialitäts-Paradigma befinden (wie drohen … zu + Infinitiv, versprechen … zu + Infinitiv). Ich möchte in meinem Beitrag die These aufstellen, dass es nicht nur empirisch nachweisbare kategoriale Affinitäten zwischen Tempora und Modi, sondern deren grundsätzliche referentielle Identität gibt . D .h ., jede Tempusform impliziert modale Lesarten und vice versa: jede Modusform hat ihre eigene temporale Deixis . Nimmt man die Aspektkategorie dazu, kann generell davon ausgegangen werden, dass das ATM-Gefüge (ich würde sogar von dem ADTM-Gefüge sprechen, wo D für „Diathese“ steht) sich grundsätzlich als ein kategorialer Block mit jeweils idioethnischer Verteilung des zu Grunde liegenden kategorialen Rasters behandeln lässt . Dabei sind Aspekt und Diathese als nichtdeiktische interpretative Kategorien eines abstrakteren Grades dem Tempus und Modus als konkreteren deiktisch geprägten Kategorien hierarchisch übergeordnet . In meinem Artikel geht es allerdings um die Entitäten des ATM-Gefüges . Zunächst sehr einfache und triviale Beispiele, die die referentiellen Relationen zwischen Tempus- und Modusformen (gelegentlich auch unter Berücksichtigung der aspektuellen bzw. „aspektiven“ (Czarnecki 1998) Funktion exemplifizieren: (1) Ich würde gern mitgehen . Zukunftsbezogene Lesart mit optativischen und/oder nichtfaktischen modalen Implikationen, da die Zukunftsperspektive beide Lesarten prinzipiell zulässt . Michail L. Kotin 30 (2) Ich wäre gern mitgegangen . Vergangenheitsbezogene Lesart mit nur nichtfaktischer modaler Implikation, da die Vergangenheitsperspektive nur diese konjunktivische Lesart zulässt . (3) Schon 1805 wusste Napoleon, dass er 1812 Russland überfallen würde . Thieroff 1992 behandelt diese Form als Futur Präteriti und vergleicht sie mit der englischen would-Periphrase in der Vergangenheitsperspektive . Er stellt diese periphrastische Fügung dem synthetischen Konjunktiv Präteritum gegenüber, um zu beweisen, dass bei derartigen Verwendungen die würde-Umschreibung dem synthetischen Konjunktiv nicht synonymisch ist und daher keine Ersatzform des Modus Konjunktiv, sondern eine Tempusform darstellt . Im Gegenwartsdeutschen ist hier in der Tat kein Konjunktiv möglich, aber grundsätzlich ist auch der flektierte Konjunktiv Präteritum durchaus denkbar, was der folgende gotische Beleg beweist: (4) iþ eis ni iddjedun in praetoriaun, ei ni bisaulnodedeina, ak matidedeina pasxa (Gotische Bibel, Joh. 8, 28). Es gibt also keinen Grund, das Tempus Futur Präteritum dem Modus Konjunktiv Präteritum gegenüberzustellen und darüber zu streiten, ob in derartigen Belegen das erste oder der letztere vorliegt . Beide Kategorialfunktionen sind nämlich so eng miteinander verbunden, dass hier Temporalität und Modalität nur gemeinsam behandelt werden können . (5) Wenn das Wetter schön wäre, würden wir spazieren gehen . Optativische oder nichtfaktische Lesart eines wenn-dann-Satzes in der temporalen Perspektive der Zukunft, bedingt durch die genuine Ambiguität des „faktischen“ Bezugs, welche die temporale Perspektive der Zukunft impliziert . Das Konjunktivmorphem ist dabei gerade wegen einer „Distanz zum Faktischen“ präterital, um nämlich das Faktische des Präsensmorphems durch eine Temporalität der Vergangenheitsperspektive zu relativieren . (6) Polnisch: Gdyby była ładna pogoda, poszlibyśmy na spacer . (Ähnlich im Russischen: Jesli by byla chorošaja pogoda, my by pošli na progulku .) . Hier sieht man das „Apräsentische” des Konjunktivs besonders gut . Die beiden Verben stehen in derselben Vergangenheitsform, die jeweilige temporale (und davon teilweise abhängige modale) Lesart kann nur durch den weiteren Kontext disambiguiert werden . Ein Unterschied zwischen zwei Vergangenheitsformen des „Konjunktivs II“ (der Form des Präteritums und der Form des Plusquamperfekts) ist typologisch gesehen nur ein zusätzliches Zeichen für eine kontextfreie Disambiguierung der temporalen Perspektive, welche sonst im Konjunktiv durchweg grundsätzlich apräsentisch ist . Zur referentiellen Identität von Tempus- und Modusformen 31 (7) Englisch: If the weather was fine, we would go for a walk. Es ist klar zu sehen, dass selbst das Konjunktivmorphem entbehrlich sein kann, falls z .B . die jeweilige (genuin indikativische) Tempusform, verstärkt durch eine konjunktivisch markierte Konjunktion, nichtfaktisch bzw . optativisch zu lesen ist . Dazu bedarf das Tempussystem aber unbedingt mindestens zweier Vergangenheitsformen . Da es in der Slavia nur eine Vergangenheitsform des Verbs gibt, ist das Konjunktivmorphem obligatorisch . Im Gegenwartsdeutschen ist die Markierung aus dieser Sicht redundant . (8) Wenn das Wetter schön gewesen wäre, wären wir spazieren gegangen . (9) If the weather had been fine, we would have gone for a walk. (10) *Als das Wetter schön gewesen wäre, wären wir spazieren gegangen. Als kann nur mit Vergangenheitstempus und Indikativmodus verwendet werden . Es impliziert eine temporal vergangene, aktional/aspektual einmalig-abgeschlossene und modal faktische Lesart . Bei einem einmaligen vergangenen nichtfaktischen Ereignis wird die Nichtfaktizität durch das Konjunktivmorphem des Plusquamperfekts in Verbindung mit der Konjunktion wenn kodiert; soll die Lesart hingegen vergangen-faktisch sein, dabei aber nicht mit als, sondern mit wenn verbunden werden, entsteht automatisch die multiplikative Lesart, vgl . (11) Wenn das Wetter schön war, gingen wir immer spazieren . Mit dem Konjunktiv Plusquamperfekt ist dagegen im Prinzip sowohl die einmaligunikative als auch die multiplikative Lesart möglich . Die oben behandelte temporale Differenzierung des konjunktivisch kodierten Faktizitätsbereichs ist im Deutschen in Folge einer längeren historischen Entwicklung entstanden . Bekanntlich gab es bis zur mittelhochdeutschen Zeit und teilweise darüber hinaus auch eine temporal ambige bzw . kontextabhängige Lesart von den Formen des Konjunktivs Präteritum, d .h ., es existierte zunächst eine größere Ikonizität des modal-temporalen Bezugs, vgl . (12) vrou Herzeloide gap den schîn,/ waeren erloschen gar die kerzen sîn,/ da waere doch liecht von ir genuoc . (Wolfram v . Eschenbach, Parzival . II, 84) . (13) ir achsel unde ir brustbein,/ diu wâren alsô nahe enein/ getwungen unde geslozzen,/ und waere ouch ein werc gegozzen, / von êre und von golde,/ ez endorfte noch ensolte/ niemêr baz gefueget sîn . (Gottfried v . Straßburg, Tristan XXVI, 18209-18215) . Zugleich gab es auch die – ebenfalls ikonische – Kodierungsform von Nichtfaktischem in der temporalen Perspektive der Gegenwart durch die Formen des Michail L. Kotin 32 Konjunktivs Präsens, welche heutzutage aus dem Bereich der Nichtfaktizität bekanntlich so gut wie völlig verdrängt worden sind durch die Form des Konjunktivs Präteritum, vgl . (14) liute unde lant,/ darinne ich von kinde bin erzogen, / die sind mir worden fremde, / rehte als ez sî gelogen . (Walther v .d . Vogelweide 124, 6-7) . Ich gehe nun zur Rekonstruktion bzw . Reanalyse über . In der gemeingermanischen Epoche (1. Jahrtausend vor Christus) gab es die Konjunktiv-Suffixe, welche auf die idg . Vollstufe des Ablauts [o] in der Kombination mit dem Halbvokal [j] zurückgehen (typisch für Präsens Konjunktiv), also idg . *-oi > germ . *-ai sowie in der Nullstufe idg . *-j > germ . *-i . Überall folgen darauf sog . Sekundärendungen, was sehr wichtig ist, da sie im rekonstruierten Urindogermanischen nur für das Perfekt und den Aorist, nie aber für das Präsens stehen . Es lässt sich ein folgendes genealogisches Schema des gemeingermanischen Konjunktivs aufstellen: Gemeingermanischer Konjunktiv - Suffix *-ai zu idg. *-oi, also o-Vollstufe des Ablauts plus Suffix des Konjunktivs *-i zum idg . Halbvokal *-j à Konjunktiv Präsens - Suffix *-i zum idg. Halbvokal *-j mit der Nullstufe des Themavokals à Konjunktiv Präteritum - Sekundärendungen, die überall auf das Konjunktivsuffix folgen - Null- bzw . Dehnstufe des Wurzelablauts bei den starken Verben der Ablautreihen 1-5 . Unten die Teilparadigmata der Indikativ- und Konjunktivformen des Verbs got . niman ahd . neman: gotisch: niman Präs . Ind . Akt . Sg . D . nima nimos nimis nimats nimiþ Pl . nimam nimiþ nimand Präs . Konj . Akt . Sg . nimau nimais nimi D . nimaiwa nimaits Pl . nimaima nimaiþ nimaina Zur referentiellen Identität von Tempus- und Modusformen 33 Prät . Ind . Akt . Sg . nam namt nam D . nêmu nêmuts Pl . nêmum nêmuþ nêmun Prät . Konj . Akt . Sg . nêmjau nêmeis nêmi D . --nêmeits Pl . nêmeima nêmeiþ nêmeina althochdeutsch: neman Präs . Ind . Akt . Sg . nimu nimis nimit Präs . Konj . Akt . Pl . nemamês nemat nemant Prät . Ind . Akt . Sg . neme nemês neme Pl . nemêm nemêt nemên Prät . Konj . Akt . Sg . Pl . nam nâmi nam nâmum nâmut nâmun Sg . nâmi nâmîs nâmi Pl . nâmîm nâmît nâmîn Wir gehen nun bei der Bestimmung der genealogischen Grundstruktur der germanischen Tempus- und Modusformen von folgenden Kriterien aus: 1 . Wurzelablaut (nur für starke Verben relevant): Vollstufe /e/ – „präsentisch“ (es werden nur die Ablautreihen 1-5 berücksichtigt); Vollstufe /o/ – „perfektisch“; Null- bzw . Dehnstufe – „aoristisch“ . 2 . Thema-Ablaut: jede Vollstufe – „präsentisch“; Nullstufe – „perfektisch“ . 3. Konjunktiv-Suffix: -i (idg. Halbvokal, also quasi sonorer Konsonant). 4 . Endung: Primärendungen mit Vollstufe – „präsentisch“; Sekundärendungen mit Nullstufe – „perfektisch“ . 34 Michail L. Kotin Eigentlich aoristische Merkmale, die sich von den perfektischen unterscheiden, bleiben im Germanischen nur im Wurzelablaut der starken Verben erhalten . Der Ablaut beim Thema und in der Endungsflexion kann zweigeteilt werden in - „präsentisch“ (mit Vollstufe) - „apräsentisch“, d .h . „perfektisch“ und „aoristisch“ (mit Nullstufe); entspricht der perfektisch-aoristischen Außenperspektivierung des Verbalgeschehens (vgl . Krasuchin 2007) . Woher stammen nun die Elemente der aoristischen Flexion im germanischen Konjunktiv? Um diese Frage zu beantworten, sollte man zunächst das Verhältnis zwischen den beiden indogermanischen Vergangenheitstempora – Imperfekt und Aorist – bezüglich ihrer aspektualen Funktion näher bringen . Wie Krasuchin (2007: 7 f . und 34 f .) gezeigt hat, ist z .B . im Altgriechischen, wo die Imperfekt-AoristOpposition am deutlichsten ausgeprägt ist, das Imperfekt gegenüber dem Aorist markiert und nicht etwa umgekehrt . Das Imperfekt bezeichnet Durativität, Temporalität [sic! Vgl . den Aorist, der dagegen die Aspektualität bezeichnet – M . K .], NichtAbgeschlossenheit, Stabilität . Die Opposition von Imperfekt und Aorist behandelt Krasuchin zu Recht als „situativ-aspektual“ und stellt fest: „Imperfekt und Aorist drücken die Vergangenheit aus, aber das erste weist auf Nicht-Abgeschlossenheit hin und der letztere auf Abgeschlossenheit“ . In den Werken der Alexandrinischen Grammatiker wird der Aorist als „unbestimmtes Vergangenheitstempus“ charakterisiert. Was ist nun aber „unbestimmt“? Folgt man der Definition Krasuchins, deckt sich diese Funktion in etwa mit der Leiss´schen Außenperspektivierung der Handlung/des Vorgangs . In der Altgriechischen Grammatik von Schwyzer-Debrunner (1950) ist die folgende Klassifikation des Aorists vorgeschlagen worden: 1 . Aorist eines unmittelbar erlebten Ereignisses, darunter Aorist eines veränderten Zustandes (Typ starb, fiel): oϋτω δέ Κϋρος γενόμενος τε και τραφεϊς ´εβασίλευσεν . „und so wurde der geborene und ernährte Kyros (zum) König“ (Hdt . I, 130, 3) . [„krönte sich“ (wörtl . „königte sich ein“)] . 2 . Aorist mit der Bedeutung einer Tatsache, die in Folge eines Ereignisses entstanden ist (Typ war verwundet) 3 . Konfektiver Aorist mit perfektiver Funktion (Abgeschlossenheit) (Typ hatte gemacht, erledigt) kann auch eine dauernde Situation bezeichnen, die aber in der Zeit begrenzt ist (Typ hatte 30 Jahre lang in der Wüste gelebt (=verlebt, verbracht)) . Auch ohne explizite Angabe der Zeitgrenze (Typ war lange gereist): Άνδρα μοι ´έννεπε, μοϋσα, […] ´ός μάλα πολλά πλάνχθη, ´έπει Τροίης ´ιερόν πτολίεθρον ´έπερσε. (Homer, Odys. I, 1-2) „Einen Mann besinge mir, o Muse, […], der viel gereist war, nachdem er Trojas starke Befestigung zerstört hatte“ . Zur referentiellen Identität von Tempus- und Modusformen 35 4 . Aorist einer einzelnen abgeschlossenen Situation in Verbindung mit der Bezeichnung von daraus folgenden Ereignissen, die in der Zukunft eintreten (Typ hatte ausgelöst, dass etwas kommt) 5 . Aorist des Vergleichs, wo ein durch das Imperfekt bezeichnetes Ereignis mit dem Ereignis, das durch den Aorist kodiert wird, verglichen wird (Typ hatte lange gesucht und endlich gefunden) 6 . Aorist einer typischen Situation, bei dem ein sich wiederholendes Ereignis, welches in mehreren Situationen entsteht, als abgeschlossen dargestellt wird (Typ (bis zu dieser Zeit) war noch niemand von den Toten auferstanden) 7 . Gnomischer Aorist in Sprichwörtern und Sentenzen . In anderen Systemen (Wackernagel 1926, Meillet 1948) wird das Imperfekt als duratives (kursives) Tempus dem Aorist als kompletivem Tempus gegenübergestellt . Die von Krasuchin (2007: 34) vorgeschlagene Tabelle der Funktionen der altgriechischen Tempora sieht wie folgt aus: Durativität Aktualität Präsens Imperfekt Aorist Perfekt Futurum + + (-) 0 + (+) - Präteritalität Kompletivität + + (-) - + - Der Aorist steht zum Perfekt in einer situativ-aspektualen Oppsition (ibid .) . Das Imperfekt bezeichnet einen nicht abgeschlossenen Anfang einer Situation und deren Verlauf; hingegen der Aorist – den Abschluss des Ereignisses im Ganzen oder aber einer Etappe desselben . Die Abgeschlossenheit schließt einen Hinweis auf die Durativität nicht aus (!), vgl . Ausdrücke des Typs Er hatte dreißig Jahre lang in der Wüste gelebt [~ verlebt, verbracht] . Warum schreibe ich nun so lange und relativ ausführlich über die kategoriale Rekonstruktion des indogermanischen Aorists, ist ja das Thema meines Beitrags das Verhältnis zwischen Tempus und Modus? Bekanntlich sind altgermanische Tempus- und Modusformen so beschaffen, dass sie genealogisch gesehen den alten indogermanischen Tempus- bzw . Aspektformen entsprechen . Die temporale Opposition von Präsens und Präteritum im Germanischen, die auf die indogermanische aspektuale Opposition von Präsens und Perfekt zurückgeht, ist in der Literatur bereits ziemlich ausführlich erörtert worden, einschlägig sind hierfür u.a. die klassischen Abhandlungen von Stang (1932) und Kuryłowicz (1964). Dagegen sind die den indogermanischen Aoristformen entsprechenden Formen 36 Michail L. Kotin des germanischen Konjunktivs bisher weniger untersucht, insbesondere gerade unter dem diachron-sprachgenealogischen Aspekt . Die Frage, wieso überhaupt die Formen des germanischen Konjunktivs Präteritum auf die Aoristformen des Indogermanischen zurückgehen, bleibt bis heute offen . Ich schlage nun die folgende Lösung des Problems vor . Es gibt für die jeweilige temporale Perspektive die folgende Verteilung von modalen Funktionen: Vergangenheit: faktisch (dann Indikativ) oder nichtfaktisch (dann Konjunktiv); Zukunft: möglich (sowohl Indikativ als auch Konjunktiv mit Abschwächung des Merkmals durch das Konjunktivmorphem) oder unmöglich (dann Konjunktiv) . Der Konjunktiv ist also genuin apräsentisch (temporales Merkmal) und perfek­ tivisch (aspektuales Merkmal) . In der deutschen Gegenwartssprache zeigt es sich darin, dass der Konjunktiv Präteritum durchgehend die nichtfaktische Sphäre der temporalen Perspektive der Gegenwart abdeckt. Es gibt dagegen eine deutliche kategoriale Affinität zwischen Vergangenem und Nichtfaktischem (vgl . die by-Formen im Slawischen, die sich nur mit morphologischen Vergangenheitsformen des Verbs verbinden, unabhängig davon, ob der Referenzbezug gegenwärtig, zukünftig oder vergangen ist) . Der germanische Konjunktiv hat daher a) Sekundärendungen (wie das idg . Perfekt und der idg . Aorist); b) Im Präsens das präsentische und im Präteritum das perfektische/ aoristische Thema; c) Bei starken Verben im Wurzelablaut durchweg aoristische Stufen (Null- bzw . Dehnstufe bei Verben der Ablautreihen 1-5 im Präteritum) . Der germanische Konjunktiv Präsens ist also genealogisch gesehen dem indogermanischen Perfekt am nächsten und der germanische Konjunktiv Präteritum dem Aorist . Aspektual ist also der Konjunktiv generell perfektivisch geprägt und temporal apräsentisch . Gerade darum wird der Konjunktiv Präsens zunehmend abgebaut, und sein Geltungsbereich ist im heutigen Deutsch weitgehend auf die indirekte Rede („reportive Modalität“ nach Fabricius-Hansen 1998) beschränkt (wie oben schon erwähnt, war er in den älteren Sprachstufen viel weiter), und der genealogisch „aoristische“ Konjunktiv Präteritum bzw . Konjunktiv Plusquamperfekt wird heute als sog . Konjunktiv II praktisch unbeschränkt in der gesamten optativischen und nichtfaktischen Sphäre verwendet . 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Olga Kostrova Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen und Russischen: eine Fallstudie anhand der temporalen Konjunktionen Problemstellung Das Problem der semantischen Übergänge in verwandten Sprachen bleibt immer auf der Tagesordnung der linguistischen Forschungen, denn Sprachen entwickeln sich ständig und liefern Stoff für vergleichende Analysen . Der Artikel ist der retrospektiven vergleichenden Analyse der Semantik der Temporalität gewidmet . Ich möchte zeigen, wie sich diese Semantik in zwei nah verwandten germanischen Sprachen (Deutsch und Englisch) und einer weit verwandten slawischen Sprache (Russisch) herausgebildet hat . Meinen Untersuchungsgegenstand bilden temporale Konjunktionen, die am Rande des funktional-semantischen Feldes der Temporalität positioniert sind und deswegen semantische Grenzen leicht überschreiten. Ich möchte herausfinden, aus welchen Grenzgebieten sich die temporale Bedeutung der Konjunktionen in diesen Sprachen entwickelt hat und ob sich diese Grenzgebiete unterscheiden . Zum Forschungsstand Die Literatur, die dem Problem der Temporalität gewidmet ist, ist fast unübersichtlich. Doch kommen die temporalen Konjunktionen erst in den letzten Jahrzehnten zur Diskussion, und zwar aus pragmatischer Sicht (vgl . dazu Binnick 2002) . Früher waren sie ziemlich selten Gegenstand der Untersuchungen . Darauf weist beispielsweise Anita Steube hin (1980: 32) . Doch bleiben die temporalen Konjunktionen immer noch ein Stiefkind der gegenwärtigen Untersuchungen des Tempus, der Aktionsart und der nahe liegenden Probleme . Die Analyse der entsprechenden annotierten Bibliographie von Robert Binnick (2004), die etwa 9000 Titel enthält, zeigt, dass nur ein paar Arbeiten die temporalen Konjunktionen behandeln . Aus der einschlägigen Literatur geht hervor, dass die Ansichten der Linguisten zur Bedeutung der temporalen Konjunktionen widersprüchlich sind . So spricht ihnen Steube (1980: 35) die selbständige Bedeutung ganz ab, indem sie meint, diese Bedeutung ergebe sich nur im Kontext des Haupt- und Nebensatzes . Doch auβer den zeitrelativen Konjunktionen, deren Bedeutung wirklich im Kontext zu bestimmen ist, unterscheidet die Forscherin durative und iterative Konjunktionen (Steube 1980: 192), deren Semantik auch ohne Kontext deutlich ist . Wenn wir noch dazu die Perspektive von typologisch anderen Sprachen, zum Beispiel des Türkischen, in Betracht ziehen, wo es keine temporalen Konjunktionen gibt und 40 Olga Kostrova analoge Bedeutungen durch Suffixe wiedergegeben werden (vgl. Aygün 2001), so müssen wir zugeben: die temporalen Konjunktionen sind doch semantisch beladen . In den Grammatiken, die komplexe Sätze behandeln, wird die Bedeutung der temporalen Konjunktionen in der Regel nach dem Zeitverhältnis bestimmt, das zwischen dem Haupt- und Nebensatz entsteht . Dementsprechend unterscheidet man die Konjunktionen, die Gleichzeitigkeit, Vor- und Nachzeitigkeit bezeichnen (vgl . Götze / Hess-Lüttich 1989: 353, Eichler / Bünting 1989: 194 f ., Helbig 1996: 138, Engel 2004: 143 f., Скобликова 1993: 68 ff.). Diese Art Zeitverhältnisse heiβt in der Russistik Taxis. Der Terminus geht auf Roman Jakobson zurück, der die Taxis der absoluten Zeit und der Temporalität als solcher gegenüberstellte (Якобсон 1972: 100). Diese Ansicht wird auch von manchen Germanisten geteilt (vgl. z.B. Зеленецкий 2004: 146) . Andere Forscher verstehen die Taxis im weiteren Sinne . So meint Alexander Bondarko, Taxis sei sprachliche Interpretation der Zeitwahrnehmung der bezeichneten Situationen im Verhältnis zum Redemoment des Sprechenden oder zu einem anderen Zeitpunkt (Бондарко 2002: 473). Diese Auslegung erlaubt, die Taxisverhältnisse als einen Sonderfall der Temporalität zu betrachten . Die Zeitverhältnisse zwischen dem Haupt- und dem Nebensatz definiert Bondarko als unabhängige Taxis (Бондарко 2003: 242), im Gegensatz zur abhängigen Taxis, die zwischen dem Basisprädikat und der Partizipialgruppe entsteht . Ich meine, im komplexen Satz handelt es sich um eine besondere Temporalität, und zwar um eine semantisch präzisierte Temporalität . Ihre semantische Bestimmtheit entsteht durch die Wechselwirkung zwischen den Tempora des Haupt- und Nebensatzes und der Semantik der unterordnenden Konjunktion . Die lexikalische Semantik der temporalen Konjunktion erlaubt es, die typologische Spezifik der Temporalität sozusagen in „reiner“ Form zu untersuchen, wenn auch manchmal die grammatische Semantik berücksichtigt werden muss, die durch die Tempora und Aktionsarten geprägt ist . Die Trennung der grammatischen und semantischen Temporalität führt uns auf die Peripherie des entsprechenden funktional-semantischen Feldes und macht die semantischen Grenzen durchsichtig . Die Grenzen, auch die sprachlichen, können leicht überschritten werden, und zwar von den Elementen, die von auβen kommen (vgl. Лотман 1996: 191). In diesem Zusammenhang entstehen Fragen nach den Ressourcegebieten der Temporalität, die an diese semantische Sphäre grenzen und Übergänge ermöglichen . Offen bleiben solche Fragen wie: • Welche semantischen Grenzgebiete der Temporalität lassen sich anhand der temporalen Konjunktionen feststellen? • Decken sich diese Grenzgebiete in verschiedenen Sprachen? • Auf welche Weise vollziehen sich semantische Übergänge? Raumverhältnisse als Ressourcequelle der Temporalität Anhand der indoeuropäischen Sprachen wurde mehrmals auf die Verwandtschaft der Zeit- und Raumverhältnisse hingewiesen . Es geht dabei um den Übergang Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen… 41 der lokalen Semantik in die temporale, beispielsweise bei den Präpositionen oder Adverbien (vgl . Ehrich 1989: 1) . Bei der Beschreibung der Systeme temporaler Konjunktionen in indoeuropäischen Sprachen geht man oft von der Tradition aus, in der die Kategorie der Zeit auf räumlichen Begriffen vorn – hinten und Relationen zwischen ihnen basiert (vgl. Eichinger 1989: 398; Крейдлин 1997: 140). Die räumlichen Konzepte sind genetisch die ersten, davon zeugen auch die Untersuchungen des Spracherwerbs von Kindern (vgl . Clark 1973) . Diese Übergänge lassen Eve Sweetser (1990: 18) fragen: Was macht eigentlich den Raum zum Ressourcegebiet für die Herausbildung des temporalen Vokabulars? Der nächste Schritt führt uns zu einer anderen Frage: ist es die Kategorie des Raums allein, die das Ressourcegebiet der Temporalität ausmacht? Es gibt ja keine räumlichen Umdeutungen bei den gebräuchlichsten temporalen Konjunktionen: im DEU wenn, als, im ENG when, im RUS когда. Wo liegen ihre Ressourcequellen? Um diese Frage zu beantworten, wende ich mich der Etymologie der temporalen Konjunktionen zu . Ich fange jedoch mit räumlich-temporalen Umdeutungen an . Im Bestand von vielen temporalen Konjunktionen lassen sich zwei lokale Konzepte ausgliedern: das eine ist das der Grenze und das andere ist das Konzept der Strecke/des Ortes . Die Semantik der Grenze, die erreicht oder überschritten werden muss, sehen wir in folgenden Konjunktionen: DEU: bevor, nachdem, bis ENG: before, after, till RUS: до тех пор, пока; до того, как; перед тем, как; после того, как. Dabei findet eine Metaphorisierung der räumlichen Verhältnisse statt. Wir übertragen unsere kognitiven Erfahrungen, die wir bei der Wahrnehmung des Weges gesammelt haben, auf die Wahrnehmung der zeitlichen Grenze: was vor uns ist, empfinden wir – gemessen an dieser Grenze und abhängig von unserem Standort – entweder als Nach- oder als Vorzeitigkeit; was hinter jemand oder etwas folgt, ist für uns Nachzeitigkeit. Diese Art der Metaphorisierung finden wir in allen drei Sprachen: (1) a . Bis zur Tür – lokal (bis zu einer Sperre vor uns, egal, ob wir drauβen oder drinnen sind). b . Dieses Zimmer […] wird verschlossen bleiben, bis ich wiederkomme (Schnitzler) – temporal (= ein zeitlich begrenzter Zustand, der in der Zukunft – nachzeitig – verändert werden kann) . (2) a . After you – lokal (Ihnen folgend) . b . After you went away I had some trouble with my eyes (Kipling) – temporal (= Ihrem Weggehen zeitlich folgend) . (3) a. Он пошел на кухню, сел перед не топленной со вчерашнего дня печкой и, опустив голову, сидел так долго-долго (Распутин) – lokal (vor dem Ofen). b . Перед тем как уходить, Кузьма постоял над ней, сказал: - Отойдешь немножко, вставай (В. Распутин) –– temporal (= vor dem Weggehen). 42 Olga Kostrova c . После Вас – lokal (Ihnen folgend). d. …девочки создались после того, как […] папа, по ранению в удалую голову, был комиссован домой (Астафьев) – temporal (= Papas Rückkehr zeitlich folgend). Die Semantik der Dauer, die man braucht, um eine lange Strecke zurückzulegen, können wir uns in Konjunktionen vorstellen, die die Komponente lang/long enthalten . Bei der Metaphorisierung benutzen wir wieder unsere kognitiven Erfahrungen: „Was lang ist, bedarf der Zeit zum Überwinden“ und „Die Strecke hat ihre Grenzen. Man befindet sich darauf eine Zeitlang“. Im DEU wird auf solche Weise die Konjunktion solang(e), im ENG die Konjunktion as long as metaphorisiert . Früher war im DEU die getrennte Schreibung der Komponente lang möglich, die doch später mit dem Pronomen so zu einem Wort verschmolz; im ENG ist die getrennte Schreibung bis jetzt üblich . Vgl .: (4) a .[…] und so lange ich den Märzschnee nicht vergiften kann, mit welchem sie sich wäscht, hab ich auch vor den Rittern des Landes keine Ruhe (Kleist) . b . Solange er sich unbeweglich hielt, stumpfte der Schmerz in den Nackenmuskeln ab (Apitz) . (5) So long as he could get work he didn’t mind much what sort of part it was (Maugham) . Die entsprechende russische Konjunktion пока hat einen anderen Ursprung: sie stammt von der homonymischen Partikel mit der Semantik der Zeitweiligkeit . Vgl .: (6) a. – Ну и как? Удачно? – Пока не знаю (Бондарев) – Partikel (= im Moment weiß ich es nicht, aber es ist wahrscheinlich, dass ich es erfahre) . b. Но так уж устроен человек: пока он жив – растревоженно работают его сердце, голова (Астафьев) – Konjunktion (= solange man lebt,… – aber sobald man nicht mehr lebt,…) . Die russische Konjunktion пока impliziert die Semantik einer unbestimmten Begrenzung, die auch in der deutschen und der englischen Konjunktion involviert ist, aber vor der expliziten Semantik der Dauer zurücktritt . Das verwandte Konzept – der Ort, in dem etwas passiert, – ist von dem Zeitpunkt nicht zu trennen, in dem dieses Etwas vor sich geht . Die Semantik des Ortes ist im deutschen Konjunktionaladverb wo vorhanden, das neben Lokalsätzen auch Relativsätze mit temporaler Semantik einleiten kann, vgl .: (7) Eine Stunde, Luise, wo zwischen mein Herz und dich eine fremde Gewalt sich warf – wo meine Liebe vor meinem Gewissen erblasste – wo meine Luise aufhörte, ihrem Ferdinand Alles zu sein (Schiller) . Die englische Konjunktion whereas, die auch eine analoge lokale Komponente enthält, wird doch in der temporalen Bedeutung kaum gebraucht . Sie bedeutet „in Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen… 43 contrast or comparison with the fact that“ (OPED 1990: 950) . Das entsprechende russische Adverb где wird nur in der lokalen Bedeutung gebraucht, vgl .: (8) В ту же ночь приехал я в Симбирск, где должен был пробыть сутки для закупки нужных вещей (Пушкин). Die Semantik des Ortes ist auch in den temporalen Konjunktionen spürbar, die die präpositionale Komponente in/в enthalten . Diese Komponente charakterisiert das Geschehen als an einem Ort und in einem bestimmten Zeitpunkt stattfindend. Im DEU ist es die Konjunktion indem, im RUS в то (самое) время, как. Vgl .: (9) Indem er dies sagte, klingelte es (Wahrig 1986: 685) . (10) Батюшка вошел в то самое время, как я прилаживал мочальный хвост к Мысу Доброй Надежды (Пушкин). Im ENG gibt es hierzu keine Entsprechung . Vergleich als Ressourcequelle der Temporalität Die lokalen Konzepte helfen uns die Semantik der präzisierten Taxis verstehen . Die allgemeineren Taxisverhältnisse müssen anders erklärt werden . Suchen wir nach anderen Ressourcequellen der Temporalität, dann kommen wir auf andere Umdeutungsmöglichkeiten . Bei den Konjunktionen als, as, как ist es der Vergleich, der ihre Semantik im Wesentlichen prägt . Ihre semantische Entwicklung zeige ich anhand der deutschen Konjunktion . Die Etymologie von als erklärt Paul (1960: 16 ff .) wie folgt: Die ahd . Form аlsō = “ganz so” wurde im Mhd . zu alse, als reduziert . Beide phonetische Varianten wurden unterschiedlich gebraucht: alse zum Ausdruck der Folge und als vorwiegend mit der Bedeutung eines Vergleichs. Die vergleichende Bedeutung hat sich bis jetzt in den Zusammenfügungen mit mehr als und größer als, sowie im Bestand der zweiteiligen Konjunktionen als wenn (wie wenn), als ob (*wie ob) erhalten . Doch zugleich wird als bereits im Mhd . mit der Bedeutung von = sō in allgemeinen hypothetischen Zeitsätzen gebraucht (wo im Nhd . wenn steht) . Erst später wird als zur Bezeichnung der einmaligen Handlungen in der Vergangenheit verwendet, das heißt in der Bedeutung, die der Konjunktion auch heute eigen ist . Dabei kommt das Sem der Konkretheit zum Ausdruck, das vielleicht auf das Pronomen sō zurückzuführen ist, welches einst ihr Bestandteil war und eine Zeitlang im Sprachbewusstsein seine Spuren hinterließ . Seine demonstrative Bedeutung geht im Mhd . in die Bedeutung der Konkretheit über, was die Konjunktion als zum Synonym des temporalen da macht, welches später in dieser Bedeutung durch als verdrängt wird . Das temporale allgemein hypothetische als wird zur temporalen auf ein konkretes Faktum in der Vergangenheit bezogenen 44 Olga Kostrova Konjunktion . Da behält die temporale Bedeutung nur als Adverb, als Konjunktion wird es nun im kausalen Sinn gebraucht . Die Entwicklung der temporalen Bedeutung bei der Konjunktion als hat eine semantische Veränderung der Konjunktion wenn herbeigeführt . Ursprünglich bedeutete wenn “zu der Zeit, wo”, wich aber in dieser Bedeutung zurück und wurde nun zuerst temporal, aber allgemein hypothetisch gebraucht, gewann dann eine bedingende Bedeutung und verdrängte hier die Konjunktion ob (vgl . Paul 1960: 16-18, 722; Kluge 1999: 30, 116) . So sehen wir, dass die semantische Verschiebung, die ihren Anfang in der Bedeutungsveränderung der ursprünglich vergleichenden Konjunktion als genommen hat, die Konjunktionen mit temporaler und konditionaler Bedeutung in diesen Prozess hineingezogen hat . Das bestätigt unsere Hypothese über die Möglichkeit der semantischen Übergänge innerhalb dieser Bedeutungssphären . Jetzt versuchen wir, die folgende Frage zu beantworten: Wie ist der semantische Übergang vom Vergleich zur Temporalität möglich geworden? Die Antwort bekommen wir aus kognitiver Sicht, wenn wir uns das temporale System der germanischen Sprachen vorstellen . Was sind eigentlich die relativen temporalen Bedeutungen der Gleich-, Nach- und Vorzeitigkeit, wenn nicht temporaler Vergleich? Denn eine Handlung oder ein Zustand werden dabei an einer anderen Handlung oder einem anderen Zustand temporal gemessen . Gerade das bildet die kognitive Basis für den übertragenen Gebrauch der ursprünglich vergleichenden Konjunktionen in der temporal-vergleichenden Bedeutung in allen drei Sprachen . Die erwähnten Konjunktionen als, as und как geben in (11 a, b, c) die Bedeutung der zeitlichen Überlappung wieder . Die Besonderheit der englischen Konjunktion besteht darin, dass das Prädikatsverb des Nebensatzes eine dauernde Handlung bezeichnet, die mit dem momentanen Ereignis des Hauptsatzes kontrastiert . Das kann man als zusätzliches vergleichendes Merkmal ansehen . Cristiano Broccias (2008) meint dazu, dass der progressive Aspekt die Instabilität der Handlung im Nebensatz impliziert . Wenn wir GDS berücksichtigen (Zifonun u .a . 1997: 1145), so müssen wir zugeben, dass die Betrachtzeit des Hauptsatzes, die im Nebensatz angegeben ist, in (11 a – d) verschieden ist: in (11c) überlappt sich die Ereigniszeit des Hauptsatzes mit der dauernden Zeit des Nebensatzes; in (11 a) überlappt sie sich mit dem Wahrnehmungsendpunkt des Nebensatzes, in (11 d) grenzt die Überlappung an die Nachzeitigkeit der Nebensatzhandlung und in (11 b) sehen wir reine Nachzeitigkeit des Nebensatzereignisses . Dass aber in allen vier Belegen zwei Zeitperspektiven verglichen werden, kann nicht bestritten sein . (11) a . Als er von der Entführung hörte, ergriff er seine Harfe und ritt schnell an den Strand (de Bruyn) . b . […] als ich hinunter kam, war es schon vorbei (Schnitzler) . c . As I was coming nearer she got ready to jump (Chase) . d. Я уже потерял присутствие духа, как вдруг подходит ко мне тот самый флигельадъютант (Куприн). Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen… 45 Der Vergleich blickt im DEU auch in anderen temporalen Wortgruppen durch, solchen wie so bald/so oft/so lange wie möglich, die ohne Komponente wie möglich zu temporalen Konjunktionen geworden sind . Im ENG gibt es die genauen Entsprechungen as long as, as soon as, im RUS findet sich eine semantisch nahe Konjunktion как только. Der Vergleich schwingt auch in den germanischen Konjunktionen während und while mit, die sowohl temporal zur Bezeichnung der Gleichzeitigkeit (12), als auch gegenüberstellend (13) gebraucht werden können (vgl. Clémènt / Thümmel l996) . Im RUS gibt es zur Bezeichnung der Gleichzeitigkeit eine ähnliche Konjunktion в то время как, sie kann auch die Bedeutung der Gegenüberstellung aufweisen, wird aber selten gebraucht (vgl. Скобликова 1993: 71) . Wie viele russische Konjunktionen wird sie in der Form variiert (vgl . 10) . Viel öfter steht im RUS zur Bezeichnung der Gleichzeitigkeit die Konjunktion пока (Скобликова 1993: 71), in der der Vergleich impliziert ist: sie weist auf die Vergänglichkeit einer bestimmten Zeitspanne hin und deutet somit auf eine andere Zeitspanne (vgl . (14)) . Vgl .: (12) a . Während er die Treppe zu seinem Arbeitszimmer empor schritt, holte Alexander die Zeitungen aus der Tasche (Weiskopf) . b . We had been sitting huddled up in our rugs while George had been telling me this true story (Jerome). (13) a . Während die Frau fernsieht, spült der Mann das Geschirr ab . b . Torpenhow was sprawling in a long chair […], while Dick was preparing a canvas (Kipling) . (14) Еще он понял, пока гнались за стрельцами, что его, Фрола, Степан взял в этот догон нарочно (Шукшин). Bei der Nicht-Gleichzeitigkeit bezeichnen die Konjunktionen die temporale Grenze, die erreicht werden muss, um etwas zu ermöglichen . In beiden germanischen Sprachen enthalten die Konjunktionen sobald und as soon as die vergleichenden Komponenten: so (so bald wie) im DEU, und as im ENG . Die Konjunktionen ehe und after sind der Semantik nach vergleichend (ehe = früher, after = Komparativ von aft) . Im RUS enthalten mehrere temporale Konjunktionen die vergleichenden Komponenten как oder чем: после того, как; перед тем, как; с тех пор как, как только, прежде чем. In (15) bezeichnen die Konjunktionen die Vorzeitigkeit, in (16) die Nachzeitigkeit . Im ENG wird die Nachzeitigkeit durch die Konjunktion before ausgedrückt, die einen Vergleich nur impliziert . Vgl .: (15) a . Ich bin bereit, dies alles mit Füßen zu treten, sobald Sie mich nur überzeugt haben werden, dass der Preis nicht schlimmer noch als das Opfer ist (Schiller). → Temporaler Vergleich: Überzeugung soll früher als Bereitschaft kommen . b . I told him to come as soon as he is ready (Maugham). → Das Kommen sollte der Bereitschaft folgen . 46 Olga Kostrova c. Это было за год перед тем, как у Ольги Иннокентьевны родилась двойня (Куприн).→ Die Zwillinge kamen zur Welt früher, als etwas geschah. (16) a . Eh Sie meine Gemahlin beschimpfen, durchstoß‘ ich sie (Schiller). → Das Durchstoβen wird früher als Beschimpfen . b. Hour passed before lessons began again (Dreiser). → Die Vorlesungen begannen nach Stunden . c. […] собака, прежде чем стать собакой, побыла человеком, само собою, хорошим (Астафьев). → Zustand als Mensch kam früher als Zustand als Hund . Die Eigenart des RUS besteht darin, dass bei der Konjunktion как die temporale und die aspektuelle Bedeutung zusammenwirken . Diese Konjunktion wird in der Regel mit Prädikaten vollendeter Aktionsart kombiniert, wobei eine vollendete Gestalt als temporale Grenze empfunden wird . Vgl . (17): (17) а. А как зайдут в Волгу – тут мы их запрем, отрежем от моря (Шукшин) (= Sobald) → temporale Grenze: die Ankunft an der Wolga. b . Как совсем стемнеет, […] я велю перевести послов на другой струг (В. Шукшин) (= sobald) → temporale Grenze: Dunkelheit. с. Уже шесть лет, как на нашей земле запрещена охота (Чехов) (= seit) →temporale Grenze: Jagdverbot. Interrogativität als Ressourcequelle der Temporalität Ein anderes Ressourcegebiet der Temporalität liegt in der Sphäre der Unbestimmtheit, die in temporalen Konjunktionen zum Ausdruck kommt, welche sich aus Frageadverbien entwickelt haben . In den analysierten germanischen Sprachen sind es die Konjunktionen wenn im DEU und when im ENG, die auf das gotische Adverb hwana zurückgehen . Auf den früheren Etappen der deutschen Sprachentwicklung funktionierte wenn in der Form von swanne, swenne als Variante des Frageadverbs wann (vgl . Kluge 1999: 885) . Das altenglische Frageadverb hwenne wird im Mittelalter zur Konjunktion (vgl. Ярцева 1961: 270). Die Konjunktionen haben im Vergleich zu Frageadverbien eine zweifache Abschwächung erfahren: die der lexikalischen Bedeutung und die der Form . Das betrifft auch die russische Konjunktion когда. Der Grad der formalen Abschwächung ist dabei unterschiedlich: im DEU lautet das Frageadverb wann und die Konjunktion wenn, im ENG und RUS sind entsprechende Frageadverbien und Konjunktionen homonym: when und когда. Die semantische Entwicklung kann man sich folgenderweise vorstellen . Frageadverbien bezeichnen die zeitliche Unbestimmtheit der Existenz, nach der gefragt wird . In indirekten Fragen wechselt diese Unbestimmtheit zur Relativität: Er fragte, wann du kommst. Unbestimmte Interrogativität wird dann zur relativen Temporalität umgedeutet: Wenn du kommst, fangen wir an. Denn das Taxisverhältnis kann in komplexen Sätzen nur relativ sein: die temporalen Konjunktionen Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen… 47 bezeichnen keine konkreten Zeitpunkte, sondern nur die zeitliche Relation von Tatsachen, Handlungen oder Ereignissen . Konkrete Daten werden dabei entweder im Haupt- oder im Nebensatz durch temporale Adverbialien angegeben (18 c, d) oder durch andere sprachliche Mittel, die bestimmte Zeitpunkte markieren (vgl . Schatte 2008) . Da im DEU einmalige Ereignisse, die mit bestimmten Daten verbunden sind, durch die Konjunktion als eingeleitet werden, finden sich in komplexen Sätzen mit wenn in der Regel implizite Zeitangaben, beispielsweise das Alter (18 a) . Wenn-Sätze ohne temporale Angaben sind oft temporal-bedingend (18 b): (18) a . Wenn deine Eltern Rentner sind, [ . .] dann kommen sie uns besuchen (Hacker) . b. Misch dich nicht ein, sagte mit aufgeregter Stimme Tante Sofi, wenn Andras eine Zeitung ins Haus brachte (Hacker) . c . It was late in the afternoon when we reached it (Poe) . d. Теперь, когда он был на ногах, я увидел стройность и крепость его сложения (Куприн). Deixis als Ressourcequelle der Temporalität Verschiedene Sprachen enthalten Hinweise auf andere Ressourcegebiete der Temporalität . So deuten RUS und DEU auf demonstrative Deixis hin, die eine räumliche Identifizierung der Objekte ermöglicht, welche als temporale Einschränkung bis zu einer bestimmten Grenze, ab und nach dieser Grenze oder innerhalb bestimmter Grenzen umgedeutet wird . Im RUS enthalten viele temporale Konjunktionen Demonstrativpronomina, die mit lokalen Präpositionen mit der Semantik der Abgrenzung, aber auch der Zusammengehörigkeit kombiniert werden: до тех пор, пока; перед тем, как; после того, как; в то время, как, с тех пор, как . In der Temporalität lassen sich solche Bedeutungsschattierungen fühlen wie Vergleich und Unstabilität . Der Vergleich kommt dank der Komponente как zum Vorschein (vgl . 3 d, 10) . Die Unstabilität entsteht dank der Komponente пока, die auf die Veränderungsmöglichkeiten deutet (vgl. Труб 1997: 222): (19) Я твоя до тех пор, пока ты хочешь, о мой возлюбленный Мишика! (А.И. Куприн). Im DEU ist die demonstrative Deixis in solchen Konjunktionen vertreten wie seitdem, nachdem, indem, indessen, wobei die deiktische Komponente in Analogie zum RUS mit räumlichen Präpositionen kombiniert wird . Im Unterschied zu dem RUS gibt es im DEU eine eigenartige Konjunktion kaum dass, in der die Einschränkung und die Demonstrativität zusammengefügt sind . Die Komponente dass „ist von Hause aus identisch mit das . […] Die Umbildung des Pronomens zu einer Konjunktion liegt bereits im Ahd . vor“ (Paul 1960:120) . Die deiktische Schattierung ist in der modernen Sprache fast verwischt, doch die orthografischen 48 Olga Kostrova Fehler zeugen davon, dass diese Verbindung im Sprachbewusstsein vorhanden ist . Die Konjunktion wirkt expressiv, weil das Eintreten der eingeleiteten Handlung als zu schnell verstanden wird: (20) Kaum dass Bochow sie eingeleitet hatte, kam aus den Reihen der Versammelten eine Forderung nach bewaffnetem Aufstand (Apitz) . Außer der demonstrativen Deixis ist im System der deutschen temporalen Konjunktionen auch eine similative Deixis vorhanden, die auf Ähnlichkeit hinweist . Sie findet sich in abgeschwächter reduzierter Form in der Konjunktion als, und zwar in dem Auslaut -s, der auf das ahd . sō zurückgeht . Blühdorn (2003) meint in diesem Zusammenhang: „Die s-Deiktika kodieren von Haus aus Similaritätsrelationen, haben ihren Anwendungsbereich aber auf Kontiguitätsrelationen ausgedehnt, und sind dabei schwachdeiktisch geworden .[ . .] Die deutsche Konjunktion als ist, anders als ihr englisches Gegenstück as, ein rein situierender Konnektor geblieben, während die konditionalen und kausalen Perspektiven im Deutschen von da, so und wenn (mit entsprechender Definitheitsabstufung) übernommen wurden .“ Gerade das erklärt, dass diese Konjunktion zur Bezeichnung der einmaligen Handlungen in der Vergangenheit gebraucht wird, auf die hingewiesen werden kann . (11 b) kann folgenderweise transformiert werden: Es war so, dass ich hinunter kam und es schon vorbei war. Einschränkung und Temporalität In betrachteten Sprachen kann der Zeitbegriff verschiedenartig eingeschränkt werden, was auch durch temporale Konjunktionen zum Ausdruck kommt . Früher war von einer räumlichen Einschränkung die Rede, und zwar von der temporalen Grenze, die den Anfang oder das Ende einer Handlung, eines Zustandes oder Ereignisses markiert (vgl . 1 b, 2 b, 3 b, d) . Zu den angeführten Beispielen wären noch die Konjunktionen seit/seitdem, since und с тех пор, как/когда hinzuzufügen . Die deutsche Konjunktion seit und ihre synonymische Variante seitdem führt Paul (1960: 553) auf die lateinische Form sētius zurück und definiert sie als einen adverbialen Komparativ später, von dem das Suffix abgefallen ist. Kluge (1999: 755) erklärt die semantische Umdeutung folgenderweise: später als 1900 = seit 1900 . Die englische Konjunktion since hat denselben Ursprung . Die ursprüngliche Komparativsemantik soll der Grund dafür sein, dass der Nebensatz Vorzeitigkeit bezeichnet, während das Prädikat des Hauptsatzes durativ oder iterativ ist (vgl . Neumann 1971: 126-127) . Einen solchen Gebrauch sehen wir in (21 a) . Doch bei einem durativen Verb im Nebensatz (21 b) ist auch Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen… 49 die Gleichzeitigkeit möglich (Buscha 1989: 98) . In beiden Fällen handelt es sich um eine temporale Einschränkung, die den Anfang einer Handlung oder eines Zustandes bezeichnet und den Vergleich mit anderen Zeiten impliziert . Im ENG verbindet man since eher mit durativen Handlungen (Declerck 1996) (21 c) . Im RUS bringt die Komponente с den Sinn der gemeinsamen Zeitrechnung, die im Nebensatz beginnt (21 d): (21) a . Seit sie das Kind aufgenommen hatten, war etwas Fremdes zwischen ihnen (Apitz). → Später als sie das Kind aufgenommen hatten, . . . b . […] sie kannten sich, seit sie denken konnten oder wollten (Hacker) . c . He had seen her in every play she had acted in since he was twelve years old (Maugham) . d. Велел сказать мурза, что помнит он Степана Разина еще с той поры, когда он послом приходил с казаками в их землю (Шукшин). Die temporale Anfangseinschränkung beobachten wir in den Konjunktionen sobald, kaum dass/als, as soon as und как (только), едва / лишь (только) …, как. Im RUS und im DEU ist die Einschränkung lexikalisch ausgedrückt: только / лишь = erst, едва = kaum. Im DEU kommt die deiktische Komponente so dazu, indem sie auf das baldige Eintreten von etwas hinweist (15 a) . Im ENG bildet das kaum vorhandene Intervall die zeitliche Grenze, ab der die Handlung des Hauptsatzes beginnt (15 b) . Im RUS erscheint die einschränkende Partikel im Bestand der Konjunktion fakultativ, oft fehlt sie wie in (17 a, b) . Eine zweifache temporale Einschränkung, d .h . ein zeitlicher Rahmen, wird durch die deutschen Konjunktionen solange und sooft etabliert (vgl . 4), sowie durch die englische Konjunktion as/so long as (vgl . 5). Die Grenzen werden durch die Deiktika so und as gesetzt . In der entsprechenden russischen Konjunktion пока sind die Grenzen offen, doch die Zeitweiligkeit des Geschehens (und somit auch seine temporale Einschränkung) ist in der Semantik der Konjunktion spürbar (vgl . 6 b, 14) . Wenn sich diese Konjunktion mit der negativen Partikel verbindet, wird sie der deutschen Konjunktion bis synonym, weil die Negation stärker die Grenze bezeichnet . Negation und Temporalität RUS und ENG liefern Belege, die die Zusammenwirkung von Negation und Temporalität bestätigen . Die Negation kann als Zeichen der Veränderlichkeit verstanden werden . Im RUS ist die Veränderlichkeit dank der Verbindung mit пока verdoppelt: die Handlung des Hauptsatzes wird als zeitweilig, aber statthabend eingeschätzt, weil die doppelte Veränderlichkeit der Handlung des Nebensatzes (пока + не) getilgt wird . Die Handlung des Nebensatzes gilt als abgeschlossen, wird immer durch perfektive Aktionsart ausgedrückt und bildet die temporale 50 Olga Kostrova Grenze für die Handlung des Hauptsatzes (22 a) . Im DEU ist die Negation nicht nötig, weil die temporale Grenze durch ein terminatives Verb allein gesetzt werden kann (22 b) . Doch manchmal ist im Nebensatz die Negation vorhanden, wenn auch die Verbindung mit der Konjunktion dabei locker ist. Jedenfalls ist diese Verbindung nicht grammatikalisiert . Die Negation signalisiert eher das Aufhören der Prädikatshandlung bei einem nicht terminativen Verb (22 c) . Im ENG ist die positive Konjunktion till mit der negativen until semantisch identisch; die Abgeschlossenheit der Prädikatshandlung wird entweder lexikalisch (22 d) oder durch die perfektive Verbalform (22 e) ausgedrückt . Vgl . entsprechend: (22) a. Ехал я на почтовых девять дней с небольшим, пока не приехал в Санкт-Петербург (Куприн). b . […] der Wind stockte, als lausche er auf etwas, bis plötzlich der Regen einsetzte (Hacker) . c . Da ging er weiter, bis er sie nicht mehr sehen konnte (Hacker) . d . Dick watched her till she was out of sight (Kipling) . e . She didn’t look in until he had returned (Kipling) . Die Negation kann im RUS Zeichen der temporalen Nicht-Entsprechung in erstarrten Phrasen sein . Die Handlung des Nebensatzes wird als ungewöhnlich schnell eingeschätzt . Im Hinblick auf die Schnelligkeit weicht sie vom Standard ab (vgl. Чернышева 2001: 288), dadurch entsteht die temporale Nicht-Entsprechung der Haupt- und Nebensatzhandlungen oder -ereignisse . Der Hauptsatz beschreibt eine kurze Zeitspanne, die aber gar nicht verstrichen ist, oder eine Handlung innerhalb dieser kurzen Zeitspanne, die nur gedacht bleibt . Die Nebensatzhandlung eilt ihr voraus . Im RUS gibt es einige Varianten solcher erstarrten Phrasen: не успел…, как; не прошло и…, как (vgl . 23 a, b) . Im DEU ist die Grammatikalisierung dieser Art auf eine erstarrte Phrase mit ähnlicher Bedeutung, aber ohne Negation beschränkt (23 c). Im ENG findet sich auch eine erstarrte Wendung mit ähnlicher Semantik, die eine Negation und ein temporales Adverb im Komparativ enthält (23 d) . (23) a . Не прошло и четверти часа, как он вернулся (Куприн). b . Не успел я это сказать, как ворона спрыгнула с перил, отодвинула клювом занавеску и вошла в комнату (Бондарев). c . Ehe er sich versah,… d . He had no sooner got well than he fell ill again . Aspektualität (Iterativität) und Temporalität Der typologische Unterschied der germanischen und slawischen Sprachen in Bezug auf die Kategorie des Aspekts kommt auch in den Systemen der temporalen Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen… 51 Konjunktionen dieser Sprachen zum Ausdruck . In den germanischen Sprachen, in denen der Aspekt als grammatische Kategorie im System des finiten Verbs fehlt, übernehmen teilweise temporale Konjunktionen den Ausdruck der Aktionsart, während das russische System der temporalen Konjunktionen in dieser Hinsicht nicht so definit ist. Das deutsche und das englische System der temporalen Konjunktionen enthalten Lexeme, die explizit die Aktionsart angeben . So wird die Dauer im DEU durch die Konjunktionen solange und während wiedergegeben . Buscha (1989: 106) bemerkt, dass die Nebensätze mit solange Propositionen ausdrücken, die genau so lange dauern, wie die Propositionen der Hauptsätze (4 a, b) . Dasselbe kann man von der englischen Konjunktion so long as sagen (5) . Die Konjunktion während ist dem Ursprung nach Partizip I von dem Verb währen, das allmählich durch das Verb dauern verdrängt wurde (vgl . Paul 1960: 719) . Das englische while ist mit dem deutschen die Weile verwandt und lässt somit die Dauer durchblicken . Die entsprechende russische Konjunktion пока hat eine andere Etymologie, sie geht – wie früher erwähnt – auf die gleichnamige Partikel mit der Bedeutung der Zeitweiligkeit zurück . Somit wird im RUS bei dieser Konjunktion nicht die Dauer, sondern die Veränderlichkeit betont . Im DEU gibt es eine Konjunktion, die lexikalisch die Iterativität ausdrückt: sooft (23). Weder im ENG noch im RUS gibt es hierzu genaue Entsprechungen . Doch ist die Iterativität bei der Wiedergabe der temporalen Verhältnisse in allen drei Sprachen wichtig . Im DEU unterscheidet sie den Gebrauch von wenn und als in der Vergangenheit, wobei wenn wiederholte (18 b) und als einmalige Handlungen einleitet (11 a) . Im RUS und im ENG wird in beiden Fällen eine und dieselbe Konjunktion gebraucht: когда und when. Das muss bei der Übersetzung aus diesen Sprachen ins Deutsche in Betracht gezogen werden . Im RUS ist die iterative Bedeutung in der Vergangenheit in der Regel mit dem imperfektiven Aspekt kombiniert (24 a); doch die Wiederholung der perfektiven Handlung ist in bestimmten Kontexten auch möglich (24 b) . Die einmalige Handlung wird durch den perfektiven Aspekt ausgedrückt (24 c) . Im ENG ist die Iterativität in der Semantik des kursiven Prädikatsverbs impliziert (24 d) und die Einmaligkeit lässt sich durch die Terminativität des Prädikatsverbs ausdrücken (24 e): (23) (24) a. b . c . d . e . Sooft sie sich gegenüber standen, war etwas zwischen ihnen, was geflissentlich ignoriert werden musste (Apitz) . […] он всегда вздыхал, когда видел деньги (Чехов). Как завижу, бывало, рысьи шапки, да как заслышу их визг, веришь ли, отец мой, сердце так и замрет! (Пушкин). (Die Wiederholung kommt in бывало zum Ausdruck) . Когда заморосил дождь, он направился к дому (Чехов). When the cave door was unlocked, a sorrowful sight presented itself in the dim twilight of the place (Twain) . Dick slept till late into the evening, when Torpenhow dragged him off to bed (Kipling) . 52 Olga Kostrova Das Zusammenspiel mit der Iterativität lässt sich manchmal auch in Nebensätzen beobachten, die durch die Konjunktionen sobald im DEU und как только im RUS eingeleitet werden . Im DEU wird die Wiederholung der Handlung in der Regel im Kontext ausgedrückt, im RUS – durch die imperfektive Aktionsart (25 a, b); doch oft genug leiten diese Konjunktionen einmalige Handlungen ein und bezeichnen eine temporale Grenze (25 c, d), was in meinem englischen Korpus als einzige Möglichkeit erscheint (15 b) . Im Allgemeinen zeugt das von dem sporadischen Charakter dieser Verbindungen . Vgl .: (25) a . Er hatte ein paar Mal ihre Telefonnummer gewählt, den Hörer aufgelegt, sobald sie sich meldete (Panitz) . b . Как только где натыкалась эта добрая душа на подлость и злость людскую, так Степана точно срывало с места ( Шукшин). c . Sobald sein Deutsch gut genug war, schrieb er Anja sehnsüchtige Briefe (Hacker) . d. Тимофей [..] вознамерился учинить расправу сынам, как только они заявятся домой (Шукшин). Temporalität und Präferenz Die temporalen Verhältnisse können sich mit pragmatischer Präferenz kreuzen . Die Präferenz kann man als Abart des Vergleichs betrachten, wobei von zwei implizit zu vergleichenden Handlungen eine als bevorzugt erscheint . Die Handlung, die bevorzugt wird, kommt im Hauptsatz zum Ausdruck . Der Nebensatz enthält die abgelehnte Alternative, die durch die temporale Konjunktion mit der Bedeutung der Vorzeitigkeit eingeführt wird . Der Vergleich kommt im RUS in der Komponente чем zum Vorschein, im DEU ist die Konjunktion ehe ein adverbialer Komparativ (Paul 1960: 140) . Im RUS sind in solchen Fällen temporale Infinitivsätze typisch, wobei (so Гвоздев 1955: 422 f.) der Infinitiv des Nebensatzes auf die Notwendigkeit oder Erwünschtheit der Handlung im Hauptsatz hinweist (26 a) . Im DEU gibt es ein explizites Zeichen der Präferenz: das Adverb lieber im Hauptsatz, das auf die Unerwünschtheit der Handlung des Nebensatzes hinweist (26 b, c) . Im ENG ist solcher Gebrauch m .E . nicht vorhanden . Vgl .: (26) a. Думай, прежде чем говорить. b . Nein! eh ich meine Tochter an so einen Schuft wegwerfe, lieber soll sie mir – Gott verzeih mir‘s (Schiller) . c . Ich gehe lieber ins Kloster, bevor ich Emma heirate (Keller, ein Vorlesungsbeleg) . Semantischer Synkretismus Die betrachteten Beispiele der semantischen Entwicklung der temporalen Konjunktionen lassen zum Schluss kommen, dass diese durch Synkretismus gekennzeichnet Grenzgebiete der Temporalität im Deutschen, Englischen… 53 sind . In verschiedenen Sprachen kommt der Synkretismus in unterschiedlichen Kombinationen vor. Am deutlichsten und am häufigsten kommen die synkretischen Züge in den russischen temporalen Konjunktionen zum Ausdruck . Es ist wohl dadurch zu erklären, dass sie mit wenigen Ausnahmen mehrteilig sind, und jeder Teil die gesamte Semantik mitgestaltet . Im RUS kommen vier- und dreifache Kombinationen viel öfter vor, als im DEU und ENG . Typisch ist beispielsweise die Kombination der temporalen Bedeutung mit der räumlichen, vergleichenden und demonstrativen in solchen Konjunktionen wie после того как, до того как, перед тем как, в то время как. Unter den deutschen Konjunktionen kann ich diese Kombination nur bei solange registrieren, unter englischen – nur bei after. Andererseits vereinigt die englische Konjunktion as long as vier andere Seme: auβer der Temporalität sind es Lokalität, Vergleich, Iterativität und Instabilität und die Konjunktion no sooner than weist die Kombination von sechs semantischen Merkmalen auf: Temporalität, Negierung, Vergleich, Demonstrativität, Instabilität und Restriktivität . Der semantische Synkretismus trägt dazu bei, dass die Bedeutung der temporalen Konjunktionen ziemlich unbestimmt wird. Manche russischen Forscher finden die Tendenz zur Unbestimmtheit für die russische Syntax typisch (vgl. Литвина 2000: 152) . Unsere Analyse zeigt, dass diese Tendenz auch anhand der deutschen und englischen temporalen Konjunktionen zu vermerken ist, wenn sie auch nicht so deutlich ausgeprägt ist . Fazit Die durchgeführte Untersuchung zeigt, dass sich die Grenzen der Temporalität weit über das semantische Gebiet der Räumlichkeit erstrecken . Es sind insgesamt acht andere semantische Gebiete, die die temporale Bedeutung der Konjunktionen mitgestalten, wenn auch mit verschiedener Gewichtung . Die genetische Verwandtschaft der betrachteten Sprachen bestimmt die Ähnlichkeit der semantischen Grenzgebiete, schließt aber gewisse Unterschiede nicht aus . Diese Unterschiede lassen sich von der formalen Gestaltung der Konjunktionen, von ihrer Zusammenwirkung mit anderen Elementen der Sprachsysteme und nicht zuletzt von ihrem Gebrauch ableiten . Der flexible Sprachbau des RUS lässt im Vergleich zu den germanischen Sprachen mehrere Formvariationen im Bestand der temporalen Konjunktionen zu . Die meisten von ihnen haben zwei und mehr Varianten, deren Wahl oft schwer zu erklären ist, weil sie m .E . von individuellen Präferenzen des Autors abhängt . Die getrennte Schreibweise trägt einerseits dazu bei, dass sich die ursprüngliche Semantik von jedem Element deutlich erhalten hat, andererseits aber dass sie nicht immer als ganzheitliche Einheiten empfunden werden, denn die demonstrativen deiktischen Elemente treten oft im Hauptsatz als Korrelate auf . Systematisch gesehen unterscheiden sich die temporalen Konjunktionen des RUS und der beiden germanischen Sprachen in Hinsicht auf den Ausdruck der 54 Olga Kostrova Aspektualität und der Modalität . Das Vorhandensein der Kategorie des Aspekts bei dem russischen Verb erübrigt ihren Ausdruck durch temporale Konjunktionen, die in Bezug auf diese Kategorie indifferent sind . Im Gegenteil enthalten manche Konjunktionen im DEU und ENG lexikalische Indizien der Dauer oder Wiederholung . Dafür sind einige russische Konjunktionen modal-emotional angelegt . Obwohl RUS eine partikelarme Sprache ist, finden sich im Bestand der russischen temporalen Konjunktionen solche Partikeln wie не, лишь, едва, только. Das ist bedeutend mehr als im DEU und ENG. Auβerdem sind die Konjunktionen лишь / едва, только jeweils durch zwei Einschränkungspartikeln gebildet, was ihren modal-emotionalen Wert verdoppelt . Die gegenwärtige Entwicklung zeigt andere Grenzgebiete der Temporalität, wobei die temporalen Verhältnisse meistens zu kausalen, aber auch zu konditionalen, konzessiven und restriktiven umgedeutet werden, was aber den Gegenstand einer anderen Untersuchung bilden kann . Literatur Aygün, Mehmet (2001): „Temporale Konjunktionen im Deutschen und ihre Äquivalenze im Türkischen“, in: Hacettepe Üniversitesi Edebiyat Fakültesi Dergisi 18 .2, 79-92 . Binnick, Robert (2002): Temporal and other subordinating conjunctions. 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Einleitung und Problemstellung Im folgenden Beitrag wende ich mich der Beschreibung einer Gruppe der Resultativa zu, und zwar den mieć-Zustandsformen, die manche Linguisten als ein neues Tempus betrachten wollen . Obwohl die Ähnlichkeit zu den Resultativkonstruktionen der germanischen und romanischen Sprachen (als Vorstufe der Perfekt-Tempora) nicht zu übersehen ist, wird im Laufe der Analyse gezeigt, dass die mieć-Konstruktion an der Peripherie des polnischen Genussystems steht und auch nicht als ein neues Tempus (Perfekt) angesehen werden kann, obwohl sie besonders in performativer Verwendung einen engen Bezug zu der vorangehenden Handlung herstellt . Im zweiten Teil werden die Modalverben des Deutschen in epistemischer Verwendung genauer betrachtet . Hauptsächlich geht es um eine Überprüfung der These, dass die aktionale Charakteristik der Infinitivphrase (beim Inf. I) ausschlaggebend ist für die epistemische oder deontische Lesart der Modalverben . Kontrastives Herangehen erlaubt stellenweise einen tieferen oder differenzierten Einblick in die untersuchten Phänomene zu gewinnen . 2. Zur Bedeutung und Verwendung der mieć-ZF im Polnischen Das Verb mieć ist im Polnischen polyfunktional: in Verbindung mit Substantiven fungiert es als Vollverb in der Bedeutung ‘haben, besitzen’; in Verbindung mit einem Infinitiv fungiert es als Modalverb in deontischer und epistemischer Lesart (i .S .v . sollen, sollte, manchmal auch müssen) . Als Modalitätsverb erscheint es auch in modalen Verbindungen vom Typ mieć + do + Verbalsubstantiv (haben + zu + Infinitiv). Dazu ist anzumerken, dass das Verbalsubstantiv von perfektiven Verben2 abgeleitet wird . In der gesprochenen Sprache nimmt die Verwendung der Konstruktion „mieć + AO + perf . Passivpartizip“ ständig zu . In den eher 1 2 Ich möchte mich bei Christoph Schatte (Posen) für seine Verbesserungsvorschläge und Hinweise bedanken; alle Mängel und Unzulänglichkeiten fallen selbstverständlich auf mich zurück . Mam jeszcze jeden rozdział do przeczytania – Ich habe noch ein Kapitel zu lesen. Die Konstruktionen dieser Art bezeichnen die Notwendigkeit und sind durch entsprechende Modalverben (musieć, mieć) ersetzbar . In dem Beitrag werden folgende Abkürzungen verwendet: m – Maskulinum, f – Femininum, n – Neutrum, A – Akkusativ, AO – Akkusativobjekt, G – Genitiv, N – Nominativ, perf . – perfektiver Aspekt, imp . – imperfektiver Aspekt (im Polnischen und slawischen Sprachen), PPI – Passivpartizip eines imperfektiven Verbs, Andrzej Kątny 60 traditionellen Grammatiken des Polnischen, die sich im Grunde genommen auf die geschriebene Sprache stützen, wird die Konstruktion nicht erwähnt: Ausnahmen sind allein die Deutsch-polnische kontrastive Grammatik (vgl. Kątny 1999: 547) und die Grammatik des Polnischen (vgl . Bartnicka u . a . 2004: 301) . (1) Mieszkanie Wohnung n A (2) Lekturę Lektüre f A (3) Obraz Bild m A mam habe (ich) miałem hatte m (ich) mam habe (ich) sprzątnięte . aufgeräumte PPP n A przeczytaną. gelesene PPP f A odnowiony. erneuertes PPP m A Zwischen dem Objekt (das in der Regel im Akkusativ3 steht) und dem Passivpartizip besteht Kongruenz. Das Objekt kann bei einigen Verben durch eine Infinitivkonstruktion oder durch den mit der Konjunktion że eingeleiteten Nebensatz vertreten sein (das Partizip steht dann im Neutrum): (4) Mam (ich) habe tu napisane, że się spóźni hier geschriebenes PPP n A, dass (er) sich verspätet perf . Als Partizipien können hier nur perfektive Verben (d .h . Verben im perfektiven Aspekt) auftreten . Die zweite die Transivität dieser Verben betreffende Beschränkung gilt nicht als absolut (vereinzelt, kontextuell bedingt, gibt es intransitive Verben) . Die Konstruktionen dieser Art fasse ich als Zustandsformen oder Resultativa auf. Das Resultativ definiere ich „als eine Form, die einen Zustand bezeichnet, bei dem vorangehender Vorgang vorausgesetzt ist“ (Litvinov / Nedjalkov 1988: 1) . Der Satz Mam otwarte okno (Ich habe das Fenster geöffnet - ZF) lässt auf die vorangehende Handlung des Subjekts schließen: Otworzyłem okno (Ich habe das Fenster geöffnet – eventiv, Perfekt) . Das perfektive Präteritum im Polnischen bezeichnet den Zustandswechsel4 (otworzył okno – er hat das Fenster geöffnet), der Nachzustand wird mit dem Zustandspassiv oder dem mieć-ZP zum Ausdruck gebracht (okno jest otwarte; ma okno otwarte – das Fenster ist geöffnet; er hat das Fenster geöffnet) . Pisarkowa (1964) zeigt in ihrer Untersuchung, dass diese Formen in der Schriftsprache schon in den Privatbriefen von Adam Mickiewicz 3 4 PPP – Passivpartizip eines perf . Verbs, DM – deontische, EM – epistemische Modalität, ZF – Zustandsform(en) Negation, quantifikative Angaben verändern die Rektion (erwirken Gen.), zum Beispiel: Mieszkania nie miał jeszcze posprzątanego. Wohnung n G nicht hatte m (er) noch aufgeräumte n G An dieser Stelle ist anzumerken, dass Verben im Präteritum im Polnischen auch nach dem Genus (nominale) flektiert werden, wobei im Singular drei Genera und im Plural zwei zu unterscheiden sind . Das gleiche betrifft Verben im Konjunktiv, da diese Formen auf dem Präteritum aufbauen . Das gleiche gilt für das Perfekt des Deutschen bei telischen Verben . Zu Resultativ und Modalverben in epistemischer Lesart… 61 (1798-1855) nachweisbar sind . Insgesamt würden sie aber primär in der gesprochenen Varietät (wenn auch hier nur begrenzt) verwendet und seien nicht genug formalisiert, um als Flexionskategorie (d .h . als Tempus) gelten zu können . Gegen diese Zuordnung spreche auch die semantische Mehrdeutigkeit mancher Sätze mit mieć5 . Mit Pisarkowa setzt sich Weiss (1977: 370 ff .) auseinander . Er sieht eine enge Verwandtschaft dieser Konstruktionen mit dem Zustandspassiv (beide sind hinsichtlich der Fremd- und Eigenverursachung ambig) . Weiss bewertet die mieć-Konstruktion als „Syntagma mit quasitemporaler Funktion, noch nicht als eigenes Tempus“ (Weiss 1977: 183) . Weydt / Kazmierczak setzen sich in ihrem interessanten Beitrag mit der Frage auseinander, ob es im Polnischen ein Perfekt gibt . Nach der Analyse von Belegen6 kommen die Verfasser zu dem (m .E . voreiligen) Schluss, „dass mindestens für einen großen Teil der jüngeren Sprecher die entsprechenden Formen bereits den Charakter eines Vergangenheitstempus angenommen haben“ (Weydt / Kazmierczak 1999: 8) . Für die Beschreibung der hier zur Analyse stehenden polnischen Konstruktionen sind auch die Ergebnisse der Untersuchung von Jäger (1978) zu vergleichbaren Konstruktionen im Tschechischen relevant. Jäger spricht von possessiven Folgezustandsformen und setzt sie von den nicht possessiven (also vom Zustandspassiv) ab und geht dabei davon aus, dass die Fügungen mit haben (mit im Tschechischen) einen Zustand ausdrücken, der die Folge eines vorausgehenden Geschehens ist und dass zwischen diesem Zustand und dem Subjekt eine Beziehung besteht, die als „Zuordnung“ oder „Zueignung“ des Folgezustands zu der betreffenden Person oder Sache charakterisiert wird (vgl. Jäger 1978: 20). Im Laufe der Analyse wird diese Beziehung präzisiert und dem Subjekt der Folgezustandsform die Rolle Favorisierter (Fav) zugeordnet . Ähnliche Konstruktionen gibt es in fast allen slawischen Sprachen7 (vgl . Koronczewski 1993, Kostov 1972, Jäger 1978, Giger 2003) und in einigen germanischen und romanischen Sprachen . Am ausführlichsten wurden diese Fügungen im Tschechischen von Giger (2003) untersucht, der sie als „Resultativa“ bezeichnet . Es sind „Formen, welche Nachzustände ausdrücken, d .h . notwendig einen vorangegangenen Vorgang implizieren“ (Giger 2003: 17) . Als Stativ werden in Anlehnung an Nedjalkov / Jaxontonov (1988) Formen verstanden, die „einen Zustand ausdrücken, ohne zu implizieren, dass er aus einem vorangegangenen Vorgang hervorgegangen ist“ (ebd .: 17) . Die Fügungen „mit + Objekt + perf . Passivpartizip“ werden als possessive Resultativa behandelt und seien keine Perfekttempora . Als Beweis dafür werden die Antworten auf Fragen des „Questionares“ aus Dahl (2000: 801) ausgewertet und besprochen . Giger (2003: 142) hebt hervor, dass possessive Resultativa nicht sequentiell oder bei Hervorhebung des Zieles, Ortes 5 6 7 Drei Deutungen sind möglich: 1 . Satzsubjekt ist zugleich Agens, 2 . Satzsubjekt ist kein Agens, 3 . Beide Möglichkeiten liegen vor . Diese Mehrdeutigkeit hängt m .E . hauptsächlich mit der Semantik des Partizips zusammen . Einige Belege sind phraseologisiert, einige falsch gedeutet (vgl. Łaziński 2001). Im Russischen z .B . gibt es Konstruktionen mit einer etwas anderen Zusammensetzung,die aber den poln . mieć-Konstruktionen äquivalent sind: noga byla u nego zabintowana = nogę miał obandażowaną = er hatte das Bein verbunden. 62 Andrzej Kątny oder Urhebers der Handlung verwendet können . In temporalen Satzgefügen können sie Vorzeitigkeit (Abschluss einer Handlung) oder Nachzeitigkeit ausdrücken . Der Verfasser stellte ein Korpus von 600 Belegen (davon 360 der gesprochenen Sprache) zusammen und beschreibt deren Funktion und syntaktisches Verhalten . Nur im Falle des Makedonischen (insbesondere in den südwestlichen Dialekten) kann man von einer recht weit fortgeschrittenen Grammatikalisierung (Perfekt) sprechen, weil als Partizipien Verben in beiden Aspekten, d .h . auch nicht-telische, auftreten können . Zwischen dem Objekt und dem Partizip besteht keine Kongruenz, oder das Objekt steht im Neutrum (vgl . Giger 2003: 489 f .) . Ähnlich wie Jäger und Giger fasse ich die hier behandelten Formen als Zustandsformen auf, die auf einen Prozess zurückführbar sind . Die mieć-ZF kann ins Zustandspassiv (aber nicht umgekehrt) umgeformt werden . Die Begrenzung dieser Formen auf die gesprochene Varietät darf heute m .E . nicht mehr als Argument gegen deren Einbindung in das System der Passivformen gelten; im Genussystem des Polnischen befindet sich diese Verbindung an der Peripherie. Für das Polnische kann man also das folgende System der Passivformen annehmen: (5) Vorgangspassiv być (sein) + PPI zostać (werden) + PPP Zustandspassiv być (sein) + PPP mieć (haben) + PPP + AO In Übereinstimmung mit Leiss (1992) unterscheide ich zwischen Voll- und Übergangskategorien; die hier besprochene mieć-ZF zählt als Resultativ zu den letzteren . Während die deutsche haben-ZF als Relikt des Grammatikalisierungsprozesses anzusehen ist, gehört die des Polnischen zu den Übergangskategorien . Als Resultativ bereitet sie die Kategorien Tempus und Passiv vor . Die mieć-ZF steht noch an der Peripherie des Genussystems, da aber ihre Häufigkeit zunimmt (auch wenn sie im Prinzip derzeit nur auf perfektive und transitive Verben beschränkt ist), wird sie sich Richtung Zentrum bewegen . Im Laufe der Zeit (d .h . der Jahrhunderte) kann sich ein Teil dieser Konstruktionen (mit der Relation Subjekt = Agens) zu einem neuen Tempus (Perfekt) entwickeln, vorausgesetzt dass sie imperfektive, intransitive Verben erfassen wird und die Kongruenz zwischen Objekt und Partizip stufenweise abgeschwächt wird . Da die mieć-ZF viele Ähnlichkeiten mit der deutschen haben-ZF aus der Zeit vor der Grammatikalisierung aufweist, wird hier skizzenhaft die Entwicklung dieser Form zum Perfekt dargestellt . 3. Exkurs zum Perfekt im Deutschen Einige Bemerkungen zur Entstehung des Perfekts im Deutschen können dem des Polnischen nicht mächtigen Leser das Begreifen der mieć-Konstruktion, die als Stufe zur Entwicklung des Perfekts im Grammatikalisierungsprozess gelten sollte, erleichtern . Das Perfekt mit haben hat sich im Deutschen aus dem Verb haben und dem attributivischen Zu Resultativ und Modalverben in epistemischer Lesart… 63 mit dem Objekt in Kongruenz stehenden Partizip II entwickelt . Ein nach Kotin (1999: 404) aus dem ahd . Tatian zitiertes Beispiel mag dies verdeutlichen: (6) Phicboum habeta sum giflanzotan in sinemo uuingarten. (Tatian 102, 3) [Einen Feigenbaum hatte jemand gepflanzten in seinem Weingarten] Der Satz ist zweideutig, da das Subjekt (Possessor) Agens oder nicht Agens (Possessor und Zustandsträger) sein kann . Diese resultative Konstruktion drückt einen Nachzustand (als Resultat einer vorangegangenen Handlung) aus . In didaktischer Hinsicht besser jedoch (und auch für Synchronlinguisten verständlich) werden diese Bezüge durch folgenden von Teuber (2005: 73) konstruierten Satz dargelegt: (7) a . +Er hat die Kartoffeln geschälte8 b . Er hat die Kartoffeln geschält Anfangs waren Konstruktionen dieser Art nur mit perfektiven und transitiven Verben möglich; in der weiteren Phase waren transitive Verben ohne Objekt, dann auch intransitive und imperfektive Verben (als Partizipien) zugelassen . Das Partizip verliert zugleich stufenweise seine Endungen (keine Kongruenz mit dem Objekt, das oft fehlt) und gewinnt eine stärkere Bindung an haben, das langsam seine possessive Semantik des Vollverbs (d .h . seine Argumentstruktur) verliert und zum Hilfsverb wird . Diese Entwicklung erfasste Konstruktionen mit haben, in denen das Subjekt als Agens fungierte – aus einer resultativen Konstruktion mit dem Nachzustand wurde eine Tempuskategorie (vgl . Rödel 2007: 70; Teuber 2005: 72 ff .; Kotin 1999: 403 f .) . An dieser Stelle ist jedoch hervorzuheben, dass nicht alle Verbindungen haben + Part . II der Gegenwartssprache als Perfekt zu deuten sind, denn es gibt auch solche, die man als Zustandsform deuten kann, oder ambige (Perfekt und Zustandsform): „Trotzdem lebt das ‘Gemischte’, ja Zweideutige der Tempusformen auch in mod . Deutschen fort, vielleicht durch die Wortstellungsmuster gefördert“ (Wells 1990: 263) . Die Anzahl dieser Verbindungen ist begrenzt, aber größer als es manchen Linguisten scheint . Man kann folgende Formen des haben-ZP (hier dem Aktiv gegenübergestellt) unterscheiden: Präsens: Präteritum: Perfekt: Plusq .: 8 Aktiv haben-ZP (Resultativ) öffne öffnete habe geöffnet hatte geöffnet habe geöffnet hatte geöffnet habe geöffnet gehabt hatte geöffnet gehabt Diese Konstruktion entspricht genau der hier besprochenen mieć-Konstruktion – sowohl im Sinne des Baus und der Kongruenz als auch der Bedeutung: (on) ma ziemniaki obrane. 64 Futur I: Futur II Doppelperf .: Doppelplusq .: Infinitiv I: Inf . II: Andrzej Kątny werde öffnen werde geöffnet haben habe geöffnet gehabt hatte geöffnet gehabt öffnen geöffnet haben werde geöffnet haben werde geöffnet gehabt haben geöffnet haben geöffnet gehabt haben Wie diese Übersicht deutlich macht, können die Formen des Futur II mit denen des Futur I (ZP), die des Doppelperfekt (DPF) und Doppelplusquamperfekt (DPQ) mit denen des Perfekts und Plusq . des Resultativs zusammenfallen . Mir scheint z .B ., dass Futur II bei resultativen (telischen)Verben doppelt gedeutet werden kann (d .h . als eventiv und als resultativ) . In diesem Zusammenhang kann man die Frage stellen, ob die polnische miećKonstruktion die gleiche Entwicklung nimmt oder z .T . schon genommen hat, d .h . ob sie als Perfekt gedeutet werden kann . Ich vertrete die Ansicht, dass mieć als Kopula (Halbhilfsverb) seine Valenz behält und die Konstruktion einen Nachzustand beschreibt, die auf die ausgeführte Handlung schließen lässt (Implikatur)9 . 4. Bemerkungen zu den deutschen Entsprechungen In der empirischen Analyse habe ich eine Reihe von Entsprechungen im Deutschen festgestellt (Richtung Polnisch → Deutsch); die wichtigsten von ihnen werden kurz dargestellt und andiskutiert (Richtung Deutsch → Polnisch). 4 .1 haben-Zustandsform (haben-ZF)10 Diese Form ist der polnischen strukturell ähnlich, auch wenn sie im System des Deutschen eine andere Stelle einnimmt (d .h . viel seltener vorkommt) . Auf diese Konstruktion haben u . a . Abraham (1995: 283 ff .), Hole (2002), Latzel (1977), Leirbukt (1981), Leiss (1992), Litvinov / Nedjalkov (1988; 1998) aufmerksam gemacht . Interessant ist die Beobachtung von Abraham (1995: 287), dass das Wienerische im Nebensatz durch die Wortfolge die beiden Lesarten disambiguiert: 9 „Wir nennen alle Folgerungen, die aus Bedeutungen gezogen werden können, Implikaturen . Wenn wir von Implikation im Sinne von strenger und invarianter Implikation sprechen, charakterisieren wir das gegebenenfalls gesondert durch den Zusatz strikte Implikation. […] aus Implikaturen, strikte Implikationen eingeschlossen, können Bedeutungen bzw . Bedeutungsvarianten werden“ (Welke 2005: 86) . 10 Die passivische Lesart hängt mit den Merkmalen des Verbs (der Verbalphrase) zusammen und wird durch sie begünstigt: Folgende Merkmale sind dafür ausschlaggebend: +transitiv, +transformativ, +telisch (vgl . dazu Zifonun u . a . 1997) . Zu Resultativ und Modalverben in epistemischer Lesart… (8) a . … daß wir die Flüchtlinge versteckt hatten b . … daß wir Flüchtlinge haben versteckt 65 (Zustandslesart, temporale Lesart) (temporale Lesart) Diese Regel gilt nach Abraham (S . 305) auch für das Englische: (9) a . that we had hidden fugitives in our house (temporale Lesart) b . that we had fugitives hidden in our house (Zustandslesart) In diesem Zusammenhang ist die Verbindung Mv + Inf . Perf . zu analysieren, denn neben der epistemischen Lesart, die für diese Konstellation typisch ist (vgl . 5 .2), gibt es die deontische . Für die letztere gilt, dass das Partizip von transitiven, terminativen Verben abgeleitet wird, so dass neben der temporalen die prädikative Lesart (d .h . haben als Vollverb) möglich ist: (10) (11) (12) a . Bis morgen muss er den Wagen repariert haben . b. Do jutra musi mieć naprawiony samochód. a . Sie will das Kleid gewaschen haben . b . Chce mieć sukienkę upraną. a . Wer studieren will, muss das Abitur bestanden haben . b. Kto chce studiować musi mieć zdaną maturę. Nedjalkov / Litvinov (1988: 38 ff .) verwenden für die haben-ZF den Ausdruck das possessive Resultativ und unterscheiden das poss . Resultativ, das mit dem Perfekt zusammenfällt und das mit dem Perfekt nicht zusammenfallende als zwei Varianten . 4 .2 Perfekt, Doppelperfekt (DPK), Doppelplusquamperfekt (DPQ) Auch bei den zukunftsbezogenen Perfektformen oder dem eher seltenen Futur II ist die Zustandslesart möglich, zumal die semantische Selektion an „terminative oder zumindest terminativ verwendbare Verben“ (Kotin 2003: 219) gebunden ist: (13) a . In ein paar Tagen haben wir die Wohnung eingerichtet . (Perfekt, ZF/Präsens) b . In ein paar Tagen werden wir die Wohnung eingerichtet haben . (Futur II, ZF/Fut . I) c . In ein paar Tagen ist die Wohnung eingerichtet . (ZP) d . Za kilka dni będziemy mieli mieszkanie urządzone. ( imperf. Futur mieć-ZF) e . Za kilka dni mamy mieszkanie urządzone (Präsens mieć-ZF) f. Za kilka dni urządzimy mieszkanie. (perf. Futur). g . ?Za kilka dni będziemy urządzać mieszkanie. (imp. Futur) h. Za kilka dni mieszkanie jest urządzone. (ZP) Diese zustandsbezogene Deutung hängt m .E . mit den Eigenschaften der hier in Frage kommenden Verben (vgl . Anm . 10) und den den Grenzpunkt markierenden Andrzej Kątny 66 obligatorischen Adverbialien zusammen . Diese zustandsbezogene Lesart scheint primär zu sein, so dass die temporale dann von dieser abgeleitet wäre . Der Satz (13g) wurde als fraglich markiert, da er zwar richtig ist, aber nicht als Äquivalent zu (13a) gelten kann, denn er hat eine progressive Bedeutung: (13) g’ In ein paar Tagen werden wir am einrichten (der Wohnung) sein . Wie der Analyse zu entnehmen ist, treten in der mieć-Zustandsform transitive, perfektive Verben auf . Falls das Subjekt der polnischen ZF mit mieć als Agens gedeutet wird, können im Deutschen Sätze im Perfekt (Resultatsperfekt) als äquivalente Entsprechungen gelten11 . Als weitere Entsprechungen (auch wenn sie im Deutschen selten, aber mit steigender Tendenz, sind) gelten doppelte Perfektbildungen (vgl . Litvinov 1988; Litvinov / Radčenko 1998; Rödel 2007, Hennig 2000). Den DPF werden verschiedene Funktionen zugeschrieben: – Vor(vor)vergangenheit (oft als Ersatz des Plusquamperfekts z .T . im Zusammenhang mit dem oberdeutschen Präteritumschwund); – Bezeichnung eines resultativen Zustandes in der Vorzeitigkeit (haben-ZF); – einfache Vergangenheit im Mündlichen (vgl . Hennig 2000: 91 ff .) . Mit Hilfe des DPK sind wir imstande, die Zustandsformen öfter zu bilden oder als solche deutlich zu markieren, wodurch die aspektuelle Abgeschlossenheit der dem Zustand vorausgehenden Handlung unterstrichen wird . Ich schließe mich der Schlussfolgerung von Rödel (2007: 152) an: „Typische Effekte, die der Einsatz doppelter Perfektbildungen nach sich zieht, sind die Verschiebung des semantischen Fokus auf die Betonung der Außenperspektive der Verbalsituation […], die Semantik der schnellen Vollendung […] und die Kodierung von Ereignisabfolgen .“ Beachtenswert in diesem Zusammenhang ist die Feststellung von Wells (1990: 264): „Die überkomponierten Formen vom Typ ich habe gegessen gehabt sind im sechzenten Jahrhundert gut bezeugt und verwenden die Part. Perf. gehabt und gewesen (und Dialektformen von diesen – gesy, gewest, gehott, etc .) als Aspektpartikel, die einen stärkeren Grad von Abgeschlossenheit angaben .“ Einige Beispiele mögen zeigen, dass hier die Zustandsdeutung (Perfekt des Resultativs) als plausibel erscheint: 11 „Bei den haben + Partizip II-Formen müssen zwei Varianten unterschieden werden: nonadditives (terminatives) und additives (duratives) Perfekt . Dem Perfekt additiver Verben fehlt die Nachphase . [ . . .] nur beim perfektiven (nonadditiven) Perfekt ist es überhaupt möglich, zwischen einem Vorzustand und einem Nachfolgezustand zu unterscheiden .” (Leiss 1992: 275) . Zu Resultativ und Modalverben in epistemischer Lesart… 67 (14) a . Ich habe mit elf Jahren sämtliche Romane von Felix Dahn gelesen gehabt . Das hatte damals großen ideologischen Einfluß auf mich. (Litvinov / Nedjalkov 1988: 131)12 b . W wieku jedenastu lat miałem przeczytane [auch Plusqampf.: przeczytałem był] wszystkie powieści Feliksa Dahna. Miało to wtedy na mnie wielki wpływ ideologiczny. (15) a . … kam meine Muter in die Kaserne, um mich zu besuchen, aber sie mußte über eine Stunde warten . Ich hatte meinen Tornister nicht vorschriftsmäßig gepackt gehabt und mußte deshalb in der freien Zeit zur Strafe Latrinen scheuern . (Litvinov/ Radčenko 1998: 129) b. … matka moja przyszła do koszar, by mnie odwiedzić, ale musiała ponad godzinę czekać. Plecak miałem spakowany niezgodnie z przepisami i musiałem dlatego za karę w wolnym czasie szorować latryny. (mieć-ZF, Prät .) Die Übersetzung ins Polnische mit dem Präteritum der ZF erfasst die Bedeutung der deutschen Zustandsform adäquat . Die Verwendung des archaisch wirkenden Plusquamperfekts ist nur beschränkt möglich (z .B . in 14b) und kaum akzeptabel . Die Verwendung des Zustandspassivs13 dagegen hat in diesem Fall den gleichen Effekt wie bei der mieć-ZF: plecak był spakowany (‘der Tornister war gepackt’) . 4 .3 Zustandspassiv (ZP) Die Analyse der Belege hat ergeben, dass die haben- und mieć-ZF ins Zustandspassiv umformbar ist, aber nicht umgekehrt (vgl . auch Hole 2002: 175) . Manche deutschen Sätze im Zustandspassiv können auch mit der mieć-ZF wiedergegeben werden . (16) a . Ich hatte meinen Tornister nicht vorschriftsmäßig gepackt gehabt. b . Mein Tornister war nicht vorschriftsmäßig gepackt gewesen . (17) a . Das (mein) Hemd ist gebügelt . b. Koszulę mam uprasowaną. (18) a. Ich habe mir den Fuß verstaucht → Mein Fuß ist verstaucht. b. Zwichnąłem sobie nogę → Mam nogę zwichniętą. Mit der Verbindung sein + Partizip II kann sowohl das Zustandspassiv als auch das Zustandsreflexiv vorliegen. Diese Äquivalente werden besonders dann bevorzugt, wenn die Akkusativergänzung einen Körperteil [+Hum, Pars] bezeichnet . 12 Dieser Beispielsatz erscheint unter der vielsagenden Überschrift „Grenze einer Situation“ oder „Grenze eines Ereignisses“ . 13 Zu beiden Formen des Zustandspassiv können nur drei (imperfektive) Tempora gebildet werden: Präsens jest/mam napisane, imperfektives Präteritum było/mam napisane und imperfektives Futur będzie/będę miał napisane; dies hängt mit dem imperfektiven Aspekt des Kopulaverbs (Hilfsverbs) zusammen. 68 Andrzej Kątny 5. Zu den Mv des Deutschen in epistemischer Lesart aus kontrastiver Sicht In epistemischer Verwendung „bringt [das Modalverb] eine vom Sprecher ausgehende Einschätzung der Faktizität des gesamten dargestellten Sachverhalts zum Ausdruck . Aufgrund dieser Rückbindung an die Sprecherorigo sind epistemisch verwendete Modalverben schwache Deiktika“ (Diewald 1993: 221) . „Das Ziel der modalen – oder spezifischer der epistemischen – Relation ist nicht der Vollzug der Verbalrelation, sondern die Zuweisbarkeit eines Faktizitätswertes vom Sprecher aus“ (Diewald 1993: 231) . Die epistemische und deontische Deutung der Mv ist durch mehrere Faktoren bedingt . Man kann sich folgender Meinung von Brünner / Redder (1983: 52 ff .) und Leirbukt (1988) anschließen: „Bei der Weichenstellung für die jeweilige MV-Deutung [wirken] im konkreten Kommunikationsakt mehrere sprachlich greifbare Faktoren und pragmatische Gegebenheiten zusammen“ (Leirbukt 1988: 180) . Zu diesen die jeweilige Deutung des Mv determinierenden Faktoren gehören u .a .: • Die Aktionsart des Hauptverbs (telisch, [grenzbezogen] atelisch [ngbz .]) • Die Zeitreferenz • Textsorte/Diskurstyp; Satztyp • Die semantische Charakteristik des Subjekts • die grammatische Person des Subjekts • Weltwissen Im Folgenden bespreche ich skizzenhaft einige der erwähnten und in der Fachliteratur diskutierten Merkmale und Faktoren . Insbesondere wende ich mich der aktionalen Charakteristik des Hauptverbs und der Zeitreferenz zu, indem ich die Auffassungen einiger Verfasser beleuchte und durch kontrastive Belege deren Reichweite und Richtigkeit überprüfe . 5 .1 Aktionale Charakteristik des Hauptverbs (Inf . I) Auf die Rolle der aktionalen Markierung des Hauptverbs wurde in der Literatur (z .B . Coates 1983: 44, 244 f ., Saltveit 1979) schon mehrmals hingewiesen . Konsequent wird dieses Problem von Abraham (vgl . z .B . 1991, 1995, 2009) in einer Reihe von Beiträgen erörtert und vertieft . Interessant sind die Beobachtungen von Saltveit (1979), der die Relevanz der Zeitstufe (Gleich-, Nachzeitigkeit) und der Aktionsart (durativ, perfektiv-punktuell) hervorhebt, d .h ., die Merkmale [+ gleichzeitig + durativ]14 wären für die epistemische (bei Saltveit inferential) 14 Mit Saltveits Thesen setzt sich Leirbukt (1988: 176) auseinander; er führt ein Beispiel mit durativem Verb und Nachzeitigkeit an: Jeden Augenblick kann mir ein feindlicher Schuß in den Rippen sitzen. Die Deutung der Infinitivgruppe als ‘nachzeitig’ (trotz des durativem Verbs) erweckt keinem Zweifel, dagegen die Auslegung der Lesart des Mv als epistemisch ist m .E . voreilig: die Modalverkonstruktion ist als alethisch (objektive Möglichkeit) zu bestimmen . Zu Resultativ und Modalverben in epistemischer Lesart… 69 und die Merkmale [+ nachzeitig + perfektiv] für die deontische (nicht-inferentiale) Lesart ausschlaggebend . Im Laufe der Analyse verzichtet der Verfasser auf die Merkmale aus dem Bereich der Aktionsarten und plädiert für allgemeinere Kategorien [+statisch, +dynamisch], die eher der Verbalphrase zukommen . Die epistemischen Mv erscheinen vorwiegend bei Hauptverben mit stativer Semantik und / oder in progressiven Konstruktionen (vgl . Heine 1995: 48; Abraham 1995) . Typische Beispiele für diese Erscheinung sind Sätze im Zustandpassiv oder solche mit sein / być (Stativ), z .B . (19) a . Er muss krank, böse, erkältet, reich sein . b. Musi być chory, zły, zaziębiony, bogaty. (20) a . Sie soll schlank und groß sein . b. Ma być szczupła i wysoka. Aber: (21) […] morgen früh um sechs muß ich schon wieder in der Kaserne sein . (Fagan 1996: 24) Dass das Mv deontisch zu deuten ist, unterliegt keinem Zweifel . Fagan schreibt der sein-Phrase nicht-stative Verwendung zu . Meiner Meinung nach lässt sich die deontische Bedeutung durch die Zukunftsreferenz (morgen früh um sechs) eindeutig erklären . Nach Abraham (1995: 470) lassen die terminativen Verben im Präsens keine epistemische Deutung zu . Man kann jedoch auch Beispiele anführen, die sowohl deontisch als auch epistemisch (deiktisch) deutbar sind (d .h . die Phrase ist ambig: terminativ und aterminativ)15: (22) a . Das Kind muss das Märchen lesen/die Aufgaben lösen . (DM, Zukunftsreferenz) b. Dziecko musi przeczytać (perf.) bajkę/rozwiązać (perf.) zadania. (23) a . Sie muß den Abwasch machen [DM] (Diewald 1993: 230) b. Musi zmyć/pozmywać (perf.) naczynia. „Die gute Verträglichkeit mit terminativen Hauptverben im Infinitiv I […] ist darauf zurückzuführen, dass diese zu futurischen Konnotationen neigen, was hier als ‘Noch-nicht-Faktizität’ relevant wird“ (Diewald 1993: 230) . Die epistemische Lesart ist bei der durativen oder iterativen Deutung des Verbs möglich . Die Faktizitätsbewertung wird dabei in Bezug auf Sachverhalte vorgenommen, „die potentiell bereits im Vollzug sind oder waren“ (Diewald 1993: 231): 15 Dies hängt im Allgemeinen damit zusammen, dass man im Deutschen drei Aktionsartklassen (wobei die Grenzen fließend sind) unterscheiden kann: inhärent perfektive, imperfektive und neutrale Verben bzw . Verbalphrasen (vgl . u . a . Andersson 1978, Thierofff 1992) . 70 Andrzej Kątny (22) c . Das Kind muss das Märchen lesen/die Aufgaben lösen . (EM, Gleichzeitigkeit) d. Dziecko musi czytać (imp.) bajkę/ rozwiązywać (imp.) zadania. (23) c . Sie muß den Abwasch machen (- dem Lärm nach) (Diewald) d. Musi zmywać (imp.) naczynia . In den polnischen Übersetzungsäquivalenten steht das Verb im imperfektiven Aspekt . Die Sätze (22c und 23c) würden eine eindeutige (mit einer eher für die gesprochene Sprache, z .T . regionalen Progressiv-Konstruktion) Bedeutung gewinnen: (24) e . Das Kind muss am Märchen-Lesen sein . f . Sie muss am abwaschen sein . Diskussionswürdig ist der von Leirbukt (1988: 173) angeführte Satz, der als Gegenbeispiel für die von Sherebkov (1967) postulierte Präferenz (duratives Verb → subjektive Lesart) gelten sollte: (25) a . Christa muß das Bett hüten (Aussage über den in Bett liegenden Subjektreferenten, Verweis auf einen äußeren Zwang) Die von Leirbukt in Klammern angeführte Erklärung macht deutlich, dass der Satz eine objektive (aber nicht deontische, sondern alethische16) Deutung hat . Also: (25) b . Es ist notwendig, dass Christa das Bett hütet . 5 .2 Zeitreferenz Eine der charakteristischen Konstruktionen des Deutschen, die meist epistemisch gedeutet werden, ist die Verbindung Mv + Inf. II17 . Für sie bestehen keine Beschränkungen hinsichtlich der Subjekteigenschaften und der aktionalen Charakteristik des Hauptverbs: (26) a Er muss ihn bemerkt/verletzt/betrügt/getroffen haben . b. Musiał (Prät.) go zauważyć/zranić/oszukać/spotkać. (perf.) Da das Polnische nicht über einen Inf . II verfügt, muss dessen temporale Funktion von der finiten Form des Verbs (Präteritum) übernommen werden. Beim Infinitiv handelt es sich um den perfektiven Aspekt (einmalige, vollzogene Handlung) . 16 Vgl . dazu Lyons (1983: 387 ff .) . 17 In deontischer Deutung ist diese Konstruktion ziemlich selten (im Prinzip bei der Zukunftsreferenz, Vorzeitigkeit) anzutreffen (vgl . 4 .1) . Zu Resultativ und Modalverben in epistemischer Lesart… 71 Imperfektive Verben indessen treten im Polnischen vorwiegend als Entsprechungen deutscher Durativa auf (eine Subklasse der Durativa sind im Polnischen die Imperfektiva tantum) (27) a . Sie soll lange gearbeitet/geübt/gewartet haben . b. Miała długo pracować/ćwiczyć/czekać. (imp.) Bei resultativen, telischen Verben bezeichnet der Inf . II die Abgeschlossenheit der Handlung (im aspektualen Sinne): (28) a . Sie können/sollen den Wagen schon repariert/abgeschleppt haben . b. Mogli/mieli (Prät.) już naprawić/odholować (perf.) samochód. c. Mogą/ *mają18 (Präs.) już mieć samochód naprawiony/odholowany (PPP). c1. Podobno mają (Präs.) już samochód naprawiony (PPP). Bei telischen und transitiven Verben kann man den Inf . II mit mieć-ZF wiedergeben, wobei das Mv im Präsens steht. „Der Infinitiv Perfekt bringt einen resultativen Zustand zum Ausdruck: er repräsentiert einen Zustand, der das Ergebnis einer vorhergehenden, abgeschlossenen Handlung (bzw . eines solchen Vorgangs) ist . Die resultative Komponente ergibt sich durch das Partizip II, die stative, innenperspektivierende Komponente durch das Auxiliar sein oder haben, so dass das dominierende Merkmal der Gesamtkonstruktion die Stativität ist“ (Diewald 1999: 262). Mit dieser Deutung der Funktion des Infinitiv Perf. bin ich nicht ganz einverstanden, denn der Inf . II hat das Merkmal abgeschlossen nur bei telischen Verben, das Merkmal vergangen dagegen bei atelischen Verben (vgl. Kątny 1999: 638; Engel 2004: 227)19 . Die Zeitreferenz muss im Prinzip zusammen mit der aktionalen Charakteristik des Hauptverbs (auch des Hilfsverbs oder der Kopula) betrachtet werden, was die analysierten Beispiele zeigten . Die epistemische Lesart tritt bei Gleichzeitigkeit (aktuelle Vermutung) und Vorzeitigkeit (Anterior) der Infinitivgruppe ein20, bei Zukunftsbezug des Mv entsteht keine epistemische Lesart . Also kann der Satz (29) a . Der Zug muss gleich kommen . im Sinne der alethischen und / oder der buletischen (präferentiellen) Modalität gedeutet werden . 18 Da mieć (‘sollen’) als Mv und als Kopula (mieć ‘haben’) in einem Satz kaum akzeptabel sind, muss man das Mv durch die quotative Partikel podobno ersetzen (c1) . 19 Auf diese Abhängigkeit hat schon früher Andersson (1978: 95 ff .) aufmerksam gemacht; diese prägnante Regel hat nur einen orientierenden Charakter – die endgültige Deutung ist jeweils auf der Textebene vorzunehmen . 20 Von der erlebten Rede (mit Mv im Präteritum) sehe ich hier ab . Andrzej Kątny 72 5 .3 Weitere Faktoren im Abriss Die Person des Subjekts kann die Disambiguierung erleichtern, denn die 3 . Person ist für die epistemische Deutung charakteristisch, während das Pronomen man nur die deontische Lersart zulässt . Die 1 . und die 2 . Person legen ebenfalls eher die deontische Deutung nahe (vgl . dazu Harden 1998; Heine 1995: 25 ff .) . (30) a. Du musst fleißig, tapfer, klug sein (DM) b. Er muss fleißig, tapfer, klug sein (EM) Textsorte, Diskurstyp In Gesetzes- und Fachtexten kommen fast ausschließlich Mv in deontischer Verwendung vor . Die Untersuchung von Brünner / Redder (1983) hat z .B . ergeben, dass Mv vor allem mit Handlungsverben in Verbindung treten (etwa 70%) . Die empirische Basis bildeten Transkripte gesprochener Sprache (Beratungen, Spielerklärungen, Einweisungen, Kooperationen) . Meine stellenweise nur skizzenhaften Ausführungen dürften gezeigt haben, dass die Deutung der Lesart von mehreren Faktoren abhängig ist: Der Rezipient ist oft auf den weiteren Kontext angewiesen und kann aus ihm intuitiv Informationen über den Texttyp, die handelnden Personen, soziale Abhängigkeit gewinnen und diese dann auf die sprachliche Struktur des Satzes mit dem Mv abbilden . In diesem Sinne schließe ich mich der Meinung von Leirbukt (1988: 181) an: „Insgesamt gesehen ist es also notwendig, bei der Klärung der Frage, durch welche Faktoren die MV-Deutung jeweils bedingt ist, system- und pragmalinguistische Gesichtspunkte miteinander zu verbinden .“ Literatur Abraham, Werner (1991): „Syntaktische und semantische Korrelate zum Lesartwechsel zwischen epistemischen und deontisch/volitiven Modalverben“, in: Klein, Eberhard u .a . (Hgg .): Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb, Bd . 2 . Tübingen: Niemeyer, 3-13 . Abraham, Werner (1995): Deutsche Syntax im Sprachenvergleich. 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In addition to the basic temporal use of the preterite tense there is a ‘modal past’ / ‘attitudinal past’3 use in English as well as in Norwegian, exemplified by 1 and 2 respectively (raised E for English and N for Norwegian parallel sentences): The basic temporal use signalling past time event: 1E 1N I knew that you had a couple of minutes to spare. Jeg visste at du hadde et par minutter å avse. Non-temporal use for reference to future or present / non-past time event: 2E I wondered if you had a couple of minutes to spare. 1 I would like to express my thanks to the following people for ideas and help in connection with this paper: Werner Abraham, Robert Amundsen, Dagmar Haumann, Michail Kotin, Ole Letnes, Marjorie Lorvik, Anne Karin Ro and Peter Trudgill. 2 The term ‘preterite tense’ is preferred here to the alternative ‘past tense’, which is used in a narrow and a wider sense in the literature. In Huddleston & Pullum (2002: ch. 3) ‘preterite’ is used for the inflected forms with -ed as the default marker whereas ‘past tense’ is used in a wider sense covering the preterite and the perfective forms (: auxiliary HAVE + past participle). In this paper the perfective forms are regarded as a matter of aspect (as in Quirk et al. 1985: 188-197, Leech 2004, and others). Perfective aspect is a non-deictic category encoding retrospective view of the event in relation to a point of orientation set by means of tense. Tense, in the narrow sense, is a deictic category capable of expressing temporal location in relation to the moment of utterance as either before or not before the deictic zero (as in Lyons 1977: ch.15.4, Quirk et al., and others). By implication both are expressions of anterior time. 3 Terminology varies – Quirk et al. (ibid: 188) refer to the use of the preterite seen in sentence 2E as the ‘attitudinal past’. We will refer to this as the modal use / interpretation of preterite verb forms. 2N Jeg lurte på om du hadde et par minutter å avse. In contexts where sentences 2E and 2N are intended as requests (as opposed to statements about my wondering about this at some point in the past), the preterite verb forms are not used to convey information about a situation in the past, but in present or future time. They can therefore be replaced by present tense forms without any essential change of meaning, i.e.: 3E 3N I wonder if you have a couple of minutes to spare. Jeg lurer på om du har et par minutter å avse. In choosing 2 rather than 3 to make a request, the speaker brings in an element of tact and respect which is not there in 3. The present tense alternative in 3 sounds somewhat less polite in English as in Norwegian. The communicative significance of the preterite vs. present tense in cases like 2 and 3 is relatively similar in the two languages, with preterite forms contributing a modalizing element of tact and polite distance. There may be differences of pragmatic preference in this area of usage, though – the preterite for polite distance may well be a more frequent choice by native speakers of English than speakers of Norwegian. We will have to leave this empirical question undecided, however, and simply make the point that preterite verb forms have the semantic potential of application to non-past time in English as in Norwegian in much the same contexts and constructions. In conditional sentences the same polite distance effect may be the main motivation for preterite tense selection, as in 4 vs. 5: 4E 4N 5E 5N If you paid (could / would pay) in cash, we might be able to offer you a 5% discount. Hvis du betalte (kunne / ville betale) kontant, så kunne vi kanskje tilby deg 5 % avslag. If you pay (can / will pay) in cash, we may be able to offer you a 5% discount. Hvis du betaler (kan / vil betale) kontant, så kan vi kanskje tilby deg 5 % avslag. In other cases the motivation for preterite tense selection is to introduce an element of greater uncertainty with respect to the situation described, e.g.: 6E 6N 7E 7N What would you do if you won the first prize? Hva ville du gjøre hvis du vant førstepremien? What will you do if you win the first prize? Hva vil du gjøre hvis du vinner førstepremien? The preterite tense selection in 6 signals that the speaker regards the winning as less likely, as a more remote possibility at the moment of utterance, in comparison with the present tense, in English as in Norwegian. The remoteness expressed is of a non-temporal kind, applied to the status of the situation described and its likelihood of becoming a reality in future time. It is the familiar irrealis / unreal / hypothetical / remote / subjunctive type of conditional in 6 vs. the realis / real / indicative type in 7. This is based on the speaker’s perception and calculation of likelihood and the probability that the situation will or will not occur at some point in the future. The preterite is not used for past time reference here, but for the expression of non-temporal remoteness. For reference to a situation in the past, the perfective form is required, as in 8: 8E 8N What would you have done if you had won the first prize? Hva ville du ha gjort hvis du hadde vunnet førstepremien? I.2 The preterite tense We are going to be working on the assumption that the preterite tense is basically a temporal category which is used to express remoteness and anterior time. The paradigmatic opposite, the present tense, is used to express temporal non-remoteness, or perhaps simply neutrality, in relation to a moment of orientation, typically the deictic zero in independent sentences. An alternative view will be to regard simple remoteness as the basic component of meaning with the temporal element added for past time reference, or with the modal element added for non-past modal meaning. This latter view is not adopted here. It will appear below that in a cross-linguistic synchronic perspective the definition of the preterite tense as basically a semantic category of time makes good sense. Also, this makes sense diachronically. As pointed out by Fleischman (1989) the modal use of the preterite is a later development than the temporal one. According to Fischer and van der Wurff (2006: 131) the preterite tense with modal meaning is a new development in Middle English. It is a challenge, though, to make explicit how the temporal and the modal use are related, grammatically and semantically. We will deal with this issue here and in section IV, where a representation is proposed deriving the modal sense from the basic temporal one. The basic temporal meaning of the preterite may be summarized as “remote from and anterior to the deictic zero” - alternatively: {[+remote & +temporal, +anterior] with respect to: Speaker’s 0}, as in 1 above. In sentences like 2, on the other hand, it seems that the temporal specification [+temporal, +anterior] is cancelled whilst the feature [+remote] remains. The meaning of remoteness is generalized and is allowed to be shifted from temporal space to interpersonal space – that is, a distance between the speaker and the addressee is established if the preterite is selected instead of the present tense. In sentences 6 and 8 above the remoteness does not apply to interpersonal space, but to the speaker’s relative remoteness from the situation described as an actual state of affairs – that is, the irrealis hypothetical meaning. The basic temporal meaning of the preterite tense seems to undergo simplification in these cases and is dissociated from its application to past time so that only “remote from the deictic zero” remains. It can be shown as follows: {[+remote & +temporal, +anterior] with respect to: Speaker’s 0} {[+remote] with respect to: Speaker’s 0} Alternatively, the optionality of the temporal feature can be shown by bracketing it: {[+remote & (+temporal, +anterior)] with respect to: Speaker’s 0} The generalized non-temporal remoteness meaning {[+remote] with respect to: Speaker’s 0} is a case of semantic widening. It makes it possible for the speaker to establish some kind of non-temporal distance by using the preterite stripped of its temporal element of meaning. We may describe the similarity between English and Norwegian as a matter of semantic widening of the basic temporal remoteness sense. In semantic widening the restrictive modifier ‘temporal’ is lost, and the preterite is understood as an expression of remoteness of a more general sort – especially in interpersonal space for the politeness effect or in existential/cognitive space with respect to the status of a situation as a reality or not. This kind of general remoteness has to be applied to some axis in deictic space other than the temporal one – it is understood as expressing some kind of non-temporal remoteness. It may be applied to people (the interpersonal axis) or to the representation of situations as actual and factual vs. non-actual and nonfactual at the time of utterance (the cognitive axis)4. If interpreted in this widened sense, preterite verb forms can readily be perceived as gestures of nonaggression and diplomatic distance in interpersonal space5. The present tense alternative, on the other hand, can be perceived as signalling the opposite, approaching the other in a less polite and perhaps even a menacing way. This interpretation of the preterite vs. present tense as communicative signals applied to temporal or non-temporal space rests on the assumption that the temporal element of anteriority is a cancellable feature in the semantics of the preterite, in English as in Norwegian. In contexts where the temporal element of anteriority is cancelled, we are left with a general meaning of remoteness to be specified pragmatically. This general similarity between the two languages can be captured in the following representation, which shows anteriority as a cancellable semantic feature: 4 The distinction ’interpersonal axis’ vs. ‘cognitive axis’ is intended to be the main division in non-temporal space. The labels themselves are not essential, the point being that interpersonal distance and existential/cognitive distance are cases of and that the expression of nontemporal remoteness is incompatible with the expression of temporal remoteness by one and the same finite verb form. 5 There are of course a number of grammatical and lexical devices available for signalling politeness, such as the progressive form and the addition of more modal auxiliaries, e.g.: I was wondering if you might have a couple of minutes to spare. For the polite progressive, cf. Leech (2004: 29 – 30). In addition, tags and lexical phrases of various sorts are available as signals of tact and respect, but these will not be of any direct relevance for our purpose. Grammatical form: [Tense: preterite] Meaning: {[+remote, (+temporal, +anterior)] with respect to: Speaker’s 0} Even though English and Norwegian are basically similar in that they both allow preterite verb forms to be used with non-past meaning for the expression of non-temporal remoteness, there are certain differences in usage which we will turn to next. These may at first glance appear somewhat puzzling and without an obvious motivation, as both languages have parallel formal resources in this area, namely preterite tense, perfective aspect and cognate modal verbs. II. Observations II.1 Preterite perfective structures If we consider a sentence fragment like the following, we find that it is possible to construct sentences around this fragment with either temporal or modal meaning in Norwegian, but with only temporal meaning in English: N E … hadde (...) betalt … … had (...) paid … (: Preterite tense & perfective element) (: Preterite tense & perfective element) In 9N the preterite tense is understood in a temporal and factual sense, describing a real event located in time anterior to a past moment of orientation. 9N Da hadde jeg allerede betalt boten. In the following case, on the other hand, the same form is interpreted differently: 10N Da / I så fall hadde jeg naturligvis betalt boten (hvis jeg hadde visst det). In 10N the same verb element does not have the typical pluperfect meaning of past-in-the-past, as in 9N. Rather, it is used for hypothetical meaning to describe an unreal event in the past. The past tense is used in its modal, non-temporal remoteness sense, and the perfective element brings in the meaning of anterior time. On this interpretation the addition of the modal ville is possible with the same meaning as 10N (indicated here by means of a raised + to mean ‘plus auxiliary’): 10N+ Da / I så fall ville jeg naturligvis ha betalt boten (hvis jeg hadde visst det). A further possibility in this case is omission of the perfective auxiliary ha, i.e.: 10’N+ Da / I så fall ville jeg naturligvis betalt boten (hvis jeg hadde visst det). In English the preterite perfective form can be interpreted in the temporal meaning of past-in-the-past only: 9E 10E Then I had already paid the fine. (Eng = Norw) *Then / In that case I had of course paid the fine (if I had known that). (Eng Norw) For the modal counterfactual interpretation in English a modal auxiliary has to be introduced: 10E+ Then / In that case I would of course have paid the fine (if I had known that). (i.e. + modal auxiliary preterite tense would & perfective element) As we have seen already, this is also a possible expansion in Norwegian, but it is not obligatory as in English. This observation is part of a wider pattern. The following examples illustrate the same difference, namely obligatory modal selection in English vs. optional selection in Norwegian for the hypothetical conditional sense. 11N and 11E are examples of the basic temporal sense of the preterite, where a past time moment of orientation is established in relation to which the event is located in anterior time by means of the perfective element. 11N 11E Vi hadde ikke tenkt på den muligheten før du nevnte den. We hadn’t thought of that possibility until you mentioned it. Again, in Norwegian this verb structure can also be used in the modal counterfactual sense, especially in hypothetical conditional constructions, as in 12N: 12N Vi hadde ikke tenkt på den muligheten hvis du ikke hadde nevnt den. And again, the parallel structure will not be accepted in English: 12E *We hadn’t thought of that possibility if you hadn’t mentioned it. The modal auxiliary would is required for this shift of interpretation: 12E+ We wouldn’t have thought of that possibility if you hadn’t mentioned it. This structure is again a possible variant in Norwegian: 12N+ Vi ville ikke ha tenkt på den muligheten hvis du ikke hadde nevnt den. We may take a glance back at sentences 8 above and we find the same difference of grammatical potential: in Norwegian the preterite perfective form is available as an alternative, but not in English (raised – to mean ‘minus auxiliary’): 8N 8N - Hva ville du ha gjort hvis du hadde vunnet førstepremien? Hva hadde du gjort hvis du hadde vunnet førstepremien? 8E 8E - What would you have done if you had won the first prize? *What had you done if you had won the first prize? It seems to be a general observation that preterite perfective structures are semantically more restricted in English than in Norwegian as they can only be used in the temporal sense of the preterite. This difference can be summarized as follows: Norwegian: Grammatical form: [Preterite tense + perfective element + verb] Sense a: Temporal factual sense (actual occurrence in the past) Sense b: Modal counterfactual sense (non-occurrence in the past) English: Grammatical form: [Preterite tense + perfective element + verb] Sense a: Temporal factual sense (actual occurrence in the past) Sense b: Not available The general difference between the two languages in this area can be formulated in various ways, but one essential generalization has to do with the fact that in English a modal auxiliary is an obligatory selection for the hypothetical meaning of conditionals whereas in Norwegian it is an optional one. The obligatory nature of modal auxiliary selection in English in cases like the ones above can be regarded as manifestation of grammaticalization in the area of modality and hypothetical meaning. In Norwegian the optionality of the parallel selection suggests that the corresponding modals are not grammaticalized, or at least not grammaticalized to the same extent as in English. This difference is particularly noticeable in preterite perfective structures, as illustrated above, but it can be shown to apply more generally. We will take a brief glance at preterite non-perfective structures for some further documentation. II.2 Preterite non-perfective structures There are some well-known English constructions where the modal interpretation of the preterite is the only one available, namely in complement clauses after certain fixed expressions, especially wish, would rather, it is high time, e.g.: 13E 14E 15E I wish I knew the answer. I would rather they paid now. It is high time you did something about this. These are all examples of the modal use of the preterite tense with non-past time application. For past time meaning the perfective element has to be introduced: 16E I wish I had known the answer then. Norwegian seems to be parallel at least in some of these cases, especially 13: 13N 16N Jeg skulle ønske jeg visste svaret. Jeg skulle ønske jeg hadde visst svaret da. In hypothetical conditional sentences, on the other hand, the two languages are not always grammatically parallel, e.g.: 17N 17E Hvis du betalte et forskudd nå, så var det å foretrekke. *If you made an advance payment now, that was preferable. The preterite non-perfective var in 17N seems acceptable, but the parallel form in English 17E does not. As in the sentences in section II.1 above we find that the preterite modal would is required in English whilst it is a possible addition in Norwegian: 17E+ If you made an advance payment now, that would be preferable. 17N+ Hvis du betalte et forskudd nå, så ville det være å foretrekke. We are not dealing with the selection of the modal would and ville specifically, but rather preterite modals (in their epistemic senses). The following sentences illustrate the introduction of another modal, which is obligatory in English but optional in Norwegian: 18N 18E 18E+ 18N+ Siden han hadde nytte av disse pillene sist, så var det kanskje en god ide å prøve dem igjen nå. *As he benefited from these pills last time, it was perhaps a good idea to try them again now. As he benefited from these pills last time, it might be a good idea to try them again now. Siden han hadde nytte av disse pillene sist, så kunne det være en god ide å prøve dem igjen nå. In 18E+ the preterite form might fulfils the requirement of a modal auxiliary in the verb structure, where Norwegian may use kunne. Similarly, in 19N and 19E we see that it is not only the forms ville and would that are involved, but a preterite modal auxiliary with the intended meaning: 19N 19E Hvor mye var du villig til å betale hvis du kunne flytte inn med en gang? *How much were you willing to pay if you could move in right away? 19N+ Hvor mye ville / kunne du være villig til å betale hvis du kunne flytte inn med en gang? E+ 19 How much would / could you be willing to pay if you could move in right away? These examples provide further evidence of a more general difference between English and Norwegian than what was shown in section II.1. The requirement of a modal auxiliary in English applies in structures that are preterite perfective as well as non-perfective, in other words. This requirement in English is formulated as follows in Huddleston & Pullum (2002: 199): “In Present-day English the apodosis of a remote conditional must contain a modal auxiliary.” As for Norwegian we may add: In Present-day Norwegian the apodosis of a remote conditional may contain a modal auxiliary. This generalization about Norwegian is definitely valid in preterite perfective structures. It also applies to preterite non-perfective structures (cf. Faarlund et al. 1997: 628-631 for more examples of the modal use of the simple preterite). However, it is debatable whether this type of verb structure can be used equally freely with modal meaning as the preterite perfective ones. For instance, if we remove the modal in 20N, we end up with 20N-, which looks like a case of borderline acceptability: 20N 20N20E 20E- Hvordan ville USA reagere hvis Storbritannia trakk seg ut av dette området? ??Hvordan reagerte USA hvis Storbritannia trakk seg ut av dette området? How would the US react if Britain pulled out of this area? *How did the US react if Britain pulled out of this area? The answer to the question with the modal lacking in 21N- seems even less acceptable than 20N-: 21N 21N21E 21E- I så fall ville USA be andre NATO-medlemmer om støtte. ???I så fall bad USA andre NATO-medlemmer om støtte. In that case the US would request support from other NATO members. *In that case the US requested support from other NATO members. If the modal is removed in Norwegian, as in sentence 21N-, the result is close to being unacceptable, and consequently Norwegian comes to resemble English in this case. Other possibilities exist in Norwegian, namely the following: 22N I så fall ville USA ha bedt andre NATO-medlemmer om støtte. 22N- I så fall ville USA bedt andre NATO-medlemmer om støtte. 22’N- I så fall hadde USA bedt andre NATO-medlemmer om støtte. One significant point about the perfective form variants 22N, 22N- and 22’N- is that they all have an auxiliary (one or two) before the main verb. If the verb structure is non-perfective, on the other hand, as in 20N and 20N-, there is only a main verb left if the auxiliary ville is omitted. The restriction on ville-omission in Norwegian non-perfective structures is a topic that will not be investigated further here. It seems to hinge on the main verb lexeme, but varying in degree of acceptability. Also, other factors may be involved, such as dialect variation. After this brief exploration of preterite non-perfective forms the contrastive comparison should be expanded to include this type of verb structure. It can be done by bracketing the perfective element so that the grammatical form [Preterite tense + verb] is allowed, i.e.: Norwegian: Grammatical form: [Preterite tense (+ perfective element) + verb] Sense a: Temporal factual sense (actual occurrence in the past) Sense b: Modal counterfactual sense (non-occurrence in the past) English: Grammatical form: [Preterite tense (+ perfective element) + verb] Sense a: Temporal factual sense (actual occurrence in the past) Sense b: Not available ( select modal auxiliary) The general grammatical difference is that for sense b a modal auxiliary has to be selected in English, but can be omitted in Norwegian. This observation leads on to the question: why should a preterite tense modal be obligatory in certain cases in English for counterfactual or tactful polite meaning, but optional in Norwegian? Why is the structure without the modal auxiliary not enough for the expression of modality in English, as it is in Norwegian? Generally speaking, if a linguistic form has to be selected for a particular meaning or is a forced choice in certain syntactic constructions, we regard this as a highly grammaticalized selection. Obligatoriness is an essential characteristic of grammaticalization. The obligatory status of a modal auxiliary in English for hypothetical conditional meaning, therefore, is not just a matter of lexical choice – it seems to be built into the grammatical system of the language. On the other hand, the optional status of the modal in parallel Norwegian constructions is an indication that this is not a grammaticalized selection in Norwegian – at least not to the same extent as in English. We are faced with another question, namely how this difference of grammaticalization can be accounted for and represented. This is what we are going to deal with next, based on the analysis of tense and mood proposed in Berge 2005 & 2008, where it is argued that the essential difference between the English and the Norwegian modals is the adoption of a mood feature in English vs. no such feature in Norwegian. III. The English modals and mood The fact that the modal auxiliaries have only finite forms in present-day English, as opposed to their counterparts in Norwegian, should be accounted for in an adequate contrastive analysis. There are reasons to believe that the English modals are unique in having adopted a mood feature in their lexicon representation, marking them as inherently non-indicative verbs. Finite verb inflection in the Germanic languages involves specification of tense and mood, in addition to subject-verb agreement, which is not relevant any more in present-day Norwegian. For contrastive comparison the grammatical selections involved can be summarized schematically like this: [+present] - phonologically: … [+preterite] - phonologically: … Tense [+finite] (S-V Agreement) [+indicative] - phonologically: … Mood imperative - phonologically: … [-indicative] subjunctive - phonologically: … Fig. 1: Finite verb inflection It is suggested in Berge (ibid.) that the English modal auxiliaries are specified in the lexicon (as lexemes) – like this: LEXEME (MUST, SHALL, MAY, WILL, CAN & OUGHT) Lexical features + . . Modality: potentiality/degree of likelihood volition/permission/obligation … Grammatical features Verb: [+dependent, +auxiliary] Mood: [-indicative] Fig. 2 Because of the feature Mood: [-indicative] it follows that: i) the modals have no non-finite forms, only [+finite] ones; ii) their semantic potential for past time meaning is restricted. The modals are unique partly because of point i), and partly because of ii)6. The well-known mismatch between preterite tense forms and past time meaning, especially in the case of should and might, can be interpreted as evidence of the modals’ non-indicative nature, as non-indicative verb forms in general are not capable of past time application. This is obviously so with imperatives: they apply to situations which are necessarily posterior in time relative to the moment of utterance. But it is also true of subjunctives. We see this in German, where the subjunctive mood is grammaticalized in finite verb inflection. A subjunctive verb form, such as anriefe / führe vs. indicative anrief / fuhr, cannot be used for past time meaning, as we see from for instance the following example, formal usage (raised G for German): 23G 23E Wenn er jetzt / heute /*gestern anriefe, führe ich sofort dahin. If he phoned now / today / *yesterday, I would (I’d) go there right away. Cf. Thieroff (1994a: 4) for this general point about German: “Whereas in the languages mentioned so far, Pasts (Preterites and Imperfects) can be used with non-past time reference, in other languages Past forms only occur with nonpast time reference if they are combined with a non-indicative mood. This is the case in German …” To talk about an unreal situation in past time, we need the preterite perfective, as in example 24: 24G 24E Wenn er gestern angerufen hätte, wäre ich sofort dahin gefahren. If he had phoned yesterday, I would (I’d) have gone there right away. The non-indicative (subjunctive) forms are incompatible with past time meaning in spite of their preterite tense. Compare also the preterite subjunctive form were in English: 25 I wish she were7 here now / *yesterday (but she isn’t / *wasn’t). With the past time adverb yesterday the perfective is again required: 26 I wish she had been here yesterday (but she wasn’t). 6 In addition, the modals are unique in that they consistently resist subject-verb agreement, which is a defining grammatical property. In Berge (ibid.) it is claimed that their non-agreement follows from their status as non-indicative verbs. 7 It may be debatable whether were should be considered a preterite verb form as it is incapable of expressing past time meaning – in Huddleston & Pullum (ibid.: 86) it is labelled the ‘irrealis were’. One argument in favour of labelling it ‘preterite’ is the observation that it can be replaced by the preterite form was but not by the present tense form is, i.e.: 25’ I wish she was / *is here now (but she isn’t / *wasn’t). If the subjunctive were is a preterite it follows that it can be replaced by another preterite form. In other words, only if the mood is indicative is a preterite form capable of past time application in the sense of absolute past8. Or we may formulate this as a form - meaning combination which does not occur in English or in German: NEG: {[Form: Tense: +preterite & Mood: -indicative] + [Meaning: Past time]} The preterite tense form is not in itself a past time expression if the mood is subjunctive – for past time meaning the perfective form is required in English as well as in German. There must be something inherent in non-indicative mood which makes it incompatible with past time. It seems that the temporal remoteness associated with the preterite clashes with and is cancelled by the other type of remoteness expressed by the subjunctive mood, i.e.: NEG: {Preterite: temporal remoteness + Subjunctive mood: non-temporal remoteness} This combination of meanings constitutes a contradiction. It has to be logically adjusted. It seems that this adjustment involves deleting the component ‘temporal remoteness’, i.e.: {Preterite: _________ + Subjunctive mood: non-temporal remoteness} The more specific notion of temporal distance is cancelled by the more general notion non-temporal remoteness. This means that there is no temporal past meaning available for the preterite form if the mood is subjunctive, as pointed out by Thieroff (quoted above), among others. A quick glance at some more German examples concerning tense and mood interaction is relevant here, as this will reveal the parallel between German subjunctive mood marking and the obligatory selection of a modal auxiliary in English. The indicative mood sentences 27G and 28G apply to past time real situations: 27G 28G Als er Geld hatte, ging er ins Theater. Wenn / Immer wenn er Geld hatte, ging er ins Theater. (: Preterite tense, indicative mood : past time reality) If we change the mood from indicative to subjunctive, we are forced to interpret the sentence as describing a hypothetical situation in present or future time: 29G Wenn er Geld hätte, ginge er ins Theater. (: Preterite tense, subjunctive mood : non-past, present / future time unreality) The shift of mood from 28G to 29G entails a shift of time reference as well as factuality. For this shift of meaning in English we need a modal auxiliary in the main clause: 8 That is, past time in relation to the deictic zero is not expressed by a subjunctive verb form alone. But past time in relation to a non-deictic point of orientation is possible, e.g.: I wished I didn’t know his number - from Declerck (2006): 129. 28E 29E If / When(ever) he had money, he went to the theatre. (: Preterite tense, no modal auxiliary: past time reality) If he had money, he would go to the theatre. (: Preterite tense, modal auxiliary : non-past, present / future time unreality) For the hypothetical interpretation of 29E the main clause modal is required. If there is no modal, as in 28E, it is not interpreted as a subjunctive conditional about a present or future unreality, but as a statement about a past time reality9. Granted that the English modals are inherently non-indicative verbs, the shift of mood in German from indicative to subjunctive (from 28G to 29G) is parallel to the shift from non-modal 28E to modal 29E. It is the obligatory nature of the formal selections that makes the modal auxiliary in English and subjunctive mood in German grammatically similar, as exponents of non-indicative mood. In preterite perfective structures, as in our examples numbered 9 above, we find the same equivalence between an English preterite modal (in the main clause) and a German preterite subjunctive, repeated here for convenience: 9E 9G 10E 10E+ 10G Then I had already paid the fine. (preterite non-modal perfective : past-in-the-past reality) Dann hatte ich schon die Bu e gezahlt. (preterite indicative perfective : past-in-the-past reality) *Then / In that case I had of course paid the fine (if I had known that). Then / In that case I would of course have paid the fine (if I had known that). (preterite modal perfective : past time unreality) Dann hätte ich natürlich die Bu e gezahlt (wenn ich das gewusst hätte). (preterite subjunctive perfective : past time unreality) Again, the obligatory introduction of the modal would in English here is the equivalent of subjunctive mood morphology in German. Without the subjunctive forms the meaning would not be hypothetical and counterfactual, and similarly if there is no modal auxiliary in English the sentence cannot be used to express this meaning. In Norwegian, on the other hand, where there is neither subjunctive mood morphology nor grammaticalized non-indicative modals, the introduction of a modal is not an obligatory selection – it is optional. It is basically up to the speaker to add a modal or leave it out, as in 10 above, repeated here for convenience: 10N Da / I så fall hadde jeg naturligvis betalt boten (hvis jeg hadde visst det). 10N+ Da / I så fall ville jeg naturligvis ha betalt boten (hvis jeg hadde visst det). 9 29E is ambiguous: it may be interpreted as applying to a non-past hypothetical situation or to a past time real situation – that is, it may be understood either as a subjunctive conditional about non-past time or as an indicative conditional about past time in the habitual predictive sense of will/would. The indicative conditional reading does not require the modal, as in 28E. It is the subjunctive conditional interpretation of 29E that is of interest for our purpose. The optionality of a modal auxiliary in Norwegian is taken as an indication that the modals are not grammatically specified for mood like the English ones. It is more of a lexical choice than a grammatical one – they are lexical expressions of modality, and are not grammaticalized as ‘mood auxiliaries’ the way the English ones are. The analysis of the English modals as grammatically non-indicative verbs is of interest for our purpose as it seems to open up an understanding of the special restrictions that apply in English but not in Norwegian in the formation of hypothetical conditionals. As we see from German, the subjunctive mood is a forced choice if hypothetical meaning is intended, and the selection of subjunctive mood cancels the temporal past time meaning of the preterite verb form. The non-factual meaning inherent in the subjunctive mood is a type of conceptual remoteness that overrides the temporal remoteness typically expressed by the preterite tense – the two types of remoteness cannot both be expressed by the same verb form. It is in the nature of things that if a language has developed special grammaticalized forms for the expression of non-factuality, there is a forced choice of form which the language user cannot ignore. In the case of German the speaker has to select subjunctive forms for hypothetical meaning. In English the speaker has to select a non-indicative verb form for hypothetical meaning in the apodosis of conditionals – that is, a modal auxiliary. In Norwegian the speaker is not faced with this forced choice as there are no grammaticalized forms for non-factual meaning. The preterite will have to do for factual past time meaning as well as non-factual non-past time meaning. IV. Conclusion IV.1 Summary In conclusion, the grammatical differences that we have been concerned with can be understood as language-specific restrictions on the shift from the primary temporal sense a) to the derived modal sense b). These are understandable if we consider the status of mood in the verb system of the language in question: if the language has established non-indicative mood forms, these are obligatory selections for the expression of non-temporal remoteness. In a language without such word forms, e.g. Norwegian, what happens is that semantic widening will apply to the preterite tense, resulting in a non-temporal interpretation and a modal non-factual sense. We will regard semantic remoteness as a matter of distance – that is, the contrast remote vs. non-remote is what the concept semantic distance consists of (following Thieroff on this point – Thieroff ibid.: 4-5 & Thieroff 1994b: 126129). The contrastive comparison can be schematized as follows: The expression of remoteness: Distance: {X is Remote / Outside in deictic space} Distance: [+remote] (“outside the zero zone”) [+temporal] [-temporal] [+anterior] (= past time) interpersonal (deontic) cognitive (epistemic) polite distance ----------------------------------------X is [+remote] in temporal space vs. non-commitment non-factuality counter-factuality --------------------------------------------------X is [+remote] in non-temporal space Fig. 3 i) In languages with subjunctive mood (e.g. German ): Form: Tense: preterite vs. -------------------------------------- Mood: non-indicative / subjunctive ------------------------------------------ ii) In languages with no subjunctive mood (e.g. Norwegian): Tense: preterite -----------------------------------------------------------------------------------------------As already pointed out above, it appears from this that the suggested semantics of preterite tense and non-indicative / subjunctive mood combination yields a contradictory result, i.e.: Grammatical form: [preterite tense + non-indicative / subjunctive mood] Meaning: [temporal remoteness + non-temporal remoteness] Logically adjusted: [ ________________ + non-temporal remoteness] In resolving the contradictory combination, the more specific notion of tem- poral remoteness is cancelled, and hence past time meaning is not available. English is like German in this respect in the formation of hypothetical conditionals, but only in the main clause. In Norwegian, on the other hand, there is no contradictory clash of meanings as there is no subjunctive vs. indicative mood contrast. Instead of logical adjustment the features [+temporal, +anterior] can be cancelled, and semantic widening is assumed to take place so that the meaning may be extended to general remoteness, i.e.: Grammatical form: [preterite tense + Meaning: [temporal remoteness subjunctive mood: no exponence ] _______ remoteness ] If the restrictive modifier ‘temporal’ is cancelled, it follows that the general remoteness meaning opens up pragmatic interpretations of non-temporal remoteness as distance in interpersonal space or in cognitive space. English is like Norwegian with respect to the formation of hypothetical conditionals, but only in the subclause. The representation of temporal and modal uses of preterite verb forms in English and Norwegian outlined above is no doubt a topic that should be given a more thorough motivation than is possible here. On the whole it appears that in an English-Norwegian contrastive perspective the modal uses of the preterite are relatively similar and are found in much the same types of constructions. Still, a wider range of data could be useful for a finer comparison. Other questions and topics which would deserve closer attention are briefly mentioned in the following subsection. IV.2 Further research The argumentation developed in this article rests on a number of theoretical assumptions which deserve more attention than is possible here. As regards the proposed analysis of the English modals, there is one question concerning the mismatch between preterite tense form and past time meaning that seems to require more research. We have argued that in general the preterite tense does not maintain its past time meaning if the mood is subjunctive. This fact is exploited as an argument in favour of the analysis because the specification of modals as Mood: [-indicative] seems to throw explanatory light on the notorious tense - time mismatch. However, the preterite forms would and could are capable of past time application as well as present / future time application. So the question that begs itself is: why do some of the preterite forms (especially would and could) retain past time meaning if they are non-indicative verbs? It may be the case that some modals are more non-indicative than others. This problem need not undermine the analysis of the English modals as nonindicative verbs, although we will not deal with this question in further detail here. As a parallel to subjunctive mood morphology in German the nonindicative verbs in English are obligatory in the apodosis of hypothetical conditionals. One may raise the question why this parallel is seen only in the apodosis, and not in the protasis of the conditional. We could add the observation that the selection of modal would (in its epistemic non-volitional sense) in subclauses is established in some varieties of American English. Trudgill & Hannah (1994: 60) provide the following example of would marking the modal meaning of a preterite perfective structure: 30 30+ I wish I had done it. (Standard usage, British and US) I wish I would have done it. (US only10) In our sentence 23E an added auxiliary will be possible in certain varieties of US English: 23E+ If he would phone now / today / *yesterday, I would (I’d) go there right away. It remains an open question why the verb structure in conditional subclauses (and other similar contexts) is not expanded with a modal in general usage when the meaning is counterfactual. This question can be regarded as part of a larger topic about the construction of the verb element in subclauses generally and is something that will not be undertaken here. Also, it is part of another question, namely the selection of non-indicative verbs in relation to style and dialect. The subjunctive remnant were is typically a selection in a rather formal style and is often avoided with was as the preferred form. This means that our generalization about hypothetical meaning and subjunctive mood has to be modified to take account of the fact that a subjunctive is not always a forced choice in spite of the counterfactual meaning. In addition, trends of development in the area of non-indicative verbs in English should also be on the agenda for research on this topic. As pointed out by Leech (2004: viii & 127-128), there are noticeable changes going on in the area of modal verbs. Also, according to Abraham (2001), corpus investigations reveal that deontic uses of the modals in Modern American English are dwindling rapidly. Thus the question begs itself how valid established descriptions of usage are in the area of modal verbs. The facts of present-day usage are certainly not clear cut, and more empirical research is no doubt needed. Optionality, level of style and dialect in addition to main clause vs. subclause occurrence are relevant variables which should be taken into account in research on mood and modality in present-day English. Another question that can be raised concerns the nature of the preterite tense. If we regard the preterite as a morpheme in the usual sense, i.e. a formal marker with a particular meaning ‘past time’, there is a problem of definition. Using the same form for past time application as well as non-past time application involves shifting the meaning from temporal and factual meaning to modal and non-factual meaning. We are faced with the question: how can one and the same morpheme be associated with these contradictory senses? One answer to 10 According to Peter Trudgill (personal communication) sentences like 30 are hardly non-standard US usage today, as witnessed by some 230,000 hits in Google. This suggests that the presence of would in 30 seems to be well established. this question will be that this duality indicates that we are not dealing with one morpheme but two. Inflected word forms are “semantically regular” (Haspelmath, 2002: 73), and the contribution of inflection is therefore typically predictable. That is, the typical thing for an inflectional marker is to be semantically and functionally stable on every occurrence, as for instance in the case of the noun inflectional marker for plural number, whose meaning is predictably ‘two or more’. “While inflectional categories always make a predictable semantic contribution to their base, derived lexemes are often semantically idiosyncratic, …” (Haspelmath, ibid.: 74) As the semantic contribution of the preterite is sometimes ‘past time reality’ and sometimes ‘non-past time unreality’, this seems incompatible with the idea that an inflectional marker is semantically regular and predictable. If this view is accepted and the criterion of semantic predictability is taken to be an essential one, we are led to an analysis of English where two verb inflectional morphemes are identical in form but distinct in meaning. Or rather, we should say 99.9% identical in form, as the only case where the distinction between the temporal preterite and the modal form manifests itself is in the subjunctive remnant were (as in our example 25). In other words, a two-morpheme analysis will involve an enormous amount of formal neutralization in English. In Norwegian a two-morpheme analysis will involve 100% formal neutralization, as there is no case where the modal non-past use of preterite forms is formally distinct from the temporal past time use. This is a problem of morphological analysis, which we will have to leave unsolved here. It seems, though, that an adequate analysis of this problem cannot simply focus on the morpheme ‘preterite’/’past time’, but has to deal with both tense and mood (and subjectverb agreement if relevant) as parameters of finiteness. For a fruitful contrastive comparison in this area the interaction of these parameters should be taken into account. References Abraham, Werner (2001): “Modals: toward explaining the ‘epistemic non-finiteness gap’”, in Müller, Reimar & Marga Reis (eds.): Modalität und Modalverben im Deutschen. Hamburg: Buske, 7-36. Berge, Sigbjørn L. (2005): “The grammatical nature of the English modal auxiliaries: a hypothesis”, in Theory and Practice in English Studies. Volume 3 / Proceedings from the Eighth Conference of English, American and Canadian Studies. Brno: Masaryk University, 35-41. Berge, Sigbjørn L. (2008): “The grammaticalization of modality in English vs. Norwegian: a morphological approach”, in Letnes, Ole, Eva Maagerø & Heinz Vater (eds.): Modalität und Grammatikalisierung / Modality and Grammaticalization. Fokus Band 34. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, 3-22. Declerck, Renaat (2006): The Grammar of the English Verb Phrase. Volume 1: The Grammar of the English Tense System. A Comprehensive Analysis. Berlin/New York: Mouton de Gruyter. Faarlund, Jan T., Svein Lie & Kjell I. Vannebo (1997): Norsk referansegrammatikk. Oslo: Universitetsforlaget. Fischer, Olga & Wim van der Wurff (2006): “Syntax”, in Hogg, Richard & David Denison (eds.): A History of the English Language. Cambridge: Cambridge University Press, 109-198. Fleischman, Suzanne (1989): “Temporal distance: a basic linguistic metaphor”, in Studies in Language, 13/1, 1-50. Haspelmath, Martin (2002): Understanding Morphology. London: Arnold. Huddleston, Rodney & Geoffrey K. Pullum (2002): The Cambridge Grammar of the English Language. Cambridge: Cambridge University Press. Leech, Geoffrey (2004): Meaning and the English Verb. 3rd Edition. Harlow: Pearson. Lyons, John (1977): Semantics. Volume 2. Cambridge: Cambridge University Press. Quirk, Randolph, Sidney Greenbaum, Geoffrey Leech, & Jan Svartvik (1985): A Comprehensive Grammar of the English Language. London: Longman. Thieroff, Rolf (1994a): “Inherent verb categories and categorizations in European Languages”, in Thieroff, Rolf & Joachim Ballweg (eds.): Tense Systems in European Languages. Tübingen: Niemeyer, 3-45. Thieroff, Rolf (1994b): “Das Tempussystem des Deutschen”, in Thieroff, Rolf & Joachim Ballweg (eds.): Tense Systems in European Languages. Tübingen: Niemeyer, 119134. Trudgill, Peter & Jean Hannah (1994): International English. A Guide to the Varieties of Standard English. 3rd Edition. London: Arnold. II. Modal- und Modalitätsverben Heinz Vater Möchten als Modalverb 1. Allgemeine Vorbemerkungen Diewald (1999) und Reis (2001) definieren Modalverben (im Folgenden: MV) durch semantische „Polyfunktionalität“, durch ihr Vorkommen in zirkumstanzieller und epistemischer Bedeutung .1 Die Frage „Bilden Modalverben im Deutschen eine syntaktische Klasse?“ beantwortet Reis (2001: 313) dahingehend, dass semantische und syntaktische Klasseneigenschaften der Modalverben systematisch korrelieren: Polyfunktionalität ist mit obligatorischer syntaktischer Kohärenz verbunden . Unter Kohärenz („Fügungsenge“) versteht Bech (1955-57) die Verschmelzung einer Verbform mit dem Hauptverbkomplex zu einem einheitlichen Komplex (vgl . (1-01)), während bei Inkohärenz deutliche Trennung zweier Verbkomplexe vorliegt .2 Verben, die 1 . Status (d .h . reinen Infinitiv) regieren, werden immer kohärent konstruiert (vgl. (1-01 a/b), während Verben, die 2. Status (Infinitiv + zu) regieren, kohärent und inkohärent vorkommen (vgl . (1-01 c) vs . (1-02)): (1-01) a) b) c) (1-02) … weil Paul dich abholen kommt … weil Paul dich abholen will / soll / muss / wird / kann / darf / möchte … weil Paul dich abzuholen beabsichtigt … weil Paul beabsichtigt, dich abzuholen Die beiden durch MV ausgedrückten Modalitätsarten werden traditionell „objektiv“ und „subjektiv“ genannt . In (1-03) kann muss objektiv (a) oder subjektiv (b) interpretiert werden . Später wurden diese in vieler Hinsicht nicht zutreffenden Termini durch die aus der Logik stammenden Bezeichnungen „deontisch“ und „epistemisch“ ersetzt . Da sich der Terminus „deontisch” als zu eng erwies, um alle nicht-epistemischen Lesarten abzudecken, wurde er bei Kratzer (1976, 1981) durch „zirkumstanziell“ ersetzt, was Reis (2001) übernimmt .3 1 2 3 Ähnlich definieren Thráinsson / Vikner (1995: 53) die Klasse der Modalverben: „Modal verbs are verbs that can have both an epistemic and a root modal sense …“ . Der Verbkomplex vereint alle verbalen Elemente innerhalb einer VP; vgl . gekommen ist bzw . gekommen sein soll . Raynaud (1975: 10) unterscheidet zwei Subsysteme, ohne sie zu benennen: „Dans le premier des deux systèmes, les Vm énoncent une disposition, une attitude, une condition du sujet S en face du procès exprimé par le groupe infinitival C Ix, dans le sens des modalités logiques attribuées à un seul terme, le sujet. … Dans le second système les Vm énoncent l‘incertitude, donc une opinion du sujet parlant …“ . Tarvainen (1976) unterscheidet „lexikalisch“ (= „zirkumstanziell“) und „grammatisch“ (= „epistemisch“); vgl. Jäntti (1982: 53) . Diewald (1999: 15) unterscheidet deiktische (= epistemische) und nicht-deiktische (= zirkumstanzielle) Modalität: „Deiktika bringen . . . zum Ausdruck, dass die denotierte Entität von der Origo aus denotiert ist . . ., sie enkodieren . . . die Perspektive, von der aus 100 (1-03) a) b) Heinz Vater Paul muss dort sein . „Es ist notwendig, dass Paul dort ist“ (P. ist dazu verpflichtet) „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Paul dort ist“ (da dort Licht brennt) Aufgrund der genannten Kriterien − semantische Polyfunktionalität und obligatorische syntaktische Kohärenz − rechnet Reis (2001) neben den sechs klassischen MV (wollen, sollen, müssen, können, dürfen, mögen) auch werden, brauchen und möchten zu den MV. Sie stimmt in dieser Klassifizierung überein mit Vater (1975; 2004) und Öhlschläger (1989) .4 Die Polyfunktionalität der MV besteht nach Diewald (1999) und Reis (2001) darin, dass sie sowohl zirkumstanzielle als auch epistemische Modalität auszudrücken vermögen. Jede dieser beiden Haupt-Modalitätsarten verzweigt sich in Unterarten (vgl . Hetland 2005): Die zirkumstanzielle Verwendung gliedert sich in die dispositionelle und die deontische Verwendung, wobei letztere (die in der Logik lange Zeit als einzige Modalitätsart behandelt wurde) die logischen Operatoren Notwendigkeit und Möglichkeit realisiert .5 Epistemische Verwendung im engeren Sinne betrifft Wahrscheinlichkeitsgrade im Hinblick auf die Proposition der vom MV regierten Infinitivkonstruktionen (im Folgenden: IK) . Die meisten nicht-verbalen Modalitätsausdrücke – Adjektive, Adverbien, Partikeln – scheinen auf eine modale Bedeutung beschränkt zu sein . So kommen z .B . wahrscheinlich, vielleicht und möglicherweise nur epistemisch vor, notwendig und zulässig nur deontisch .6 Nach Vater (1975; 1997) bilden die Modalverben müssen, werden und können ein Untersystem, in dem müssen starke, werden mittlere und können schwache Wahrscheinlichkeit bezeichnet . Dazu kommen mögen, brauchen und (nur im Konj . II) dürfen zur Bezeichnung schwacher Wahrscheinlichkeit: (1-04) a b c 4 5 6 Das mag stimmen . Das braucht nicht (zu) stimmen . Das dürfte stimmen . die sprachliche Äußerung produziert wurde“. Zur Definition von „Modalität“ vgl. Kiefer (1994) . Zu werden vgl. auch Doherty (1985), Janssen (1989) und Leiss (1992), zu brauchen Folsom (1968), Raynaud (1975) und Lenz (1996) . Dabei drückt müssen Notwendigkeit und können Möglichkeit aus . Eine Negation des MV kehrt die Verhältnisse um: A muss nicht B tun bedeutet (oder impliziert zum mindesten), dass es für A möglich ist, B zu tun; A kann nicht B tun bedeutet (oder impliziert), dass es für A notwendig ist, B nicht zu tun . Auch norw . kanskje (‘vielleicht’), engl . maybe, frz . peut-être kommen nur epistemisch vor, nicht zirkumstanziell; engl . necessary ist stets zirkumstanziell, ähnlich wie (gleichbedeutendes) frz . nécessaire, poln . trzeba, russ . нужно und auch russ . нельзя „man darf/kann/soll nicht“; frz . obligatoire werden offenbar nur deontisch verwendet, wie auch dt . obligatorisch . Möchten als Modalverb 101 Zum epistemischen Gebrauch im weiteren Sinne zählt die evidenzielle Verwendung (vgl . Ehrich 2001), die im Deutschen vor allem durch sollen und wollen realisiert wird .7 (1-05) a b Fritz soll reich (gewesen) sein . Fritz will reich (gewesen) sein . Während in (1-05 a) der Sprecher mit soll auf eine (ungenannte) Quelle als Gewähr für die Richtigkeit (oder Wahrscheinlichkeit) der Proposition in der regierten IK verweist, ist in (1-05 b) das Satzsubjekt selbst die Quelle für den Wahrheitsgehalt dieser Proposition (vgl . Letnes 1997; 2008, Diewald 1999: 18 und Vater 2001 zu diesem „quotativen“ Gebrauch von sollen/wollen) . Hetland / Vater (2008) schlagen folgende Subklassifizierung der deutschen MV vor: Abb. 1 Deutsche Modalverben (nach Hetland / Vater 2008: 94) zirkumstanzielle Verwendung dispositionell8 müssen können dürfen wollen sollen werden mögen möchten brauchen 7 8 9 deontisch9 müssen können dürfen sollen werden mögen möchten brauchen epistemische Verwendung epistem . im engeren S . müssen werden können mögen dürfen möchten brauchen evidenziell wollen sollen möchten brauchen Zur Frage, ob evidenzielle Modalität als Variante der epistemischen Modalität (i .w .S .) und Quotativität als Variante der Evidenzialität anzusehen sind, vgl . Diewald / Smirnova (2008) . Vgl .: Alle Menschen müssen sterben; Paul kann schwimmen; das darf doch nicht wahr sein!; Paul will Schauspieler werden; er sollte später erfahren, dass er Recht hatte; ich werde es mir überlegen; Paul mag nicht still sitzen; das Obst braucht nicht gewaschen (zu) werden . Vgl .: Paul muss morgen arbeiten (= ist beauftragt zu arbeiten); Paul kann (= darf) das Buch behalten; Paul darf das Buch behalten; Sie sollen zum Chef kommen; Du wirst tun, was ich Dir sage!; Paul mag tun und lassen, was er will; Sie brauchen morgen nicht (zu) kommen . 102 Heinz Vater Die Kennzeichnung der Evidenzialität spielt in einigen Sprachen eine größere Rolle als im Deutschen .10 So muss man in der in Peru gesprochenen Sprache Jaqaru laut Dittwald u . a . (20072: 10) bei jedem Satz die Quelle der Information für eine Aussage angeben: „Das Jaqaru (Jaqi-Sprachfamilie ...) unterscheidet beispielsweise zwischen einer Sinneswahrnehmung (Endung -wa/-w), Hörensagen (-mna), [Schlussfolgerung (-jili)] und bloßer Vermutung (-psa) . . . . : Yamkutu-wa ‘Ich habe Hunger’ (eigene Wahrnehmung) Yamki-mna ‘Sie hat Hunger’ (hat sie gesagt) Yamki-psa ‘Sie hat Hunger’ (Vermutung)“ 2. Möchten als selbständiges Modalverb? 2 .1 Zur Morphologie und Syntax von möchten In den gängigen Wörterbüchern − ich habe Grimm (Bd. VI, 1895), Paul (19666), Klappenbach / Steinitz (4 . Bd . 1975), Duden (200624), das Duden-Universalwörterbuch (20014) und Duden, GWDS (19942), konsultiert − sucht man ein Lemma möchten vergebens .11 In diesen Wörterbüchern sind möchte-Formen überall unter mögen verzeichnet, wobei die Anwendungen, wo man m . E . möchten als selbständiges MV werten muss, nicht von den möchte-Formen geschieden sind, die als Konj . II von mögen anzusehen sind .12 Ehlich / Rehbein (1972: 318) behandeln dies Modalverb zunächst als mögen II, fügen aber eine schüchterne Fußnote hinzu: „Man könnte fast versuchen, als Infinitiv ‘möchten’ zu verwenden. Dieser Infinitiv ist selbstverständlich alles andere als eingeführt . Dadurch könnte man dem Umstand entsprechen, daß ‘mögen’ zur Zeit eine gewisse Wandlung in seiner Verwendung erfährt .“ Die erwähnte Wandlung in der Verwendung betrifft − das zeigt der Kontext − nicht so sehr mögen insgesamt, sondern die möchte-Formen, also die Formen, die dem neuen Verb möchten zuzuordnen sind . Brünner / Redder (1983: 16) verwenden 10 Vgl . dazu Diewald / Smirnova (2008) und Leiss (2008) . 11 Im Duden, GWDS (19942: 5, 2286) werden mochte, möchte mit Verweis auf mögen aufgeführt . 12 Die Konjunktiv-Formen sind eindeutig als solche in Konditionalgefügen ausgewiesen; auch in Wunschsätzen wie Möchte er doch sein Unrecht einsehen! (WDG 1975: 2541) lassen sie sich wohl als Konjunktiv auffassen; in ihnen ist möchte oft durch würde austauschbar . Auch in man möchte fast meinen, . . . (wo Austausch durch könnte, nicht aber durch wollte möglich ist) liegt wohl Konj . vor . Andererseits sind Verwendungen wie in Ich möchte Auto fahren können und Ich möchte nach Hause (ebd .), wo möchte durch will, aber nicht durch mag ersetzt werden kann, sicher dem MV möchten zuzuordnen . Möchten als Modalverb 103 schon ungeniert möchten und Öhlschläger (1989: 3, Fn.2) verweist 17 Jahre nach dem zaghaften Versuch von Ehlich / Rehbein (1972) bereits auf neun linguistische Monographien, in denen der Infinitiv möchten verwendet wird; in dreizehn weiteren Studien wird möchte als eigenes MV (ohne Ansetzung eines Infinitivs) behandelt . Die Beispiele für möchten bei Reis (2001: 302ff) zeigen im Übrigen klar, dass möchten sich morphosyntaktisch und semantisch wie wollen verhält, nicht wie mögen (vgl. auch Wurmbrand 1999). Umgangssprachlich gibt es den Infinitiv möchten offenbar schon lange . Hier ein Hörbeleg: (2-01) Von möchten kann nicht die Rede sein . Müssen! (Verkäuferin von Rewe, Stommeln, 28 .4 .08, 1130) Dass dieser Infinitiv nicht so neu ist, zeigt folgender Beleg von Anzengruber: (2-02) „Daß der Muckerl keine andere will wie dich und, selbst, wenn er eine möchten tat, mich schon af d‘allerletzt, das weißt . . .“ . (Anzengruber, Sternsteinhof, in DLLK, 2000: 20238) Mittlerweile scheint der Infinitiv möchten auch in der Standardsprache und in deren Beschreibungen (vgl. Öhlschläger 1989: 3, Fn. 2) schon geläufig zu sein; es gibt sogar englischsprachige Belege wie den folgenden im Internet unter „Quia“ zu findenden, wo ausdrücklich möchten als selbständiges Verb angenommen wird: „Quia-Kapitel 5B: Conjugating the verb möchten: The verb möchten is a modal auxiliary verb . It shows no action and thus requires a 2nd verb to be in the sentence .“ (www .quia .com/cnstom/32326main .html) Möchten bildet keine Vergangenheitstempora (Präteritum, Perfekt und Plusquamperfekt) . Es ist darin werden parallel, das ebenfalls keine Vergangenheitstempora bildet, weshalb ihm von einigen Linguisten der Zutritt zur Klasse der Modalverben verwehrt wurde, obwohl es sich sonst syntaktisch und semantisch wie ein Modalverb verhält . Dass Modalverben oft defektiv sind, zeigt z .B . poln . powinien/ powinna ‘soll(te)’, das zwar in der Tempusbildung defizitär ist, aber Abwandlung in der Person zulässt und dadurch eindeutig als Verb identifizierbar ist (vgl. nie powinieneś ‘du solltest nicht’) .13 13 Es gibt allerdings Grenzfälle, so frz . il me faut aller ‘ich muss gehen’, poln . Tu trzeba postępować ostrożnie ‘Hier muss man vorsichtig sein’, Pawłowi wolno wstawać ‘Paul darf aufstehen’ (wörtl . ‘Dem Paul erlaubt aufstehen’), russ . Здесь нельзя курить ‘Hier darf man nicht rauchen’, wo es zweifelhaft ist, ob faut, trzeba, wolno und нельзя echte (unpersönliche) Verbformen oder eher Adjektive sind, da sie nicht in der Person abwandelbar sind, die slavischen Formen auch nicht im Tempus (zu frz . faut lässt sich das Prät . fallait und das Perfekt a fallu bilden) . Heinz Vater 104 2 .2 Zur Semantik von möchten Zwischen möchte-Formen, die noch als Konjunktiv II von mögen aufzufassen sind, und möchte-Formen, die eindeutig als Formen eines selbständigen MV möchten deutbar sind, gibt es Übergangsfälle, auch noch in der neueren Literatur: (2-03) Unser alter Erdball beginnt zu rumoren, als möchte er uns abschütteln, als seien wir Menschen ihm lästig geworden . (Grass, Weites Feld 668) Hier lässt sich möchte sowohl als Konjunktiv von mögen auffassen (schon weil es in einem als-Satz steht − es ließe sich durch den Konjunktiv wollte ersetzen − als auch als selbständiges Verb möchte (synonym mit will) .14 Besonders gebräuchlich ist möchten offenbar in dispositioneller − genauer: voluntativer − Bedeutung, wo es dem etablierten MV wollen besonders nahe steht (vgl . (2-03)) und es oft ersetzt, besonders in der ersten Person, weil ich möchte als höflicher gilt als ich will (vgl . (2-04)):15 (2-04) Paul möchte Schauspieler werden . (2-05) a Ich will jetzt gehen . b Ich möchte jetzt gehen . In dieser voluntativen Verwendung kommt möchten offenbar schon seit längerer Zeit vor, wie folgende Belege aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zeigen: (2-06) Es gibt wohl in allen Menschen solche Augenblicke, wo sie sich weit über alles Erlebte . . . hinaussetzen möchten . . . (Arnim, Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores, DLLK 4093) . (2-07) „Jetzt aber bin ich meine Aberration inne geworden und male die Leute, wie sie gern sein möchten . . .“ (Arnim, Die Kronenwächter, 1 . Bd ., DLLK 5311) (2-08) „Jetzt rücken sie mir die vermauerte Gasse vor und möchten den Brunnen einreißen . . .“ . (Arnim, Die Kronenwächter, 1 . Bd ., DLLK 5631) 14 Als − synonym mit als ob/als wenn − bezieht sich auf irreale Situationen und steht daher standardsprachlich mit dem Konjunktiv II: Es war, als hätt‘ der Himmel die Erde still geküsst (Joseph Frh. von Eichendorff, Mondnacht, in: Conrady 19922: 261) . Umgangssprachlich steht es allerdings auch mit Indikativ; vgl . den Berliner Ausdruck als wennste schwebst . 15 Das Duden-Universalwörterbuch (20014: 1093) vermerkt: „d . (Konj . Prät . meist in der Bed . eines Indik . Präs .) den Wunsch haben: ich möchte (gern) kommen; ich möchte wissen (wüsste gern), was er jetzt tut; . . . das möchte (will) ich überhört haben”; ebenso in „e) wollen, geneigt sein . . . (bes . verneint): ich mag nicht [gern] weggehen; . . . ich mag keinen Fisch essen .” Diewald (1999) spricht bei wollen von volitiver (statt voluntativer) Bedeutung . Möchten als Modalverb (2-09) (2-10) (2-11) (2-12) (2-13) 105 „Legen Sie die Hände der jungen Leute ineinander, die nur zu gern sich in die Arme fallen möchten .“ (Ebner-Eschenbach, Božena S . 303, DLLK 21432) „Ach ja, ach ja − und Sie möchten Ihre Schwester sehen?“ setzte sie überstürzt hinzu . (Ebner-Eschenbach, Gemeindekind, DLLK 21702) Ja, wir möchten sie [die Lyrik; HV] in diesem Betracht vorzugsweise eine deutsche Kunst nennen; wegen der größeren Innigkeit . . . (Eichendorff, Geschichte der poet. Lit. Deutschlands, DLLK 24438) Die Menschen möchten immer gesichert sein! (Altenberg 1896 (19149): Wie ich es sehe, DLLK 379) Die Männer sind blöde --- sie möchten in einer Stunde erreichen, wozu 1000 Stunden nöthig wären! (Altenberg 1901,192413, Was der Tag mir zuträgt, DLLK 821) Daneben kommt es aber heutzutage auch schon oft deontisch vor, wo es oft sollen ersetzt, bei dem das Vorliegen einer (externen) Notwendigkeit stark betont wird, was durch möchten abgemildert wird: (2-14) a Sie möchten zum Chef kommen! b Sie sollen zum Chef kommen! Interessanterweise ist beim parallelen wollen nicht das gleiche Verb in der Umsetzung an den Beauftragten möglich, sondern nur sollen: (2-15) a b (2-16) a b Der Chef möchte, dass Sie zu ihm kommen! Sie möchten zum Chef kommen! Der Chef will, dass Sie zu ihm kommen! Sie sollen zum Chef kommen! (= 2-14 b) (2-15 a) und (2-16 a) zeigen, dass möchten syntaktisch auch darin mit wollen übereinstimmt, dass es einen dass-Satz statt einer Infinitivkonstruktion regieren kann .16 Durch die Austauschbarkeit mit sollen beweist möchten, dass es sich nicht nur von mögen (von dessen Konjunktivform es abgeleitet ist) emanzipiert hat, sondern auch von wollen, an das es sich sonst semantisch anlehnt: Es lässt zu, dass ihm Auftraggeber wie auch Beauftragter zugeordnet werden können, was bei wollen unmöglich ist, wo stattdessen das („brüderliche“) sollen einspringt (vgl . Vater 2001) . 16 Vgl . auch folgenden Beleg: „ . . .sie möchten, dass irgendetwas komme und sie stark forttrage und vergessen mache auf sich selbst .“ (H . v . Hofmannsthal, Die Menschen in Ibsens Dramen 4, DLLK 93638) . 106 Heinz Vater Auch die deontische Verwendung ist offenbar schon seit einiger Zeit geläufig:17 (2-17) . . . da sagte der bärtige Hausknecht . . ., wenn sie mit der Stube nicht zufrieden, möchten sie wo anders einkehren . (Arnim, Die Kronenwächter, 2 . Bd., DLLK 5855) Deontisch zu werten ist auch das folgende Beispiel aus dem WDG, wo allerdings sollen wegen der Verbindung mit bitte nicht so gut einsetzbar ist (wenn auch Sie sollen bitte morgen wiederkommen nicht auszuschließen ist) . (2-18) Sie möchten bitte morgen wiederkommen . (WDG 1975, Bd . 4: 2541) Noch anders liegt der Fall bei (2-19): (2-19) Sie wollte selbst kommen, aber sie fühlt sich heute ein wenig unwohl . Sie möchten Sie entschuldigen und mich statt ihrer anhören . (Kafka, Der Prozeß, DLLK 105737) Während in (2-17) soll(t)en die angemessenste modale Alternative wäre, lässt sich möchten in (2-19) am besten durch den Imperativ ersetzen, dem aber bitte hinzuzusetzen ist, da möchten hier (ähnlich wie in der voluntativen Variante) eine ausgesprochen höfliche Konnotation hat: (2-19’) . . . sie fühlt sich heute ein wenig unwohl . Entschuldigen Sie sie bitte und hören Sie mich statt ihrer an . Noch anders ist die − ebenfalls deontische − Modalkonstruktion in (2-20) zu werten, wo die indirekte Aufforderung (durch die möchten-Form in der 3 . Person) allenfalls durch eine umständliche Passivkonstruktion („der Herr Kommerzienrat wird gebeten, . . .“) ersetzbar ist: (2-20) Simba: Der Herr Kommerzienrat möchten noch an Spruch auf den Herrn Baron ausbringen . (Wedekind, Der Marquis von Keith, DLLK 168886) 17 Vgl . auch zwei Fontane-Belege: „Um ein Uhr trat der neue Mieter bei Möhrings ein und sagte, daß er nun zu Tisch wolle; . . . er werde vor sieben nicht wieder da sein . Und wenn wer käme, möchten sie sagen, ‘um acht’“ . (Fontane, Mathilde Möhring 29, DLLK 30926); „Einmal erschienen wir, um gleich in den ersten fünf Minuten mit der Mitteilung überrascht zu werden, daß in der Nacht vorher bei ihnen eingebrochen und beinahe sämtliches Silberzeug weggeräubert sei . Wir möchten also entschuldigen .“ (Fontane, Von Zwanzig bis Dreißig, DLLK 35972) Möchten als Modalverb 107 Möchten wird in regionalen Versionen des Deutschen − mir besonders aus dem sächsischen Bereich vertraut − häufig epistemisch gebraucht, so in das möchte schon sein: (2-21) (A: Kommt Paul morgen? − B:) Das möchte schon sein. Das möchte schon sein bezeichnet einen schwachen Wahrscheinlichkeitsgrad und entspricht ungefähr „das könnte schon sein; vielleicht“ (Duden-Universalwörterbuch 20014: 1093) . Ich habe auch einen eher standardsprachlichen Beleg, jedenfalls aus einer Predigt, gefunden (bei Google): (2-22) Verschließen wir uns als Gemeinde nicht selbstmächtig und frühzeitig − es möchte sein, dass der Geist Gottes großzügiger ist als unser Herz . (Pfr. J. Denker, ev.-ref. Kirchengemeinde Wuppertal-Ronsdorf, 12.6.2000) In der Standardsprache ist dieser Gebrauch selten. Andererseits finden sich standardsprachliche Beispiele für evidenzielle Verwendung, wie im folgenden Beleg aus dem Kölner Stadtanzeiger, in dem es um die junge Wienerin Natascha Kampusch geht, die von ihrem Entführer acht Jahre gefangen gehalten wurde: (2-23) Niemand aus der Nachbarschaft will etwas bemerkt haben, keiner möchte auch nur Verdacht geschöpft haben . (KStA, „Das Umfeld . . .“, 30 .8 .06, S . 14) Die Nähe zu will bemerkt haben unterstreicht, dass es sich hier um quotativ-evidenzielle Verwendung handelt . In beiden Fällen ist das Satzsubjekt (niemand / keiner) Quelle des Quotats . Offenbar wollte der Schreiber variieren und gebraucht so einmal will, einmal möchte in gleicher quotativer Verwendung . Die Verbindbarkeit von möchten mit Infinitiv Perfekt ist offenbar typisch für den quotativen Gebrauch. Die nach Diewald (1999) und Reis (2001) für MV charakteristische Polyfunktionalität gilt offenbar nicht für alle Formen der Modalverben im gleichen Maße . Möchten, das standardsprachlich kaum epistemisch verwendet wird, steht damit keineswegs allein: Das „klassische“ MV dürfen wird in indikativischem Gebrauch nie epistemisch verwendet: Paul darf zu Hause sein kann – anders als Paul kann / muss zu Hause sein – nur zirkumstanziell, nicht epistemisch interpretiert werden . Der Konjunktiv II (vgl . Paul dürfte zu Hause sein) kann dagegen sowohl zirkumstanziell als auch epistemisch verstanden werden . Andererseits wird werden als MV typischerweise epistemisch gebraucht . Mögliche zirkumstanzielle Verwendungen wie Du wirst tun, was ich gesagt habe, das ich in Vater (1975) als Anordnung (schärfer als bei sollen) gewertet hatte, erscheinen mir heute eher als Erinnerung an eine Anordnung und damit nicht mehr als rein modale Verwendungen .18 18 Die Frage ist, ob die futurische Verwendung von werden (die auch bei wollen und sollen vorkommt; vgl . Vater 2004) evtl . modal-zirkumstanziell zu werten ist . In Fällen wie Ich 108 Heinz Vater Als drittes Modalverb mit eingeschränkter Polyfunktionalität ist brauchen zu nennen, das in Verbindung mit Negation zwar ohne weiteres deontisch und epistemisch verwendet wird (vgl . Er muss zu Hause sein − Er braucht nicht zu Hause (zu) sein), das aber ohne Negation nicht epistemisch verwendbar ist: Das braucht nicht (zu) stimmen − *Das braucht (zu) stimmen . 3. Fazit Möchten kommt in allen modalen Verwendungen vor, ist also echt polyfunktional . Es ist offenbar uneingeschränkt zirkumstanziell möglich, vorwiegend (dispositionell) voluntativ, aber auch deontisch . Epistemisch wird es vorwiegend evidenziell (bzw . quotativ) verwendet; epistemischer Gebrauch im engeren Sinne ist auf die Umgangssprache beschränkt (vgl . (2-21)), kommt jedoch gelegentlich auch standardsprachlich vor wie in (2-22) .19 Es ließ sich jedoch zeigen, dass dies keine Besonderheit von möchten ist, sondern dass ähnliche Restriktionen zum Mindesten auch für dürfen und brauchen in ähnlicher Weise gelten . Morphologisch ist möchten zwar defektiv, da es kein Präteritum bildet, doch gilt das auch für werden, das mittlerweile von vielen Linguisten als Modalverb anerkannt wird . Zudem sind auch die anderen Modalverben in vielerlei Hinsicht defektiv und verhalten sich auch nicht in allen morphosyntaktischen Eigenschaften gleich (vgl . Hetland / Vater 2008); so bildet nur wollen einen Imperativ und nur wollen und möchten und in beschränkterem Maße mögen können einen dassSatz regieren . Hinzuweisen ist auch auf defektive Modalverben in den slavischen Sprachen, so z .B . poln . powinien/powinna (vgl . 2 .1) . Ansonsten erfüllt möchten das von Reis (2001) genannte syntaktische Kriterium: starke Kohärenz mit der regierten Infinitivkonstruktion. Man sollte also keine Bedenken haben, möchten, das sich recht weit von mögen entfernt hat, auf Grund seiner vielfachen modalen Verwendungen als selbständiges Modalverb zu werten . Literatur Bech, Gunnar (1949): „Das semantische System der deutschen Modalverba“, in: Travaux du Cercle Linguistique de Copenhague 4, 3-46 . Bech, Gunnar (1951): Grundzüge der semantischen Entwicklungsgeschichte der hochdeutschen Modalverben. 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Trotz alledem handelt es sich um zwei verschiedene semantisch-funktionale Bereiche, was in diesem Beitrag am Beispiel des Deutschen demonstriert wird . Unser Interesse gilt in erster Linie den vier deutschen Verbalperiphrasen werden & Infinitiv, scheinen, versprechen und drohen & zu & Infinitiv, die im heutigen Deutsch dem Ausdruck evidentieller Inhalte dienen . (1) Wenn also Franz Beckenbauer und andere der Stiftung Warentest vorhalten, sie wolle sich über die Weltmeisterschaft profilieren, werden sie ziemlich schnell feststellen, dass… (DWDS, ZEIT)2 (2) Die Ermittlungen des schwedischen Konsuls in Antwerpen scheinen sich wesentlich auf ein Verhör der Besatzung beschränkt zu haben. (DWDS, Kernkorpus) (3) Sie bestehe aus Mitarbeitern JELZINs, einer mächtigen Korporation unberechenbarer Leute aus seiner Umgebung, die das Land in die Katastrophe zu führen drohten. (DWDS, Gesprochene Sprache) (4) Auf demselben Höhenzuge, den Morningside Heights, zu dem die von Süden her kommenden Straßen New Yorks ansteigen und auf dem, weit hinausschauend die ColumbiaUniversität steht, ist, weiter westlich, seit etwa zehn Jahren, eine Kirche im Bau begriffen, die einer der größten neuzeitlichen Tempel zu werden verspricht. (DWDS, Kernkorpus) 1 2 Hintergrund unseres Beitrags ist das Forschungsprojekt „Evidentialitätsmarker im Deutschen“, das sich mit der Entwicklung evidentieller Markierungen in der deutschen Sprache beschäftigt . Wir danken der Fritz-Thyssen-Stiftung für die Förderung des Projekts . Die Beispiele sind aus dem DWDS-Korpus (www .dwds .de), einem umfangreichen digitalen Korpus für deutsche Gegenwartssprache, entnommen . Da jedes Beispiel leicht zurückverfolgt werden kann, begrenzen wir uns hier auf die Kennzeichnung des jeweiligen Teilkorpus, aus dem unsere Beispielsätze stammen (ZEIT, Kernkorpus, Gesprochene Sprache) . 114 Gabriele Diewald und Elena Smirnova Diese Periphrasen werden im Folgenden den modalen Ausdrücken des Deutschen gegenübergestellt, nämlich den Infinitivkonstruktionen mit den (grammatikalisierten Varianten der) Modalverben dürfte, können, mag, müssen, sollen und wollen sowie den verbalen Modi Indikativ, Konjunktiv I und Konjunktiv II . Unsere zentrale These ist, dass sich evidentielle Distinktionen – wie sie durch die vier oben genannten verbalen Periphrasen ausgedrückt werden – im Verlauf der Geschichte des Deutschen zu einem Paradigma grammatikalisiert haben . Dieses Paradigma stellt ein eigenständiges System der evidentiellen Markierungen dar, das von dem Paradigma der modalen Distinktionen weitgehend unabhängig ist . Im Folgenden werden wir uns mit der Frage beschäftigen, ob und wie Evidentialität und epistemische Modalität im Allgemeinen und speziell im Deutschen voneinander abzugrenzen sind . Unsere zentralen Fragen sind also: (i) Wie lassen sich evidentielle und epistemisch modale Distinktionen im Deutschen abgrenzen? (ii) Wie lassen sich Überschneidungsbereiche – deren Existenz einen Beitrag wie diesen überhaupt erst nötig macht – eingrenzen und erklären? Der Beitrag ist folgendermaßen gegliedert: Im ersten Abschnitt werden einige Definitionen von Evidentialität und epistemischer Modalität gegeben und eine erste definitorische Abgrenzung dieser Kategorien voneinander vorgeschlagen. Abschnitt 2 stellt das Modell zur kategorialen Einordnung deutscher evidentieller Periphrasen von Diewald (2004) vor, in dem die evidentiellen Periphrasen als eine Subklasse ins System der modalen Distinktionen des Deutschen integriert sind . Im Laufe der weiteren Forschungen zeigte sich, dass dieses Modell einiger Korrekturen und Präzisierungen bedarf . Diese werden in Abschnitt 3 erläutert, so dass im abschließenden Teil des Beitrags eine revidierte Version des Modells präsentiert werden kann, die für eine strikte Unterscheidung zwischen zwei unabhängigen Systemen – einem modalen und einem evidentiellen – plädiert . 1. Evidentialität und epistemische Modalität: erste definitorische Abgrenzung Da in der deutschen Grammatikschreibung Evidentialität – anders als epistemische Modalität – bisher keine geläufige Kategorie ist, werden im Folgenden einige Definitionen dieser Kategorie vorgestellt und diskutiert. Sie beruhen im Wesentlichen auf den inzwischen zahlreichen typologischen Arbeiten auf diesem Gebiet (z .B . Bybee 1985, Anderson 1986, Willett 1988, van der Auwera/ Plungian 1998, de Haan 1999, 2005, und insbesondere Aikhenvald 2003, 2004) . Als distinktiver semantischer Kern der Evidentialitätsmarker gilt die Benennung der Quelle, aus der die Information stammt, die in der Proposition dargestellt ist . Dies kommt in folgenden Definitionen zum Ausdruck: Abgrenzung von Modalität und Evidentialität… 115 „Evidentials may be generally defined as markers that indicate something about the source of the information in the proposition .“ (Bybee 1985: 184) „Evidentials express the kinds of evidence a person has for making factual claims .“ (Anderson 1986: 273) „[Evidentialitätsmarker drücken aus], how the speaker obtained the information on which s/he bases an assertion .“ (Willet 1988: 55) „Evidentiality proper is understood as stating the existence of a source of evidence for some information; this includes stating that there is some evidence, and also specifying what type of evidence there is .“ (Aikhenvald 2003: 1) Die Kennzeichnung der Informationsquelle muss – wie Anderson (1986: 274) zu Recht betont – Bestandteil der Bedeutung der fraglichen linguistischen Einheit, also des potentiellen Evidentialitätsmarkers, sein . Diesbezügliche konversationelle Implikaturen, die in bestimmten Verwendungen möglich sind, reichen nicht aus, um ein Element der Klasse der evidentiellen Ausdrücke zuzuordnen . Evidentialitätsmarker bezeichnen nicht nur die Tatsache, dass der Sprecherin/ dem Sprecher Evidenzen vorliegen, sondern auch oft die Art der Evidenz, auf die die Sprecherin/ der Sprecher zurückgreift . Dabei ist vor allem die Unterscheidung zwischen direkter Evidenz einerseits, also Evidenz durch aktuelle Wahrnehmung, und indirekter Evidenz andererseits, also Evidenz durch Schlussfolgerungen usw ., von Bedeutung (vgl . z .B . Anderson 1986: 274, Willett 1988: 57, Bybee / Perkins / Pagliuca 1994: 323) . Eine mögliche universelle Differenzierung evidentieller Bedeutungen schlägt Plungian (2001) vor (vgl . Abb . 1): Indirect evidence Direct evidence Reflected evidence (= inferentials and presumptives) Mediated evidence (= Quotatives) Personal evidence Abb .1: Universelle Differenzierung evidentieller Werte (Plungian 2001: 53) Bei der epistemischen Modalität andererseits, also der Faktizitätsbewertung eines Sachverhalts, ist der funktionale und semantische Kern der verbalen Moduskategorie und der epistemisch gebrauchten Modalverben (die sich in die Moduskategorie „hinein grammatikalisiert“ haben) angesprochen . Epistemische Modalität oder Faktizität betrifft die Frage des “Tatsache-Seins” der Proposition . Dabei geht es nicht um “objektive Wahrheitswerte”, sondern um die sprecherbasierte Einschätzung des dargestellten Sachverhalts bezüglich seines 116 Gabriele Diewald und Elena Smirnova Grades an Realität, Aktualität, Wirklichkeit . Die Zuweisung eines Faktizitätswertes basiert also immer auf einer je aktuellen „subjektiven“ Bewertung der Sprecherin/ des Sprechers; sie ist deiktisch . Faktizitätsmarker, oder Ausdrücke der epistemischen Modalität, enkodieren also – so Bybee/ Perkins/ Pagliuca (1994: 320) – „the degree of commitment of the speaker to the truth or future truth of the proposition“ .3 Der unmarkierte Wert der Faktizitätsdimension ist die Bewertung der Proposition als faktisch im definierten Sinn. Dieser Wert wird durch den morphologisch merkmallosen Indikativ ausgedrückt, den „Modus der Faktizität und der direkten Behauptung“ (Lyons 1983[1977]: 414) . Alle anderen Mitglieder der Moduskategorie bringen markierte Faktizitätswerte zum Ausdruck. Das betrifft die flexivischen Modusmarker, d .h . den Konjunktiv I und den Konjunktiv II, ebenso wie die modalen Auxiliarkonstruktionen, also die würde-Konstruktion und die Modalverbkonstruktionen, soweit sie sich bereits als (mehr oder weniger stark) grammatikalisierte Formen dem Modus-Paradigma angeschlossen haben . Die spezifischen Faktizitätswerte der Modi und Modalverben des Deutschen stehen hier nicht im Zentrum des Interesses und werden daher erst später und nur als Kontrastfolie zu evidentiellen Werten kurz erwähnt (s . hierzu Diewald 1999: 167 ff .) . Im Folgenden geht es ausschließlich um diejenigen semantischen Differenzierungen, die von den Modal- und Modalitätsverben zum Ausdruck gebracht werden . Das oben Dargestellte kann nun abschließend kurz zusammengefasst werden, wobei in (i) die Gemeinsamkeiten der beiden Domänen formuliert sind, während in (ii) und (iii) jeweils die Besonderheiten von Evidentialität und epistemischer Modalität herausgestellt sind . Das unten stehende Diagramm (Abb . 2) dient der Illustration . (i) Epistemische Modalität und Evidentialität sind semantisch-kognitive Domänen, die mit der sprecherbasierten Bewertung eines sprachlich dargestellten Sachverhalts bezüglich seines ontologischen Status zu tun haben . (ii) Epistemische Modalität betrifft die sprachliche Enkodierung eines deiktischen Faktizitätsgrades, d .h . eines bestimmten Gewissheitsgrades der Sprecherin/ des Sprechers bezüglich des dargestellten Sachverhalts . (iii) Evidentialität betrifft die sprachliche Enkodierung der Informationsquelle, d .h . einer bestimmten Quellenlage der Sprecherin/ des Sprechers bezüglich des dargestellten Sachverhalts . Es sei noch darauf hingewiesen, dass beide Kategorien hier als deiktische Kategorien verstanden werden . Für die epistemische Modalität gilt das mittlerweile als erwiesen (vgl . v .a . Diewald 1999) . Für die Evidentialität hat sich diese Auffassung ebenfalls in jüngster Zeit durchgesetzt . 3 Es geht hier nur um den „subjektiven“, d .h . deiktischen, Bereich der „epistemischen“ Modalität . Dass wir hier dennoch diesen missverständlichen Terminus verwenden, ist der Tatsche geschuldet, dass sich im einschlägigen wissenschaftlichen Diskurs genauere Begriffe, wie z .B . „deiktische“ Modalität, bislang nicht durchgesetzt haben . Abgrenzung von Modalität und Evidentialität… Gemeinsames Merkmal Distinktive Merkmale Kategorie 117 sprecherbasierte Bewertung des Sachverhalts bezüglich seines ontologischen Status + 0 Faktizitätsgrad Faktizitätsgrad 0 Informationsquelle + Informationsquelle ↓ epistemische Modalität ↓ Evidentialität Abb . 2: Epistemische Modalität und Evidentialität: Gemeinsamkeiten und Unterschiede „These various concerns [...] bring to mind the Jacobsonian notion of “shifters”. […] Since shifters typically involve deixis, evidentiality in part at least may well be thought of therefore as connected to matters of deixis, in that in systems that overtly mark evidentiality, utterances typically include indicators pointing directly to particular sources or away from potential sources, as the speaker takes a particular point of view in describing an action .“ (Joseph 2003: 308) „We are now ready to consider evidentials as a deictic phenomenon . […] The only way in which Wintu verbs locate events with respect to speakers similar to English tense deixis is with the evidential suffixes. […] English uses tense deixis to place a statement with respect to the time its truth depends on; Wintu employs evidential deixis to place an event in the context of the other events which are entailed by it .“ (Schlichter 1986: 57 f .) „Evidentiality can also be characterised as a deictic category, one that functions to index information to some point of origin (Bühler’s ‘origo’) . […] Evidential markers are deictic because they index information to the conceptualiser who makes an epistemological judgement . In context, the choice of evidential categories (e .g . witness or report) serves to select the deictic origin – the one from which all temporal, spatial and identifying information can be calculated .“ (Mushin 2001: 33) „A recent proposal is to analyze evidentiality not as a modal, but as a deictic category . [ . . .] [There is a] connection between spatial deictic elements such as demonstratives, temporal deictic elements such as tense, and evidential elements . In all cases, the morphemes in question denote the distance between the speaker and an object (spatial), time (temporal), or the entire proposition (evidential) .“ (De Haan 2006: 59) Evidentialität und epistemische Modalität werden im Deutschen durch verbale Konstruktionen bzw . periphrastische Verbformen realisiert . Wie folgende Beispiele mit den dazugehörenden Paraphrasen veranschaulichen, wird die epistemische Modalität durch entsprechend gebrauchte Modalverben zum Ausdruck gebracht, vgl . (5), während Evidentialität durch die Konstruktionen werden & Infinitiv, scheinen/ drohen / versprechen & zu & Infinitiv wie in (6) realisiert wird: 118 Gabriele Diewald und Elena Smirnova (5) Die Lieferung dürfte/ könnte/ mag größer sein als erwartet. Der Sprecher/ die Sprecherin schätzt den Sachverhalt „die Lieferung ist größer als erwartet“ als mehr oder weniger gewiss ein . (6) Die Lieferung scheint/ droht/ verspricht größer zu sein als erwartet. Der Sprecher/ die Sprecherin stützt den Sachverhalt „die Lieferung ist größer als erwartet“ auf Evidenzen . Anhand dieser Beispiele kann bereits der erste wichtige Unterschied zwischen epistemischer Modalität und Evidentialität aufgezeigt werden: Während epistemisch modale Werte sozusagen auf einer Gewissheits-Skala verteilt sind, sind einzelne Evidentialitätswerte durch bestimmte (Informations-) Kanäle definiert. Wie die Bedeutungsparaphrasen zeigen, handelt es sich um eng verwandte, aber in der Art und Weise des „Quellenbezug“ deutlich unterscheidbare Domänen . Daher – aufgrund ihrer semantischen Nähe – werden epistemische Modalität und Evidentialität oft unter einer gemeinsamen Kategorie zusammengefasst . Im Folgenden wird in Frage gestellt, ob diese konzeptuelle Verschmelzung sinnvoll ist . Es wird dargelegt, worin die Überscheidungsbereiche zwischen den beiden Domänen bestehen und wie dies zu erklären ist bzw . zustande kommt . Es wird die These vertreten, dass trotz dieser Überschneidungen eine prinzipielle konzeptuelle Trennung zwischen den beiden Bereichen anzusetzen ist . 2. Klassifikation evidentieller und epistemischer Konstruktionen im Deutschen: erster Versuch Die in Abschnitt 1 skizzierte semantische Nähe zwischen Evidentialität und epistemischer Modalität bzw . Faktizität ist – wie schon angedeutet – einer der Gründe dafür, dass in vielen Arbeiten die beiden Begriffe nicht klar getrennt werden . Meist wird Evidentialität schlicht als Subkategorie von Epistemizität resp . Faktizität betrachtet, so z .B . Gunkel (2000: 111) und Traugott (1997) . So verfährt auch der Vorschlag, den wir hier als Ausgangspunkt für folgende Darlegungen ausgewählt haben . Es ist das Modell zu den semantischen Distinktionen im Bereich der Modalität und Evidentialität im Deutschen, das in Diewald (2004) vorgestellt wurde . Wie bereits erwähnt werden dort beide Bereiche in eins gefasst, d .h . Evidentialität wird als eine Subkategorie innerhalb der epistemischen Modalität begriffen . „Modalität wird im Deutschen u.a. durch Infinitivkonstruktionen zum Ausdruck gebracht. An erster Stelle sind hier die klassischen Modalverben, also die sechs Verben dürfen, können, mögen, müssen, sollen und wollen zu nennen, dann aber auch die Verben scheinen, drohen und versprechen, […] .“ (Diewald 2004: 230) Abgrenzung von Modalität und Evidentialität… 119 „Da nun die Faktizitätsbewertung die gemeinsame Eigenschaft aller Modal- und Modalitätsverben und das distinktive Merkmal der Moduskategorie ist, eignet sich die nur bei einigen Faktizitätsmarkern auftretende evidentielle Komponente zu einer weiteren semantischen Subklassifikation dieses Paradigmas.“ (Diewald 2004: 238) Das System der faktizitätsbewertenden Ausdrücke des Deutschen in ihren Zusammenhängen wurde in einem Modell präsentiert, das als Abb . 3 unverändert abgebildet wird: unsichere Faktizitätsbewertung (Vermutung) rein deiktisch können müssen -Evidentialität +Evidentialität Modalverben Modalitätsverben quotativ sollen wollen phorisch dürfte mag -ingressiv scheinen +ingressiv -erwünscht +erwünscht drohen versprechen Abb . 3: Semantische Distinktionen bei den Modal- und Modalitätsverben (Diewald 2004: 253) Der Unterschied zwischen den Modalverben und den sog . Modalitätsverben wird in Diewald (2004) dahingehend beschrieben, dass die Modalverben eine deiktische nicht-evidentielle Faktizitätsbewertung liefern, während die drei Modalitätsverben zusätzlich eine stark ausgeprägte evidentielle Komponente haben . Innerhalb jeder Klasse werden eigene Distinktionskriterien angewandt, um weitere Differenzierungen systematisch darzustellen . Wie in der Einleitung bereits vorweggenommen, haben unsere aktuellen Untersuchungen ergeben, dass eine Trennung der beiden Kategorien im Deutschen nötig ist . Die neueren Erkenntnisse bezüglich der funktionalen Leistung deutscher evidentieller Periphrasen und ihrer diachronen Entwicklung deuten unmissverständlich daraufhin, dass es sich im Deutschen um zwei separate Systeme handelt . Dies hat dazu geführt, dass das oben dargestellte Modell revidiert werden musste . Einige wichtige Gründe hierfür werden im folgenden Abschnitt diskutiert . 3. Das Problem der Vermischung und das Plädoyer für eine prinzipielle Trennung Für eine strikte konzeptuelle Trennung der beiden hier behandelten Kategorien haben sich bereits viele Autoren ausgesprochen, vgl . z .B .: „[…] evidentiality, deals with the evidence the speaker has for his or her statement, while the other, epistemic modality, evaluates the speaker’s statement and assigns it a commitment value . 120 Gabriele Diewald und Elena Smirnova This evaluation is obviously done on the basis of evidence (which might or might not be expressed overtly, or which might or might not be expressed by means of evidentials), but there is nothing inherent in evidentials that would compel us to assign an a priori epistemic commitment to the evidence .“ (De Haan 1999: 98 f .) „The evidentials, however, signal only the way the speaker arrived at knowledge about the event .“ (Bybee 1985: 182) „Evidential markers may indicate a speaker’s attitude towards the validity of certain information but do not have so . This is why evidentiality should not be considered as part of the ‘linguistic coding of epistemology’ .“ (Aikhenvald 2003: 13) Auch hier wird – wie oben erwähnt – die Position vertreten, dass epistemische Modalität und Evidentialität prinzipiell distinkte Kategorien darstellen . Gleichzeitig wird jedoch eingeräumt, dass diese unterschiedlichen semantisch-funktionalen Domänen nicht völlig unabhängig voneinander existieren, sondern bestimmte Überlappungsregionen aufweisen (vgl . van der Auwera/ Plungian 1998, Faller 2002, Nuyts 2001, Mushin 2001 u .a .), die vor allem den Bereich der indirekten Evidentialitätswerte, insbesondere das Feld der inferentiellen Evidentialität, betreffen . Die Abb . 4 und das erklärende Zitat weiter unten veranschaulichen dieses Verhältnis zwischen Evidentialität und epistemischer Modalität: Necessity . . . Deontic necessity Epistemic necessity = Inferential evidentiality Evidentiality Quotative evidentiality . . . Abb . 4: Überlappungsbereich zwischen Evidentialität und epistemischer Modalität (van der Auwera/ Plungian 1998: 86) „[ . . .] the inferential reading amounts to epistemic modality and more particularly epistemic necessity: for both categories we are dealing with the certainty of a judgment relative to other judgments . From this point of view it also causes no surprise that inferential evidentials often receive an English translation with epistemic must. Inferential evidentiality is thus regarded as an overlap category between modality and evidentiality .“ (van der Auwera/ Plungian 1998: 85 f .) (unsere Hervorhebung) Im Gegensatz zu der in van der Auwera/ Plungian (1998) vertretenen Ansicht, dass der Bereich der inferentiellen Evidentialität einen „Treffpunkt“ der beiden Kategorien darstellt, in dem die Werte „epistemisch notwendig“ und „inferentiell evidentiell“ identisch erscheinen, sind wir der Meinung, dass hier von keiner Abgrenzung von Modalität und Evidentialität… 121 Identität bzw . vollkommener konzeptueller Gleichheit der beiden gesprochen werden kann . Die Sub-Domänen „epistemische Notwendigkeit“ und „inferentielle Evidentialität“ können und müssen voneinander unterschieden werden . Nicht zuletzt deswegen, weil nicht jede inferentiell markierte Aussage notwendigerweise einen epistemisch modalen Wert innehat . Und umgekehrt: nicht jede epistemisch modal als „notwendig“ (d .h . im Deutschen z .B . mit müssen) markierte Aussage stellt zwingend Ergebnis eines Schlussfolgerungsprozesses dar . Stattdessen wird hier dafür plädiert, ein Implikationsverhältnis (und nicht ein Identitätsverhältnis) zwischen diesen Sub-Kategorien anzunehmen . „In particular, an indirect evidential, which indicates that the speaker has only indirect knowledge concerning the proposition being asserted, implies that the speaker is not totally committed to the truth of that proposition and thus implies an epistemic value .“ (Bybee/ Perkins/ Pagliuca 1994: 180) (unsere Hervorhebung) Das bedeutet im Wesentlichen, dass die beiden Sub-Kategorien miteinander in einem stabilen Implikationsverhältnis stehen, das allerdings nicht permanent aktiv ist bzw . aktiviert wird . Aus dieser Perspektive lässt sich unter anderem erklären, warum die Kategorien häufig miteinander vermengt werden und auch durch gleiche sprachliche Mittel zum Ausdruck gebracht werden . Es wird aus dieser Sicht nämlich nicht ausgeschlossen, dass diese Sub-Kategorien auch unabhängig voneinander konzipiert, realisiert und ausgedrückt werden können . Zwei Argumente sprechen für diese Auffassung: 1 . empirisches Argument Es gibt Sprachen, die nicht explizit zwischen epistemischer Modalität und (inferentieller) Evidentialität unterscheiden und dementsprechend linguistische Markierungen mit undifferenzierten Bedeutungen haben . Allerdings gibt es auch genügend Sprachen, die für die Konzepte der jeweiligen Sub-Kategorie separate Ausdrucksmittel besitzen und somit keine Überschneidung bzw . eine klare konzeptuelle Trennung der beiden vorweisen, vgl .: „The inferred in a three-term system may acquire epistemic extensions of uncertainty and probability – as in Quang and in Tsafiki. In Shipibo-Konibo, both inferred evidentials (-bira and -mein) have overtones of uncertainty and doubt . In some four-term systems, only nonvisual acquires epistemic extensions, since it may imply that the speaker is not in control . But this is by no means universal . Many multi-term systems require subtle precision in indicating how the information was obtained, which leaves little leeway for uncertainty . Thus, epistemic meanings are not expressed through evidentials . Moreover, languages with multi-term evidentials generally tend to have a multiplicity of other verbal categories, especially ones that relate to modalities – examples include Tsafiki, and Tariana.“ (Aikhenvald 2003: 15) (unsere Hervorhebung) 122 Gabriele Diewald und Elena Smirnova 2 . logisches Argument Das Implikationsverhältnis der beiden Sub-Kategorien ist bidirektional . Das bedeutet, dass von einer auf die andere geschlossen werden kann und umgekehrt . Für die Richtung inferentielle Evidentialität > epistemische Notwendigkeit gilt: Man ist sich normalerweise nie hundertprozentig sicher, ob die Schlussfolgerung gilt, auch wenn die Prämisse eindeutig wahr ist (gilt vor allem für induktive und abduktive Schlüsse) . Die Schlussfolgerung wird immer den Status einer (starken) Hypothese haben . Für die Richtung epistemische Notwendigkeit > inferentielle Evidentialität kann formuliert werden: Je höher der Sicherheitsstaus der Aussage, umso wahrscheinlicher ist, dass die Sprecherin/ der Sprecher für sie „gute Gründe“ (bzw . Evidenzen) hat . Alleine diese simple Rekonstruktion der Implikationsverhältnisse zeigt deutlich, dass es sich um zwei unterschiedliche, aber sehr eng miteinander zusammenhängende konzeptuelle Bereiche handelt . Für das Deutsche, das alle Evidentialitätsmarker im Feld der inferentiellen Evidentialität hat, wäre also anzunehmen, dass sie typischerweise eine epistemische Färbung haben können (aber nicht müssen) . Im Folgenden wird anhand einiger Paraphrasen demonstriert, dass – auch wenn für das Deutsche eine sehr enge Verbindung von epistemischer Modalität und inferentieller Modalität angenommen werden kann – diese Verbindung genau der von uns vertretenen Position entspricht . Nämlich: deutsche Evidentialitätsmarker weisen in ihrer Bedeutung epistemisch modale Nuancen auf, die in ihrem Status am besten als (konversationelle) Implikaturen und nicht als inhärente Bestandteile ihrer Semantik verstanden werden sollten . Umgekehrt gilt: deutsche epistemisch gebrauchte Modalverben weisen in ihrer Bedeutung evidentielle Nuancen auf, die in ihrem Status am besten als (konversationelle) Implikaturen und nicht als inhärente Bestandteile ihrer Semantik aufgefasst werden sollten . Die reinen Faktizitätsmarker – die Ausdrücke der epistemischen Modalität im engen Sinn – enthalten in ihrer Semantik keinerlei Bezug auf eine „Informationsquelle“ . Sie enkodieren die bloße Tatsache, dass der Sachverhalt von der Sprecherin/ vom Sprecher einen bestimmten (d .i . unsicheren) Faktizitätswert zugewiesen bekommen hat . Sie machen also keine Aussage über Quellen oder Gründe, die die Sprecherin/ den Sprecher zu dieser bestimmten Faktizitätsbewertung bewegt haben . Dabei ist die Möglichkeit einer expliziten Erwähnung wie unten in (8) bzw . eines implizit mitgedachten (d .h . kontextuell erschließbaren) Bezugs auf eine Informationsquelle wie in (9) prinzipiell immer gegeben . Zu beachten ist jedoch, dass dieser Bezug auf eine Informationsquelle nicht durch den Evidentialitätsausdruck evoziert wird, sondern eben kontextuell „hinzugefügt“ wird . Das wird hier am Beispiel des deutschen Modalverbs müssen exemplifiziert, das als Marker der epistemischen Notwendigkeit fungiert: (7) Sie muss ihre Doktorarbeit abgegeben haben. (8) Ich habe sie gestern auf der Party gesehen. Sie muss ihre Doktorarbeit abgegeben haben. Abgrenzung von Modalität und Evidentialität… (9) 123 [Der Sprecher ist auf der Party und unterhält sich mit dem Hörer . Beide können die Person sehen .] > Sie muss ihre Doktorarbeit abgegeben haben. In (8) werden die Evidenzen explizit genannt, in (9) wird eine Situation konstruiert, in der ein Bezug auf Evidenzen angenommen werden kann . Wichtig ist, dass in allen drei Fällen in (7) bis (9) die Proposition „sie hat ihre Doktorarbeit abgegeben“ von der Sprecherin/ vom Sprecher nicht als „faktisch“ dargestellt wird . In anderen Worten: die Sprecherin/ der Sprecher weiß einfach nicht bzw . sie/ er ist sich nicht hundertprozentig sicher, ob das der Fall ist . Diese Einstellung der Sprecherin/ des Sprechers bezüglich des dargestellten Sachverhalts wird mittels müssen markiert . Es sei noch einmal hervorgehoben, dass müssen an sich keinerlei Aussage darüber macht, ob der Sprecherin/ dem Sprecher irgendwelche Evidenzen für den Sachverhalt vorliegen . Die reinen Evidentialitätsmarker – die Ausdrücke der Evidentialität im engen Sinn – dagegen enthalten in ihrer Semantik keinerlei Informationen über den Faktizitätsgrad des dargestellten Sachverhalts . Sie enkodieren die bloße Tatsache, dass die Sprecherin/ der Sprecher den Sachverhalt aus einer Informationsquelle bezieht . Allerdings gilt für Evidentialitätsmarker analog das, was oben mit umgekehrten Vorzeichen schon für epistemische Marker festegestellt wurde, nämlich, dass das gleichzeitige Vorhandensein einer (unsicheren) Faktizitätsbewertung des Sachverhalts durch die Sprecherin/ den Sprecher nicht ausgeschlossen ist . Wie am Beispiel des deutschen Verbs scheinen in (10) bis (12) ersichtlich, kann die unsichere Faktizitätsbewertung entweder explizit ausgedrückt werden, wie in (11), oder aus dem kommunikativen Kontext erschlossen werden, wie in (12) . (10) Sie scheint ihre Doktorarbeit abgegeben zu haben. (11) Sie scheint ihre Doktorarbeit abgegeben zu haben. Ich bin (ziemlich/ fast/ sehr) sicher, dass sie das noch rechtzeitig geschafft hat. (12) A: – Sie scheint ihre Doktorarbeit abgegeben zu haben. B: – Dann hat sie es also noch rechtzeitig geschafft? A: – Naja, ich weiß es nicht genau, aber ich habe sie gestern auf der Party gesehen. In allen drei Fällen wird die Proposition „sie hat ihre Doktorarbeit abgegeben“ von der Sprecherin/ vom Sprecher auf der Basis irgendwelcher Informationen geschlussfolgert, was durch das Verb scheinen zum Ausdruck gebracht wird . Es wird also ausgesagt, dass die Sprecherin/ der Sprecher über Informationen verfügt, die daraufhin deuten, dass das Dargestellte der Fall ist . Diese Quellenlage der Sprecherin/ des Sprechers wird mit scheinen markiert . Es sei noch einmal betont, dass scheinen an sich keinerlei Aussage darüber macht, ob die Sprecherin/ der Sprecher sich des Sachverhalts mehr oder weniger sicher ist . Diese Informationen können aus dem Kontext erschlossen oder explizit genannt werden . 124 Gabriele Diewald und Elena Smirnova An dieser Stelle sei noch einmal auf typologische Arbeiten zu Evidentialität verwiesen, die zahlreiche Evidenzen für das unabhängige Existieren von epistemischer Modalität und (inferentieller) Evidentialität liefern . Zum einen ist aufgezeigt worden, dass evidentielle und modale Marker in einem Satz kombiniert werden können . Das deutet daraufhin, dass diese Ausdrucksmittel zwei voneinander unabhängige und einander nicht ausschließende Bedeutungen transportieren: „In a number of languages, evidentiality marking is mutually exclusive with mood and modality, as is the case in Abkhaz and in many Samoyede languages . However, in Western Apache, Jarawara and Tariana, mood and modality markers can occur together with evidentials.“ (Aikhenvald 2003: 16) Zum anderen können evidentielle Ausdrücke ohne jegliche epistemischen Nuancen auftreten . Dies ist auch übereinzelsprachlich belegt: „For Kashaya Pomo, a Hokan language spoken in Northern California, Oswalt says that ‘it might be noted that … all propositions with the Kashaya evidentials are presented by the speaker as certain and true’ (1986: 43) . For Iquito, a Zaparoan language from the Andes, Eastman and Eastman say, ‘regarding the reportative suffix -na and free form kináhá “so it is said”, [their use] does not mean to cast doubt as to the truth of the statement, but merely implies that it is a reported statement (1963: 191) . Finally, in Coos, an Oregon Pentutian language, the evidential particle cku denotes evidence based on inference . Frachtenberg (1922: 388) analyses this morpheme as being composed of cə ‘slight surprise’ and ku ‘dubitative’ . Regarding the status of this evidential, Frachtenberg notes that it is used ‘whenever the speaker wishes to state a fact that occurred beyond doubt, but whose causes are not known to him (1922: 388) . […] The hypothesis I am using is that evidentials are in fact a priori unmarked with respect to a commitment to the truth of the speech utterance on the part of the speaker. Evidentials merely assert that there is evidence to back up the speaker’s utterance. Any connection between the two […] is secondary in nature. They encode different things (source of information vs. attitude towards that information). Although they are closely enough related to cause overlap in some languages, this overlap is not universal.“ (De Haan 1999: 89 f .) (unsere Hervorhebung) Es kann hier zusammenfassend formuliert werden, dass die Situation, die weiter oben anhand der deutschen Beispiele mit müssen und scheinen umrissen wurde, für viele Sprachen belegt ist (s . auch de Haan 1999 für das Niederländische) und einen universellen Charakter zu haben scheint . Die deutschen Evidentialitätskonstruktionen haben also epistemische Färbung, sind allerdings nicht inhärent epistemisch . Weitere Tests – wiederum am Beispiel von scheinen und müssen illustriert – sollen zur Unterstützung der hier vertretenen These hinzugezogen werden: (13) Sie scheint ihre Arbeit abgegeben zu haben. (14) … Ich vermute das, (weil ich sie gestern auf der Party gesehen habe.) Abgrenzung von Modalität und Evidentialität… 125 (15) … Ich bin mir (dessen sehr) sicher, (weil ich sie gestern auf der Party gesehen habe.) (16) … Ich weiß das ganz genau, (sie war doch gestern auf der Party.) etc. An der Beispielreihe (13) – (16) wird ersichtlich, dass dem deutschen Evidentialitätsmarker scheinen keine bestimmten epistemisch modalen Werte zugeordnet werden können . Es lässt sich ohne Komplikationen mit vielen möglichen epistemisch modalen Werten kombinieren: von sicherem Wissen in (16) über die hohe Sicherheit wie in (15) und bis hin zur (schwachen) Vermutung wie in (14) . Dieses variable Kombinationsvermögen von scheinen & zu & Infinitiv mit unterschiedlichen epistemisch modalen Werten und Ausdrücken lässt erkennen, dass diese Konstruktion sich nicht in das Paradigma der epistemisch gebrauchten Modalverben einordnen lässt . Dasselbe gilt auch für andere evidentiellen Konstruktionen des Deutschen . Das Umgekehrte gilt auch für epistemisch gebrauchten Modalverben . Wie das Beispiel des Verbs müssen samt hinzugefügten Sätzen in (17) – (20) zeigt, können potenziell unterschiedliche Informationsquellen angenommen werden, aus denen die Sprecherin/ der Sprecher den dargestellten Sachverhalt beziehen könnte: (17) Sie muss die Arbeit abgegeben haben. (18) … Katarina hat es mir erzählt. (19) … Ich habe sie gestern auf der Party gesehen. (20) … Ich habe sie mit einem großen Packet in Richtung Uni gehen sehen. etc. In (18) dient das Hörensagen als Informationsquelle, in (19) und (20) sind visuell wahrgenommene Informationen, die mit dem Sprecherwissen über den beschriebenen Sachverhalt verbunden werden, also Schlussfolgerungen aus den aktuell wahrgenommenen Evidenzen . Die hier aufgezeigte Offenheit von müssen & Infinitiv gegenüber unterschiedlichen evidentiellen Werten und Ausdrücken macht deutlich, dass diese Konstruktion sich nicht in das Paradigma der evidentiellen Distinktionen einordnen lässt, weil sie eben keinen eindeutigen evidentiellen Wert transportiert . Dasselbe gilt auch für andere epistemisch modale Konstruktionen des Deutschen . Eine konstruierte Analogie mag an dieser Stelle das beschriebene Verhältnis zwischen epistemischer Modalität und inferentieller Evidentialität veranschaulichen . Die deutschen Verben fahren und ankommen bezeichnen offensichtlich zwei unterschiedliche verbale Ereignisse, die allerdings in einem sehr engen konzeptuellen (Implikations-)Verhältnis zueinander stehen . So kann man nur 126 Gabriele Diewald und Elena Smirnova dann irgendwo ankommen, wenn man vorher gefahren ist, d .h . auch umgekehrt, dass der Vorgang des Fahrens normalerweise immer mit einer Ankunft endet . Dabei kann sowohl der Prozess des Fahrens als auch das Ereignis des Ankommens weiter spezifiziert werden, und zwar nach jeweils geeigneten Kriterien. Fahren kann z .B . schnell oder langsam sein, es kann problemlos ablaufen oder nicht, es kann weiterhin mit unterschiedlichen Beförderungsmitteln erfolgen: Eisenbahn, Bus, Auto, Fahrrad usw . Ankommen andererseits kann rechtzeitig oder verspätet oder auch verfrüht sein, es kann sich an unterschiedlichen Plätzen ereignen, und es kann auch Freude bereiten oder nicht usw . Es ist außerdem evident, dass das langsame Fahren normalerweise verspätete Ankunft nach sich zieht, genauso wie eine Zugfahrt eine Ankunft an einem Bahnhof impliziert . Diese Tatsache führt aber nicht automatisch dazu, dass die Konzepte fahren und ankommen als eine einheitliche Kategorie aufgefasst werden, kurz: ein und dasselbe bedeuten; zumal die beiden Konzepte (nur) nach verschiedenen Merkmalen weiterspezifiziert werden können. Ähnlich verhält es sich nun mit den Kategorien epistemische Modalität und inferentielle Evidentialität . Dass eine epistemisch modal markierte Aussage aus Schlussfolgerungsprozessen hervorgegangen sein kann, und dass eine inferentiell evidentiell markierte Aussage einen unsicheren Faktizitätsgrad haben kann, bedeutet nicht automatisch, dass es sich um ein und dieselbe einheitliche Kategorie handelt . Zumal innerhalb der jeweiligen Kategorie (nur) verschiedene Differenzierungen möglich sind . Um kurz zusammenzufassen: Das in Diewald (2004) vorgeschlagene Modell, dass für die beiden Domänen eine einheitliche Kategorisierung vorsah, bedarf einer Revidierung . Zum einen soll eine Trennung in zwei Systeme mit konversen Verteilungen von inhärenter Semantik und konversationeller Implikatur erreicht werden – für die oben ausführlich plädiert wurde . Zum anderen sollen neue Merkmalsbezeichnungen für kategorieinterne Distinktionen eingeführt werden, die eine engere Anbindung an typologische Studien und eigene Korpusarbeit widerspiegeln sollen . Das revidierte Modell, das diesen Anforderungen entspricht, wird im nächsten Abschnitt vorgestellt . 4. Das sich entwickelnde System evidentieller Distinktionen im Deutschen: zweiter Versuch In diesem Beitrag wird angestrebt, einerseits eine systematische Darstellung des sich entwickelten Systems der evidentiellen Markierungen des Deutschen zu präsentieren und andererseits dieses System vom Paradigma der deutschen modalen Markierungen abzugrenzen . Unseren obigen Ausführungen folgend und uns auf die Ergebnisse durchgeführter Korpusanalysen stützend, schlagen wir vor, das evidentielle System des Deutschen wie in Abb . 5 zu charakterisieren: Abgrenzung von Modalität und Evidentialität… 127 Evidentialität inferentielle Evidentialität - spezifische Evidenzen werden + spezifische Evidenzen (+)/- aktuell wahrgenommene Evidenzen scheinen + aktuell wahrgenommene Evidenzen - erwünscht + erwünscht drohen versprechen Abb . 5: Evidentielle Distinktionen im heutigen Deutsch Die deutschen Infinitivkonstruktionen werden & Infinitiv, scheinen/ drohen/ versprechen & zu & Infinitiv, die im heutigen Deutsch bereits einen sehr starken Grammatikalisierungsgrad aufweisen und in ihrer grammatischen Funktion als Evidentialitätsmarker fungieren, dienen dem Ausdruck der inferentiellen Evidentialität . Das bedeutet, dass sie alle das semantische Merkmal ‘inferentiell evidentiell’ repräsentieren und es gemeinsam haben, kurz: sie konstituieren das Paradigma der inferentiellen Evidentialität . Gleichzeitig bilden sie untereinander ein strukturiertes Paradigma, das auf (jeweils binär aufgebauten) Unterscheidungen basiert . Diese Unterscheidungen sind gleichzeitig Spezifizierungen des gemeinsamen semantischen Wertes ‘inferentiell evidentiell’. Die erste relevante Unterscheidung innerhalb des deutschen evidentiellen Systems ist die Opposition [+/- spezifische Evidenzen], wobei hier die Konstruktion werden & Infinitiv allen anderen Konstruktionen gegenübersteht. Während durch die Verwendung von werden & Infinitiv die Sprecherin/ der Sprecher (lediglich) darauf hinweist, dass der dargestellte Sachverhalt das Ergebnis eines Schlussfolgerungsprozesses ist, ohne dass die Prämissen dieser Schlussfolgerung in irgendeiner Weise spezifiziert sind, transportieren alle anderen Konstruktionen eine besondere Spezifizierung von Prämissen . Werden & Infinitiv bringt also zum Ausdruck, dass die Sprecherin/ der Sprecher den dargestellten Sachverhalt aus irgendwelchen Informationen schlussfolgert, wie in (21) . Diese Informationen können entweder perzeptiver Natur sein, oder aus zweiter Hand stammen oder auch zum persönlichen (oder zum allgemeinen) Wissen der Sprecherin/ des Sprechers gehören . Die zweite relevante Unterscheidung, oder die zweite Stufe der Hierarchie, ist die Opposition [+/- aktuell wahrgenommene Evidenzen], wobei hier die Konstruktion scheinen & zu & Infinitiv einerseits und die Periphrasen drohen/ versprechen & zu & Infinitiv andererseits einander gegenüberstehen. Scheinen verweist darauf, dass die Prämissen für die geäußerte Schlussfolgerung spezifischer Natur sind, d .h . dass die Sprecherin/ der Sprecher in Besitz von bestimmten Informationen gelangt ist, die sie/ ihn zu dieser Schlussfolgerung veranlassen, vgl . (22) . Diese Informationen können wiederum – wie bei werden – entweder perzeptiver Natur sein oder aus zweiter Hand stammen . Es ist allerdings ausgeschlossen, dass die Sprecherin/ der Sprecher die Aussage auf persönliches oder allgemeinzugängliches Wissen stützt . 128 Gabriele Diewald und Elena Smirnova Die Konstruktionen drohen/ versprechen & zu & Infinitiv andererseits verweisen normalerweise darauf, dass die Schlussfolgerung auf (i) bestimmten Prämissen basiert, die (ii) aktuell wahrgenommen bzw . aktuell wahrnehmbar sind, vgl . (23) – (24) . Das bedeutet, dass die Prämissen für die Schlussfolgerung in der aktuellen Sprechsituation in irgendeiner Weise direkt wahrgenommen werden können: Meist handelt es sich um perzeptive Eindrücke . Die Opposition zwischen drohen und versprechen besteht in der positiven vs . negativen Evaluation des dargestellten Sachverhalts, vgl . (23) versus (24) . Diese Opposition hat keinen inhärent evidentiellen Charakter und ist auf die lexikalische Semantik der beiden Verben zurückzuführen . (21) In Hannover wird es regnen. [Aussage basiert auf Schlussfolgerungen, Prämissen nicht weiter spezifiziert] (22) In Hannover scheint es zu regnen. [Aussage basiert auf Schlussfolgerungen, Prämissen sind spezifiziert als direkt oder indirekt zugängliche Information] (23) In Hannover droht es zu regnen. [Aussage basiert auf Schlussfolgerungen, Prämissen sind spezifiziert als direkt zugängliche Information, Sachverhalt nicht erwünscht] (24) In Hannover verspricht es zu regnen. [Aussage basiert auf Schlussfolgerungen, Prämissen sind spezifiziert als direkt zugängliche Information, Sachverhalt erwünscht] Das System der evidentiellen Markierungen bildet eine vom modalen Paradigma des Deutschen unabhängige grammatische Kategorie (vgl . den vorhergehenden Abschnitt) . Wie oben beschrieben, sind einzelne Werte innerhalb des evidentiellen Paradigmas so verteilt, dass sie (i) einerseits Kriterien folgen, die für die Domäne Evidentialität eine hohe Relevanz haben (ausgenommen die Opposition zwischen den Konstruktionen mit drohen und versprechen, die auf den schwächeren Grammatikalisierungsgrad dieser Periphrasen zurückgeführt werden kann); und (ii) andererseits eindeutig von den modalen Werten unterschieden sind . Das modale System im heutigen Deutsch lässt sich nun wie in Abb . 6 charakterisieren: Faktizität Realisierung durch Verbmodus Realisierung durch Modalverb unsichere Faktizität rein deiktisch phorisch quotativ können / müssen (28) Konjunktiv II (27) dürfte / mag (29) Konjunkiv I (26) sollen / wollen (30) Indikativ (25) Abb . 6: Modale Distinktionen im heutigen Deutsch Abgrenzung von Modalität und Evidentialität… 129 Die Tabelle wiederholt im Wesentlichen das Modell, das in Diewald (2004) erarbeitet und vorgestellt wurde, mit der wichtigen Modifikation, dass die evidentiellen Periphrasen jetzt nicht mehr in das System integriert werden . Aus diesem Grund wird hier auf einzelne modale Differenzierungen innerhalb des Systems nicht näher eingegangen (für eine ausführliche Darstellung s . Diewald 2004) . Die unten stehenden Beispiele mit beigegebenen Paraphrasen exemplifizieren kurz die Distinktionen innerhalb des deutschen modalen Systems: (25) In Hannover regnet es. [Faktizitätsaussage] (26) In Hannover regne es. [quotativ, unsichere Faktizität als Implikatur] (27) In Hannover würde es regnen. [phorisch bedingte Nicht-Faktizität] (28) In Hannover muss/ müsste/ kann/ könnte es regnen. [unsichere Faktizität, keine Nebenbedeutung] (29) In Hannover dürfte/ mag es regnen. [phorisch bedingte unsichere Faktizität] (30) In Hannover soll es regnen. [quotativ, unsichere Faktizität als Implikatur] Zusammenfassend können die eingangs gestellten Fragen wie folgt beantwortet werden: Bezüglich der Frage der Abgrenzung evidentieller und epistemisch modaler Distinktionen haben wir in diesem Beitrag gezeigt, dass evidentielle und (epistemisch) modale Distinktionen im Deutschen zwei separate Systeme bilden, die über eigene Ausdrucksmittel verfügen und die intern in strukturierten Paradigmen mit je eigenen distinktiven Merkmalen organisiert sind . Zur Frage nach den Überschneidungsbereichen zwischen beiden Domänen lässt sich festhalten, dass die beiden Systeme zwar eigenständige, unabhängig voneinander existierende Paradigmen darstellen, dass diese jedoch in einem sehr engen Verhältnis miteinander stehen: Sie weisen konverse Verteilungen von inhärenter Semantik und konversationeller Implikatur auf . Literatur Aikhenvald, Alexandra Y . (2003): „Evidentiality in typological perspective“, in: Aikhenvald, Alexandra Y . / Robert M . W . Dixon (Hgg .), 1-31 . Aikhenvald, Alexandra Y . (2004): Evidentiality . Oxford: OUP . 130 Gabriele Diewald und Elena Smirnova Aikhenvald, Alexandra / Robert M . W . Dixon (Hg .) (2003): Studies in Evidentiality . Amsterdam, Philadelphia: Benjamins . Anderson, Lloyd B . (1986): „Evidentials, paths of change, and mental maps: Typologically regular asymmetries“, in: Chafe, Wallace / Johanna Nichols (Hgg.) , 273-312. 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Es soll dabei gezeigt werden, dass Aussagen über englisches must weder auf das deutsche müssen noch auf das niederländische moeten bezogen werden können, weil es nur in den wenigsten Fällen eine deutliche Überschneidung der drei Verben gibt . Vielmehr scheint es der Fall zu sein, dass der konzeptuell-semantische Bereich der Notwendigkeit sprachlich sehr unterschiedlich gestaltet werden kann: Bestimmte „Notwendigkeitsarten“ werden im Englischen konventionell anders zum Ausdruck gebracht als im Deutschen bzw . im Niederländischen, auch wenn in den drei Sprachen ein müssen-Verb zur Verfügung steht . Die Unterschiede zwischen Englisch, Deutsch und Niederländisch lassen sich dabei nicht nur auf semantisch-funktionale, sondern auch auf formale Eigenschaften (und zwar auf einen unterschiedlichen Grammatikalisierungsgrad des betreffenden Modalverbs) zurückführen . 1 .1 . Die Semantik der Modalverben Bekanntlich gibt es zur Beschreibung des Bedeutungsspektrums der Modalverben eine sehr reiche Skala an möglichen Klassifikationen. Als wichtige Weichensteller erwähnt Nuyts (2006) unter anderem van der Auwera / Plungian (1998), Palmer (1986, 2001) und Bybee / Perkins / Pagliuca (1994)1 . Nuyts schlägt selber „als 1 Kennzeichnend für van der Auwera / Plungian (1998) ist (im nicht-epistemischen Bereich) die Unterscheidung zwischen participant internal modality und participant external modality, wobei deontische Modalität als eine Subkategorie der partizipant-externen Modalität betrachtet wird . Palmer (1986) unterscheidet als wichtigste Subkategorien epistemic modality („any modal system that indicates the degree of commitment by the speaker to what he says“ (Palmer 1986: 51) und deontic modality („[…] is concerned with language as action, mostly with the expression by the speaker of his attitude towards possible actions by himself and others” (Palmer 1986: 121) . Palmer (2001) führt eine Dichotomie zwischen event modality (die sowohl dynamische als auch deontische Modalität umfasst) und propositional modality (welche die Kategorien epistemische Modalität und Evidentialität abdeckt) ein . Der Ansatz von Bybee / Perkins / Pagliuca (1994) enthält die Kategorie der speaker oriented modality, die sich von agent-oriented modality, einerseits, und epistemic modality, andererseits, 134 Tanja Mortelmans traditionelle Version“ (Nuyts 2006: 2) die Dreiteilung2 dynamisch, deontisch und epistemisch vor, die allerdings auch verschiedentlich definiert werden kann. Palmer (2001) versteht unter deontischer bzw . dynamischer Modalität Folgendes: „Deontic modality relates to obligation or permission, emanating from an external source, whereas dynamic modality relates to ability or willingness, which comes from the individual concerned .“ (Palmer 2001: 9-10) Während Palmer (1986) deontische Modalität (wie die ganze Kategorie Modalität überhaupt) noch als inhärent subjektiv (i .e . „concerned with the attitudes and opinions of the speaker“ Palmer 1986: 17)) betrachtet, räumt er nichtsubjektiven (d .h . nichtsprecherbezogenen) Modalitätsarten in seinen späteren Arbeiten eine wichtigere Stellung ein . So sei deontische Modalität zwar „typisch“ und „frequent“, aber nicht zwangsweise sprecherbezogen3 . „[…] typically and frequently the authority is the actual speaker, who gives permission to, or lays an obligation on, the addressee .“ (Palmer 2001: 10) Die Kategorie der epistemischen Modalität bringt „the degree of probability of the state of affairs” (Nuyts 2006: 6) zum Ausdruck . Die Frage, ob und inwiefern sich diese Kategorie von der Evidentialität unterscheidet, deren Marker an erster Stelle auf Evidenzen (Informationsquellen) verweisen, die der Sachverhaltsdarstellung zugrunde liegen, ist extrem strittig (vgl . etwa Nuyts 2006: 10 ff . für einen Überblick über die möglichen Positionen) . Zunächst einmal soll zu dieser Problematik keine weitere Stellung bezogen werden . Ich möchte mich an dieser Stelle nur auf den Hinweis beschränken, dass gerade das Modalverb must4 in der einschlägigen Literatur öfters als Zwitter aufgeführt wird, der epistemische (als Marker einer hohen Wahrscheinlichkeitseinschätzung) und evidentielle (aufgrund seiner inferentiellen Komponente, vgl . etwa Coates 1983: 41, Palmer 1986: 64) Merkmale kombiniert . Für die deutsche Sprache dürfte die Klassifikation der deutschen Modalverben in Diewald (1999) maßgebend sein: Sie unterscheidet zunächst zwischen epistemischen (in Diewalds Terminologie: deiktischen) und nichtepistemischen (nichtdeiktischen) Verwendungen der Modalverben . In letzterer Gruppe gibt es dann abhebt . Mit Markern der speaker oriented modality werden Direktiva zum Ausdruck gebracht, mit denen der Sprecher den Adressaten zum Handeln bewegen will . 2 Besonders in der amerikanischen Tradition wird oft nur zwischen epistemischer und nichtepistemischer Modalität (der sogenannten ‘root modality’) unterschieden . 3 So bietet laut Nuyts (2006) deontische Modalität eine „indication of the degree of moral desirability of the state of affairs expressed in the utterance, typically but not necessarily, on behalf of the speaker“ (Nuyts 2006: 4) . 4 Ähnliches gilt für die Pendants von must in den romanischen Sprachen (sp . deber, fr . devoir, it . devere), für die ebenfalls epistemische und evidentielle Züge nachgewiesen werden (vgl . etwa Cornillie 2007, Dendale 1994, Squartini 2004) . Falsche Freunde: Warum sich die Modalverben… 135 eine weitere Einteilung in dispositionelle (können, müssen), deontische (sollen, dürfen) und volitive (mögen, wollen) Modalität, wobei deontische Modalität „mit interpersonalen Beziehungen im Bereich direktiver Kommunikationssituationen“ (Diewald 1999: 74) zu tun habe, während die dispositionelle Modalität sich auf „innere oder äußere Fähigkeiten und Dispositionen des Subjekts” (Diewald 1999: 76) beziehe . In diesem sehr knappen Überblick möchte ich zwei Elemente besonders hervorheben: (1) die wichtige Stellung der epistemischen Modalität, die in den meisten Klassifizierungen als separate Kategorie gilt, wobei allerdings undeutlich ist, ob epistemische Modalität und Evidentialität unter einen Hut zu bringen sind, und (2) die problematische Stellung der deontischen Modalität, d .h . der Modalitätsart, die Aufforderungen und Erlaubnisse zum Ausdruck bringt . Die deontische Modalität gilt nicht nur als personenbezogen, sondern neigt – wie schon erwähnt wurde – zu einer starken Sprecherbezogenheit (indem die personale modale Quelle der Obligation oder Erlaubnis mit dem Sprecher gleichgesetzt werden kann) . Ob diese Sprecherbezogenheit (welche die deontische Modalität mit der epistemischen Modalität verbindet) dieser Modalitätsart einen Sonderstatus verleiht, ist unklar . 1 .2 . Epistemische Modalität Ein besonderes Augenmerk in diesem Beitrag gilt den epistemischen Verwendungen des Modalverbs, die beim englischen must am deutlichsten ausgeprägt sind, im niederländischen und im deutschen Korpusmaterial allerdings nur spärlich belegt sind, was aber nicht heißen soll, dass es sie nicht gibt .5 Die epistemischen Verwendungen von must (bzw . müssen bzw . moeten) sind aus mehreren Gründen interessant . Erstens gelten sie – in den germanischen Sprachen wenigstens – als formal stärker grammatikalisiert als die nichtepistemischen (vgl . Plank 1981, 1984) .6 Zweitens kann davon ausgegangen werden, dass die durch das Modalverb bezeichnete modale Notwendigkeitsrelation in der epistemischen Lesart tendenziell subjektiver konstruiert wird (im Sinne von Langacker) als in der nichtepistemischen Lesart . „But if I express an epistemic judgment by saying It may rain this afternoon, that judgment has no influence on the likelihood of it actually raining. The locus and direct consequences of the potency are internal to the conceptualizer, pertaining to the state of the speaker’s knowledge and how it might evolve . The potency inheres in an offstage mental simulation of 5 Nach Nuyts (2001: 174-175) gehört ndl . moeten zu den wenigen Modalverben im Niederländischen, die überhaupt eine epistemisch/evidentielle Bedeutung entwickelt haben (er erwähnt außer moeten noch kunnen und zullen) . Die Liste der deutschen epistemischen Modalverben ist ein wenig länger: können, werden, mögen (im Indikativ), dürfen (im Konjunktiv II), müssen und sollen . 6 Dem muss hinzugefügt werden, dass der Grammatikalisierungsgrad der Modalverben im Englischen höher ist als im Deutschen (Heine 1993: 72 ff .) und im Niederländischen (Goossens 1983), unabhängig davon, ob sie nichtepistemisch oder epistemisch verwendet werden . 136 Tanja Mortelmans the speaker’s reality conception evolving along a certain path . It resides in the mental effort expended and subjectively experienced in simulating the growth of Rc [the conceptualizer’s reality conception] along a path by which it comes to encompass the grounded process .“ (Langacker 2008: 306) . In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, ob epistemisches must – aufgrund seines höheren Grammatikalisierungsgrads – die modale Relation irgendwie noch abstrakter und subjektiver konstruiert als seine deutschen und niederländischen Pendants . Dies würde bedeuten, dass der sog . Ground (d .h . die Basiselemente der kanonischen Sprechsituation: Sprecher, Hörer, das Sprechereignis und die unmittelbaren Begleitumstände des Sprechens, vgl . Langacker 2008: 78) bei der Verwendung von must mit maximaler Subjektivität konstruiert wird, sodass er – wenn er auch als Referenzpunkt fungiert – implizit und daher maximal abwesend ist . Drittens bietet gerade – wie bereits in 1 .1 . erwähnt wurde – die durch must kodierte inferentielle Modalität ein Beispiel für eine Bedeutung, die sowohl der Kategorie der Evidentiälität als auch der epistemischen Modalität zugeschlagen werden kann . „[…] the inferential reading amounts to epistemic modality and more particularly epistemic necessity . […] [I]t […] causes no surprise that inferential evidentials often receive an English translation with epistemic must . Inferential modality is thus regarded as an overlap category between modality and evidentiality .“ (van der Auwera / Plungian 1998: 85 f .) 2. Das Korpus: erste Befunde Das kontrastive Korpus wurde folgendermaßen zusammengestellt: In den ersten elf Kapiteln aus dem von Nicci French7 im Englischen verfassten Roman The memory game8 und dessen Übersetzungen ins Deutsche (Der Glaspavillon) bzw . Niederländische (Het geheugenspel) wurde alle Belege gesammelt, die wenigstens in einer der drei Sprachen eine Form von must bzw . moeten bzw . müssen 7 Nicci French ist das Pseudonym des englischen Schriftstellerpaars Nicci Gerrard (geb . 1958) und Sean French (geb . 1959), die beide in England wohnen und arbeiten . Die Befunde in diesem Beitrag betreffen also die UK-Variante des Englischen, über andere Varianten werden grundsätzlich keine Aussagen gemacht . Der betreffende Roman wurde gewählt, weil er der Gattung der „literarischen (d .h . sprachlich und inhaltlich anspruchsvolleren) Krimis“ zugeordnet werden kann, was sich auf die Qualität der Übersetzung auswirkt . In diesem Zusammenhang ist allerdings noch zu bemerken, dass die Qualität der niederländischen Übersetzung eindeutig höher ist als der deutschen, was sich unter anderem daran zeigt, dass bestimmte Stellen in der deutschen Übersetzung manchmal einfach gestrichen wurden oder ungenau (d .h . weniger originalgetreu) oder sogar fehlerhaft übersetzt wurden . 8 Es handelt sich um folgende Ausgaben: French, Nicci (1998): The Memory Game . London: Penguin; French, Nicci (1999): Der Glaspavillon . Deutsch von Petra Hrabak, Barbara Reitz und Christine Strüh . München: Goldmann Verlag; French, Nicci (1997): Het geheugenspel . Vertaald door Gideon den Tex . Amsterdam: Ambo-Antos . Falsche Freunde: Warum sich die Modalverben… 137 enthielten . Es entstand eine Sammlung von insgesamt 202 Belegen . Eine erste auffällige Feststellung betrifft die quantitative Dominanz von ndl . moeten in diesem kontrastiven Korpus: Das niederländische Verb ist deutlich multifunktionaler (und deshalb frequenter) als seine Pendants in beiden anderen Sprachen . Folgende Tabelle vermittelt einen ersten Überblick über die gefundenen Verhältnisse . ndl. moeten ja ja ja ja nein nein nein 155 dt. müssen nein ja nein ja ja ja nein 84 engl. must nein nein ja ja ja nein ja 38 insgesamt 97 39 7 12 5 28 14 202 Tabelle 1: Überblick über die Frequenzverhältnisse Es finden sich im niederländischen Teil des Korpus 155 moeten-Belege, im deutschen 84 müssen-Belege, während must im englischen Original nur 38-mal vorliegt . Insgesamt gibt es in nur zwölf Belegen eine volle Korrespondenz zwischen dem englischen, deutschen und niederländischen Material (must = müssen = moeten) . Diese Belege, in denen sich die drei Sprachen völlig überlappen, können zwei Kategorien zugeordnet werden: Es finden sich sechs epistemische (bzw. evidentielle) Belege (vgl . (1)) und sechs subjektiv-deontische Belege (vgl . (2)), in denen sich der Sprecher an den Adressaten (du) wendet, um ihn dazu aufzufordern, den im Infinitiv bezeichneten Sachverhalt zu verwirklichen.9 (1) ENG Somebody must have buried the body, I said . (38) NDL Iemand moet het lijk begraven hebben, zei ik . (36) DT Jemand muß die Leiche vergraben haben, sagte ich . (42) (2) ENG If you’re unhappy with anywhere I try to push you, well, then you must say that […] (88) NDL Als je ontevreden bent met de richting waarin ik je probeer te duwen, dan moet je dat zeggen […] . (77) DT Wenn Sie sich dort nicht wohl fühlen, wo ich Sie hindirigiere, müssen Sie es sagen […] . (90) 9 Aus der Analyse sämtlicher must-Belege im Korpus, auf die hier allerdings nicht im Einzelnen eingegangen werden kann, ergibt sich, dass diese beiden Kategorien tatsächlich den Kern des must-Gebrauchs im heutigen UK-Englisch bilden . Mehr als zwei Drittel der mustBelege entfallen auf die epistemische Lesart, die restlichen sind vorwiegend als sprecherbezogen deontisch einzustufen . 138 Tanja Mortelmans Viel frequenter sind aber solche Belege, in denen moeten zwar im niederländischen Text auftaucht, weder aber im Deutschen noch im Englischen müssen bzw . must entspricht (insgesamt 97 Belege). So findet sich in (3) im Englischen das volitive Verb want to, das im Deutschen relativ wörtlich mit möchtest übersetzt wird, während im Niederländischen die Präteritalform moest erscheint . In (4) wird das englische was supposed to ins Deutsche durch das Modalverb sollte übersetzt, ins Niederländische wiederum durch präteritales moest . Beispiel (5) veranschaulicht ein im Korpus relativ häufig vorliegendes Übersetzungsmuster, wobei ndl . moeten auf eine ursprünglich infinite Verbform im Englischen (to do) zurückgeht . (3) ENG What did I do to you to make you want to choose this? (104) NDL Wat heb ik dan gedaan dat jij hiervoor moest kiezen? (91) DT Was habe ich dir getan, daß du das hier möchtest? (105) (4) ENG I thought I was supposed to do all the talking . (68) NDL Ik dacht dat ik hier degene was die moest praten . (61) DT Ich dachte, ich sollte reden . (71) (5) ENG He really was old now and his job consisted of telling his son and his nephew what to do . (5) NDL Hij was echt oud geworden, dus zijn taak bestond eruit dat hij zijn zoon en zijn neef vertelde wat ze moesten doen . (8) DT Weil er so alt war, bestand seine Rolle darin, seinen Sohn und seinen Neffen herumzukommandieren. (10) In der nächsten Sektion soll der Frage nachgegangen werden, wie sich diese auffälligen Frequenzunterschiede, insbesondere die hohe Frequenz von moeten, erklären lassen . 3. Warum ist ndl. moeten viel frequenter als dt. müssen und engl. must? Für die hohe Frequenz von ndl . moeten im Vergleich zu der von must im Englischen bzw . müssen im Deutschen lassen sich wenigstens zwei verschiedene Gründe anführen . 3 .1 . Semantisch-funktionale Gründe Zunächst einmal ist hervorzuheben, dass nichtepistemische Verwendungen im Korpus eindeutig in der Mehrheit sind, für deren Ausdruck sich im Englischen und im Deutschen zum Teil andere Ausdrucksmittel konventionalisiert haben als Falsche Freunde: Warum sich die Modalverben… 139 must bzw . müssen .10 So überrascht es nicht, dass viele nichtepistemische Belege, die im Niederländischen moeten enthalten, auf ein englisches have to bzw. have got to zurückgehen (insgesamt 31 Belege, davon allerdings 26 mit müssen im Deutschen, vgl . Tabelle 2) . Ndl . moeten Ndl . moeten Engl . have (got) to Engl . should 31 25 Ndl . moeten Engl . Imperativ 8 Nld . moeten Ndl . moeten Engl . need/ be in need Engl . ought to 5 4 davon Dt . müssen 26 davon Dt . soll(te) 20 davon Dt . Imperativ/Konj/ ‘ich 8 bitte Sie’ davon Dt . müssen 4 davon Dt . sollte 4 Tabelle 2: Alternativen für moeten im Englischen und Deutschen Die englischen have to Belege ziehen dabei vorwiegend nichtsprecherbezogene dynamische (6) und deontische (7) Interpretationen nach sich, während die have got to Belege vorwiegend subjektiv-deontisch zu interpretieren sind (8) . (6) ENG I looked in the phonebook and I had to phone the police all the way off in Kirklow . (15) NDL Ik keek in het telefoonboek en moest helemaal naar de politie in Kirklow bellen . (17) DT Ich mußte mir im Telefonbuch die Nummer der Polizei in Kirklow heraussuchen . (20) (7) ENG When I’m finished here I have to drive to the site of a building I’ve designed . (53) NDL Als ik hier klaar ben, moet ik naar de bouwlocatie van een pand dat ik heb ontworpen . (49) DT Sobald ich hier fertig bin, muß ich zu einer Baustelle, [ . . .] . (57) (8) ENG I know it’s hard for all of us, but we’ve just got to help each other . (94) NDL Ik weet dat het voor ons allemaal moeilijk is, maar we moeten elkaar gewoon helpen . (82) DT Es ist für uns alle nicht leicht, aber wir müssen uns einfach gegenseitig helfen . (95) Sowohl im Deutschen wie auch im Englischen gibt es eine zweite Konkurrenzform für müssen bzw . must mit eindeutig subjektiv-deontischer Bedeutung, und zwar should bzw . soll(te): insgesamt entsprechen 20 ndl . moeten-Belege soll(te) 10 Bezeichnenderweise haben von den 38 englischen must-Belegen im Korpus nicht weniger als 28 Belege eine epistemische (evidentielle) Bedeutung (auf die in Sektion 4 näher eingegangen wird) . Zum Vergleich: von den 84 dt . müssen-Belegen sind 14 Belege epistemisch (evidentiell); von den 155 ndl . moeten-Belegen sind sogar weniger als 10% (ingesamt 12 Belege) epistemisch (evidentiell) . 140 Tanja Mortelmans im Deutschen bzw . should im Englischen, vgl . noch einmal Tabelle 2) . Das niederländische Modalverb zullen/zou (das unmittelbare formale Pendant von soll(te) bzw . should) hat sich auf den Ausdruck der Zukunft (zullen) bzw . der Irrealität und Evidentialität (zou) spezialisiert, wobei es die ursprüngliche Aufforderungs- oder Verpflichtungsbedeutung (vgl. Gij zult niet doden ‘Du sollst nicht töten’) weitgehend eingebüßt hat, sodass es als Entsprechung vom subjektiv-deontischen should bzw . sollte einfach nicht in Frage kommt . Die should- bzw . sollte-Belege im Korpus sind insofern interessant, als sie eine stark sprecherbezogene Lesart bekommen, bei der der Sprecher als modale Quelle der Aufforderung fungiert . Die Sprecherbezogenheit wird in einigen Fällen explizit markiert, etwa durch die Hinzufügung eines Verbs wie think/denken oder know/wissen in der ersten Person . Als Adressat (formales Subjekt des Satzes) liegen fast ausnahmsweise direkt an der Sprechsituation beteiligte Aktanten vor: we bzw . wir (insgesamt 7-mal), you bzw . du/ihr/Sie (3-mal) und I / ich (9-mal), was die inhärente Deontizität von should bzw . sollte, die sich im Rahmen interpersonaler Beziehungen gestaltet, hervorhebt . (9) ENG Her discovery and disinterment are facts . I think that is where we should begin . (89) NDL Dat zij ontdekt en opgegraven is, was een feit . Volgens mij moeten we daarmee beginnen . (78) DT Natalies Tod ist ein Faktum, ebenso wie die Entdeckung der Knochen Fakten sind . Ich denke, hier sollten wir ansetzen . (91) (10) ENG I’ve gone through most of the books, but of course you should go through them as well, just to be sure . (102) NDL De meeste boeken heb ik wel bekeken, maar jij moet ook nog maar even kijken, gewoon voor de zekerheid . (88) DT Den größten Teil der Bücher habe ich durchgesehen, aber du solltest sicherheitshalber noch mal einen Blick darauf werfen . (102) (11) ENG ‘I know I shouldn’t say this’, Claud began […] . (103) NDL ‘Ik weet dat ik dit eigenlijk niet moet zeggen’, begon Claud […] . (90) DT ‚Ich weiß, ich sollte das nicht sagen’, begann Claud […] . (104) Bemerkenswert ist außerdem die Feststellung, dass deontisches should bzw . sollte in keinem der Belege einem abgeschwächten zou moeten entspricht, sondern am häufigsten mit dem „indikativischen“ moeten wiedergegeben wird, eine Beobachtung, die bereits früher aufgrund einer anderen kontrastiven Analyse gemacht wurde (vgl . Mortelmans 2000) . (12) ENG I thought we should have a chat first and see what we think about things. (65) NDL Volgens mij moeten we eerst eens even een beetje praten en kijken wat we ervan vinden . (59) Falsche Freunde: Warum sich die Modalverben… DT 141 Aber ich dachte, wir sollten uns erst mal ein bißchen unterhalten und uns kennenlernen . (68) In diese Kategorie gehört auch die Verwendung von should bzw . sollen in Fragesätzen, in denen der Fragende sich typischerweise nach dem Willen des Adressaten erkundigt, dem er sich unterwirft . Der Adressat wird m .a .W . auf implizite Weise als modale Quelle konstruiert (vgl . Mortelmans 2002 für eine detaillierte Beschreibung der Verwendung von sollen in Fragesätzen) . (13) ENG Should I sit or lie down? (54) NDL Moet ik gaan zitten of gaan liggen? (49) DT Soll ich mich hinsetzen oder hinlegen? (57) Dass ndl . moeten eine auffällig reiche Skala von Verwendungen aufweist, geht ebenfalls aus der Tatsache hervor, dass das Verb auch zur Übersetzung von Imperativen erscheint (insgesamt 8-mal, vgl . (14) und (15)), d .h . einem stark grammatikalisierten, sprecherorientierten Modalitätstyp (im Sinne von Bybee / Perkins / Pagliuca (1994) speaker-oriented modality) entsprechen kann . (14) ENG If there’s anything I can do, just ask . (9) NDL Als ik je ergens mee kan helpen, dan moet je dat gewoon zeggen . (12) DT Wenn ich dir irgendwie helfen kann, lass es mich wissen . (15) (15) ENG Be nice to him though . He’s an old friend . (61) NDL Maar je moet wel aardig tegen hem zijn, hoor . Hij is een goede vriend van ons . (56) DT Aber seien Sie nett zu ihm . Er ist ein alter Freund . (65) Das semantische Feld der Notwendigkeit und die damit assoziierte pragmatische Domäne der Direktiva scheint somit im Deutschen und im Englischen feiner gegliedert als im Niederländischen . In letzterer Sprache übernimmt moeten die ganze Skala von wenig grammatikalisierten, deskriptiven Verwendungen (die nicht einmal unbedingt auf Notwendigkeiten verweisen, vgl . (3)) bis hin zu den stark am Sprecher orientierten direktiven Verwendungen . 3 .2 . Formale Gründe: Grammatikalisierung Wie bereits erwähnt, gibt es noch einen zusätzlichen Grund, weshalb moeten besonders im Vergleich zum Englischen viel frequenter vorliegt . Als stark grammatikalisiertes Modalverb verfügt must über ein beschränkteres Set an formalen Optionen . So kann das Verb in der Regel nicht auf in der Vergangenheit existierende Notwendigkeiten verweisen . Als ‘grounding predication’ (im Sinne von 142 Tanja Mortelmans Langacker 1991) können die englischen Modalverben (mit Ausnahme von can und will, vgl . Langacker 1991: 336) in der Regel nicht selber im Skopus von Tempusmarkierungen stehen, weil dies eine zu starke Objektivierung der modalen Relation herbeiführen würde . Für das niederländische moeten (und für das deutsche müssen) sind solche präteritalen Verwendungen allerdings durchaus möglich . Im Englischen tritt für Vergangenheitsverwendungen an erster Stelle have to ein . (16) ENG I had to supervise this, didn’t I? (8) NDL Ik moest toch toezicht houden op de bouw? (11) DT Ich mußte das hier beaufsichtigen, oder etwa nicht? (14) Eine auffällige Ausnahme bilden solche Verwendungen, in denen must in einem Nebensatz von einem verbum dicendi im Präteritum abhängt: Als ursprüngliche Präteritalform kann must immer noch als Marker in past indirect speech (vgl . Tops 1977) fungieren . (17) ENG If I had time afterwards, he told me, I must go and look at the Norman front . (95) NDL Als ik na afloop even tijd had, zei hij tegen me, dan moest ik naar de Normandische doopvont gaan kijken . (82) DT Falls ich anschließend noch Zeit hätte, müßte ich mir das normannische Taufbecken ansehen . (96) Der hohe Grammatikalisierungsgrad von must ist auch dafür verantwortlich, dass das englische Modalverb nicht im Skopus eines anderen Modalverbs stehen kann (*will must, *can must) und im Allgemeinen nicht in infiniten Umgebungen erscheinen kann, was für moeten bzw . müssen unproblematisch ist . (18) ENG I suppose I’ll have to sell it one day . (44) NDL Ik zal het wel een keer moeten gaan verkopen . (41) Halten wir fest: Für die hohe Frequenz von moeten in Niederländischen gibt es sowohl funktionale (lexiko-semantische bzw . pragmatische) als auch formale Gründe . Zunächst einmal scheint das Niederländische über ein beschränkteres (grammatisches) Repertoire von formalen Ausdrucksmitteln für Notwendigkeiten und Aufforderungen zu verfügen, sodass moeten gleichsam als Faktotum eingesetzt wird. Umgekehrt ist das semantische Feld der Verpflichtungen und Aufforderungen im Englischen und im Deutschen ein wenig feiner aufgegliedert, sodass sich eine Art Aufgabenverteilung zwischen verschiedenen, stärker und schwächer grammatikalisierten Verb(form)en ergibt . Zweitens ist moeten wesentlich schwächer grammatikalisiert als must . Es hat sich nicht wie must zu einem zwangsläufig finiten Auxiliar entwickelt, und verfügt deshalb über mehr formale Einsatzmöglichkeiten (infinite Verwendungen, präteritale Verwendungen usw.) als must . Die Falsche Freunde: Warum sich die Modalverben… 143 hohe Frequenz von moeten im Niederländischen lässt also keineswegs auf einen hohen Grammatikalisierungsgrad des niederländischen Verbs schließen (vgl . etwa Bybee 2006) . 4. Evidentiell-epistemisches müssen / must / moeten Insgesamt liegt ein epistemisches must im Korpus 28-mal vor . Interessanterweise gibt es nur in sechs Fällen eine totale Überschneidung, bei der epistemisches must durch müssen ins Deutsche und moeten ins Niederländse übersetzt wird (vgl . (1) oben und (19)) . (19) ENG So finding her, it was awful, not just because it was her, but because somebody must have buried her . (41) NDL Dus, toen we haar vonden, was dat vreselijk, niet alleen omdat zij het was, maar omdat iemand haar begraven moet hebben . (38) DT Die Entdeckung der Knochen war schrecklich, nicht nur weil es Natalie war, sondern weil jemand sie dort vergraben haben muss . (45) Bemerkenswert ist weiterhin die Feststellung, dass von den 14 must-Belegen, die weder im Deutschen noch im Niederländischen durch müssen bzw . moeten wiedergegeben werden (vgl . dazu noch einmal Tabelle 1), nicht weniger als 13 Belege der epistemischen Kategorie zugeschlagen werden können (vgl . (20) und (21)) . Es gibt also eine ganz klare Tendenz, epistemisches must eben nicht mit dem intuitiv auf der Hand liegenden Pendant müssen bzw . moeten zu übersetzen . (20) ENG I’m afraid the trail must have gone awfully cold by now . (39) NDL Ik ben bang dat het spoor nu wel helemaal zal uitgewist zijn . (36) DT Alle Spuren dürften mittlerweile verwischt sein . (42) (21) ENG Then Erica appeared, also from the far side . She must have been sitting in the back seat and she was carrying little Rosie . (12) NDL Daarna verscheen Erica, ook aan de andere kant . Zij had vast op de achterbank gezeten en liep met kleine Rosie […] haastig naar binnen . (14) DT Offenbar hatte sie auf dem Rücksitz gesessen, denn sie trug Rosie im Arm, die […] schlief . (17) Die Tatsache, dass sowohl der niederländische als auch der deutsche Übersetzer oft davor zurückschrecken, die englischen epistemischen must-Belege mittels müssen bzw . moeten zu übersetzen, interpretiere ich dahingehend, dass beide Übersetzer (von denen übrigens angenommen werden kann, dass sie ihre Übersetzungen unabhänigig voneinander gemacht haben) davon ausgehen, dass epistemisches must eine anderen semantisch-pragmatischen Wert hat als ‘epistemisches’ moeten im Tanja Mortelmans 144 Niederländischen bzw . müssen im Deutschen . Schauen wir uns zunächst mal die Alternativen in beiden Sprachen an . zullen 10 + wel 8 vast 6 Ø 1 waarschijnlijk 1 insgesamt 18 + vast 1 Tabelle 3: Niederländische Übersetzungsäquivalente für epistemisches must Wie der Tabelle zu entnehmen ist, findet sich im Niederländischen als Pendant zum englischen epistemischen must an erster Stelle das Modalverb zullen (meistens in Kombination mit der Partikel wel, vgl . (20), (22) und (23)), an zweiter Stelle die Partikel vast (ohne weitere verbale Markierung, vgl . (21)) . bestimmt 5 sicher 2 offenbar 3 offensichtlich 2 Ø 4 dürfte 1 17 Tabelle 4: Deutsche Übersetzungsäquivalente für epistemisches must Im Deutschen werden eindeutig Modaladverbien bevorzugt (es finden sich die epistemischen Satzadverbien bestimmt (vgl . (22)) und sicher und die evidentiellen Satzadverbien offenbar (vgl . (21)) und offensichtlich) . Einmal erscheint im Deutschen das Modalverb dürfte (20), in vier weiteren Belegen wird das Modalverb einfach nicht übersetzt (vgl . (23) und (24)) . (22) ENG I haven’t seen Granny and Grandpa . They must be up in their room . (20) NDL Die zullen wel op hun kamer zitten . (21) DT Sie sind bestimmt oben in ihrem Zimmer . (25) (23) ENG […] and I always thought she must be dead . (41) NDL […] en ik altijd dacht dat ze wel dood zou zijn . (38) DT […] und ich immer geglaubt habe, dass sie tot ist. (45) (24) ENG […] and another [photo] which must have been taken only a week or so before she died . (47) NDL en nog eentje, waarschijnlijk van een week of zo voor haar dood . (43) DT […] und dazu noch eines, das ungefähr eine Woche vor Natalies Tod aufgenommen worden war . (50) Zweierlei lässt sich aus diesen Beobachtungen ableiten: Erstens scheint must im Englischen sowohl epistemische als auch evidentielle Interpretationen zu erlauben, während moeten bzw . müssen eher (rein) evidentiell-inferentiell zu sein scheint, d .h . typischerweise explizit auf vorhandene Informationsquellen verweist . Fälle, in denen durch must an erster Stelle das epistemische Commitment Falsche Freunde: Warum sich die Modalverben… 145 des Sprechers zum Ausdruck gebracht wird, werden im Niederländischen und im Deutschen vorzugsweise durch andere Mittel wiedergegeben (andere Modalverben, Adverbien) . Zweitens gehört must (zusammen mit den Tempusmarkern) zu den englischen grounding-Elementen, die den im Infinitiv bezeichneten Prozess profilieren (indem sie ihn grounden) . Letzerer enthält die kommunikativ gewichtige Information, die durch die Verwendung von must epistemisch gegroundet wird, d .h . implizit über den Ground eine epistemische Lokalisierung erfährt . Das englische Modalverb kodiert also in gewissem Sinne Hintergrund-Informationen, was die einfache Weglassbarkeit im Deutschen (23-24) und im Niederländischen (25) beweist . Als subjektive grounding predication rückt must in erster Linie den Prozess im Infinitiv in den Vordergrund, nicht aber sich selber. (25) ENG Jane, we’re almost finished and I know you must be exhausted but I’d like us to try something . (116) NDL Jane, we moeten er bijna mee ophouden, en ik weet dat je doodmoe bent, maar ik wou graag dat wij eens iets probeerden . (101) DT Jane, die Zeit ist fast um, und bestimmt sind Sie erschöpft, aber ich möchte trotzdem noch etwas ausprobieren . (116) Es nimmt in diesem Zusammenhang denn auch nicht wunder, dass must manchmal an erster Stelle als pragmatisches Signal zu funktionieren scheint, mit dem Höflichkeit signalisiert wird, indem die Sprecherin – wie in (26) und (27) – auf ein bereits existierendes Wissen beim Adressaten hinweist und sich für mögliche Wiederholungen in ihrer Äußerung gleichsam zu entschuldigen scheint . Auch in Beleg (25) („and I know you must be exhausted“) scheint der Sprecher an erster Stelle seine Anteilnahme am Wohlbefinden des Adressaten zum Ausdruck zu bringen . (26) ENG That was her boyfriend, as you must know . (39) NDL Dat was haar vriendje, zoals u wel zult weten . (37) DT Luke war ihr Freund, das wissen Sie sicher . (43) (27) ENG You must have heard about it from my dad . (39) NDL Dat zult u al wel van mijn pa hebben gehoord . (36) DT Bestimmt hat Ihnen mein Vater eine Menge davon berichtet . (42) Im Gegensatz dazu sind moeten und müssen in der Regel nicht in der Lage, die modale Relation mit maximaler Subjektivität darzustellen . Die modale Relation erfährt also eine gewisse Objektivierung . Der durch müssen bzw . moeten kodierte inferentielle Moment steht im Vordergrund: Vor allem dann, wenn eine logische Schlussfolgerung, die sich auf kontextuell vorhandene Evidenzen stützt, gezogen wird, erscheint im Deutschen und im Niederländischen ein müssen-Verb (vgl . Belege (1) und (19) oben) . Dies ist auch im folgenden Beleg (28) der Fall, in dem 146 Tanja Mortelmans der Sprecher explizit die Argumente aufführt, die den Schluss nahe legen, dass die ganze Situation für den Hörer schrecklich sein muss . (28) ENG Look, I’m really sorry about this awful thing with your sister-in-law and everything else that’s been happening with you . It must be terrible . (61) NDL Zeg, ik vind dat zo erg van dat verschrikkelijke gedoe met je nichtje en al die vreselijke dingen die jou de laatste tijd zijn overkomen . Dat moet vreselijk zijn . (55) DT Die Sache mit Ihrer Freundin tut mir sehr leid, und dann all das, was Sie sonst noch durchmachen müssen . Es muß schrecklich sein . (64) Im folgenden Beleg stützt sich die Schlussfolgerung („Du musst das doch wissen“) auf die vorhin gemachte (und deshalb im kommunikativen Raum stehende) Feststellung, dass der Angesprochene ein Arzt ist . Der Satz hat überdies deontische Beiklänge (‘Als Arzt sollte man so etwas wissen’) . (29) ENG You’re a doctor, you must know . (93) NDL Jij bent arts, jij moet zoiets weten . (81) DT Du bist Arzt, du mußt das doch wissen . (95) Betrachten wir noch einen letzten Beleg, in dem allerdings nur im Niederländischen moeten erscheint, während das Deutsche sich des evidentiellen Adverbs offensichtlich bedient . Wiederum wird die Evidenz kontextuell sichtbar gemacht: Die Frage der Polizistin („Alles in Ordnung?“) fungiert als explizite Evidenz dafür, dass die Überraschung der Protagonistin sich in ihrem Gesicht bemerkbar gemacht haben muss . (30) ENG She was younger than I expected . And she was a she . And it must have shown on my face . ‘Is everything all right?’ she asked . (52) DT Meine Überraschung spiegelte sich offensichtlich in meinem Gesicht wider . „Alles in Ordnung? “, fragte sie . (55) NDL Ze was jonger dan ik had verwacht . En ze was een zij . En dat moet aan mijn gezicht te zien zijn geweest . ‘Is er iets met je?’ vroeg ze . (48) Halten wir fest: Mit evidentiellem moeten bzw . müssen verweist der Sprecher in der Regel auf kontextuell bzw . in der Sprechsituation vorhandene Evidenzen, aus denen sich die gemachte Inferenz ergibt . Der Sprecher verweist also auf Elemente des Grounds, der somit nicht maximal subjektiv konstruiert wird . Die Tatsache, dass evidentielles moeten im Niederländischen nicht nur eine inferentielle, sondern auch eine quotative Lesart hat (vgl . etwa de Haan 2001), ist damit übrigens in Einklang zu bringen . Die genaue Interpretation von moeten ist stärker kontextbedingt (und somit gleichzeitig stärker sprecherabhängig) als die von must; verschiedene Evidenztypen können dabei als Input fungieren . Falsche Freunde: Warum sich die Modalverben… (31) 147 Ik heb veel over Paradise Now gehoord, moet een goede film zijn. „Ich habe viel über Paradise Now gehört, soll ein guter Film sein“ 5. Zusammenfassung: Deutsch zwischen Niederländisch und Englisch In diesem Beitrag wurde gezeigt, dass die hohe Frequenz von moeten im Niederländischen nicht zwangsläufig mit einem hohen Grammatikalisierungsgrad des Verbs einhergeht . Das niederländische Verb ist in hohem Grade polyfunktional, wobei die ganze Skala von deskriptiven dispositionellen Verwendungen bis hin zu am Sprecher orientierten deontischen und evidentiellen Verwendungen abgedeckt wird . Im Vergleich dazu besitzt das stark grammatikalisierte (und insgesamt viel weniger frequente) englische must einen beschränkteren Leistungsbereich, indem es sich auf sprecherbezogene deontische und epistemisch-evidentielle Verwendungen spezialisiert hat . Letztere sind dadurch gekennzeichnet, dass die modale Relation – wenigstens was ihren Beitrag zur Ebene der Proposition betrifft – dermaßen im Hintergrund stehen kann, dass sie in den niederländischen und deutschen Übersetzungen einfach weggelassen werden kann . Das deutsche müssen schließlich nimmt eine Mittelposition zwischen must und moeten ein . Es ist insgesamt weniger grammatikalisiert als must, erscheint dadurch auch häufiger, aber verfügt nicht über die gleiche funktionale Breite wie moeten . 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Einleitung 1 In einem Aufsatz aus dem Jahre 2005 zum Thema Polyfunktionalität der deutschen Modalverben zieht Grazina Droessiger eine Problematik ins Blickfeld, die m .E . in der bisherigen Modalverbforschung zu wenig Beachtung gefunden hat, und zwar die Fragestellung: Inwieweit spielen bei der Semantik (evtl . auch Pragmatik) von Modalverben andere Bedeutungskomponenten als die ausgeprägt kognitiven eine Rolle? Droessiger zufolge ist die Einbeziehung nichtkognitiver Bedeutungen und Bedeutungsimplikationen, das heißt in ihrem Zusammenhang die affektiven und die voluntativen, bisher vernachlässigt worden . Für Sequenzen mit epistemischer Modalverbverwendung, die Droessigers Auffassung nach affektiv gefärbt sind, nennt sie ein Beispiel wie (01) . Eine gewisse emotionelle Aufregung des Sprechers dürfte hier offensichtlich sein: (01) [ . . .] der Mann muss übergeschnappt sein . (Remarque, Erich Maria: Der Weg zurück, S . 25; zitiert nach Droessiger 2005: 90) Im vorliegenden Aufsatz möchte ich auf die mir bekannte Fachliteratur eingehen, die bei der Beschreibung von Modalverbsätzen eine solche affektive Komponente in Betracht zieht – mehr oder weniger explizit . Der Umfang solcher Sekundärliteratur ist, jedenfalls soweit ich es überblicke, insgesamt eher klein und somit überschaubar . Anschließend möchte ich versuchen, das Bild der müssen-Sequenzen mit einer solchen affektiven Färbung um einiges zu ergänzen, nicht zuletzt was die Frequenz dieses Typus anbelangt . Weiter möchte ich einige mögliche Untertypen andeuten, auch in Anlehnung an vorhandene einschlägige Literatur . Dies geschieht auf der Grundlage von einer Belegsammlung bestehend aus insgesamt tausend Textausschnitten mit je einem müssen in epistemischer Verwendung . 2. „Linguistische Einstellung“ (Bähr 1986) und affektive Modalverbverwendungen Droessigers Ausgangspunkt bei ihrer Beschreibung der nichtkognitiven Aspekte der Modalverbbedeutungen ist der Begriff „Einstellung“, wie er von Bähr (1986) 1 Ich danke den Teilnehmern der Tagung „Modalität/Temporalität in kontrastiver und typologischer Sicht“ (Danzig, 5 .-7 . Mai 2008) für wertvolle Kommentare . 150 Ole Letnes definiert wird. Sein Begriff „linguistische Einstellung“ ist, wie man an der Definition sieht, eher weit: „Der sprachwissenschaftliche Einstellungsbegriff umfaßt alle mentalen Beziehungen der Menschen zu irgendwelchen Objekten und Sachverhalten“ (Bähr 1986: 172; zitiert nach Droessiger 2005: 89) . Der Begriff „Linguistische Einstellung“ ist also so weit gefasst, dass, so Droessiger, nicht nur die epistemischen Modalverbverwendungen, sondern „auch die deontischen Lesarten der deutschen Modalverben zweifellos dem Ausdruck von Einstellungen“ dienen . Einstellungen, wie sie Bähr definieren, umfassen drei Komponenten – die kognitive, affektive und voluntative . Bei der affektiven Komponente, die hier am meisten interessiert, nennt Bähr als charakterisierende Stichworte Gefühle wie Angst, Freude und Neid bezüglich des Einstellungsobjekts, ausgedrückt in einem Satz wie z .B . Ich habe Angst vor morgen . Obschon auch die deontischen Modalverblesarten affektive Komponenten aufweisen können, sind Droessiger zufolge die „epistemischen Lesarten sowie beide Lesarten im Konjunktiv […] im Vergleich zur deontischen Lesart deutlich emotioneller, sie enthalten neben der kognitiven auch die affektive und/oder voluntative Komponente“ (Droessiger 2005: 90) . Droessigers Darstellung ist korpusbasiert, auch wenn es sich um ein eher schmales Korpus handelt; sie bringt Beispiele für müssen-Anwendungen aus dem Remarque-Roman Der Weg zurück . Als einschlägige Modalverben zieht Droessiger vor allem müssen und können heran, wie im schon genannten Remarque-Beispiel (01) – in (02) mit mehr Kontext wiedergegeben: (02) Das versteht Laher noch weniger . Diesen erstklassigen Tabak gegen eine blecherne Kokarde – der Mann muß übergeschnappt sein . Valentin würde das Päckchen nicht rausrücken, selbst wenn er dafür auf der Stelle Unteroffizier werden könnte . (Droessiger 2005: 90; Hervorhebungen im zitierten Text .) Hier diene, so Droessiger, das Modalverb müssen „nicht zum Ausdruck einer Vermutung, sondern eher Überraschung . Der Sprecher will mit seinen Äußerungen nicht behaupten, dass jemand verrückt/übergeschnappt ist, sondern er drückt auf diese Weise sein endloses Erstaunen aus“ (Droessiger 2005: 90) . Droessigers Erwähnung von „Überraschung“ und „Erstaunen“ legt auch nahe, solche müssen-Verwendungen in Verbindung mit der in den letzten Jahren oft Zur „affektiven“ Komponente… 151 thematisierten Erscheinung Mirativität (engl . mirativity) zu bringen . Unter Mirativität ist, nach DeLancey (1997: 35), „the grammatical marking of unexpected information“ zu verstehen, also die Erscheinung, dass eine Äußerung dem Sprecher neue und unerwartete Information bringt . Wichtige Beiträge zur Beschreibung der Mirativität haben in diesem Zusammenhang nicht zuletzt AksuKoç/ Slobin (1986), DeLancey (1997 und 2001), de Haan (2001) und Lazard (2001) geleistet . Auch könnte in (02) oben weist Droessiger zufolge eine affektive Komponente auf . Ich muss zugeben, dass mir dies bei können weniger einleuchtet, gehe aber hier darauf nicht näher ein, da ich in diesem Beitrag mich ja auf müssen beschränke . 3 „Affektives“ müssen bei Bech (1949), Raynaud (1975) und Ulvestad (1984) In ihrem Aufsatz greift Droessiger damit eine Thematik wieder auf, die u .a . von Gunnar Bech in seiner, 1949 erschienenen, Modalverbmonographie angesprochen wurde . In seiner Darstellung bespricht Bech bei jedem der sechs Modalverben einige „charakteristische Typen“ . Im Fall von müssen gebe es elf solche charakteristischen Typen . Unter dem müssen-Typ „Gedankenmäßige Notwendigkeit“, also dem quasi epistemischen, betont Bech, dass hier „nicht immer ein zwingend logischer Schluss vor[liegt]: Ebenso häufig, vielleicht sogar häufiger liegt eher eine (vage) Vermutung oder ein affektbestimmter Gedanke als eine eigentliche Folgerung als Grundlage der aufgestellten Notwendigkeit vor“ (Bech 1949: 28) . Die für diesen „affektbestimmten Gedanken“ bei Bech einschlägigsten Exemplifizierungen scheinen die folgenden beiden zu sein: [...] wie muss ich gelitten haben sowie [ . . .] und sie muss auch dumm sein, sie spricht ja kein Wort . Dass die Phänomene, die Droessiger bzw . Bech besprechen, sich zumindest überschneiden, ist besonders am zweiten Bech-Beispiel deutlich – man vergleiche die beiden Sequenzen Der Mann muss übergeschnappt sein [ . . .] (Droessiger) und [ . . .] und sie muss auch dumm sein [ . . .] (Bech) . Zu denjenigen, die gewissen Modalverbverwendungen einen affektiven Aspekt zugeschrieben haben, gehört auch Franziska Raynaud, vor allem in ihrer Modalverbmonographie aus dem Jahre 1975. Bezogen auf die epistemischen Verwendungswiesen – Raynaud spricht von modalisation (epistemisch), im Gegensatz zu modification (nicht-epistemisch) – nennt sie drei charakteristische Merkmale: ‘incertitude’, ‘raisonnement’ und ‘subjectivité affective’ (1975: 478) . Während das erste Merkmal, ‘incertitude’, alle sieben Modalverben betrifft (d .h . die sechs traditionellen und das Verb werden), seien die beiden letzten bei sollen und wollen nicht relevant . Das Merkmal ‘subjectivité affective’ 152 Ole Letnes „indique que l’intuition et des sentiments personnels ont participé à la formation du jugement exprimé par le Vm et que ce jugement ne s’appuie donc pas uniquement sur des arguments objectifs“ (Raynaud 1975: 478 f .) . Man bemerke, dass bei Raynaud in diesem Zusammenhang auch von „Intuition“ die Rede ist . Zwischen der Faktizitätsbewertung seitens des Sprechers und der ‘subjectivité affective’ sieht Raynaud, bezogen auf alle fünf Modalverben, folgenden (negativen) Zusammenhang: „[…] plus l’affectivité du raisonneur, c .à-d . sa subjectivité est forte, plus le degré de certitude de son jugement diminue“ (1975: 479) . Und weiter – nur mit Bezug auf das epistemisch verwendete müssen: „Moins les bases objectives du jugement sont solides, plus les sème fondamentaux de Mü diminuent et laissent la place au trait ,subjectivité affective’ “ (Raynaud 1975: 484) . Raynaud zufolge (1975: 485) finden sich epistemische müssen-Verwendungen mit dem Merkmal ‘subjectivité affective’ vorwiegend in Ausrufesätzen; sie spricht hier von „creations de l’esprit“ . Diese müssen-Sequenzen basieren aber trotzdem „presque toutes sur une experience“ . Des Weiteren sei müssen in solchen Fällen „en général accompagné de doch“, wie im Beispiel: „Nun sagen Sie mir bloß: dieser […] dieser heilige Prokureur, die Exzellenz muss doch uralt sein! Uralt! Der kann ja noch Napoleon gesehen haben!“ (Hervorhebungen im Original) . Eine weitere in diesem Zusammenhang einschlägige Arbeit ist Ulvestad (1984) . Ulvestad vergleicht in seinem Aufsatz die illokutive und perlokutive Funktion des epistemisch verwendeten werden bzw . müssen im Satz- und Dialogzusammenhang . Ihm geht es dabei vor allem um die Sprechaktfunktionen dieser beiden Modalverben „in verschiedenen typisierbaren Äußerungen“ . So findet sich Ulvestad zufolge müssen, und eben nicht werden, „fast immer bei krank, verrückt sein usw .“, wobei Merkmale wie [+ wichtig], [+ ernsthaft], [+ kritisch] und [+ eindrucksvoll] für die Modalverbwahl relevant seien: „Es ist ihr etwas zugestoßen. Sie muß krank sein“; „Ich muß wohl verrückt sein“ (1984: 277) . Als Sequenzen mit einem (nahezu) obligatorischen müssen erwähnt Ulvestad auch „Einfühlungs- oder Mitleidssätze ([+ Empathie])“ – wie Er muß schrecklich gelitten haben, der alte Mann und, mit dem Merkmal [+ teilnahmsvoll]: „Armes Kind! Sie müssen viel gelitten haben“, sagte Andi teilnahmsvoll . Obligatorisch sei müssen auch in „extra beteuernden“, also auch, darf man sagen, affektbetonten, Sequenzen wie: Es ist unmöglich, was du sagst, es muß unmöglich sein! (1984: 277f .) . Des Weiteren sei ein müssen durch ein werden kaum austauschbar in Aussagen, in denen „der Sprecher aus einem reellen Sachverhalt auf kausale Ereignisse, Zustände usw .“ schließt, „deren Irrealität ihm völlig klar ist“ (1984: 275 f .), wie im Beispiel: „Er muß in ein Wodkafaß gefallen sein […] Solch ein Gestank ist kaum normal“ . Dies erinnert an das obige Beispiel aus Droessiger ([ . . .] der Mann muss übergeschnappt sein), das auf eine ähnliche Formel gebracht werden kann . Zur „affektiven“ Komponente… 153 Es dürfte sich, so wie ich es sehe, bei den zitierten Beispielen aus Ulvestad (1984) durchweg um Sequenzen handeln, die sich unter Überschriften wie „subjectivité affective“ (Raynaud) oder „affektbestimmter Gedanke“ (Bech) subsumieren lassen . Das Bild vom epistemischen müssen als einer Modalverbverwendung mit besonderer affektiver Affinität wird nach Ulvestad (1984: 283) durch die jeweils auftretenden sogenannten Registerindikatoren verstärkt . Unterschieden wird zwischen Registerindikatoren des Erzählers und denen des Sprechers . So drücken typische Sprecherindikatoren Ulvestad zufolge „in den meisten Fällen Erregtheit (Affekt) aus“, wie z .B . Mann in: Mann, Sie müssen von Sinnen sein! Ein Beispiel für einen Erzählerindikator ist der Ausdruck schilt der Leutnant ärgerlich in: (03) „Sie müssen doch wissen, wer den Schlüssel . . . hat“, schilt der Leutnant ärgerlich (Fallada, Hans: Wir hatten mal ein Kind, 246; zitiert nach Ulvestad 1984: 282, Hervorhebung in Ulvestad 1984) Bei müssen sind nach Ulvestad aber Indikatoren des Erzählers selten anzutreffen, deutlich seltener als beim epistemisch verwendeten werden, was darauf beruhen möge, so Ulvestad, dass müssen in sich selbst eine spezifische, wie also zum Beispiel eine affektive, Sprecherhaltung ausdrücke . Das deckt sich gut mit der von Droessiger vertretenen Meinung, ein Modalverb wie ein epistemisch verwendetes müssen könne an sich die Funktion haben, Emotionen wie Überraschung auszudrücken . In pädagogischen Grammatiken und wissenschaftlichen Darstellungen allgemein ist, wie schon betont, von einer affektiven Komponente sehr selten die Rede . Das gilt für müssen wie für andere Modalverben . Die zitierten Arbeiten bilden, so weit ich die Forschungslage überblicke, ausgesprochene Ausnahmen . 4. Empirischer Teil Dem empirischen Teil meiner Darstellung zugrunde liegt eine Belegsammlung von tausend Textausschnitten, die der dialogreichen Erzählliteratur entstammen . Die Belegsätze enthalten je ein – indikativisches – müssen in epistemischer Verwendung . Dabei haben die müssen-Sätze entweder Vergangenheits- oder Gegenwartsbezug . Konjunktivische und zukunftsbezogene müssen-Sätze blieben ausgeklammert . Mit Bechs Worten als Ausgangspunkt versuche ich zunächst, diejenigen müssen-Sätze auszusortieren, deren Grundlage ein „affektbestimmter Gedanke“ ist oder zumindest sein könnte . Man erinnere sich hier an Bechs oben wiedergegebene Formulierungen, wonach bei dieser Lesart von müssen „nicht immer ein zwingend logischer Schluss“ vorliege, sondern häufig „eher eine (vage) Vermutung oder ein affektbestimmter Gedanke“ (1949: 28) . 154 Ole Letnes Nun ist es natürlich so, dass manchmal Geschmackssache ist, was als affektiv und was als „nicht-affektiv“ zu bezeichnen ist . Es handelt sich in hohem Maße um unscharfe, gleitende Übergänge, mit vielen Grenzfällen – das semantischpragmatische Merkmal [+ affektiv] ist noch lange nicht eindeutig . (Auf einige solche diskutablen Belege werde ich unten auch kurz eingehen .) Es scheint mir bei solch unscharfen Grenzen vernünftig, einen recht weiten Begriff von „affektiv“ zu Grunde zu legen . In der Praxis heißt dies beispielsweise, dass nicht nur ganz offensichtlich affektive müssen-Verwendungen wie in (04), sondern auch eine wie in (05) als affektiv einzustufen wäre: (04) „Sie müssen verrückt sein!“ fuhr er mich an . „Erst schlagen sie einen Menschen, weil er gedankenlos von Vergasung redet, und dann kommen Sie mit einer Theorie, mit der Sie den erhabenen Gleichgültigen spielen wollen!“ (Andersch: 229) (05) „Daß Ihr Buch eines Tages als deutsches Buch in Deutschland erscheinen wird, muß Ihnen seltsam vorkommen, nicht wahr?“ (Andersch: 394) In (05) oben wird, wie man sieht, Empathie ausgedrückt . Nach Ulvestad sind dies Bespiele für Fügungen, in denen müssen nahezu obligatorisch ist: Hier dürfe also ein müssen durch ein epistemisch verwendetes werden (ohne erhebliche Bedeutungsänderung) nicht ausgetauscht werden . Das sind typische Beispiele für Fälle, wo, mit Raynauds Worten (siehe oben) „l’intuition et des sentiments personnels ont participé à la formation du jugement exprimé par le V[erbes] m[odaux]“ (1975: 478 f .) . Noch eindeutiger und offensichtlicher empathisch sind müssen-Verwendungen wie in (06) und (07): (06) Esther, die länger geblieben ist, muß es schwerer gehabt haben, in den letzten Jahren. (Andersch: 37) (07) Das Ende von Frau Krystek muß schrecklich gewesen sein . (Andersch: 343) Schon beim ersten Durchgang der tausend epistemischen müssen-Belege fällt es auf, wie zahlreich die Belege sind, die als affektiv charakterisiert werden können . Klar affektiv, oder zumindest „affektverdächtig“, sind rund 30% des Materials . Auf dem Hintergrund dieser Zahlen ist man versucht, schlicht festzustellen, dass Bech recht hat (siehe oben) . Was aber noch mehr auffällt und überrascht, ist der hohe Anteil der empathischen Belege, die allein etwa 15% des Gesamtmaterials ausmachen, also etwa die Hälfte aller affektiven Beispiele . Außerdem lässt sich, im Unterschied zum übergeordneten Merkmal [+ affektiv], die Kennzeichnung ‚Empathie’ ziemlich genau, auf jeden Fall beträchtlich genauer, abgrenzen . Einige weitere Beispiele aus dem Material sind (08) bis (13): Zur „affektiven“ Komponente… 155 (08) Balinkay schwieg einen Augenblick, dann sagte er teilnehmend . „Armer Kerl, dir müssen’s aber gehörig zugesetzt haben . . .“ (Zweig: 317) (09) „Sie müssen sich gegenseitig ganz schön auf die Nerven gehen, vermute ich“ (Kirst/Wölfe: 225) (10) „Für mich endete es mit einer ansehnlichen Niederlage“, sagt der Mann und lächelt säuerlich, gerade als kehrte mit diesem Eingeständnis auch der Schmerz zurück oder die Beschämung, die er damals empfunden haben muß . (Lenz: 330) (11) Ich antwortete nicht . Es war auch unnötig . Ilon musste ohnehin bemerkt haben, wie erschüttert ich war . (Zweig: 263) (12) [ . . .] sie suchte nach dem Eindruck, den die Worte ihrer Mutter auf den Mann machten oder doch machen mussten [ . . .] (Lenz: 240) (13) Es muß sehr schön sein, vor der Tür zu warten, hinter der die Frau, mit der man verheiratet ist, das Kind stillt, das man mit ihr gezeugt hat . (Rinser: 296) Wie man an den Beispielen sieht, kommt dieser Typ, nicht unerwartet, vor allem in der erlebten Rede vor . Beispiele gibt es auch für „Autoempathie“: (14) „Es ist so lange her . Aber es muß, du hast recht, es muss immer noch etwas von diesem schrecklichen Gefühl in mir stecken . Ich mag sie nicht, diese Person .“ (Rinser: 228) (15) Einmal glaubte er, atmen zu hören, doch musste er sich getäuscht haben . (Dürrenmatt: 93) Dabei habe ich, wohlgemerkt, diejenigen empatischen müssen-Sätze nicht mitgezählt, die eine sogenannte explizite Begründung für die müssen-Schlussfolgerung aufweisen . Unter expliziter Begründung verstehe ich im unmittelbaren Kotext angeführte Anhaltspunkte für die im müssen-Satz ausgedrückte Schlussfolgerung – im Beleg (16) so steht er mit gesenkten Augen beunruhigt herum: (16) […] zweifellos muss der alte Mann gespürt haben, daß eben eine gefährliche Stimmung zwischen uns beiden schwingt; so steht er mit gesenkten Augen beunruhigt herum (Zweig: 101) In Textausschnitten wie (16) handelt es sich, trotz der ausgedrückten Empathie, mit Bechs Worten, eher um eine „eigentliche Folgerung“ als darum, dass „ein affektbestimmter Gedanke“ die „Grundlage der aufgestellten Notwendigkeit“ ausmache (1949: 28) . Im Folgenden möchte ich einige weitere Typen andeuten . So ließe sich beispielsweise eine beachtliche Anzahl der epistemischen, affektiven müssen-Sätze 156 Ole Letnes in meinem Material unter der Kategorie „Übertreibung“ einordnen . Droessigers müssen-Beispiele ([ . . .] der Mann muss übergeschnappt sein und [...] Weil muss verrückt sein) würden natürlich zu dieser Gruppe gehören . Dabei handelt es sich um ein viel benutztes, traditionsreiches rhetorisches Mittel (Hyperbel) . Ulvestad spricht hier von müssen-Aussagen, bei denen der Sprecher „aus einem reellen Sachverhalt auf kausale Ereignisse, Zustände usw .“ schließe, „deren Irrealität ihm völlig klar ist“ (1984: 276) . Dieser von Ulvestad etablierte Typ macht einen erheblichen Teil der Belege meines Materials aus, in denen Übertreibung ausgedrückt wird . Einige Beispiele hierfür sind: (17) . . . ich [befreundete] mich mit zwei Chinesinnen, die aber griechisches Blut in den Adern haben mußten, denn die praktizierten eine Liebe, die vor Jahrhunderten auf der Insel Lesbos besungen wurde . (Grass: 563) (18) . . . [sie] aß mit mir . . . Torte, in der Zement verbacken sein mußte . . . (Grass: 542) (19) Aber dann kam der Krieg, und irgendein Teufel muß mich in den Journalismus geritten haben . (Andersch: 47) (20) Am rechten Arm hängt eine Kette aus Smaragden – sie muß mehr wert sein als unsere gesamte Firma einschließlich des Lagers, der Häuser und des Einkommens der nächsten fünf Jahre. (Remarque: 368) (21) „Ich kann ihn […] nicht mehr riechen – der Mann muß hauptsächlich von Knoblauch leben […]“ (Fallada: 574) (22) „Mich ritt der Teufel, ich konnte nicht anders . Ich muß unter meinen Vorfahren Falschmünzer gehabt haben, oder Leute, die von gezinkten Karten lebten .“ (Fussenegger: 316) (23) Manche Geschichten erzählte sie, üble Geschichten, die kleine Stadt mußte eine Hölle sein . (Hesse: 211) (24) Bei einer derartigen Form von Anteilnahme muss das Sterben direkt ein Vergnügen sein! (Kirst/Fabrik: 513) (25) Ja, dies kann nicht nur, dies muß ein Vogelfrühstück sein. (Lenz: 163) Beispiel (17) oben enthält zwar rein äußerlich eine explizite Begründung . Diese ist aber zwangsläufig unzureichend, und der müssen-Schluss ist übertrieben und somit offensichtlich irreal . Auch bei diesem Typ gibt es, wie zu erwarten ist, Grenzfälle, bei denen man sich fragt, ob es sich tatsächlich um Übertreibung handelt – vgl . der Typ Er muss Zur „affektiven“ Komponente… 157 völlig verrückt sein! . Vgl . auch den Telegrammtext in (26), wo es gut möglich ist, dass „besoffen“ stimmt, „verrueckt“ wohl als Übertreibung zu verstehen ist: (26) xlieber jacob du gluecklicher hund stop du musst besoffen oder verrueckt gewesen sein als du in phoenix den wettschein ausgefuellt hast stop (Simmel/Hurra: 253) Zu den mehr idiomatisierten Übertreibungen gehören (27) und (28): (27) “Du mußt ja einen Mordshunger haben!“ (Simmel/Hurra: 623) (28) “[ . . .] du mußt doch halb tot sein nach dem Getümmel und Getue am Morgen [ . . .]“ (Böll: 293) Das epistemische müssen eignet sich offensichtlich gut in übertreibenden Aussagen . Wie ließe sich das erklären? Wie Bech betont, ist der durch das epistemisch verwendete müssen ausgedrückte Schluss nicht immer „zwingend logisch“ . Eine naheliegende Frage ist: Warum nicht gleich den entsprechenden unmodalisierten Satz verwenden? Müssen deutet zwar eine hohe subjektive Sicherheit an – das ist unumstritten . Der Umstand aber, dass keine hundertprozentige Sicherheit seitens des Sprechers ausgedrückt wird, scheint in diesem Zusammenhang von entscheidendem Belang zu sein . Die winzige Unsicherheit, die bei einem epistemisch verwendeten müssen bleibt, ist wichtig als Signal an den Hörer/ Leser, dass hier übertrieben wird . Hier dürfte der Gebrauch von Ironie eine Parallele darstellen: Bei einer ironischen Ausdrucksweise gilt wohl allgemein als angemessen, im Text Hinweise zu liefern, dass hier ironisch gesprochen wird . Analog bedarf es fairerweise eines Übertreibungssignals . Es sieht so aus, dass ein epistemisches müssen ein mögliches Übertreibungssignal ist (aber sicher nicht das einzige, das zu diesem Zweck zur Verfügung steht) . Anhand von den Belegen (29)-(37) versuche ich zu ermitteln, was geschieht, wenn „übertreibende“ müssen-Sätze in nichtmodalisierte Sätze umgeschrieben werden . Wie man sieht, funktioniert dies unterschiedlich bei den verschiedenen Sätzen: (29) „[ . . .] die aber griechisches Blut in den Adern hatten . . .“ (30) [ . . .] Torte, in der Zement verbacken war . . . (31) [die Kette] ist mehr wert als unsere gesamte Firma einschließlich des Lagers . . . (32) Ich hatte unter meinen Vorfahren Falschmünzer, oder Leute, die von gezinkten Karten lebten . 158 Ole Letnes (33) „Ich kann ihn […] nicht mehr riechen – der Mann lebt hauptsächlich von Knoblauch [ . . .]“ (34) Bei einer derartigen Form von Anteilnahme ist das Sterben direkt ein Vergnügen! (35) Manche Geschichten erzählte sie, üble Geschichten, die kleine Stadt war eine Hölle . (36) [...] irgendein Teufel hat mich in den Journalismus geritten. (37) Ja, dies kann nicht nur ein Vogelfrühstück sein, dies ist ein Vogelfrühstück. Eine Fragestellung mehr genereller Art ist, ob eine affektive Komponente (wie z .B . Übertreibung) epistemischer müssen-Sätze anhand von semantischen oder pragmatischen Kategorien zu beschreiben ist . Ein Argument dafür, dass die Erklärung in der Semantik von müssen liegen könnte, ist der Umstand, dass das Subjekt eines epistemischen müssen-Satzes nichtkontrollierend ist – mit Bechs Worten (1951: 7), dass der Modalfaktor „extrasubjektiv“ lokalisiert ist und das grammatische Subjekt jeweils nicht ein Agens, sondern ein Patiens darstellt . Dies geht einher mit engem Negationsskopus (Bech: „negation obliqua“, 1951: 8 ff .) . Negierte epistemische müssen-Sequenzen sind allerdings selten . (38) unten ist ein Beispiel aus meinem Material, wobei der enge Negationsskopus offensichtlich ist: (38) Es muß nicht zum besten stehen mit dem Baron, wenn er in einem billigen Hotel in Bayswater wohnt [ . . .] (Andersch: 309) Die Umschreibungen (29) bis (37) oben lassen sich m .E . nach dem Kriterium akzeptabel oder nicht akzeptabel (d .h . als einigermaßen gleichwertige Aussage) grob gruppieren . Die drei letzten, (35) bis (37), scheinen mir akzeptabler als die übrigen, also als die Beispiele (29) bis (34) . Die Belege (35) und (36) entsprechen ziemlich festen Redewendungen, das könnte eine Erklärung sein . Beispiel (37) enthält neben müssen ein epistemisch verwendetes kann – das könnte begründen, warum diese Fügung akzeptabel scheint: Das kann liefert den hier nötigen – epistemischen – Kontext, der andeutet, dass es sich um eine Übertreibung handelt . Auf den Versuch einer feinmaschigeren Typisierung der affektiven müssenSätze muss aus offensichtlichen Gründen verzichtet werden . Ich werde lediglich einige weitere Beispiele nennen, die Typen mit gemeinsamen Charakteristika zu repräsentieren scheinen . Als eine Untergruppe der übertreibenden Sätze lassen sich diejenigen einstufen, die Ulvestad (1984: 276) „vergleichende Schlussfolgerungen“ nennt . Hier ziehe der Sprecher „aus ihm mehr oder weniger vertrauten Geschehnissen, Zuständen in der Geschichte, der Religion, der Mythologie, der Geographie usw . Vergleichsschlüsse mit Bezug auf Zur „affektiven“ Komponente… 159 die Einmaligkeit, Großartigkeit, Beachtlichkeit gegenwärtiger Zustände usw .“ (Ulvestad 1984: 276) . Auch solche Sätze enthalten m .E . eine affektive Komponente . Hinzu kommt oft eine Art Komik, besonders wenn die Begebenheiten, die verglichen werden, unterschiedlichen Epochen und religiös-kulturellen Zusammenhängen entstammen, und die Textteile somit zu zwei unterschiedlichen Stilebenen gehören . (39) und (40) sind zwei Beispiele hierfür aus meinem Material: (39) [ . . .] Georg starrte mit andächtigen Augen zum Pool, wo Shirley sich auf einer Decke räkelte und streckte . So muß Moses ausgesehen haben im Anblick des Gelobten Landes . (Simmel/Neige: 53) (40) Seine Augen funkelten, sie füllten sich, sie strömten mir entgegen . So muß Lazarus geblickt haben, als er betäubt emporstieg aus seinem Grabe und wieder den Himmel sah und sein heiliges Licht . (Zweig: 389) Wie Raynaud (1975: 485) betont, sind Aussagen, die durch die subjectivité affective charakterisiert sind, oft Ausrufesätze und außerdem „en général accompagné de doch“ . Tatsächlich enthalten so viel wie etwa 9 % der Sätze in meinem Material die Partikel doch. Zahlreiche der Vorkommnisse dieser Partikel finden sich im Zusammenhang mit Sequenzen, die man als eigene Untergruppe der affektiven müssenSequenzen betrachten könnte . Ähnlich spricht Ulvestad (1984: 279) mit Bezug auf vergleichbare müssen-Sätze vom „extra beteuernde[n]“ müssen-Gebrauch . (41) bis (55) sind Beispiele aus meinem Material; in sämtlichen ist ein doch enthalten: (41) Ich möchte wissen, wer diese Cora, von der mein Onkel in mehreren seiner Gedichte spricht, ist oder war . Irgendwann muß es also doch eine Frau [ . . .] gegeben haben, von der er touchiert wurde . (Andersch: 127) (42) Die Welt muß doch noch etwas anderes sein als ein aus Zufällen zusammengesetztes Chaos . (Andersch: 119) (43) „Ist doch viel schöner [nackt zu baden] . Und außerdem ist das die Sylter Spezialität, mußt du doch schon von gehört haben .“ (Danella: 385) (44) „[ . . .] ihre Mutter muß ihr doch von ihrem Vater erzählt haben!“ (Andersch: 290) (45) „Du mußt doch wissen, wo deine Mutter ist, mußt doch wissen, wie es ihr geht, wie sie aussieht .“ (Böll: 363) (46) „Wenn Sie seit Kriegsanfang draußen sind, müssen Sie doch schon zwei- oder dreimal auf Urlaub gewesen sein!“ (Fallada: 200) 160 Ole Letnes (47) „Also das gibt es nicht! Da muß doch was vorgekommen sein .“ (Fallada: 201) (48) Für was kämpfte denn dieses Volk? Warum litt es so? Wozu wurde es so schlecht? Es mußte doch einen Sinn haben?! (Fallada: 251) (49) „Sie müssen doch wissen, daß mein Mädel Sie geliebt hat .“ (Fallada: 383) (50) „Sie müssen doch schon ‚ne Masse erlebt haben!“ (Fallada: 444) (51) „Aber du mußt es doch gemerkt haben, daß dann jemand die Treppe herunterkam und zur Tür wollte . . .“ (Fussenegger: 97) (52) „Das muß doch was zu bedeuten haben?“ (Kirst/Wölfe: 473) (53) „Das muß ich doch am besten wissen!“ sagte Barbara überlegen . (Kirst/08/15: 675) (54) „Kerl, wo treibst du dich so lange herum? Du mußt doch längst wissen, wohin sie sind!” (May/Greifenklau: 101) (55) „Sehn Sie, das finden Sie vollkommen begreiflich. Na, dann muß doch die Geschichte auch umgekehrt passen, nicht wahr?“ (May/Greifenklau: 163) Insistierend – und somit als affektiv einzustufen – sind auch die epistemischen müssen-Sätze vom Typ „Das muss doch einen Grund haben!“, die eigentlich nichts anderes als eine Art Paraphrasierung des Kausalprinzips sind . Nach Ulvestad geht es bei diesem Typ „mehr um ein Raten als um eine Vermutung“ . Wie man an den Beispielen (56) bis (60) sieht, enthalten auch mehrere von diesen Sequenzen ein doch: (56) „Sie sind aber doch sehr traurig . Das muß doch einen Grund haben .“ (Fontane: 99) (57) „Es muß doch welches [Gold] dort gegeben haben, weil wir es gefunden haben .“ (May/ Surehand: 13) (58) „Er muß doch einen Grund haben, auf keinen Fall heim zu wollen .“ (Simmel/Brüder: 415) (59) „- Irgendeine Erklärung muß es doch geben, und meinen Ärzten fällt nichts anderes ein .“ (Späth, S . 69) (60) „Plärr doch nicht so! Irgend jemand muß es [der Vater] wohl gewesen sein, nicht?“ (Späth: 67) Zur „affektiven“ Komponente… 161 5. Schlussbemerkung Zusammenfassend möchte ich nochmals hervorheben, dass Droessiger m .E . gute Gründe hat, diese Thematik aufzugreifen und dabei so deutlich zu betonen, dass bei manchen Modalverbverwendungen, vor allem der epistemischen, von rein kognitiven Einstellungen nur bedingt gesprochen werden darf . Hier konnte die Thematik natürlich nur andiskutiert werden, in Anlehnung an einige in diesem Zusammenhang relevante Arbeiten wie Ulvestad (1984), Raynaud (1975), Bech (1949) und vor allem, weil das mein Ausgangspunkt und direkte Veranlassung ja war, Droessiger (2005) . Anhand von den authentischen Beispielen hoffe ich auch exemplifiziert haben zu können, dass Modalverbbedeutungen sich nicht ausschließlich anhand von kognitiv basierten Erklärungskategorien erfassen lassen . Es sollten noch weitere Aspekte herangezogen werden, wie also zum Beispiel der affektive . Literatur Aksu-Koç/Dan Slobin (1986): „A psychological account of the development and use of evidentials in Turkish“, in: Chafe, Wallace / Johanna Nichols, (Hgg.) (1986): Evidentiality: The Linguistic Coding of Epistemology. Norwood, N.J.: Ablex. Bähr, Dieter (1986): Die Substitution von singulären Termen in opaquen Kontexten oder wie schwierig es ist, über die Einstellungen von anderen Menschen zu sprechen (= Tübinger Beiträge zur Linguistik 217) . Tübingen: Gunter Narr . Bech, Gunnar (1949): Das semantische System der deutschen Modalverba (= Travaux du cercle linguistique de Copenhague 4) . Kopenhagen: Munksgaard . Bech, Gunnar (1951): Grundzüge der semantischen Entwicklungsgeschichte der hochdeutschen Modalverba (= Det Kongelige Danske Videnskabernes Selskab, Historisk-filologiske Meddelelser 32/6) . Kopenhagen: Munksgaard . DeLancey, Scott (1997): „Mirativity: The grammatical marking of unexpected information“, in: Linguistic Typology 1, 33-52 . De Haan, Ferdinand (2001): „The mirative and evidentiality“, in: Journal of Pragmatics 33/3, 369-382 . Diewald, Gabriele (2004): „Faktizität und Evidentialität“, in: Leirbukt, Oddleif (Hg .): Tempus/ Temporalität und Modus/Modalität im Sprachenvergleich (= Eurogermanistik 18) . Tübingen: Stauffenburg, 231-258 . Droessiger, Grazina (2005): „Zur Polyfunktionalität der deutschen Modalverben oder: Was ist modal an den deutschen Modalverben? “, in: Žmogus ir žodis vol . 7 issue 3 (Vilnius Pedagogical University), 85-92 (http://www .ceeol .com/aspx/getdocument .aspx?logid=5&id=a0ae7c9d-63a4-4fa2-8a7dca57e4a29500) . Heinerth, Klaus (1979): „Einstellung, Verhalten und Erleben als Gegenstand der Veränderung in Psychotherapie und Erziehung“, in: Heinerth, Klaus (Hg .): Einstellungs- und Verhaltensänderung . München u .a .: Reinhardt, 17-30 . 162 Ole Letnes Lazard, Gilbert (2001): „On the grammaticalization of evidentiality“, in: Journal of Pragmatics 33/3, 359-367 . Raynaud, Franziska (1975): Les verbes de modalité en allemand contemporain. Thèse, Université de Paris IV . Lille . Ulvestad, Bjarne (1984): „Die epistemischen Modalverben werden und müssen in pragmalinguistischer Sicht“, in: Stickel, Gerhard (Hg .): Pragmatik in der Grammatik. Jahrbuch 1983 des Instituts für deutsche Sprache (= Sprache der Gegenwart. Schriften des Instituts für deutsche Sprache, Band LX) . Düsseldorf: Schwann, 262-294 . Quellen Andersch, Alfred .: Efraim . Zürich 1967 . (= Andersch) Böll, Heinrich: Fürsorgliche Belagerung . Köln 1979 . (= Böll) Danella, Utta: Jovana. 3. Aufl. München 1974. (= Danella) Dürrenmatt, Friedrich: Der Richter und sein Henker . Zürich 1980 . (= Dürrenmatt) Fallada, Hans: Der eiserne Gustav. 7. Aufl. Berlin 1977. (= Fallada) Fontane, Theodor: Effie Briest. München o.J. (= Fontane) Fussenegger, Gertrud: Die Pulvermühle . München1980 . (= Fussenegger) Grass, Günter: Die Blechtrommel. 14. Aufl. Neuwied-Berlin 1971. (= Grass) Hesse, Hermann: Narziß und Goldmund. 14. Aufl. Frankfurt/M. 1982. (= Hesse) Kirst, Hans H .: 08/15. Gesamtausgabe. München o.J. (= Kirst/08/15) Kirst, Hans H .: Die Wölfe . München 1967 . (= Kirst/Wölfe) Kirst, Hans H .: Fabrik der Offiziere. 4. Aufl. München 1977. (= Kirst/Fabrik) Lenz, Siegfried: Das Vorbild . Hamburg 1973 . (= Lenz) May, Karl: Die Herren von Greifenklau . Wien-Heidelberg 1952 . (= May/Greifenklau) May, Karl: Old Surehand I . Bamberg 1962 . (= May/Surehand) Remarque, Erich M .: Der schwarze Obelisk . Köln-Berlin 1956 . (= Remarque) Simmel, Johannes M. (AM): Alle Menschen werden Brüder . München 1967 . (= Simmel/Brüder) Simmel, Johannes M. (BS): Bis zur bitteren Neige . München-Zürich 1978 . (= Simmel/Neige) Simmel, Johannes M. (HW): Hurra, wir leben noch . München-Zürich 1978 (= Simmel/Hurra) Späth, Bernd: Seitenstechen . Düsseldorf 1981 . (= Späth) Rinser, Luise .: Mitte des Lebens . Frankfurt/M . 1950 . (= Rinser) Zweig, Stefan: Ungeduld des Herzens . (= Zweig) Kjetil Berg Henjum Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp „Imperativ + skal + Personalpronomen + Infinitiv“ 1 Einleitung und Definition des Untersuchungsgegenstands Thema dieses Beitrags ist ein norwegischer Konstruktionstyp, der auf die Formel in (1 .a) gebracht werden kann und in (1 .b) durch ein authentisches Beispiel veranschaulicht ist . Die Konstruktion kann umschrieben werden mit einem voll ausgeführten Konditionalgefüge (s . 1 .c), in dem der Inhalt des Bedingungssatzes mit dem des Imperativs in (1 .b) vergleichbar ist und der skal-Satz als Obersatz auftritt .1 (1 .) a b c Imperativ + skal + Pers.pron. + Infinitiv (+ evtl. weitere Glieder) Kom skal du få en sukkerbit! Ullmann, Før du sovner, S . 113) ‘Komm sollst du ein Zückerchen kriegen’ Hvis du kommer, (så) skal du få en sukkerbit ‘Wenn du kommst, (dann) sollst du ein Zückerchen kriegen’ (Linn Der erste Teil der Formel in (1 .a) – der Imperativ – wird von Faarlund u .a . folgendermaßen beschrieben: „Durch die Verwendung des Imperativs gebietet der Sprecher dem Hörer, eine gewisse Handlung auszuführen – oder nicht auszuführen . D .h ., es wird dem Hörer ein Direktiv auferlegt, in einer gewissen Weise zu agieren, und die Modalität ist immer deontisch .“ (Faarlund u .a . 1997: 587, meine Übersetzung, KBH) Um welche Subklasse der Direktive es sich in diesem Zusammenhang handeln kann, ist schwer zu entscheiden . Mehrere Subklassen dürften in Frage kommen, aber vielleicht vor allem BITTE und EMPFEHLUNG . Die in diesem Zusammenhang zum Tragen kommende Bedeutung von skal dürfte die folgende sein: „Die intentionale Bedeutung von skal trägt dazu bei, dass das Verb auch in Äußerungen sehr üblich ist, die als Versprechen und Versicherungen fungieren […] . Das Subjekt des Satzes kann in der 1 ., 2 . oder 3 . Person sein, aber in diesen Äußerungen ist es immer der Sprecher, der das Versprechen abgibt und der also die Quelle der Modalität ist […] . Ein Versprechen oder 1 Im Folgenden werden – wie in (1 .b) und (1 .c) – direkte und unidiomatische Übersetzungen in einfachen Anführungszeichen gegeben, um die Bedeutung der norwegischen Belege an die nicht Norwegisch verstehenden Leser zu vermitteln; norw . skulle wird der Einfachheit halber durchgängig mit dt . sollen übersetzt . Kjetil Berg Henjum 164 eine Versicherung kann in einigen Zusammenhängen auch als eine Warnung oder eine Drohung fungieren .“ (Faarlund u . a . 1997: 605, meine Übersetzung, KBH) skulle kann also ein VERSPRECHEN/eine VERSICHERUNG, aber auch eine WARNUNG/DROHUNG ausdrücken . Diese Konstruktion ist in unserem Zusammenhang (mindestens) in dreifacher Hinsicht interessant: Erstens enthält sie einen Imperativ, der eng mit einem weiteren Konstruktionsteil verbunden ist; zweitens enthält sie das Modalverb skulle, dessen Übersetzung ins Deutsche nicht selten Probleme bereitet; drittens ist sie syntaktisch unvollständig und existiert parallel mit der vollständigen Variante mit dem konsekutiven Adverb så (‘dann’) . Die syntaktisch vollständige Variante mit så (ggf . so/saa) – die zumindest in der geschriebenen Sprache die üblichere sein dürfte – wird in (2 .a) auf eine Formel gebracht und in (2 .b-e) durch authentische Beispiele veranschaulicht; in diesen Beispielen nimmt så den Imperativ wieder auf, und eine Umschreibung mit hvis , så (dt . wenn …, dann …) ist möglich . (2 .) a b c d e Imperativ + så + skal + Pers.pron. + Infinitiv (+ eventuelle weitere Glieder) Set deg her, så skal du få eit glas mjølk . (Vesaas, „Den ville ridaren“ in Vindane, 40) ‘Setz dich hier, dann sollst du ein Glas Milch bekommen’ Venta fem Minuttar, Frue, saa skal De faa fint Fylgje! (smiler) . (Arne Garborg, Samlede virkir, Uforsonlige, første akt; Dokumentasjonsprosjektet) ‘Warten Sie fünf Minuten, meine Frau, dann sollen Sie feine Begleitung bekommen’ „Drikk ut no“, sa Helge, „so skal du faa noko friskt; det smakar alltid best med same det kjem or Tunna .“ (Arne Garborg, Samlede virkir, Fred, del 3; Dokumentasjonsprosjektet) ‘Trink jetzt aus, dann sollst du was Frisches bekommen’ Kom inn, så skal du få kaffi . (Faarlund u . a . 1997: 818) ‘Komm herein, dann sollst du Kaffee bekommen’ 2 Zielsetzung und Aufbau Erstens ist die Konstruktion in Abschnitt 4 im Einzelnen zu beschreiben, und zwar im Blick auf das Verb im Imperativ (s . 4 .1), das nach skal stehende Personalpronomen (s . 4 .2) und das/die nach skal stehende(n) Verb(en) im Infinitiv (s . 4 .3) .2 2 Der Rahmen dieses Beitrags erlaubt nicht die Analyse weiterer Elemente im Imperativteil und im Infinitivteil sowie der häufigen Kombination mit einer Anrede. – Eine genaue Beschreibung dieser Konstruktion steht noch aus, und sie findet meines Wissens auch keine Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp… 165 Zweitens sind in Abschnitt 5 die Übersetzungen im Hinblick auf die gerade angesprochenen Faktoren zu beschreiben . Drittens soll in Abschnitt 6 der Frage nachgegangen werden, ob oder vielleicht eher inwieweit bei dieser Konstruktion von Textsortenabhängigkeit gesprochen werden kann . Viertens wird in Abschnitt 7 die Frage angeschnitten, ob und ggf . welchen Verwendungsbedingungen die Konstruktion unterliegt; hat sie eine besondere Pragmatik oder einen Mehrwert z .B . gegenüber der Konstruktion mit så? Fünftens wird in Abschnitt 8 das Ergebnis einer COSMAS-Recherche dargestellt, die das Ziel hatte, Konstruktionen zu finden, die mit der fraglichen norwegischen vergleichbar sind . 3 Methode und Material Der Untersuchung dieser Konstruktion hat eine schwierige Belegsituation, nicht zuletzt im Blick auf Übersetzungsbelege, teilweise im Wege gestanden: Es konnten 63 Originalbelege und 14 Übersetzungsbelege zusammengetragen werden (für Genaueres s . Tabelle 1) . Dabei handelt es sich um – 53 Originalbelege, die durch gezielte Recherchen in elektronischen Korpora (s . 10 .1) gewonnen wurden, – zehn Originalbelege, die durch vollständige manuelle Auswertung mehr oder weniger zufällig ausgewählter belletristischer Texte (s . 10 .2) gewonnen wurden, – elf Übersetzungsbelege aus Märchen – genauer: sieben aus elektronischen Korpora (s . 10 .4) und vier aus nicht elektronisch verfügbaren Texten (s . 10 .3) und – drei Übersetzungsbelege aus der neueren Belletristik (s . 10 .5) .3 4 Der Untersuchungsgegenstand im Einzelnen 4 .1 Verben im Imperativ (Prototyp: komme) Tabelle 2 berücksichtigt die 63 Originalbelege und zeigt die Verteilung der im Imperativ vorkommenden Verben. Das Verb, das mit Abstand am häufigsten vorkommt (n=39), ist komme (s . 3 .), und dass komme ein bei dieser Konstruktion sehr geläufiges Verb ist, zeigen auch die Belege in (4.). (3 .) 3 Adjunkten, […], gikk hen og tok studenten uten videre under armen: „Kom skal vi to gå oss en tur i haven.“ (Kielland, En middag; OpenClass) ‚Komm sollen wir einen Spaziergang im Garten machen’ Erwähnung in norwegischen Grammatiken (siehe etwa Faarlund u .a . 1997 und Venås 1990) und in der Forschungsliteratur (siehe etwa Eide 2005) . Alle angeführten Korpora und Werke sind vollständig ausgewertet worden . Kjetil Berg Henjum 166 (4 .) a b c d Kom skal vi løpe! (Comic-Heft von Lars Fiske) ‘Komm sollen wir laufen’ Kom skal vi dikte ei grend og en gård . (Kinderbuch von Kirsti Birkeland) ‘Komm sollen wir einen Ort und einen Hof dichten’ Kom, skal vi synge . (Kinderliederbuch von Margrethe Munthe) ‘Komm sollen wir singen’ Kom skal vi klippe sauen i dag . (Kinderlied, Ursprung unbekannt) ‘Komm sollen wir heute das Schaf scheren’ Häufig geht komme einem Adverb – am häufigsten hit (auch: hid, dt . ‘(hier)her’; s . 21 .a-c), seltener her (dt . ‘her’; s . 14 .), opp (dt . ‘herauf’; s . 5 .) und an (s . 15 .) – voran, das die Bedeutung von komme deutlich konkreter macht als in den Beispielen in (4 .) . (5.) – Jo, for satan! raabte jeg saa; kom op skal du høre. (Hans Jæger, Fra KristianiaBohêmen II, XVII; Dokumentasjonsprosjektet) ‘Komm herauf sollst du hören’ Es treten sechs Imperativformen von Verben mit der Bedeutung ‘warten’ auf, drei von vente wie in (6 .) (s . auch 11 .) und drei des altertümlichen bi (s . 12 . und 16 .) . (6 .) „Vent! skal du få se.“ (Hagemann, Duo med Scott, 58) ‛Warte! sollst du sehen dürfen’ Die Imperativform des Verbs be kommt in drei fast identischen Belegen vor (s . 24.), die in Abschnitt 6.2 im Hinblick auf die Textsortenspezifik dieser Konstruktion angesprochen werden . Mit jeweils zwei Belegen repräsentiert sind følge med mit der konkreten Bedeutung ‘mitkommen/folgen’ (s . 8 .), gå (s . 7 .) und se/se seg om (s . 17 .) . Vereinzelte Verben gehen aus Tabelle 2 hervor .4 4 .2 Personalpronomen nach skal (Prototyp: du) Tabelle 2 zeigt im rechten Teil das Vorkommen der verschiedenen Pronomen nach skal. Weitaus am häufigsten (n=27) ist das sing. Hörerpronomen du wie in (7 .) (s . auch 5 . und 6 .) . Relativ viele Belege (jeweils 12) stellen auch das sing . Sprecherpronomen jeg, in (8.) in Hans Jægers Schreibweise jei, und das plur . Sprecherpronomen vi wie in (9 .) (s . auch 15 .) 4 Es sei auf eine ähnliche Konstruktion hingewiesen, die nicht zum Untersuchungsgegenstand gerechnet wird, weil der Teil vor skal keinen Imperativ enthält und allein aus einer direktiven Adverbphrase mit untergeordneter Präpositionalphrase besteht, die die Funktion der Aufforderung übernimmt . „Hit med tannstikka di, skal du få se kast!“ (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, Rødrev og Askeladden; Dikt-forsiden) ‘Her mit deinem Zahnstocher, sollst du Wurf sehen dürfen’ Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp… (7.) (8 .) (9.) 167 Ingen andre fikk lov å røre fuglen hans. Han k1øv op for å snakke med den. Men fuglen blev redd og fløi buret rundt. – Gå ned, Will, – skal du høre den synger for dig . (Valstad, Tilla, Teodora kommer hjem, im Kapitel „Teodora kommer hjem“; Høgskolen i Vestfold – Nettbiblioteket) ‛Geh runter Will sollst du ihn für dich singen hören’ – Ikke si det! ikke si det! roper Vera til de andre – og jei blir sittende der noksaa fatti . Men saa springer hun op og griper mei muntert i armen: – Føll me mei inn skal jei vise Dem hva det var allikevel! sier hun og springer rask i forvejen bort til huse. (Hans Jæger, Bekjendelser, XL; Dokumentasjonsprosjektet) ‘Folgen Sie mir hinein, soll ich Ihnen trotzdem zeigen, was es war’ Nej, gå ikke op; – kom, skal vi prøve å spille lit firhændig! […] . (Bjørnson, Bjørnstjerne, Geografi og kærlighed in Samlede verker, Band 6; http://www .dokpro .uio .no/ litteratur/bjoernson/1bbbind6 .txt) ‘Komm, sollen wir versuchen, ein bisschen vierhändig zu spielen’ Recht selten sind mit jeweils vier Belegen das plur . Hörerpronomen . dere wie in (10) (s . auch 19 .), das Distanzpronomen (De/Di/I; s . 11 .) und das sing . Verweispronomen hun (s . dazu 12 . sowie die drei fast identischen Belege in 24 .) . (10 .) (11 .) (12.) „Dere skal få noe,“ ropte han . „Slipp meg opp, skal dere få se hva jeg har .“ (Hagemann, Bror, Glemselens gate, 29) ‛Lasst mich hinauf, sollt ihr sehen dürfen, was ich habe’ Professor Polli Volli: (begeistret) Ja, selvfølgelig. Ikke sant? Vent skal De se . [ ] (T . Å . Bringsværd, Bazar) ‘Warten Sie, sollen Sie sehen’ [ …] da kongsdatteren skulle se ut gjennom vinduet hva som var på ferde, og fikk se dette taterfølget, satte hun i å le . Men Tyrihans, var ikke fornøyd med det . „Bi litt, skal hun nok få latterdøra bedre opp!“ sa han og gjorde en vending bakom kongsgården med følget sitt . (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, Tyrihans; Dikt-forsiden) ‘Warte etwas, soll sie wohl die Gelächtertür [den Mund] besser aufmachen’ 4.3 Verben im Infinitiv (Prototyp: se) Im Hinblick auf das Verb im Infinitiv sind zwei Fälle zu unterscheiden. Fall 1: skal regiert den Infinitiv eines Verbs, das keinen weiteren Infinitiv regiert. Fall 2: skal regiert den Infinitiv eines Verbs, das wiederum einen Infinitiv regiert. Als Verb, das von skal regiert wird und wiederum einen Infinitiv regiert, kommt in meinem Material vor allem få vor, aber auch søge und prøve sind belegt . Als prototypisches Verb bei dieser Konstruktion kann se gelten (Fall 1: n=14, s. (11.) Fall 2: n=8). Als zweiter Infinitiv (Fall 2) tritt se ausschließlich zusammen mit dem Modalverb få (in deontischer Lesart mit der Bedeutung ‛dürfen’) auf. Es ist nicht überraschend, dass diese Verben ausschließlich mit Hörerpronomen Kjetil Berg Henjum 168 kombiniert werden, Beispiele mit du sind (6 .), (17 .), (21 .a-c), ein Beispiel mit dere ist (1 .) . få als Modalverb mit der Bedeutung ‛dürfen’ ist relativ häufig (n=11) und wird vor allem mit se (‘sehen’) kombiniert (n=8), aber Belege mit smake (s . 14 .) und høre sind auch repräsentiert . Als Vollverb mit der Bedeutung ‘bekommen’ tritt få in neun Belegen auf (s . 13.). Die Häufigkeit dieser beiden Typen von få unterstützt eine Interpretation der Konstruktion in Richtung der Sprechhandlung VERSPRECHEN oder VERSICHERUNG . Tabelle 3 ist zu entnehmen, dass auch die Infinitivverben søge und prøve (beide mit der Bedeutung ‘versuchen’) mit einem zweiten Infinitiv kombiniert werden; søge regiert den Infinitiv tyde, während prøve den Infinitiv spille regiert (s . 9 .) .5 5 Die Übersetzungen Der Übersetzungsuntersuchung liegen lediglich 14 Belege zugrunde – drei aus der Gegenwartsliteratur und elf aus den Volksmärchen von Asbjørnsen und Moe (s . Tabelle 1) . 5 .1 Übersetzung des Verbs im Imperativ Die Verben im Imperativ sind durchgehend „direkt“ übersetzt, d .h . mit dem deutschen Verb, das sich als Äquivalent anbietet . Zwölf der übersetzten Belege enthalten das Verb komme im Imperativ und sind mit kommen übersetzt . In den allermeisten Belegen hat komme eine konkrete Bedeutung der Bewegung (s. 13.), die häufig wie in (14.) durch die Kombination mit einem direktiven Adverb verdeutlicht wird (s . auch 23 .a-c sowie 4 .1) . In (15 .) liegt eine weniger konkrete Bedeutung von komme vor; in Kombination mit dem Adverb an ergibt sich die Bedeutung ‘beveg deg’ (‘bewege dich’/‘mach mal’) . (13 .) (14 .) 5 N: [ ] hver gang Arvid ser en hest som går og gresser stikker han hodet ut av bilvinduet og roper TOOORILD KOM SKAL DU FÅ EN SUKKERBIT . (Linn Ullmann, Før du sovner, S . 113) D: […], und immer, wenn Arvid ein grasendes Pferd sieht, streckt er den Kopf aus dem Autofenster und ruft, Tooorild, komm, dann kriegst du ein Zückerchen! (Linn Ullmann, Die Lügnerin, S . 127) N: „Kom her, skal du få smake noe godt!“ (Hagemann, Noen som Angela, 29) D: „Komm her, ich hab hier was Gutes.“ (Hagemann, Auf der Suche nach Angela, S . 39) Tabelle 3 zeigt die weiteren vertretenen Verben; durch Beispiele veranschaulicht sind lyske (s . 23 .), fortelle (s . 16 .), gå (s . 3 .), høre (s . 5 .), dikte (s . 4 .b), klippe (s . 4 .d), slåss (s . 15 .), synge (s . 4 .c) und vise (s . 8 .) . Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp… (15 .) 169 N: Pappa ville lekebokse . Kom an, sa han, skal vi slåss, kom an da tøffing. (Linn Ullmann, Før du sovner, S . 108) D: Papa wollte mit mir boxen . Komm, sagte er, jetzt wird geboxt, na komm, du Mordskerls . (Linn Ullmann, Die Lügnerin, S . 121) Die beiden Übersetzungsbelege ohne komme enthalten die Imperative Bi und Se deg om . Auch hier bieten die Übersetzungen keine Überraschungen; es ist mit Wart (s . 16 .) und Sieh dich um (s . 17 .) übersetzt worden . (16 .) (17 .) N: Straks katta hørte ham, løp hun ut til porten . „Bi litt, skal jeg fortelle deg hvordan bonden bærer seg at med vinterrugen,“ sa katta . (Asbjørnsen und Moe, Norske folkeeventyr, Herre Per; La Maison Forte) D: Als die Katze das hörte, lief sie sogleich hinaus, trat an die Pforte und sprach: „Wart einmal! Ich will Dir erzählen, wie der Bauer es mit dem Winterkorn macht“, [ ] . (Asbjørnsen und Moe, Der Herr Peter; La Maison Forte) N: „Se deg om, skal du få se den vakre, deilige jomfruen bak deg!“ sa katta til trollet . (Quelle wie 16 .) D: „Sieh Dich mal um, dann wirst Du hinter Dir die schöne herrliche Jungfrau erblicken!“ sagte die Katze zum Trollen . (Quelle wie 16 .) 5.2 Übersetzung des Infinitivteils 5 .2 .1 Satztyp in der Übersetzung Die Übersetzung des Konstruktionsteils nach dem Komma, des Infinitivteils, verteilt sich auf zwei Konstruktionen, und zwar auf den Konstativ- und den Imperativsatz . Mit Konstativsatz sind elf Infinitivteile übersetzt, zehn mit einem Konstativsatz im Aktiv und einer mit unpersönlichem Passiv (s . 15 .) . Fängt der Konstativsatz mit einem Adverbial an, so kann es in diesen Fällen m .E . als hinzugefügt gelten, was heißt, dass es im Original keine explizite Vorlage gibt, die eine solche Übersetzung auslösen würde . Seine Funktion liegt wahrscheinlich darin, dass es die Beziehung zwischen den beiden Teilen verdeutlicht; es handelt sich um die Adverbien dann (s . 13 . und 17 .), da (s . 19 .) und so (s . 20 .) . (18 .) N: Best det var, kom det en dur og en dirring, som vegger og tak skulle ramle sammen . „Tvi, tvi! Her lukter kristenmanns blod og bein i mitt hus,“ sa trollet […] . „Kom her og legg deg i fanget mitt, skal jeg lyske deg,“ sa prinsessen; „så blir det vel bra til du har sovet .“ (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, De tre kongsdøtre i berget det blå; Dikt-forsiden) D: Mit einem Mal gab es ein Dröhnen und Beben, als wollten Wände und Dach einstürzen . „Pfui Teufel, hier in meinem Haus riecht es nach Menschenblut,“ sagte der Troll […] . „Komm her und leg dich in meinen Schoß, ich werde dich lausen,“ sagte die Kjetil Berg Henjum 170 (19.) (20 .) Prinzessin; „bis du ausgeschlafen hast, ist es wohl besser geworden .“ (Asbjørnsen und Moe, Die drei Königstöchter im blauen Berge) N: „Dere er da noen stakkarer, som sitter her i denne fillehytta,“ sa gutten. „Kom og følg meg opp på slottet mitt, skal dere se at jeg er en annen kar,“ sa han . (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, Det blå båndet; Dikt-forsiden) D: „Ihr seid ja jämmerlich daran hier in der armseligen Hütte, kommt mit mir auf mein Schloß, da werdet ihr sehen, daß ich ein anderer Kerl bin“, sagte der Bursche . (Asbjørnsen und Moe, Norwegische Volksmärchen, Das blaue Band, S . 257) N: [ohne Kontext, vgl . (18 .)] „Men kom nå, skal jeg lyske deg,“ sa prinsessen, […] . (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, De tre kongsdøtre i berget det blå; Dikt-forsiden) D: „Doch komm her, so will ich dich lausen,“ sagte die Prinzessin, […] . (Asbjørnsen und Moe, Die drei Königstöchter im blauen Berge) Mit Imperativsatz sind lediglich drei Infinitivteile aus demselben Märchen übersetzt, wobei es sich um die Koordination von Imperativsätzen handelt; an den ersten Imperativ schließt sich ein zweiter, der durch und verbunden wird, s . (21 .ac) . Die drei Belege stammen aus demselben Volksmärchen und werden auch im Rahmen der Textsortenspezifik dieser Konstruktion angesprochen (s. 6.2). Es sei des Weiteren an die sehr ähnlichen mit Konstativsatz übersetzten Belege mit lyske in (18 .) und (20 .) erinnert . (21.) a b c N: „Aa, det er vel ikke saa farlig, veed jeg,“ sagde Kjærringen; „vil de ikke bie, til Rømmegrøden er kogt, kan de reise igjen . Nei kom hid, skal du faae see! Saa deilig en Fyr har jeg aldrig seet for mine Øine før, som han, der staaer ude i Gaarden . […] .“ (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, Det har ingen Nød med den, som alle Kvindfolk er forlibt i; Dokumentasjonsprosjektet) D: „Ach, das ist doch nicht so gefährlich; wenn sie nicht warten mögen, bis die Grütze gekocht ist, können sie ja wieder gehen“, gab die Frau zur Antwort . „Komm nur hierher und schau einmal! Einen so schmucken Burschen wie den, der da draußen steht, habe ich noch nie mit Augen gesehen . […] .“ (Asbjørnsen und Moe, Norwegische Volksmärchen, Dem fehlt nichts, in den alle Weiber verliebt sind, S . 88) N: „[…] Men kom hid, skal du faae see En, som gaaer her ude Gaarden! […] .“ (Quelle wie a) D: „[…] Aber komm mal her und schau, was für einer da im Hof spaziert! […] .“ (Quelle wie a, S . 86) N: „[…] Men kom hid, du ogsaa, skal du faae see! […] .“ (Quelle wie a) D: „[…] Komm nur einmal her und schau! […] .“ (Quelle wie a, S . 87) 5 .2 .2 Übersetzung der Verben und der Pronomina In 5 .1 wurde festgehalten, dass alle Imperativverben mit dem „zu erwartenden“ deutschen Verb übersetzt worden sind . Im Folgenden handelt es sich darum, wie die Verben im Infinitivteil übersetzt worden sind, d.h. das finite skal sowie der davon Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp… 171 regierte Infinitiv, und es zeigt sich, dass auch die meisten Übersetzungen der Verben im Infinitivteil mehr oder weniger direkt dem Verb im Original entsprechen. Die drei mit Imperativsatz übersetzten Belege in (21 .a-c) enthalten das Verb schauen, was ziemlich genau der norwegischen Vorlage se entspricht . Für die elf mit Konstativsatz übersetzten Belege sieht die Lage folgendermaßen aus: neun sind mit einem Nebenverb (Hilfsverb) übersetzt, und zwar fünf mit wollen und vier mit werden. Bei den fünf mit wollen übersetzten Belegen handelt es sich um AS-Belege mit jeg als Subjekt, und in der Übersetzung ist ich Subjekt im Konstativsatz (auch der sechste Beleg mit jeg ist mit ich übersetzt worden) . Die von wollen regierten Infinitive sind krauen (n=3; s . 23 .a-c), lausen (n=1; s . 20 .) und erzählen (n=1, s . 16 .) . krauen (= kraulen; liebkosen) ist in allen drei Fällen die Übersetzung des norw . Verbs lyske (‛plukke lus av’, ‛avluse’ = ‛entlausen’); die Übersetzung ist semantisch gesehen nicht hundertprozentig gelungen . Demgegenüber dürfte in (20 .) lausen eine genaue Übersetzung von lyske sein (anderes Märchen, andere Übersetzung) . Bei den vier mit werden übersetzten Belegen handelt es sich in drei Fällen um werden als Modalverb mit futurischer Bedeutung, und werden wird jeweils einmal mit den Infinitiven erblicken (17 .), sehen (19 .) und lausen (18 .) kombiniert . Schon angesprochen wurde der eine Beleg, der mit werden und dem Partizip II von boxen übersetzt wurde (s . 15 .) . Zwei Konstativsätze haben finite Hauptverben, und zwar kriegen und haben; in (13 .) entspricht dann kriegst du der Vorlage skal du få, und in (14 .) entspricht ich hab’ hier was Gutes der Vorlage skal du få smake noe godt. Die sechs Belege mit jeg wurden oben schon angesprochen; sie sind übersetzt mit ich . Auch ein Beleg mit vi und einer mit dere sind mit den zu erwartenden Pronomen wir bzw . ihr übersetzt worden . Bei sechs Belegen mit du sieht es etwas anders aus; zwei sind mit du übersetzt (s . 13 . und 17 .), einer ist mit ich übersetzt (s . 14 .), und die letzten drei sind wegen der Verwendung koordinierter Imperative ohne Pronomen übersetzt (s . 21 .a-c) . 5 .3 Exkurs: Ein norwegischer Übersetzungsbeleg Beispiel (22 .) zeigt einen norwegischen Übersetzungsbeleg (Kom, skal jeg hviske deg det), der auch deshalb erwähnt wird, weil auch eine deutsche Übersetzung vorliegt . Das englische Original enthält den Imperativ put und den komplexen konsekutiven Subjunktor so that . In der deutschen Übersetzung dieser Textstelle begegnen der Imperativ rück näher und das konsekutive Adverb dann . Man merke, dass in meinem Material ein dann in nur zwei Übersetzungen verwendet wird (s . 13 . und 17 .) . (22.) Put your head close so that I can whisper. (James, P.D., Devices and Desires; Oslo Multilingual Corpus, s . Fußnote 10) Kom, skal jeg hviske deg det. (James, P.D., Intriger og begjær) Rück näher, dann sag ich ‚s dir ins Ohr. (James, P.D., Vorsatz und Begierde) Kjetil Berg Henjum 172 6 Textsortenspezifik der Konstruktion 6 .1 Gesprochene Sprache In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, ob die schwierige Materiallage als Indiz dafür anzusehen ist, dass es sich hierbei um eine Konstruktion handelt, die nur begrenzten Eingang in die Schriftsprache gefunden hat; wahrscheinlich handelt es sich um ein Phänomen nähesprachlicher Konzeption im Sinne von Koch und Osterreicher (1985), und vielleicht könnte ein Korpus rein gesprochener Sprache mehr Belege ergeben . Eine detaillierte Internet-Recherche würde auch viele Belege mündlicher Prägung ergeben, nur erschwert sich eine solche Recherche wegen der begrenzten Möglichkeit, mit vereinfachenden Suchkriterien zu operieren . 6 .2 Märchen Das Volksmärchen ist ein Texttyp, in dem diese Konstruktion relativ häufig zu sein scheint . Ich kann hier selbstverständlich keine genauen Zahlen liefern, aber auf der Basis meiner Recherchen scheint mir eine solche Annahme berechtigt zu sein . Ein Grund könnte darin gesehen werden, dass Märchen zumindest teilweise auf mündlicher Überlieferung basieren . In einigen Märchen taucht die Konstruktion gar nicht auf, in anderen ist sie so häufig, dass sie als Teil der für die Märchen typische Wiederholungsstruktur (z.B. drei zu lösende Aufgaben/Rätsel) angesehen werden kann . Dieser Eindruck wird dadurch gestärkt, dass die Konstruktion nicht nur mehrmals begegnet; sie taucht im jeweiligen Märchen dreimal in nahezu identischer Form auf: Fast identisch sind die Belege in (21 .a-c), noch ähnlicher diejenigen in (23 .a-c) . Ganz konsequent durchgeführt ist dies allerdings nicht: In einem Märchen konnten nur zwei Belege gefunden werden (s . 18 . und 20 .) .6 (23 .) a b 6 N: Da han havde sprunget saaledes en Stund, kom ogsaa han til Bjergskorten; der sad igjen den gamle Kjærring og spandt paa Haandteen sin og raabte til Askepot: „kom hid, kom hid min smukke Søn, skal jeg lyske dig!“ sagde hun . (Asbjørnsen og Moe, Norske Folkeeventyr, De syv folerne; Dokumentasjonsprosjektet) D: Als er ihnen eine gute Weile nachgelaufen war, kam er auch zu der Bergschlucht . Da saß wieder das alte Weib mit ihrer Spindel und rief Askeladden zu: „Komm her, mein schmucker Bursch! Ich will dir den Kopf krauen!“ (Asbjørnsen und Moe, Die sieben Füllen) N: „Kom hid, kom hid min smukke Søn, skal jeg lyske dig!“ (Quelle wie a) D: „Komm her, mein schmucker Bursch! Ich will dir den Kopf krauen.“ (Quelle wie a) Dass in den Märchen die Varianten mit und ohne så parallel existieren, zeigen die Bsp . (25 .), (26 .) und (27 .) . Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp… c 173 N: „Kom hid, kom hid, min smukke Søn, skal jeg lyske dig!“ sagde hun . (Quelle wie a) D: „Komm her, mein schmucker Bursch! Ich will dir den Kopf krauen“, rief sie . (Quelle wie a) (24 .) enthält drei Belege, die sich nur minimal unterscheiden und die Tatsache veranschaulichen, dass in Märchen nicht nur Belege mit komme zu finden sind: (24 .) a b c „Be henne ut å gå skal hun få et godt råd!“ sa bjørnen . (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, Reve-Enka; Dikt-forsiden) ‘Lade sie zum Spaziergang ein, soll sie einen guten Ratschlag erhalten’ „Be henne ut å gå, skal hun få et godt råd,“ sa gråbeinen . (Quelle wie a) „Å be henne ut å gå, skal hun få et godt råd,“ sa haren . (Quelle wie a) 7 Mehrwert gegenüber der Variante mit så? Es gibt m .E . keine guten Gründe anzunehmen, dass eine Beschreibung der parallelen Konstruktion mit så große Unterschiede im Blick auf Pronomen, verwendbare Verben oder weitere Glieder aufdecken würde . Bleibt also die Frage, ob und ggf . wo überhaupt ein Unterschied zwischen den beiden Varianten gefunden werden kann . Dabei können folgende Fragen gestellt werden: • Unterscheiden sich die beiden Konstruktionen im Blick auf die Pragmatik? Erfüllt die in Frage stehende Konstruktion irgendwelche Funktionen besser als diejenige mit så? Wohnt der Konstruktion ohne så mehr Tempo/Nähe/ Unmittelbarkeit inne? • Gibt es Konstellationen im Imperativteil (Verben + Partikeln + weitere Glieder), die den Gebrauch der Konstruktion mit så oder die ohne så wenig wahrscheinlich machen? • Gibt es Konstellationen im Infinitivteil (Verben + Partikeln + weitere Glieder), die den Gebrauch der Konstruktion mit så oder die ohne så wenig wahrscheinlich machen? (25 .) enthält den Imperativ bi + så, und die Frage besteht hier darin, ob die Variante ohne så problemlos eingesetzt werden könnte . Es sei hier verwiesen auf die obigen Beispiele mit bi und vente ohne så: In (12 .) und (16 .) wird bi/vent mit einem weiteren Wort kombiniert, und zwar no (‘jetzt’) und litt (‘etwas’, ‘ein bisschen’), während in (25 .) bi alleine steht . (25 .) 7 „Bi, så skal jeg vise deg hvordan du skal bære deg at, jeg,“ sa Smørbukk; […] . (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, Smørbukk; Dikt-forsiden) ‘Warte, dann soll ich dir zeigen, wie du dich benehmen sollst’7 → Bi, skal jeg vise deg hvordan du skal bære deg at, jeg. Übersetzung in Tieck (s .u .): „Wart, ich will dir’s zeigen, wie du es machen mußt,“ sagte Schmierbock, „lege nur deinen Kopf auf die Bank, dann sollst du mal sehen .“ (S . 20) Kjetil Berg Henjum 174 Im Hinblick auf (26 .) stellt sich die Frage, ob das så irgendwie vom vorangestellten Adverb bare ausgelöst wird ggf . ob das bare die Auslassung des så blockiert . Es finden sich in meinem Material allerdings drei Belege mit bare im Imperativteil, aber in allen drei Fällen steht bare nach dem Imperativ (z .B . in Ja, kom bare hid, skal I faa smage den, Pakket! Jølsen, Fernanda Mona, XII; Dokumentasjonsprosjektet), was eine Rolle spielen könnte . (26 .) „Bare be henne ut å gå, så skal hun få gode råd,“ sa reven . (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, Reve-Enka; Dikt-forsiden) ‘Lade sie zum Spaziergang ein, dann soll sie einen guten Ratschlag erhalten’ → Bare be henne ut å gå, skal hun få gode råd. (27.) enthält im Infinitivteil das Pronomen jeg, den Infinitiv lyske und das pronominale Akkusativobjekt deg. Dieser Infinitivteil unterscheidet sich von dem der anderen Belege mit lyske nur darin, dass hier auch das så vorhanden ist (es sei verwiesen auf 20 . und 23 .a-c) . Der größte Unterschied liegt im Imperativteil: An der Stelle, wo dieser Beleg den Imperativ legg (‛lege’) enthält, liegt in den anderen Belegen komme im Imperativ vor . Dass dieser Unterschied eine Rolle spielen sollte, wird allerdings durch (18 .) unwahrscheinlich gemacht, in dem sogar eine Koordination von zwei Imperativen vorliegt, und zwar von komme und legge . (27 .) Rett som det var, kom Askeladden og satte seg ned på bakken ved siden av kongsdatteren. Og hun ble glad, det kan en nok vite, da hun fikk se det var kristenfolk som torde være hos henne enda. „Legg hodet i fanget mitt du, så skal jeg lyske deg,“ sa hun . (Asbjørnsen og Moe, Norske folkeeventyr, Rødrev og Askeladden; Dikt-forsiden) ‘Leg deinen Kopf in meinen Schoss, soll ich dich entlausen’ → Legg hodet i fanget mitt du, skal jeg lyske deg. Es gibt auch sonst genug Beispiele dafür, dass man problemlos ein så streichen oder auch hinzufügen kann, ohne dass Probleme entstehen würden . In (28 .a-d) bildet jeweils eine authentische Variante mit så den Ausgangspunkt (vgl . 2 .b-e), und nach dem Pfeil steht die konstruierte Variante ohne så: Nach meinem Sprachgefühl besteht der einzige Unterschied darin, dass sich die Variante ohne så gesprochensprachlicher anhört . (28 .) a b c Set deg her, så skal du få eit glas mjølk . → Set deg her, skal du få eit glas mjølk. – Venta fem Minuttar, Frue, saa skal De faa fint Fylgje!. → Venta fem Minuttar, Frue, skal De faa fint Fylgje! «Drikk ut no,» sa Helge, «so skal du faa noko friskt; det smakar alltid best med same det kjem or Tunna .» → "Drikk ut no," sa Helge, "skal du faa noko friskt; […]." Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp… d 175 Kom inn, så skal du få kaffi. → Kom inn, skal du få kaffi. 8 Kleine COSMAS-Recherche: “Ähnliche” deutsche Konstruktionen im Vergleich COSMAS-Recherchen haben bestätigt, dass es im Deutschen keine direkte Entsprechung zu dieser Konstruktion gibt, d.h. es finden sich keine Belege für sollen und ein Personalpronomen direkt nach einem Imperativ . Recherchen nach anderen möglichen Entsprechungen zum norwegischen Konstruktionstyp sind auch durchgeführt worden, und zwar als eine Annäherung an die Frage, ob die Konstruktion anders übersetzt werden könnte als mit koordinierten Konstativ- oder Imperativsätzen . Es versteht sich von selbst, dass es unmöglich ist, bei den Recherchen alle möglichen denkbaren Entsprechungen zu berücksichtigen . Ich habe mich beschränkt auf den Imperativ von kommen (die direkte Übersetzung des prototypischen Verbs komme), die verschiedenen Pronomen und das Modalverb wollen (das häufigste Modalverb in den Übersetzungen mit Konstativsatz, s. 5.2.2), sowie auf lassen (ein häufiges Verb in deutschen Adhortativen). Es hat sich gezeigt, dass vornehmlich Belege mit der 1 . Person Plural (wir oder uns) in ihrer Verwendungsweise mit der Konstruktion Kom skal … zu vergleichen sind;8 es handelt sich dabei um Belege, die als Entsprechungen von Kom skal vi … denkbar sind und die eine Übersetzung ins Norwegische mit Kom skal vi … erlauben .9 Interessant ist hier, dass sich in (29 .) mehrere Belege aus den Märchen der Brüder Grimm finden, vgl. die Belege b-f. Unter den Belegen mit kommt lasst uns in (30.) (n=16) finden sich viele aus der religiösen Sphäre, während die Belege mit komm lass uns in (31 .) (n=8) wiederum privateren Charakters sind . (29 .) 8 9 <komm wir wollen> (n=15, darunter 4+2+2 identische) a „Komm(,) wir wollen Freunde sein“ 4x / „Komm, wir wollen Sterne pflücken“ 2x / „Komm, wir wollen uns wieder vertragen, Stinni!“ 2x / „Marina, komm wir wollen tanzen“ / „Komm, wir wollen es hinter uns bringen!“ b „komm, wir wollen uns eine Lust miteinander machen .“ (Das Lumpengesindel, Grimms Märchen) c „[…] Komm, wir wollen miteinander in die weite Welt gehen .“ (Brüderchen und Schwesterchen, Grimms Märchen) Jeweils einen Treffer ergeben die Suchanfragen <komm und wir> („Komm und wir sind frei“) und <komm lass mich> („Komm, lass mich auch einmal“) . <komm du> ergibt 53 Treffer, aber kaum einen einzigen, der etwa mit kom skal du zu vergleichen wäre . Keine Treffer haben folgende Wortkombinationen ergeben: <komm wollen wir>, <komm und wir wollen>, <komm ich>, <komm und ich>, <komm und du> . Aus Platzgründen werden die folgenden Beispiele ohne Kontext und die meisten auch ohne Quellenangabe wiedergegeben . Diejenigen, die einem Märchen entstammen, werden entsprechend (vereinfacht) gekennzeichnet . Alle Belege sind im COSMAS leicht abrufbar . Kjetil Berg Henjum 176 d (30 .) (31 .) „[…] komm, wir wollen nach Haus gehen .“ (Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein, Grimms Märchen) e „[…] komm, wir wollen heim gehen .“ (Quelle wie d) f „Lieber Hans,“ antwortete die Mutter, „komm, wir wollen gehen und ihn suchen, bis wir ihn finden.“ (Der starke Hans, Grimms Märchen) <kommt lasst uns> (n=16, darunter 2+2+2+2 identische): „Kommt, lasst uns an diesem Weltgebetstag miteinander verbunden sein mit Herz und Geist!“ 2x / „Kommt, lasst uns gehen auf den Berg des Herrn!“ 2x / „Kommt(,) lasst uns singen“ 2x / „Kommt lasst uns heute schaukeln im Wind . […] .“ 2x / „[…]: Kommt! Lasst uns heute Sonntag den ewigen Gott in Gebet und Predigt aufsuchen; […]“ / „Kommt lasst uns Christen ehren .“ / „Kommt lasst uns anbeten“ / „Kommt, lasst uns selber etwas unternehmen, […]“ / „[…] Kommt, lasst uns ein bisschen übers Leben plaudern“ / „Kommt, lasst uns sehen“ / „[…] Kommt, lasst uns weiterspielen . […]“ / „[…] – kommt lasst uns etwas Gutes tun und dabei sterben“ <komm lass uns> (n=8): „[…] Komm, lass uns zusammen essen!“ / „Komm, lass uns hingegen zusammen Songs schreiben“ / „Komm, lass uns doch auf die andere Straßenseite gehen“ / „[…] Komm, lass uns ins Bett gehen!“ / „Komm, lass uns ausgehen!“ / „Komm, lass uns über was anderes reden .“ / „Komm, lass uns twisten gehn wie damals Mama“ / „komm, lass uns verschwinden . […]!“ 9 Schluss mit Ausblick Die Ergebnisse dieses Beitrags können folgendermaßen zusammengefasst werden: Der angesprochene Konstruktionstyp ist im Hinblick auf seine einzelnen Bestandteile beschrieben worden, was die prototypische Realisierung Kom skal du (få) se ergeben hat . Die Übersetzung des Konstruktionstyps ins Deutsche ist beschrieben worden, allerdings bei spärlicher Belegmenge (n=14): Elf sind mit Konstativsatz übersetzt, drei (aus einem Märchen) mit zwei koordinierten Imperativsätzen . Interessant ist auch, dass sollen in den Übersetzungen nicht verwendet wird . Eine erste Beantwortung der Frage, welcher Unterschied zwischen der Variante mit und der Variante ohne så besteht, ist geliefert worden: Es dürfte sich vor allem um stilistische und/oder medial-konzeptionelle Unterschiede handeln . COSMAS-Recherchen haben gezeigt, dass sich vor allem für die 1 . Person Plural deutsche Konstruktionen finden, die mit der hier in Frage norwegischen stehenden vergleichbar sind . Die weitere Erforschung dieser Konstruktion müsste eine systematische Auswertung von Internetbelegen mit einbeziehen (und mit den damit verbundenen methodischen Problemen klarkommen) . Des Weiteren wäre es nützlich, Belege aus gesprochener Sprache heranzuziehen . Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp… 177 Schließlich wäre natürlich ein größeres Übersetzungskorpus notwendig, um dazu Stellung nehmen zu können, welche deutsche Konstruktion der norwegischen Konstruktion ‛direkt’ entspricht. 10 Quellenverzeichnis10 10 .1 Originalbelege: Im Internet verfügbare Märchen und belletristische Texte Dikt-forsiden: http://dikt .org/Kategori:Eventyr Dort Belege aus den Märchen De tre kongsdøtre i berget det blå, Det blå båndet, Reve-Enka, Rødrev og Askeladden, Smørbukk, Tobakksgutten, Tyrihans . Dokumentasjonsprosjektet: http://www .dokpro .uio .no/litteratur (46 840 Textseiten) . Dort Belege von Bjørnstjerne Bjørnson, Arne Garborg, Ragnhild Jølsen und Jonas Lie sowie aus den Märchen De syv folerne und Det har ingen Nød med den, som alle Kvindfolk er forlibt i . Høgskolen i Vestfold – Nettbiblioteket: http://www-bib .hive .no/tekster/ekstern/valstad Dort Belege von Tilla Valstad . La Maison Forte: http://ourworld .compuserve .com/homepages/L_P_swepston/Eventyr .htm Dort Belege aus den Märchen Herre Per und Reve-Enka . OpenClass. Åpne ressurser – Interaktivitet – Lærerstøtte. http://www .gmsys .net/teachers/norsk/litteratur/1850_1900/enmiddag .htm Dort ein Beleg von Alexander L . Kielland . 10 .2 Originalbelege: Nicht elektronisch verfügbare Belletristik Bjerke, André (1998/1942) De dødes tjern . Oslo: Aschehoug (= En Gigantbok fra Aschehoug; De dødes tjern . Skjult mønster . Enhjørningen) . Bringsværd, Tor Åge (1970) Bazar . Oslo: Gyldendal . Hagemann, Bror (1989) Noen som Angela . Oslo: Gyldendal . Hagemann, Bror (1994) Duo med Scott . Oslo: Gyldendal . Hagemann, Bror (2005) Glemselens gate . Oslo: Gyldendal . Kielland, Alexander L . (1999/1883) Gift . Oslo: Gyldendal (= Gyldendal Pocket) . 10 Die hier angeführten Quellen sind ein Hinweis darauf, welche Korpora und Werke in der Suche nach Belegen recherchiert und vollständig ausgewertet worden sind . Einige der aufgeführten Märchen sind auch unter anderen Internetadressen abrufbar, manchmal in etwas abgeänderter Form (einige sogar mit anderen Namen); die Einzelheiten werden aus Platzgründen hier nicht angegeben . Recherchiert wurden auch alle norwegischen Texte (Originale und Übersetzungen) in Oslo Multilingual Corpus (http://www .hf .uio .no/ilos/OMC/), und zwar im Einzelnen Folgendes: No-En-Ge, No-Fr-Ge, No-En-Fr-Ge, Ge-No-Ge (in Original, in Übersetzung), Ge-En-No, En-Ge-No, GNPC/Fiction (in Original, in Übersetzung), GNPC/Non-fiction (in Original, in Übersetzung), FNPC/Fiction (in Original, in Übersetzung), FNPC/Non-fiction (in Original, in Übersetzung), ENPC/Fiction (in Original, in Übersetzung), ENPC/Non-fiction (in Original, in Übersetzung). Kjetil Berg Henjum 178 Sivle, Per (1887) Vossa-stubba. Kristiania: Samlaget . Solstad, Dag (2002) 16.07.41 . Oslo: Oktober . Ullmann, Linn (1998) Før du sovner . Oslo: Tiden . Vesaas, Tarjei (1998/1952) Vindane . Noveller . Oslo: Gyldendal (= Pocketutgave) . 10 .3 Übersetzungsbelege: Nicht elektronisch verfügbare Märchen Asbjørnsen, Peder Christen und Jørgen Moe (1973/1967) Dem fehlt nichts, in den alle Weiber verliebt sind . In: Norwegische Volksmärchen. Herausgegeben und übertragen von Klara Stroebe und Reider Th . Christiansen . Düsseldorf: Eugen Diederichs Verlag (= Die Märchen der Weltliteratur) . Asbjørnsen, Peder Christen und Jørgen Moe (1973/1967) Das blaue Band . In: Norwegische Volksmärchen. Herausgegeben und übertragen von Klara Stroebe und Reider Th . Christiansen . Düsseldorf: Eugen Diederichs Verlag (= Die Märchen der Weltliteratur) . 10 .4 Übersetzungsbelege: Im Internet verfügbare Märchen Asbjørnsen, Peder Christen und Jørgen Moe: Die sieben Füllen . http://www .hekaya .de/anzeigen .phtml/maerchen/europa_100319 Asbjørnsen, Peder Christen und Jørgen Moe: Die drei Königstöchter im blauen Berge. Frei übersetzt nach Asbjørnsen & Moe von Julia Jacob. http://www .etojm .com/Tysk/Nor- wegen/Kultur/Maerchen/PrinzessinenBlauerBerg .htm La Maison Forte: http://ourworld .compuserve .com/homepages/L_P_swepston/Eventyr .htm Dort Belege von Der Herr Peter . 10 .5 Übersetzungsbelege: Nicht elektronisch verfügbare Belletristik Hagemann, Bror (1996) Auf der Suche nach Angela . Roman (= dtv 12221). Deutsch von Günther Frauenlob . München: Deutscher Taschenbuch Verlag . Ullmann, Linn (1999) Die Lügnerin . Roman . Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs . München: Droemer . 11 Literatur Eide, Kristin Melum (2005): Norwegian Modals (= Studies in Generative Grammar 74) . Berlin, New York: Mouton de Gruyter . Faarlund, Jan Terje / Svein Lie / Kjell Ivar Vannebo (1997): Norsk Referansegrammatikk . Oslo: Universitetsforlaget . Koch, Peter / Wulf Oesterreicher (1985): „Sprache der Nähe – Sprache der Distanz . Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte“, in: Romanistisches Jahrbuch 36, 15-43 . Venås, Kjell (1990): Norsk Grammatikk. Nynorsk . Oslo: Universitetsforlaget . Kom skal du (få) se: Zum norwegischen Konstruktionstyp… 179 12 Tabellen Autor AS-Werke und Belege T . Valstad Teodora, 6; Teodora kommer hjem, 1 H. Jæger Fra Christiania-Bohêmen I, 1; Fra Christiania-Bohêmen II, 1; Syk kjærlihet, 1; Bekjendelser, 1; Fængsel og fortvilelse, 1 R. Jølsen Fernanda Mona, 2; Hollases Krønike, 1; Efterladte Arbeider: Digerheim Herreborg, 1 B . Hagemann Duo med Scott, 2; Glemselens gate, 1; Noen som Angela, 1 J. Lie Dyre Rein, 1; Faste forland, 1; Jon Sunde, 1; Kommandørens døttre, 1 D . Zwilgmeyer Syvstjernen, 2; Barndom, 1; Morsomme dage, 1 A .L . Kielland En middag, 1; Gift, 1 L . Ullmann Før du sovner, 2 A . Bjerke De dødes tjern, 1 B . Bjørnson Geografi og kærlighed, 1 T. Bringsværd Bazar, 1 C . Collett Dagbøker og breve, bind 1, 1 P . Sivle Vetle-Raurn, 1 D . Solstad 16.07.41, 1 P .Chr . Asbjørnsen und J. Moe (Volksmärchen) De syv folerne, 3; Det har ingen Nød med den, som alle Kvindfolk er forlibt i, 3; Reveenka, 3; De tre kongsdøtre i berget det blå, 2; Herreper, 2; Det blå båndet, 1; Gutten som ville bli handelskar, 1; Hjemmusa og fjellmusa, 1; Planekjørerne, 1; Store-Per og vesle-Per, 1; Tobakksgutten, 1; Tyrihans, 1 Restgruppe Comic-Heft von L . Fiske, 1; Kinderliederbuch von M . Munthe, 1; Kinderbuch von K . Birkeland, Kinderlied unbekannten Ursprungs, 1 Insgesamt 63 Tabelle 1: Das Material im Einzelnen ZS-Werke und Belege Auf der Suche nach Angela, 1 Die Lügnerin, 2 Die sieben Füllen, 3; Dem fehlt nichts, in den alle Weiber verliebt sind, 3; Die drei Königstöchter im blauen Berge, 2; Der Herr Peter, 2; Das blaue Band, 1 14 180 Kjetil Berg Henjum Verben im Imperativ n= komme (‛kommen’) bi/vente (‛warten’) be (‛bitten’) følge med (‛mitkommen’) gå (‛gehen’) se/se seg om (‛sehen/sich umsehen’) bli med (‛mitkommen’) fløtte seg (‛sich bewegen’) forsøke (‛versuchen’) kjenne (‛spüren’) sette seg (‛sich setzen’) slippe opp (‛rauslassen’) snakke (‛sprechen’) spare (‛sparen’) tie still (‛schweigen’) Insgesamt 39 6 3 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 63 Pronomen nach skal du (‘du’) jeg (‘ich’) vi (‘wir’) De / I (‘Sie’) dere (‘ihr’) hun (‘sie Sg .’) n= 27 12 12 4 4 4 Insgesamt 63 Tabelle 2: Verben im Imperativ und Pronomen nach skal 1) Ein Infinitiv nach skal (n=50) se (‛sehen’) få (‛bekommen’) lyske (‛entlausen’) fortelle (‛erzählen’) gå (‛gehen’) høre (‘hören’) kjenne (‘spüren’) danse (‘tanzen’) dikte (‘dichten’) få opp (‘aufmachen’) klippe (‘scheren’) lodde (‘loten’) løpe (‘laufen’) prøve (‘ausprobieren’) ro (‘rudern’) sette i (‘einnähen’) skynde seg (‘sich beeilen’) slåss (‘sich schlagen’) synge (‘singen’) ta (‘nehmen’) vise (‘zeigen’) Tabelle 3: Verben im Infinitiv 2) Zwei Infinitive nach skal (n=13) Erster Infinitiv 14 få (‘dürfen’) 9 5 2 søge (‘versuchen’) 2 prøve (‘versuchen’) 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 11 1 1 Zweiter Infinitiv + se (‘sehen’) + smake (‘kosten’) + høre (‘hören’) + tyde (‘deuten’) + spille (‘spielen’) 8 2 1 1 1 III. Lexikalische Modalitätsmarker Veronika Ehrich Das modale Satzadverb vielleicht – Epistemische (und andere?) Lesarten 1. Zur Polyfunktionalität der Modalausdrücke Zu vielleicht gibt es in allen europäischen Sprachen ein lexikalisches Äquivalent . Es ist das ‘einzige eurover-sale Satzadverb’ (Ramat / Ricca 1998) . In diesem Aufsatz beschränke ich mich auf vielleicht als Satz-adverb (vgl . Zifonun 1982), auf die Funktion als Modalpartikel oder Gradpartikel gehe ich nicht ein . Den Ausgangspunkt meiner Überlegungen bildet der Vergleich mit den Modalverben (MV) . Zu den breit diskutierten Eigenschaften der Modalverben gehört ihre Polyfunktionalität, also das Nebeneinander von zirkumstanziellen (dispositionellen, deontischen, bouletischen, realistischen) und epistemischen (= inferenziellen und evidenziellen) Lesarten . Unter (1–4) finden sich Beispiele für die Bedeutungsvarianten von müssen . (1) (2) (3) (4) Deontisch Bekanntlich ist gerade das Thema der deutsch-französischen Verständigung ein äußerst zartes Pflänzchen, das gerade von der deutschen Presse besonders behutsam behandelt werden muss. (LIM/LI .00250, M . G . Steinert‚ Hitlers Krieg und die Deutschen) Bouletisch / Dispositionell Ich bekomme jetzt zwar eine Einzelzelle, wie ich es mir gewünscht habe im geheimen, man schiebt mir auch einen Blechnapf mit Wasser herein, und obwohl es zu schmutzig und finster ist in der Zelle, denke ich nur an das Buch, ich bitte um Papier, ich trommle an die Tür, um Papier, weil ich etwas schreiben muss . (I . Bachmann, Malina) Realistisch Schon am Vortag hatten Scott und Irwin dreißig Minuten früher in die Raumkapsel zurückkehren müssen, weil sich der Sauerstoffvorrat Scotts dem Ende zuneigte . (LIM/LI .00347, Süddeutsche Zeitung, Jahrgang 27, Nr. 83,2) Epistemisch Findet man also in Gesteinen hexagonale Kristallformen, dann weiß man, dass bei der Bildung dieses Gesteinskomplexes die Temperatur höher als 537 Grad gewesen sein muss. (LIM /LI .00236, G . Strübel‚ Mineralogie und Kristallographie)1 In Anlehnung an Kratzer (1991) unterscheide ich drei Dimensionen der modalen Bedeutung: die Modale Kraft mit der Unterscheidung von Notwendigkeit und Möglichkeit, die Modale Basis mit der Unterscheidung von epistemischen und zirkumstanziellen Redehinter-gründen und die Ordnungsquelle (s . Tab . 1) . 1 Dieses Beispiel zeigt, dass MV entgegen verbreiteter Annahme auch in subordinierten Sätzen epistemische Lesarten annehmen können . 184 Veronika Ehrich Modale Kraft Modale Basis Modalquelle (ordering source) möglich notwendig zirkumstanziell deontisch bouletisch dispositionell realistisch möglich notwendig epistemisch inferentiell evidentiell Tab . 1: Dimensionen der modalen Bedeutung Epistemische Redehintergründe sind durch das dem Sprecher verfügbare Wissen gegeben, zirkumstanzielle durch die in einer Welt gegebenen Umstände, also durch die Fähigkeiten, Pflichten, Wünsche, oder Absichten, die das Handeln eines Subjekts leiten, ebenso wie durch natürliche oder technische Gesetzmäßigkeiten . Formal gesehen ist die modale Basis eine Funktion, die einer gegebenen Welt w eine Menge von zugänglichen Welten w’ zuordnet, in denen die jeweiligen Hintergrundannahmen wahr sind . Die Quelle der Modalisierung (ordering source) legt eine Ordnungsrelation über dieser Menge fest: Je zugänglicher eine Welt w’ für die Ausgangswelt w ist, d .h . je ähnlicher sie der Ausgangswelt ist, desto eher kommt sie als Redehintergrund für die Deutung eines Modalausdrucks in Betracht . Im Folgenden ist von ‘Polyfunktionalität’ die Rede, wenn ein gegebener Modalausdruck sowohl auf einer zirkumstanziellen als auch auf einer epistemischen Modal-Basis deutbar ist . Polyfunktionalität ist mithin zwar ein Spezialfall von Polysemie, aber nicht einfach mit Polysemie gleichzusetzen . In der grammatischen Literatur wird nach dem formalen Korrelat semantischer Polyfunktionalität gefragt . Dabei stehen sich die Anhebungshypothese, die Hypothese der Starken Kohärenz und die Auxiliarisierungshypothese gegenüber . (i) Anhebungshypothese: Grundlage ist die Unterscheidung von Anhebung und Kontrolle. In einer Kontrollkonstruktion (5) weisen das Infinitivverb und das Matrixverb ihrem jeweiligen Subjekt eine eigene Thetarolle zu . Das Subjekt des eingebetteten Verbs ist ein vom Subjekt (oder Objekt) des Matrixverbs kontrolliertes und folglich mit ihm referenzidentisches, pro, das an der Satzoberfläche keine phonetische Realisierung erfährt . In einer Anhebungskonstruktion (6) weist nur das eingebettete Infinitivverb seinem Subjekt eine eigene Theta-Rolle zu. Das an der Satzoberfläche erscheinende Matrix-Subjekt ist das aus dem eingebetteten Satz angehobene Subjekt der Infinitiv-Prädikation (6). (5) (6) , da [IPJonathani [CP PROi Paula zu überzeugen] versucht] , da [__ [IP Jonathani Paula zu überzeugen] scheint à da [Jonathan [IP ti Paula zu überzeugen] scheint In ihrer klassischen Form (Ross 1969) besagt die Anhebungshypothese, dass MV in deontischer Lesart als Kontrollverben konstruieren, in epistemischer Lesart hingegen als Anhebungsverben . Radikalere Varianten der Anhebungshypothese gehen davon aus, dass MV generell Anhebungsverben sind (Wurmbrand 1999) . Wollen, welches in jeder seiner Lesarten ein Kontrollverb ist, kann unter dieser Das modale Satzadverb vielleicht… 185 Annahme nicht als MV betrachtet werden, obwohl es die MV-typische Eigenschaft der Polyfunktionalität aufweist und sich nicht allein bouletisch (auf Wünsche bezogen), sondern auch quotativ-evidenziell (aus dem Hören-Sagen abgeleitet) deuten lässt (7)2 . (7) Das mit „den schlimmen Mafia-Methoden im Schalck-Untersuchungsausschuss“, den Vergleich mit den Ausschussmitgliedern und den „Männern in den grauen Trabis“ (sprich: Stasi) will er so auch nicht gesagt haben . (MMM/101 .33184, Mannheimer Morgen, 21 .01 .99, Politik: Von Napf zu Napf) (ii) Hypothese der Starken Kohärenz (Reis 2001): Die Hypothese basiert auf der Tatsache, dass alle MV obligatorisch kohärent konstruieren, d .h . Modalverb und Infinitivverb fusionieren zu einem unauflöslichen Verbalkomplex. Auch andere Verben (z .B . scheinen, pflegen) sind obligatorisch kohärent, doch nur die MV regieren zusätzlich den reinen Infinitiv (1. Status). Statusrektion und obligatorische Kohärenz zusammen genommen bilden das Merkmal der Starken Kohärenz und sind der Hypothese zufolge sowohl notwendige als auch hinreichende Vorbedingungen für Polyfunktionalität . Modalausdrücke, denen diese Eigenschaften fehlt, sollten der Hypothese zufolge nicht polyfunktional und also entweder epistemisch oder zirkumstanziell zu deuten sein . (iii) Auxiliarisierungshypothese (Diewald 1999): MV in zirkumstanzieller Lesart sind Vollverben, MV in epistemischer Lesart Auxiliarverben3; sie geben einer sprecherrelativen Faktizitätsbewertung Ausdruck, insofern sind sie deiktisch zu deuten . Die deiktische Orientierung teilen die epistemischen MV der Hypothese zufolge mit Tempus und Verbmodus, die im Deutschen flexivisch oder mittels Auxiliarisierung, in jedem Fall aber grammatisch (nicht-lexikalisch) realisiert werden . Begründet wird die Auxiliarisierungshypothese u . a . damit, dass epistemische MV nicht unter zirkumstanziellen einbettbar sind . Die unterschiedlichen Hypothesen zur Polyfunktionalität weisen durchaus Überschneidungen auf . Die Hypothese der Starken Kohärenz und die Anhebungshypothese stimmen darin überein, dass Anhebung eine notwendige Bedingung für die Zugänglichkeit epistemisch-inferenzieller Redehintergründe ist4 . Für die Auxiliarisierungshypothese und die Hypothese der Starken Kohärenz lässt sich 2 3 4 Weitere Argumente gegen die Anhebungshypothese finden sich in Reis (2001); Axel (2001) präsentiert zusätzlich diachrone Kontra-Evidenzen . Die Auxiliarisierungsthese wird auch von Generativen Grammatikern vertreten (z .B . Hinterhölzl 1999, Abraham 2001), die zirkumstanzielle MV als lexikalische Köpfe von vP, epistemische MV als funktionale Köpfe einer ModP analysieren . Eine kritische Diskussion dieser Ansätze findet sich in Reis (2001). Anhebung ist aber nicht zureichend für inferenzielle Epistemizität: sollen ist ein Anhebungsverb und polyfunktional, aber die neben dem deontischen Gebrauch möglichen nichtdeonischen Verwendungen lassen sich nicht inferenziell deuten, für sie kommt allein eine quotativ-evidenzielle Interpretation in Frage (Ehrich 2001) . 186 Veronika Ehrich als gemeinsames Merkmal anführen, dass Bondedness zwischen Modalverb und Infinitivverb eine wesentliche Eigenschaft von MV-Konstruktionen bildet. Übereinstimmend gehen die Hypothesen (i-iii) davon aus, dass die jeweils als entscheidend angenommene grammatische Basis eine notwendige und hinreichende Bedingung für Polyfunktionalität darstellt . Ist das grammatische Merkmal abwesend, gibt es, so lässt sich folgern, keine Polyfunktionalität . Im Folgenden soll geklärt werden, wie es sich in dieser Hinsicht mit dem modalen Satzadverb vielleicht verhält: Sind modale Satzadverbien im Allgemeinen und ist vielleicht im Besonderen auf eine einzige modale Basis beschränkt oder sind vielleicht (und möglicherweise auch andere modale Satzadverbien) ebenfalls polyfunktional, also sowohl zirkumstanziell als auch epistemisch verwendbar? Vielleicht wird in den Grammatiken und z .B . auch in Ramat / Ricca (1998) als epistemisches Modal-Adverb klassifiziert; (8, 9) illustrieren den epistemischen Gebrauch von vielleicht . Allerdings ist vielleicht auch in Verwendungen belegt, die eine zirkumstanzielle Deutung nahelegen (10, 11) . Vielleicht kann sich auf Handlungen beziehen, die für die Zukunft ins Auge gefasst werden, und zum Beispiel in kommissiven (10) oder direktiven Sprechakten (11) eine modal einschränkende Wirkung auslösen . (8) (9) Doch war er überzeugt, die Legende eines mythischen Schatzes vor sich zu haben . Mit seiner neuen Übersetzung will McCarter jetzt beweisen: Den Schatz hat es wirklich gegeben . Vielleicht liegt er noch heute im Jordantal und am Toten Meer begraben. (S93/ H01 .00075 Gold im Grab, S . 120) Es sind die Bilder von ihr, die mehr über sie sagen als all die Nachrufe, die jetzt geschrieben werden – vielleicht hatte die Palucca sich deshalb vergeblich gewünscht, ihren Tod nicht bekannt zu geben . (S93/H13 .01533 GESTORBEN, S . 280) (10) Während Bär ihre sportliche Zukunft klar ins Auge gefaßt hat, will sie sich beruflich noch nicht festlegen. Der „schlagkräftigen“ Juniorenmeisterin schwebt eine Tätigkeit im sozialen Bereich vor . „Vielleicht arbeite ich später mit Kindern oder Behinderten“, sagt das „Tischtennis-As“. (R97/JAN.01031 Frankfurter Rundschau, 07 .01 .1997, S . 4) . (11) Ja, gut, gucken wir mal, obwohl das Wetter natürlich im na, obwohl mit dem Wetter macht es noch keinen Unterschied. Gucken wir mal im Januar. Ja, schlagen Sie vielleicht mal was vor . (Verb Mobil, m085nxx0_002_REM_121050) Insbesondere die Verwendung von vielleicht in Imperativsätzen wie (11) scheint darauf hinzudeuten, dass auch modale Satzadverbien wie vielleicht semantisch polyfunktional sind . Dies würde die grammatischen Hypothesen zur Polyfunktionalität der MV deutlich schwächen: Anhebung / Kohärenz / Auxiliarisierung wären nicht mehr als notwendige Bedingungen für Polyfunktionalität anzusehen, sondern bestenfalls als hinreichende . Möglicherweise müsste man sogar annehmen, dass es nur eine mehr oder minder arbiträre Korrelation zwischen den grammatischen Das modale Satzadverb vielleicht… 187 und den semantischen Eigenschaften der MV gibt und dass Polyfunktionalität als eine Eigenschaft von Modalität als einer semantischen Kategorie betrachtet werden muss .5 Im Folgenden soll jedoch gezeigt werden, dass vielleicht trotz der in (8 – 11) demonstrierten Verwendungsvielfalt semantisch monofunktional ist und in allen, auch den kommissiven und direktiven Vorkommen eine epistemische Grundbedeutung hat . 2. Zur Syntax und Semantik von vielleicht als Satzadverb 2 .1 Zur Bedeutung von vielleicht Vielleicht hat neben seiner Funktion als Satzadverb bekanntlich auch Verwendungen als Modalpartikel und als Gradpartikel . Auf diese Verwendungen gehe ich im Folgenden nicht näher ein6 . Stattdessen soll vielleicht im Vergleich zu anderen, ebenfalls modalen Satzadverbien betrachtet werden (Tab . 2) . Epistemisch 1 . bestimmt, sicher, wahrscheinlich Präsumptiv 2 . vielleicht, möglicherweise, womöglich vermutlich, voraussichtlich Evindenziell offenkundig, offenbar, anscheinend Quotativ angeblich, vorgeblich Volitiv hoffentlich Tab . 2: Modale Satzadverbien Mit der Verwendung eines modalen Satzadverbs bringt ein Sprecher zum Ausdruck, dass er den modalisierten Sachverhalt nicht als faktisch ansieht . Er legt sich aber auch nicht auf die Nicht-Faktizität von p fest . Darin unterscheiden sich die 5 6 Untersuchungen zu modalen Adjektiven (Kley 2001) und zum modalen Passiv (Holl 2006) sprechen gegen diese Annahme . Für die modalen Adjektive zeigt Kley, dass sie zwar in variablen Lesarten vorkommen, dass diese jedoch auf eine gegebene modale Basis beschränkt sind; ein Nebeneinander von zirkumstanziellen und epistemischen Lesarten gibt es für die modalen Adjektive nicht . Auch modale Passive lassen, wie Holl demonstriert, grundsätzlich nur zirkumstanzielle Basen zu und sind damit ebenfalls nicht polyfunktional . Für drohen und versprechen in Sätzen wie Es droht / verspricht zu regnen zeigt Reis (2005), dass es sich dabei entgegen verbreiteter Annahme nicht um modale, sondern um aspektuelle Verwendungen handelt; drohen und versprechen als Anhebungsverben sind danach Phasenoperatoren, die das nahe Bevorstehen eines (vom Sprecher positiv oder negativ bewerteten) Ereignisses anzeigen . Klar ist: als Modalpartikel ist vielleicht nicht vorfeldfähig, als Gradpartikel steht es unmittelbar vor oder nach seiner Bezugskonstituente: vielleicht [fünfzig Zuschauer] verfolgten das Spektakel / [Fünfzig Zuschauer]vielleicht verfolgten das Spektakel. 188 Veronika Ehrich modalen Satzadverbien von den faktiven und den konformativen Satzadverbien wie leider, wirklich, tatsächlich, zweifelsohne, zweifellos . Mit der Verwendung eines epistemischen Adverbs der ersten Reihe schreibt ein Sprecher dem Sachverhalt p eine hohe Wahrscheinlichkeit zu, mit der Verwendung von Epistemika der zweiten Reihe lässt er p nicht als wahrscheinlich, aber als möglich erscheinen . In dieser Hinsicht stimmen die Präsumptiva mit ihnen überein . Allerdings sind die Epistemika der 2 . Reihe ‘tolerante Satzoperatoren’ im Sinne von Löbner (1987) und Horn (1989) . Dies bedeutet, dass ein Sprecher (12) behaupten kann, ohne sich in einen logischen Widerspruch zu verwickeln . Vielleicht, möglicherweise, womöglich teilen diese Eigenschaft miteinander, aber weder mit den Präsumptiva vermutlich, voraussichtlich noch mit den epistemischen Adverbien der ersten Reihe wie sicher, bestimmt (13) . (12) Vielleicht / möglicherweise gewinnt Tommy das Spiel, aber vielleicht / möglicherweise gewinnt er es nicht . (13) *Bestimmt / wahrscheinlich / vermutlich gewinnt Tommy das Spiel, aber bestimmt / wahrscheinlich / vermutlich gewinnt er es nicht . (14) *Offenkundig / angeblich / hoffentlich hat Tommy das Spiel verloren, aber offenkundig / angeblich / hoffentlich hat er es nicht verloren . Die epistemischen Adverbien der 1 . Reihe sind hinsichtlich der modalen Kraft zu stark, als dass sie neben p auch ¬p unter sich einbetten könnten . Mit den präsumptiven Adverbien gibt ein Sprecher zu verstehen, dass er p vermutet / voraussieht. Mit der Verwendung dieser Adverbien verpflichtet sich der Sprecher darauf, dass er Gründe für die Annahme, dass p, angeben kann . Es würde die Konsistenz seiner Argumentation pro p unterlaufen, wenn er zugleich ¬p vermuten / voraussehen würde. Im Unterschied dazu verpflichtet sich der Sprecher mit vielleicht / möglich nur darauf, dass er Hinweise sowohl für p als auch für ¬p besitzt . Mit der Verwendung eines evidenziellen Adverbs wie offenkundig, offenbar bringt der Sprecher zum Ausdruck, dass p zwar nicht als faktisch gelten kann, dass er sich aber aus eigenem Augenschein oder eigener Überlegung davon überzeugt hat, dass p zutrifft . Demgegenüber machen Quotativa (angeblich, vorgeblich) deutlich, dass ein anderer als der Sprecher sich für die Wahrheit von p verbürgt hat . Evidenzielle und quotative Satzadverbien sind keine toleranten Operatoren, ebenso wenig wie volitives hoffentlich in (14) . 2 .2 Vorfeldfähigkeit und Erweiterbarkeit Modale Satzadverbien können wie alle Adverbien (und im Unterschied zu den Grad-, Modal- oder Intensivierungspartikeln) im Vorfeld stehen (Hetland 1992) . Dies unterscheidet sie von Kommentar-Adverbien wie ehrlich, kurzum, welche grundsätzlich nicht innerhalb des Satzrahmens stehen . Das modale Satzadverb vielleicht… 189 (15) *Ehrlich / kurzum hat Deutschland die WM nicht gewonnen . (16) Ehrlich (kurzum), Deutschland hat die WM nicht gewonnen . Kommentierende Partizipialsätze sind dagegen im Vorfeld (17) ebenso wie außerhalb der Rahmenstruktur (18) möglich: (17) Ehrlich gesagt (?kurz gesagt) hat Deutschland die WM nicht gewonnen . (18) Ehrlich gesagt, Deutschland hat die WM nicht gewonnen . Zu den Charakteristika der Satzadverbien wird die Nicht-Erweiterbarkeit gerechnet . Vielleicht als modales Satzadverb ist zwar ohne jede Erweiterung möglich und damit im Sinne der X-bar-Theorie zugleich minimal und maximal, doch kann vielleicht auch durch Partikeln modifiziert werden. Vielleicht teilt diese Eigenschaft mit bestimmt und sicher ebenso wie mit offenkundig, offensichtlich . Dabei sind die Adverbien, die einem hohen Sicherheitsgrad Ausdruck geben durch ganz intensivierbar, die mit niedrigem Sicherheitsgrad lassen sich durch nur restringieren . (19) Er kommt ganz bestimmt / nur vielleicht zu der Party . (20) Ganz offensichtlich / ganz offenkundig liegt hier ein Betrugsversuch vor . Die anderen Adverbien aus Tab . 2 sind nicht in dieser Weise erweiterbar: (21) *Jonathan kommt ganz vermutlich. (22) *Jonathan kommt nur hoffentlich. 2 .3 Einbettung Epistemisches vielleicht ist in untergeordneten Sätzen möglich und unter faktive wie nicht-faktive Verben der propositionalen Einstellung einbettbar . (23) Ich weiß / es überrascht mich, dass Jonathan vielleicht befördert wird . (24) Ich glaube / denke, dass Jonathan vielleicht befördert wird . Einbettung unter faktive Matrixprädikate ist allerdings nur möglich bei Zukunftsbezug der eingebetteten Proposition . Referiert der eingebettete Satz auf die Vergangenheit, ist ein faktives Matrixverb nicht mit vielleicht verträglich . (23’) *Ich weiß/ es überrascht mich, dass Jonathan vielleicht befördert worden ist . (24’) Ich glaube / nehme an, dass Jonathan vielleicht befördert worden ist . Hinsichtlich der Einbettung unter (nicht-)faktive Prädikate unterscheidet sich vielleicht von den anderen modalen Satzadverbien . Nicht-tolerante Operatoren 190 Veronika Ehrich lassen sich weder unter faktive, noch unter nicht-faktive Prädikate einbetten . Faktive und volitive Satzadverbien (leider, hoffentlich) sind in eingebetteten Sätzen zwar marginal möglich, sie müssen dann jedoch als parenthetische Einschübe verstanden werden, mit denen der Sprecher einen Kommentar zur Proposition des eingebetteten Satzes abgibt . (25) Ich weiß / es überrascht mich, dass Jonatahn – leider / hoffentlich – kommt . (26) Ich glaube / denke, dass Jonathan – leider / hoffentlich – kommt . Diese Fakten deuten darauf hin, dass die nicht-toleranten Operatoren grundsätzlich weiten Skopus über den Gesamtsatz haben . Die toleranten Satzoperatoren verhalten sich auch in dieser Hinsicht toleranter, indem sie sowohl im Matrix- als auch im eingebetteten Satz verwendbar sind . Dass dies so ist, gibt zugleich einen Hinweis darauf, dass vielleicht nicht als Illokutionsindikator analysierbar ist . 2 .4 Skopus-Probleme Satzadverbien sind generell nicht negierbar, sie haben immer weiten Skopus über der Negation . (27) Der Schüler hat vielleicht nicht das Geld für den Ausflug. Vielleicht (¬ p) (28) Der Schüler hat bestimmt / offenbar / angeblich nicht das Geld für den Schulausflug. S-ADV (¬ p) Aus demselben Grunde bezieht sich die Zurückweisung einer Behauptung immer auf den assertierten Sachverhalt, nie auf das Satzadverb (29) . In dieser Hinsicht unterscheiden sich die modalen Satzadverbien deutlich von den modalen Adjektiven (30, 31) sowie von den Modalverben (32), die aufgrund ihrer kohärenten Konstruktionsweise engen oder weiten Skopus der Negation (wenn auch nicht in allen Lesarten) zulassen (Ehrich 2001) . (29) A: Vielleicht kommt Hans morgen . B: Nein . (30) Es ist nicht notwendig / möglich, dass du die Einladung annimmst . ¬ Notw (p) / ¬ Mögl (p) (31) Es ist notwendig / möglich, dass du die Einladung nicht annimmst . Notw (¬ p) / Mögl (¬ p) In (30, 31) wird der Skopus der Negation durch die Stellung des Negators angezeigt . Das modale Satzadverb vielleicht… 191 (32) Du musst / darfst die Einladung nicht annehmen . ¬ muss (p), muss (¬p) / ¬ darf (p), darf ( ¬p) (33) Du sollst /willst die Einladung nicht annehmen . ¬ soll (p), soll (¬p) / ¬ will (p), will (¬p) Die Negation bei Modalverben in (32, 33) wird zwar vorzugsweise mit weitem Skopus der Negation interpretiert, enger Skopus kann jedoch nicht ausgeschlosen werden und ist bei sollen und wollen auch gänzlich unmarkiert . Hier ist es nun interessant, dass vielleicht über einem epistemischen MV immer Skopus hat: (34) Vielleicht muss der Gärtner Mörder gewesen sein . vielleicht (muss (p)) / *muss (vielleicht (p)) (35) Vielleicht kann der Gärtner der Mörder gewesen sein . vielleicht (kann (p)) Die Interpretation für (34), dass es möglicherweise (vielleicht) zwingend ist, anzunehmen, dass der Gärtner der Mörder ist, ist kein Widerspruch; (35) in der Deutung, dass es möglicherweise denkbar ist, dass er der Mörder ist, ist nicht redundant . Erwarten würde man solche Kombinationen in argumentativen Kontexten, in denen verschiedene Annahmen über den in Rede stehenden Sachverhalt ausgetauscht werden: (36) Es ist schon denkbar, dass der Gärtner der Mörder ist, ja vielleicht MUSS er sogar der Mörder sein . vielleicht (muss (p)) (37) Ja, du hast schon recht, vielleicht KANN der Gärtner der Mörder gewesen sein, aber ich halte das nicht für sehr wahrscheinlich . vielleicht (kann (p)) Während ein epistemisches Modalverb im Skopus eines adverbialen epistemischen Operators stehen kann, ist dies für mehrfach eingebettete Modalverben nicht möglich: (38) Der Gärtner mussepist die Türe geöffnet haben könnenzirk . (38’) *Der Gärtner musszirk die Türe geöffnet haben könnenepist . (39) Der Gärtner kannepist die Türe geöffnet haben müssenzirk . (39’) *Der Gärtner kannzirk die Tür geöffnet haben müssenepist . Diese Skopusasymmetrien zeigen, dass epistemisch gebrauchte Modalverben und epistemische Satzadverbien unterschiedliche Funktionen erfüllen . Das modale Satzadverb vielleicht gibt einer epistemischen Unsicherheit Ausdruck, die nicht zwingend auf modalem Schließen beruht, epistemische MV sind hingegen grundsätzlich inferenziell, sie setzen immer eine Schlussprozedur voraus . Vielleicht Veronika Ehrich 192 drückt eine epistemische Unsicherheit bezüglich einer im Diskurskontext virulenten Annahme aus, die von einem der Gesprächspartner explizit geäußert oder von den Gesprächseteiligten implizit erwogen worden sein kann . Durch vielleicht wird immer die kontextuell gegebene Gesamtproposition modal eingeschränkt, und diese kann auch eine durch Modalverben bereits epistemisch modalisierte Proposition sein . 2 .5 . Illokutionsbeschränkungen Das modale Satzadverb vielleicht kommt in Feststellungen (V2-Deklarativsätzen) und in Entscheidungsfragen (V1-Interrogativsätzen) vor . (40) Vielleicht hat Jonathan heute eine Prüfung. (41) Hat Jonathan vielleicht heute eine Prüfung?7 Dies entspricht seinem epistemischen Charakter: Feststellungen und Entscheidungsfragen stimmen in der Anpassungsrichtung (‘Wort auf Welt’) überein (vgl . dazu Searle 1982) . Mit einer Assertion teilt man mit, dass nach Überzeugung des Sprechers die Proposition den Gegebenheiten der außersprachlichen Welt entspricht; mit Interrogativen versucht man in Erfahrung zu bringen, ob dies so ist . BRRZ (1992) fassen diese deshalb als Darstellungshandlungen unter einem gemeinsamen Sprechakttyp zusammen . Modalisierung mittels vielleicht schränkt die Sicherheit ein, mit der man sich bei einer Feststellung darauf festlegt, dass die Anpassungsvoraussetzung erfüllt ist . Mit einer epistemisch eingeschränkten Frage, gibt man zu erkennen, dass man eine affirmative Antwort für denkbar hält, aber auch eine negative Antwort nicht ausschließt . Vielleicht ist dementsprechend auch in interrogativ gebrauchten V2-Sätzen und in deliberativen ob-Fragen8 möglich . (40’) (41’) Jonathan hat vielleicht heute eine Prüfung? Ob Jonathan vielleicht heute eine Prüfung hat? Hingegen lassen sich narrative V1-Deklarativsätze, die die Faktivität des Berichteten gerade nicht zur Disposition stellen, durch vielleicht nicht modal einschränken (42) . Auch W-Fragesätze sind aufgrund der von ihnen ausgelösten Präsuppositionen nicht mit der epistemischen Einschränkung durch vielleicht verträglich . 7 8 In (41) kann vielleicht aufgrund der gegebenen Stellungsmerkmale auch als Modalpartikel aufgefasst werden im Sinne von Hat J. etwa heute eine Prüfung? Rückt man vielleicht in die Spitzenstellung des Mittelfelds kommt nur noch die modal einschränkende Deutung in Betracht: Hat vielleicht Jonathan heute eine Prüfung? Truckenbrodt (2004) argumentiert, dass selbstständige V-Letzt-Fragen anders als V1Fragen nicht auf eine Antwort zielen . Dies unterstreicht den epistemischen Charakter von vielleicht. Das modale Satzadverb vielleicht… 193 (42) * Vielleicht klingelt da gestern einer an meiner Tür und will mir einen Handyvertrag aufschwatzen,… (43) *Warum hast du vielleicht meinen Schlüssel versteckt? Allerdings ist vielleicht in W-Fragen möglich, bei denen das Zutreffen des Sachverhalts nicht präsupponiert ist . Diese Fragen sind trotz ihrer W-Form der Funktion nach Entscheidungsfragen: (44) Wer hat vielleicht meine Autoschlüssel gefunden? ≈ Hat vielleicht (irgend)wer meine Autoschlüssel gefunden? Nicht alle Satzadverbien unterliegen denselben illokutionären Beschränkungen wie vielleicht. Entscheidungsfragen sind möglich mit epistemischen und konfirmativen Adverbien (45, 46), mit präsumptiven Adverbien sind sie nur schwach akzeptabel . (45) (46) Hat Jonathan heute sicher / bestimmt / womöglich / vielleicht eine Prüfung? Hat Jonathan heute wirklich / tatsächlich eine Prüfung? Evidenzielle, quotative und volitive Satzadverbien sind in Entscheidungsfragen nicht verwendbar (47, 48): (47) * Hat Jonathan heute vermutlich / wahrscheinlich eine Prüfung? (48) *Hat Jonathan heute offenbar / anscheinend / angeblich eine Prüfung? Die Erklärung für das unterschiedliche Verhalten der Satzadverbien liegt auf der Hand . Mit epistemischen Adverbien fragt der Sprecher seinen Adressaten, ob dieser den in Rede stehenden Sachverhalt p für möglich hält, mit konfirmativen Satzadverbien fragt er nach einer Bestätigung für p . In diesem Fall muss die Annahme, dass p der Fall ist, im Kontext virulent sein . Mit präsumptiven, evidenziellen und quotativen Satzadverbien macht ein Sprecher dagegen deutlich, dass er bereits Evidenzen dafür besitzt, dass p zutrifft . Daher kann er nicht zugleich fragen, ob p der Fall ist . Dasselbe gilt für faktive Satzadverbien: mit der Verwendung von leider gibt ein Sprecher zu verstehen, dass er p für gegeben hält . Das volitive Adverb hoffentlich ist in Entscheidungsfragen nicht möglich (49) . Mit der Verwendung von hoffentlich drückt ein Sprecher aus, dass er die Verwirklichung wünscht . Eine solche Einstellungsbekundung kann nicht zugleich mit einer Frage vollzogen werden . Daher ist hoffentlich in (49) allenfalls dann akzeptabel, wenn man es als parenthetische Kommentierungen zu der erfragten Proposition p deutet . Dasselbe gilt für faktive Satzadverbien wie leider, das in (50) nur als Kommentierung zu dem erfragten Sachverhalt p ist . (49) *Hat Jonathan heute hoffentlich eine Prüfung? (50) Hat Jonathan heute – leider – eine Prüfung? 194 Veronika Ehrich Vorkommen von vielleicht in Sprechakten, bei denen die Anpassungsrichtung Wort auf Welt ist, sind grundsätzlich epistemisch zu deuten . Wir haben jedoch oben gesehen, dass vielleicht auch in Imperativsätzen vorkommt . (51) Ja, gut, gucken wir mal, obwohl das Wetter natürlich im na, obwohl mit dem Wetter macht es noch keinen Unterschied, gucken wir mal im Januar. Ja, schlagen Sie vielleicht mal was vor . (Verb Mobil, m085nxx0_002_REM_121050) (= 11 oben) Vielleicht ist ferner möglich in Deklarativsätzen und Fragesätzen, die als Aufforderungen oder Vorschläge verwendet werden (52) Das ist etwas schlecht bei mir, weil ich würde nämlich am sechsundzwanzigsten April nach Zell fahren und dort zwei Tage verbringen. Könnten wir vielleicht einen andern Termin vereinbaren? Wie wäre es im Mai, und zwar in der Zeit vom achten Mai bis einschließlich zwölften Mai? (Verb Mobil m301dxx0_003_BEE_121050) (53) also, am besten nennen Sie vielleicht einen Termin, da ich ja ja, vielleicht machen Sie mal einen Vorschlag . (Verb Mobil m056nxx0_017_HEK_051050) Beispiele wie diese werfen zwei Fragen auf: (i) Gibt es überhaupt illokutionäre Beschränkungen für vielleicht, oder kann es in jedem Sprechakttyp verwendet werden? (ii) Hat vielleicht in direktiven Sprechakten eine deontische oder volitive Lesart? In diesem Fall wäre es ebenso wie die Modalverben polyfunktional . Ad (i): Obwohl vielleicht auch in direktiven Sprechakten bzw . in Sprechakten mit direktiver Funktion möglich ist, unterliegt es klaren Illokutionsbeschränkungen . So kann vielleicht nicht in Sprechakten vorkommen, für die keine Anpassungsrichtung definiert ist. Vielleicht ist weder in expressiven Sprechakten (54, 55) möglich, noch in Deklarationen (56, 57) . (54) (55) (56) (57) *Vielleicht danke ich Ihnen für Ihr freundliches Angebot . * Seien Sie vielleicht herzlich willkommen in Tübingen . *Hiermit erkläre ich vielleicht das Buffet für eröffnet . *Ich kündige hiermit vielleicht den Mietvertrag . Expressive sind nicht für eine Anpassungsrichtung definiert. Deklarationen haben eine doppelseitige Anpassungsrichtung, durch ihren Vollzug werden zugleich die Worte der Welt und die Welt den Worten angepasst . Dies ist mit epistemischer Unsicherheit nicht verträglich . Direktive Sprechakte (51-53) haben zwar auch die Anpassungsrichtung Welt auf Wort, da die Realisierung jedoch in die Zukunft verschoben ist, kann es eine epistemische Unsicherheit darüber geben, ob p tatsächlich zustande kommen wird . Die Beschränkung von vielleicht auf Sprechhandlungstypen mit einer definierten und einseitigen Anpassungsrichtung deutet darauf hin, dass es eine epistemische Grundbedeutung hat . Das modale Satzadverb vielleicht… 195 3. Vielleicht als epistemischer Operator Ist vielleicht ein Illokutionsindikator? 3 .1 Die in der Überschrift 3 .1 gestellte Frage wurde ausführlich diskutiert in einer Kontroverse zwischen Bartsch (1972) auf der einen und Lang / Steinitz (1978) bzw . Lang (1983) auf der anderen Seite . Bartsch nahm an, dass Satzadverbien in Feststellungen wie (58) und (59) „performativ“ gebraucht werden . Mit der Äußerung derartiger Sätze wird, so Bartsch (1972: 52), eine Vermutung / ein Bedauern „nicht konstatiert, sondern ausgedrückt“ . Satzadverbien unterscheiden sich in diesem Punkt von den entsprechenden Einstellungsverben, (wobei jedoch zu vielleicht keine Verb-Entsprechung existiert) . (58) Peter kommt vermutlich / vielleicht . (K0-Adv .) (59) Bedauerlicherweise / leider kommt Peter . Der Unterschied zwischen den Satzadverbien und den Einstellungsverben besteht darin, dass letztere neben einer performativen auch eine konstatierende Verwendung zulassen und daher negierbar sind, was – wie wir oben schon gesehen haben – für die Satzadverbien nicht gilt . (60) * Der Zug hat nicht vermutlich / bedauerlicherweise Verspätung . 9 (61) Ich vermute / bedauere nicht, dass der Zug Verspätung hat . Den performative Charakter der Satzadverbien stellen Lang / Steinitz (1978) (ebenso Lang 1983) grundsätzlich in Frage . Allerdings sehen auch sie die Notwendigkeit zwischen der Beschreibung einer Einstellung und der Bezeugung (Kundgabe) einer Einstellung zu trennen . Mit (62) kann eine Versicherung vollzogen werden, mit (63) die Beschreibung einer Einstellung . Einstellungsbeschreibungen sind negierbar (63’) und lassen sich nicht in performative Formeln einbetten (64) . Das spricht gegen die Performativitätshypothese von Bartsch . (62) (63) (62’) (63’) (64) Ich versichere dir (hiermit), dass Peter verunglückt ist; (*aber ich sage es niemandem) . Ich bin mir (*hiermit) sicher, dass Peter verunglückt ist, (aber ich sage es niemandem) . *Ich versichere dir (hiermit) nicht, dass Peter verunglückt ist . Ich bin (*hiermit) nicht sicher, dass (ob) Peter verunglückt ist . *Der Zug hat (*hiermit) vermutlich Verspätung . Andererseits sind modale Satzadverbien (wie bereits oben ausgeführt) anders als ihre adjektivischen Gegenstücke nicht negierbar (65) . Das spricht gegen die 9 Die Sätze (60, 61) sind allerdings dann akzeptabel, wenn man nicht als metalinguistische Negation auffasst wie in Der Zug hat nicht verMUTlich Verspätung, sondern ganz sicher . 196 Veronika Ehrich Annahme, dass sie Einstellungen beschreiben, statt sie zu bezeugen, und damit für die Performativitätsannahme . (65) *Der Zug hat nicht vermutlich / vielleicht Verspätung Kombinierbarkeit mit hiermit ist ohnehin kein hinreichendes Kriterium für das (Nicht-)Vorliegen von Performativität, denn es gibt auch andere, klar performative Äußerungen, die hiermit nicht zulassen (66, 67) (66) A: „Möchtest du noch einen Kaffee?“ B: *„Ja, hiermit bitte.“ (67) „Tschüs *hiermit bis zum nächsten Mal .“ Mit (66) erklärt der Sprecher die Annahme eines Angebots, mit (67) erklärt er seinen Abschied10 . Performativität ist hier fraglos gegeben, dennoch kann hiermit nicht verwendet werden . Einstellungsbekundungen wie Ich bin sicher /Ich freue mich / ich wünsche mir etc . bilden nach BRRZ eine eigene – von den Handlungserklärungen zu unterscheidende – Klasse von Sprechakten (Tab . 3) . Einstellungsbekundungen unterscheiden sich, obwohl per default im Deklarativsatz-Modus erfolgend, sowohl von den Assertionen als auch von den Ausdruckshandlungen: von den Assertionen durch das Fehlen eines Wahrheitsanspruchs, von den Ausdruckshandlungen durch das Fehlen eines direkten Adressatenbezugs . Handlungserklärungen Einstellungsbekundungen Deklaration (Taufe, Gerichtsurteil) ---- Ausdruckshandlung Emotiv / Evaluativ: Ich freue mich, dass… / Ich bedauere, dass… Darstellungshandlung (Assertion, Frage) Epistemisch / Doxastisch: Ich weiß, dass / Ich glaube, dass Regulierungshandlung (Versprechen, Volitiv / Intentional: Ich möchte, dass / Ich beabAufforderung) sichtige zu… Tab. 3: Sprechaktklassifikation nach BRRZ Einstellungsbekundungen können indirekt zu Handlungserklärungen herangezogen werden . Mit (68) vollzieht ein Sprecher eine Bewillkommnung, mit (69) eine Entschuldigung . Modalisierung durch vielleicht ist in dieser Verwendung ausgeschlossen (68’, 69’) .11 10 Anstelle von (67) ist allerdings „Und hiermit: Tschüs!“ möglich . In dieser Formulierung ist hiermit jedoch Bestandteil der Ankündigung, dass nun der Abschied erfolgen wird . 11 Vielleicht im Mittelfeld wäre in (68’, 69’) möglich: Ich freue mich vielleicht dich zu sehen . Es tut mir vielleicht leid, dass ich zu spät gekommen bin . Doch wäre dies die ModalpartikelVerwendung . Das modale Satzadverb vielleicht… (68) (69) (68’) (69’) 197 Ich freue mich (*hiermit), Sie zu sehen . Es tut mir (*hiermit) leid, dass ich zu spät gekommen bin . *Vielleicht freue ich mich, dich zu sehen . *Vielleicht tut es mir leid, dass ich zu spät gekommen bin . Ich schließe aus diesem Befund, dass vielleicht als Satzadverb grundsätzlich nicht die Illokution einer Handlungserklärung modalisiert, sondern die Kundgabe einer Einstellung (70-72) oder die Proposition, auf die sich die Einstellung bezieht (73-75) . (70) Ich möchte vielleicht, dass du mir heute dein Auto leihst . (71) Es ist mir vielleicht lieber, wenn du heute zu Hause bleibst, statt schon wieder in die Disko zu gehen . (72) Ich habe vielleicht vor, heute in die Oper zu gehen . (73) Ich möchte, dass du mir vielleicht heute dein Auto leihst . (74) Es ist mir lieber, wenn du vielleicht heute zu Hause bleibst, statt schon wieder in die Disko zu gehen . (75) Ich habe vor, heute vielleicht in die Oper zu gehen . In (70-72) wird die zum Ausdruck gebrachte Einstellung als noch nicht festgelegt charakterisiert, in (73-75) wird eine definitive Einstellung zu einem hypothetischen Sachverhalt ausgedrückt . Einstellungsbekundungen sind in solchen Fällen indirekt zur Realisierung einer Handlungserklärung verwendbar . Die Modalisierung durch vielleicht, welche die Einstellung als noch nicht definitiv bzw. den propositionalen Gehalt als hypothetisch kennzeichnet, trägt sekundär zur Abschwächung der Illokution bei: (71, 72) und (73, 74) sind als tentative Aufforderungen deutbar, (73) und (75) als tentative Ankündigungen . Die Illokution wird auf diese Weise aber nicht modalisiert, sondern moduliert . Damit komme ich zur Ausgangsfragestellung nach der Polyfunktionalität der modalen Satzadverbien zurück . Modale Satzadverbien sind nicht wie die Modalverben polyfunktional, sondern in jeder ihrer Gebrauchsweisen epistemisch . Die epistemische Modalisierung kann aber entweder eine Proposition oder die Einstellung zu einer Proposition betreffen . In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, dass vielleicht grundsätzlich nur mit Sprechakten vereinbar ist, bei denen eine einseitige Anpassungsrichtung (‘Wort auf Welt’ oder ‘Welt auf Wort’) gegeben ist, so dass eine Faktizitätsbewertung grundsätzlich in Frage kommt . Direktive und Kommissive unterscheiden sich in dieser Hinsicht von Assertiven und Fragen nur dadurch, dass die Faktizitätsbewertung (ob die Welt an die Worte angepasst wurde) in die Zukunft verschoben ist . Hinsichtlich der durch vielleicht bewirkten Modulierung der Illokution in Aufforderungen ist zu bemerken, dass vielleicht in direktiver Funktion vor allem Bitten, Empfehlungen und Vorschläge anzeigt . Diese unterliegen adressatenseitigen Ratifikationsbedingungen, d.h. der Adressat hat es in der Hand, die Bitte, die Empfehlung, den Vorschlag anzunehmen oder nicht . Mit vielleicht kann ein Sprecher 198 Veronika Ehrich daher auch eine epistemische Unsicherheit darüber zum Ausdruck bringen, ob die adressatenseitigen Voraussetzungen für die Ratifikation erfüllt sind. 3 .2 Modalisierung vs . Modulierung Es ist bekannt, dass die Modalverben in Entscheidungsfragen wie (76) zur indirekten Übermittlung von Aufforderungen dienen (Ehlich / Rehbein 1972, Ehrich / Saile 1972, Searle 1971) . Die Frage ist, warum vielleicht in Fällen wie (76) nicht einfach doppelt gemoppelt ist, sondern die indirekte Aufforderung zu einer höflichen Bitte moduliert . (76) „Können Sie mir vielleicht einen Termin nennen?“ Primärer Akt (Bitte, indirekt) Sekundärer Akt (Frage, direkt) Der Punkt scheint zu sein: Das Modalverb ist hier in zirkumstanzieller Lesart verwendet . Es nimmt Bezug auf eine der Einleitungsbedingungen für Aufforderungen, nämlich dass A in der Lage ist die fragliche Handlung zu verwirklichen . Mit vielleicht gibt ein Sprecher zu erkennen, dass er hinsichtlich dieser adressatenseitigen Bedingung unsicher ist . Damit lässt er dem Adressaten die Option, das Vorliegen dieser Bedingung zu bestreiten und so die Bitte zurückzuweisen . In ähnlicher Weise lässt sich auch die Interpretation von Aufforderungen in Imperativsätzen wie (77) rekonstruieren Zwar wird in direkten Aufforderung nicht auf die adressatenseitigen Einleitungsbedingungen Bezug genommen, doch auch hier lässt sich die durch vielleicht bewirkte Abschwächung der Aufforderung zur Bitte auf der Basis der epistemischen Bedeutung von vielleicht per Implikatur ableiten . Die dafür grundlegende Implikaturentheorie kann hier nicht im Einzelnen erläutert werden . Es sei lediglich darauf verwiesen, dass vielleicht (p) in einer Aufforderung auf den ersten Blick als flagrante Verletzung der 3. Modalitätsmaxime (‘Vermeide Weitschweifigkeit’) erscheint. Da die Befolgung des Kooperationsprinzips unterstellt wird, löst jedoch vielleicht entsprechend seiner epistemischen Bedeutung eine klausale Implikatur des Typs Möglich (p) und Möglich (¬ p) aus, auf deren Basis die Aufforderung, einen Termin zu nennen, als zu einer Bitte abgeschwächt gedeutet weden kann . (77) Nennen Sie mir vielleicht einen Termin . Rekonstruktion der Implikatur (i) S fordert mich auf, ihm ‘vielleicht’ einen Termin zu nennen . (ii) Der Zweck einer Aufforderung ist es, den Adressaten dazu zu bringen, definitiv p zu realisieren . (iii) Also liegt es nicht in der Absicht von S, dass ich p nur vielleicht realisiere . Das modale Satzadverb vielleicht… 199 (iv) Damit verstößt die Aufforderung gegen die Modalitätsmaxime (Fasse dich kurz) . (v) Ich gehe aber davon aus, dass S das Kooperationsprinzip einhält . (vi) Also kann ich schließen (klausale Implikatur): S will mit dem Gesagten deutlich machen, dass er es für möglich hält, dass ich einen Termin nenne (Möglich (p)), dass er aber auch nicht ausschließt, dass ich es nicht tue (Möglich (¬ p)). (vii) S besteht also nicht auf p und überlässt mir die Entscheidung, ob ich p realisiere oder nicht . (viii) Allerdings verlangt es der Zweck unseres Gesprächs, dass wir eine Terminabsprache treffen . (ix) Also verstehe ich die Aufforderung als Bitte, p zu realisieren . 4. Zusammenfassung Das epistemische Satzadverb vielleicht kommt vor in Deklarativ-, Interrogativund in Imperativsätzen . Es ist in Sprechakten verwendbar, bei denen eine einseitige Welt-/Wortausrichtung verlangt ist, also in Feststellungen und Fragen, aber auch in Aufforderungen, Ratschlägen, Vorschlägen oder Versprechen . Nicht zulässig ist vielleicht in Sprechakten, in denen die Welt/Wort-Ausrichtung keine Rolle spielt (Expressiva) oder bei denen durch den Sprechakt eine doppelseitige WeltWort-Ausrichtung zustande kommt (Deklarationen) . Vielleicht hat in allen seinen Vorkommen epistemische Bedeutung, d .h . es kennzeichnet eine Proposition oder die Einstellung zu einer Proposition als hypothetisch . Vielleicht hat also auch in direktiven Sprechakten keine deontische Lesart; es ist weder ein Illokutionsindikator (für die Bitte), noch modalisiert es die Illokution . Die Abschwächung der illokutionären Kraft von der Aufforderung zur Bitte ist allein der epistemische Modalisierung der Proposition geschuldet. Diese bewirkt sekundär eine Modulierung der Illokution (Abtönung i .S .v . Weydt 1977), die man mit der Modalisierung nicht verwechseln darf . Literatur Abraham, Werner (2001): „Modals: toward explainig the ‘epistemic non-finiteness gap’“, in: Müller, Reimar / Marga Reis (Hgg .), 7-36 . 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Monika Schönherr Korpusgestützte Analyse der nicht-morphologischen Kodierungsformen der epistemischen Modalität in Otfrids Evangelienbuch Die lange Forschungsgeschichte der sprachlichen Kategorie der Modalität ist durch die Vielfalt der unterschiedlichen theoretischen und methodischen Ansätze gekennzeichnet . Auf diesem so intensiv beackerten sprachlichen Boden wuchsen nach und nach neue Anstöße zur Konzipierung neuer Ansätze zur Deskription dieses sprachlichen Phänomens heran . Der Modus und die Modalität entziehen sich jedoch weitgehend einer klaren und adäquaten Beschreibung, was u . a . Harald Weinrich zur folgenden Bemerkung veranlasst hat: „Der Modusbegriff ist unbrauchbar, ärgerlich und irreführend“ (Weinrich 1964: 277 zit . nach Fritz 2000: 91) . Allerdings sollen uns derartige Schwierigkeiten vor der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen nicht abschrecken . Die Bewältigung der Modalitätsproblematik ist weitgehend möglich, und zwar auf dem Wege der korpusgestützten Analyse . Im Folgenden wollen wir die epistemische Modalität, die wir als sprecherbasierte Qualifizierung der Mitteilungsinhalte verstehen (vgl. Köller 1995: 39 f .), an einem historischen Korpus untersuchen . Die der Untersuchung zugrunde liegende Korpusbasis bildet das von Otfrid von Weißenburg um 860 verfasste Evangelienbuch . Die durchgeführte Korpusanalyse ergab zunächst, dass neben den proto- typischen morphologischen Formen des Konjunktivs Präteritum und Konjunktivs Präsens auch zahlreiche nicht-morphologische Mittel zur Kodierung der Modalität verwendet werden . Die Letzteren sind ausdrucksseitig sehr heterogen und stellen ein äußerst interessantes Wechselspiel bei der Kodierung der Epistemik dar . Es sei darauf hingewiesen, dass die nicht-morphologischen Kodierungsmittel mit den 560 vorgefundenen Belegen die höchste Frequenz im Feld der Ausdrucksmittel der epistemischen Modalität aufweisen . Die Tabelle im Anhang möge diesen Belegbestand veranschaulichen . Die quantitative Auswertung des Belegmaterials, die hier zum Zwecke der Objektivierung der Ergebnisse durchgeführt wurde, legt den Schluss nahe, dass die Kodierung der Epistemik in Otfrids Evangelienbuch primär nicht-morphologisch vor sich ging, obwohl das Feld der Formen zum Ausdruck der Epistemik morphologisch zentriert bleibt . Dies verweist darauf, dass sich weder ein systematisiertes, noch völlig grammatikalisiertes Repertoire an modalen Ausdrucksmitteln feststellen lässt, die die Gesamtheit aller modal-semantischen Nuancen adäquat auszudrücken vermögen . Zur Kodierung der vom Konjunktiv nicht abdeckbaren semantischen Bereiche muss deswegen auf nicht-morphologische Sprachmittelkomplexe zurückgegriffen werden . Die funktionale Bedeutung derselben besteht Monika Schönherr 204 vornehmlich in der Bekräftigung des Standpunktes bzw . in der Beteuerung der Gewissheit des Sprechers über das Eintreten eines Sachverhalts . Vergleichen wir einige nicht-morphologische Mittel zur Kodierung der Epistemik und gehen wir anschließend auf ihre signifikanten syntaktischen und textuellen Funktionen ein: (1) thoh sluag er imo in wara thana thaz zesua ora. (O. 4 17, 6) [doch er schlug ihm in der Tat das rechte Ohr ab] (2) Thiu muater horta thaz tho thar; si wessa thoh in alawar, thaz iru thiu sin guati nirzigi thes siu bati. (O. 2 8, 23) [Die Mutter hörte das; sie wusste doch ganz sicher, dass seine Güte ihr nichts verweigern würde, worum sie bitten würde] Es fällt auf, dass die Ausdrücke in wara bzw . in alawar jeweils ein syntaktisches Supplement, eine Hyperproposition darstellen (vgl . Wolf 2007: 279), die dem jeweiligen Restsatz frei zugeschlagen ist . Deswegen sind sie, syntaktisch gesehen, als Angaben zu klassifizieren, d.h. das jeweilige Verb sieht sie in seinem syntaktischen Plan nicht vor . Die Funktion derartiger freier syntaktischer Aktanten beruht bekanntlich darauf, „einen Sachverhalt zeitlich oder räumlich zu situieren oder in einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang zu stellen“ (vgl . Wolf 2007: 279) . Es leuchtet aber ein, dass die aufgeführten Angaben diese Aufgaben explizit nicht wahrnehmen . Welche Stellung nehmen sie also im Satz ein? Sie liefern eine bekräftigende Stellungnahme des Sprechers zu der geäußerten Proposition und sind auf Grund dessen als Angaben mit modalisierender Funktion, oder wie Wolf (2007) vorschlägt, als Modalitätsangaben anzusehen . Es ist wohl nicht anzunehmen, dass derartige Modalitätsangaben in den aufgeführten Belegen nur wegen des Reimzwangs gesetzt werden, obwohl vieles mitunter dafür spricht . Otfrid hätte sich ja andererseits auch modal unmarkierter Mittel bedienen können, um den Gleichklang zu erzielen . Er verfolgt aber ein anderes Ziel . Er will nämlich das Sprecher-Ich in den Vordergrund treten lassen, das die Rolle eines glaubwürdigen, auktorialen, allwissenden Erzählers übernimmt und über zuverlässige Informationen bezüglich der beschriebenen Geschehnisse verfügt . Konsequent nutzt Otfrid dafür jede „sprachliche Gelegenheit“, ganz gleich, ob das die Bildung eines Reims bzw . einer Assonanz zur Folge hat . Die primäre Aufgabe des Erzählers bei Otfrid beruht jedoch nicht darauf, einen Bericht zu erstatten . Das Sprecher-Ich in Otfrids Evangelienbuch ist nicht nur eine kommunikative ‘Vermittlungsinstanz’ (vgl . Michel 2001: 110), die erzählt . Durch reichlich genutzte Beteuerungsformen bemüht sich das Sprecher-Ich vielmehr, ein Verstehen der wichtigen Glaubensinhalte sicherzustellen, grundlegende Dogmen des Glaubens als glaubwürdig vorzulegen sowie von der Wahrhaftigkeit der Tatsachen zu überzeugen . Diese Wahrhaftigkeit „besiegelt“ er mit zwei sicheren Evidenzen: mit seinem eigenen Wissen und Glauben . Hierzu ein paar Beispiele: (3) Ih weiz er thes ouh farta, thes houbites ramta (O. 4 17, 3) Korpusgestützte Analyse der nicht-morphologischen… (4) 205 [Ich weiß, dass er es im Sinn hatte, dessen Haupt zu treffen] Sar gab stal, thaz ist war, mer zi rinnanne thar brunno thes bluates; so fualta sat thes guates. (O. 3 14, 27) [Plötzlich hörte die Quelle des Blutes auf zu fließen, das ist wahr; Genesung spürte sie sogleich.] Bemerkenswert ist, dass die Konstruktion thaz ist war immer am Versende steht, in 72% der Fälle immer am Ende des ersten Halbverses . Dies ist ein Beweis dafür, dass die Formen der Hervorhebung der Inhalte in die Eindrucksstellung schon im Ahd . zu Tage kamen . Kehren wir aber noch kurz zu den Modalitätsangaben zurück . Die die Überzeugtheit des Sprechers akzentuierenden Modalitätsangaben kommen im untersuchten Korpus nur selten einzeln vor . Vielmehr lässt sich die Tendenz zur doppelten modalen Markierung beobachten, was von der bereits erwähnten Eigentümlichkeit der Feldkonstituenten zeugt, sich bei der Kodierung der epistemischen Modalität wechselseitig beeinflussen bzw. ergänzen zu können. Von dieser Tendenz ist insbesondere die Figurensprache betroffen . Vergleichen wir: (5) Giwisso, ih sagen iu in alawar (O. 2 18, 5) [Gewiß sage ich euch wahrhaftig] (6) Ni drinku ih rehto in wara thes rebekunnes mera (O. 4 10, 5) [Ich werde wahrhaftig nicht mehr den Wein trinken] Es fällt sofort auf, dass der Sprecher sich jeweils in die Origo einer Figur hinein begibt und sie zu Wort kommen lässt . Dies führt zu der Verschiebung der deiktischen Elemente: zum Wechsel der Personalpronomen und des Tempus . Dies hat zur Folge, dass keine Erzählung in zeitlicher Sukzession mehr vorliegt, sondern eine Sprechsituation kreiert wird . Der Erzähler will die Figur selbst sprechen lassen und sie durch ihren Sprachstil direkt charakterisieren . Die sprachlichen Mittel für die Kodierung einer ausdrücklichen Kontingenz, Mirativität bzw . distanzierenden Sprechereinstellung sind im untersuchten Korpus selten belegt . Selbst das Verbum sentiendi wânen, das so viel wie ‘ahnen’, ‘vermuten’ (nach Schützeichel 1995: 308) bedeutet, kann mitunter in Begleitung einer bekräftigenden Modalitätsangabe seine Semantik modifizieren und eher als ‘meinen’ bzw . ‘glauben’ gelesen werden (vgl . ebenda): (7) giwisso wân ih nu thes, thaz thu hiar bita ouh suaches. O. 2 14, 58 [gewiß glaube ich nun, dass du hier eine Stätte des Gebets suchst] Monika Schönherr 206 Wir würden nicht annehmen, es handle sich hier um den Ausdruck einer Vermutung: „*Ich vermute gewiss/sicher“, sondern vielmehr einer Gewissheit: „Ich glaube gewiss/sicher“ . Für diese Bedeutung spricht in erster Linie das ontologische Argument: Glauben schließt Gewissheit nicht aus, wohl aber das Vermuten, das ja aus Ungewissheit resultiert . Relativieren kann der Erzähler in erster Linie mit dem Modalverb mugan, wobei die damit kodierte Abschwächung der Geltung eines Sachverhalts hauptsächlich bei den Zeitangaben vorgenommen wird, d .h . an den Stellen, die in der Bibel nicht näher bestimmt sind (vgl . Krause 1997: 100): (8) Ward after thiu irscritan sar, so moht es sin, ein halb jar (O. 1 5, 1) [Danach mag soeben ein halbes Jahr vergangen sein] Derartiger Gebrauch der Modalverben ist in Otfrids Evangelienbuch selten belegt . Die Modalverben haben im untersuchten Korpus keine ausschließlich relativierende bzw . abschwächende Funktion . Sie stehen in den meisten Fällen im Skopus einer bekräftigenden Modalitätsangabe, etwa in war und modifizieren weitgehend ihren funktional-semantischen Gehalt . Mit anderen Worten: Sie kodieren nicht die kontingente Vermutung, sondern eine Optionalität: (9) After thiu in war min so mohtun thri daga sin (O. 2 8, 1) [Danach mögen in der Tat drei Tage vergangen sein] (10) Thaz mohta sin in wari thuruh sina ziari, (O. 3 22, 7) [Das mag um seiner Zierde willen fürwahr geschehen sein,] Im Rahmen meines Beitrags konnten nicht alle Aspekte der epistemischen Modalität in Otfrids Evangelienbuch gleichermaßen erörtert werden . Nicht aufgeschlüsselt wurden z .B . das Modalverb sculan oder die Interferenz von verbalen und morphologischen Mitteln, etwa die Kombination: Modalverb und Konjunktiv . Ein solcher kombinierter Typ ist hier übrigens ein hochfrequentes Ausdrucksmittel der Epistemik . Die durchgeführte Analyse hat ergeben, dass die Kodierung der epistemischen Modalität in Otfrids Evangelienbuch mittels der nicht-morphologischen Formen als gängiges Verfahren anzusehen ist . Diejenigen Belege, die Otfrids eigene Einstellung wiedergeben, haben vorwiegend bekräftigende Funktion . Eine deutliche epistemische Relativierung wird in erster Linie durch das Modalverb mugan ausgedrückt . Das bisher Gesagte legt den Schluss nahe, dass das ahd . System der zwei synthetisch gebildeten Konjunktive in Hinblick auf die Kodierung der extrem weit gefächerten Epistemik nicht ausreichend ist . Zwar weist der Konjunktiv Präteritum – um hier nur ein Beispiel herauszugreifen – die höchste funktionale Belastung auf, jedoch ist er auf Grund seines inhärenten „tiefensemantische[n] Prädikats der Negation“ Korpusgestützte Analyse der nicht-morphologischen… 207 (vgl . Schrodt 2004: 131 f .) vor allem auf die Kodierung der negierten Sachverhalte beschränkt . Es mag die Frage aufkommen: Warum spielen die modalisierenden Beteuerungsformen in diesem frühmittelalterlichen Text eine so wichtige Rolle? Wodurch lässt sich das reiche Inventar an Modalisierungsformen erklären? Die Antwort kann wegen ihrer Komplexität nur skizzenhaft dargestellt werden . Otfrids Evangelienbuch gilt in kodikologischer Hinsicht als besonderes Werk des deutschen Schrifttums . Nicht mal deswegen, dass seine 7106 Langzeilen es zu dem längsten Text der ahd . Schriftperiode machen . Auch nicht aus dem Grunde, dass es sich dabei um „das umfangreichste Dichtwerk der Karolingerzeit überhaupt“ handelt (vgl . Kartschoke 2000: 154) . Wohl aber deswegen, dass dieser Text einen Bericht über das Leben Jesu in der fränkisch-deutschen Volkssprache darstellt . Ein ahd . Bibeltext hatte im abendländischen Mittelalter bekanntlich kaum einen Anspruch auf selbstständiges Bestehen, mehr noch – er durfte es nicht haben, da das Althochdeutsche nicht als lingua sacra, nicht als kirchlich verbindliche Bibelsprache galt (vgl . Masser 1991: 99) . In Otfrids Unternehmen, die dogmata veritatis in der fränkisch-deutschen Volkssprache zu verfassen, schlägt sich ein kühner Anspruch nieder, diese mit dem Lateinischen gleichzusetzen, sie im Sinne der renovatio imperii aufzuwerten und die Franken als thie gotes liuti darzustellen (vgl . Wolf 1981: 69) . Es leuchtet aber ein, dass Otfrids Ambitionen, das Fränkische als gleichberechtigte Bibelsprache gelten zu lassen, teilweise zum Scheitern verurteilt waren, da die tiefe Kluft zwischen dem Lateinischen als der „Amts-, Kirchen- und Wissenschaftssprache“ (vgl . Manguel 1998: 87) und der sich erst herausbildenden deutschen Sprache einfach nicht zu leugnen war . Den mittelalterlichen Bibelübersetzern, zu denen Otfrid gehörte, blieb also nichts anderes übrig, als sich ein zuverlässiges Werkzeug zu eigen zu machen, das das rechte Verständnis des Schriftwortes in der Volkssprache gewährleisten kann, dem Autor sowie seiner Übersetzung Authentizität verleiht und ihm das Vertrauen seiner Zuhörer verschafft . Außer den Lateinkenntnissen und dem theologischen Wissen war es das sprachliche Gestaltungsvermögen (vgl . Kirchert 1987/1988: 13), das in Otfrids Evangelienbuch größtenteils, wie wir es gesehen haben, durch die Modalisierungsmittel zu Stande kam . Das alles will sagen, dass die Kodierungsformen der epistemischen Modalität in Otfrids Evangelienbuch die Mittel der biblischen Exegese und Interpretation darstellen und das autonome Bestehen dieses in frenkisga zungun verfassten Textes unterstützen und rechtfertigen . Literatur Erdmann, Oskar (1973): Otfrids Evangelienbuch. 6. Auflage besorgt von Ludwig Wolff. Tübingen: Niemeyer . Fritz, Thomas (2000): Wahr-Sagen: Futur, Modalität und Sprecherbezug im Deutschen . Hamburg: Buske . 208 Monika Schönherr Kartschoke, Dieter (2000): Geschichte der deutschen Literatur im frühen Mittelalter . München: Deutscher Taschenbuch Verlag . Kirchert, Klaus (1987/1988): „Philologisch-exegetische Grundlagen der Bibelübersetzung im Mittelalter“, in: Reinitzer, Heimo (Hg .): Deutsche Bibelübersetzungen des Mittelalters . Frankfurt/M . u . a .: Lang, 13- 48 . Köller, Wilhelm (1995): „Modalität als sprachliches Grundphänomen“, in: Der Deutschunterricht 47, H . 4, 37-50 . Krause, Maxi (1997): „Zur Modalisierung bei Otfrid“, in: Desportes, Yvon (Hg .): Semantik der syntaktischen Beziehungen . Akten des Pariser Kolloquiums zur Erforschung des Althochdeutschen. Heidelberg: Winter, 92-106 . Manguel, Alberto (1998): Eine Geschichte des Lesens . Berlin: Volk und Welt . Masser, Achim (1991): Die lateinisch-althochdeutsche Tatianbilingue des Cod. Sang . 56 . (= Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. I. Philologisch-Historische Klasse 3) . Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht . Michel, Georg (2001): Stilistische Textanalyse . Eine Einführung . Hrsg . von Karl-Heinz Siehr (= Sprache. System und Tätigkeit 38) . Frankfurt/M .: Lang . Schrodt, Richard (2004): Althochdeutsche Grammatik II . Tübingen: Niemeyer . Schützeichel, Rudolf (1995): Althochdeutsches Wörterbuch . Tübingen: Niemeyer . Weinrich, Harald (1964): Tempus. Besprochene und erzählte Welt . Stuttgart: Kohlhammer . Wolf, Norbert Richard (1981): Geschichte der deutschen Sprache . Band 1: AlthochdeutschMittelhochdeutsch. Heidelberg: Quelle & Meyer . Wolf, Norbert Richard (2007): „(Wort- und Satzförmige) Modalitätsangaben“, in: Hall, Christopher / Kirsi Pakkanen-Kilpiä (Hgg .): Deutsche Sprache, deutsche Kultur und finnischdeutsche Beziehungen. Festschrift für Ahti Jäntti zum 65. Geburtstag. Frankfurt/M . u .a .: Lang, 279-287 . Korpusgestützte Analyse der nicht-morphologischen… Anhang types tokens (1) nonverbale Mittel (in) alawar in alawari zi alaware in alawara giwisso giwis in giwis (in) giwissi giwaro in war/in war min in wara zi/in ware zi/in/mit waru ana wan in wan in wani ana zwival/theheinig zwival ana wanc ana wang ana wank ana wanka ana baga wânen mugan sculan 42 17 3 2 92 8 1 17 29 88 72 33 30 13 3 2 7 3 1 16 1 5 (2) verbale Mittel 13 42 20 209 Irina A. Šipova Epistemische Modalität im Deutschen und Russischen in kontrastiver Sicht Die Notwendigkeit der Sprachbehandlung aus kontrastiver Sicht bedarf gegenwärtig keiner speziellen Begründung . Es geht dabei um den Vergleich von Teilsystemen, Kategorien und Elementen . Zunehmend setzt sich die Meinung durch, dass auch Texte in verschiedenen Sprachen verglichen werden sollten, was eine echte Herausforderung für den Sprachforscher darstellen würde (vgl . Bilut-Homplewicz 2008: 81) . Aktiv betrieben werden monothematische Untersuchungen, was erlaubt, Sprachsysteme und Sprachgebrauch kontrastiv zu behandeln und auf konkrete linguistische Fragen zu antworten . Nach den Worten von Baudouin de Courtenay (1963: 371) über typologische Forschungen kann man Sprachen absolut unabhängig von ihrer Verwandtschaft und ohne historischen Zusammenhang zwischen ihnen vergleichen . Man findet aber ständig vergleichbare historische Prozesse und Umwandlungen in den Sprachen, die einander sowohl geschichtlich als auch geografisch fremd sind . Dabei wird man unumgänglich mit Fragen nach den Ursachen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Sprachbau und im Evolutionsprozess konfrontiert . Viele Sprachwissenschaftler, die sich mit kontrastiver Linguistik beschäftigt haben, zählen zu ihren Zielen Folgendes: • Gleichheiten im Sprachbau von verschiedenen Sprachen festzustellen; • Ihre Eigenarten und Gesetzmäßigkeiten zu bestimmen • Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Sprachen zu offenbaren (vgl . Anochina/Kostrova 2006: 10) . Der kontrastive Vergleich des Deutschen und Russischen hat eine langjährige Tradition . Trotz deutlicher Unterschiede lassen sich in beiden Sprachen Gemeinsamkeiten erkennen: Deutsch und Russisch besitzen gewisse Züge der strukturellen Ähnlichkeit, die sowohl in der formal-grammatischen als auch in der lexischsemantischen Sphäre in Erscheinung treten . Das realisiert sich in Analogien in der Wortartenklassifikation, in der Polarität der syntaktischen substantivischen und Verbalgruppen, im parataktischen und hypotaktischen Satzbau . Im Bereich des lexikalischen Bestandes findet man Ähnlichkeit in der Wortbildung sowie im vorherrschend flexiblen Charakter des Sprachbaus. Die beiden Sprachen gehören zu den synthetischen Sprachen und weisen deutliche analytische Tendenzen auf . Deutsch ist dabei wesentlich analytischer als Russisch, obwohl Russisch auch deutlich zum Analytismus neigt . Durch die systematische Gegenüberstellung von beiden Sprachen ergibt sich eine Reihe von Oppositionen, die die Unterschiede zwischen Deutsch und Russisch anschaulich darstellen: 212 Irina A. Šipova • im Deutschen sieht man eine starke Neigung zur fixierten Wortfolge, während sie im Russischen relativ frei ist; • das Deutsche besitzt ein System der grammatikalisierten Ausdrucksmittel der zeitlichen Relation, welches im Russischen fehlt; • das Deutsche gehört zu den so genannten „Nicht-Aspektsprachen“, wogegen das Russische als eine klassische Aspektsprache gilt, d .h . grammatikalisierte Ausdrucksmittel des Aspekts besitzt; • im Deutschen sind morphologische Mittel zum Ausdruck der Bestimmtheit/ Unbestimmtheit (Artikel) vorhanden, die das Russische nicht hat; • grammatischer Homonymie von Adjektiven und Adverbien im Deutschen steht deren deutliche Unterscheidung im Russischen gegenüber; • syntaktische Gruppen im Deutschen sind relativ fest in ihrer Anordnung im Satz, im Russischen hingegen ist diese Anordnung relativ flexibel (vgl. Anochina/Kostrova 2006: 194) . Einer der wichtigsten Aspekte der Linguistik, der das Interesse der Sprachwissenschaftler im Laufe von vielen Jahren immer wieder hervorruft, ist die Modalität, die Fähigkeit mit verschiedenen sprachlichen Mitteln das Verhältnis des Sprechers zur Handlung oder zu seiner Aussage auszudrücken . Es wird behauptet, dass die Modalität eine universale Kategorie und mindestens allen europäischen Sprachen eigen ist . So sind Deutsch und Russisch keine Ausnahmen . Von den Arten der Modalität, die in der modernen Modallogik differenziert werden, wird hier auf die epistemische Lesart eingegangen, die eine Beschreibungsperspektive darstellt, in welcher sich der Sprecher/Schreiber zu dem in der Äußerung bezeichneten Vorgang verhält . Sie beinhaltet den Ausdruck der Vermutung, der Einschränkung des Inhalts der Aussage, der Befriedigung, des Bedauerns, des vorsichtigen bis starken Zweifels, der Distanzierung des Sprechers von der Aussage, der Einräumung u . a . (vgl . Buscha/Heinrich/Zoch 1989: 14) . Die epistemische Modalität wird in den beiden Sprachen jedoch oft mit unterschiedlichen formalen Mitteln realisiert . Im Deutschen dienen zur Bezeichnung verschiedener Grade der epistemischen Modalität Modaladjektive und Modaladverbiale (vgl . Vater 2004: 10) . Außerdem bilden Modalverben eine Unterklasse von Verben, die sowohl deontische als auch epistemische Modalität bezeichnen, weil sie nach Reis (2001) die einzige „polyfunktionale“ Gruppe modaler Ausdrucksmittel sind . Da die modale Komponente ein universelles Merkmal der gesamten Zukunftssphäre ist (vgl . Kotin 1995: 15), wird das Verb werden in Verbindung mit dem Infinitiv I und II manchmal als ein epistemisches Modalverb betrachtet. Es drückt eine mehr oder weniger sichere Annahme des Sprechers über gegenwärtige, zukünftige oder auch vergangene Ereignisse aus (vgl . z .B . Vater 2007: 68) . Im Russischen sind in erster Linie Modalwörter wie Adverbien, Interjektionen, Schaltwörter und Modalpartikeln Träger der epistemischen Lesart, ebenso besondere Wortfolgen, Wortwiederholungen und Phraseologismen . Wie im zweiten Band der „Russischen Grammatik“ zu lesen ist, sind Kombinationen all dieser Epistemische Modalität im Deutschen und Russischen… 213 Mittel möglich (Russkaja grammatika 1980: 215) . Der Begriff „Modalwort“ geht auf die russische Tradition der Wortartenlehre zurück (Gulyga/Natanson 1957, Admoni 1986 u . a .) . Im Deutschen bezeichnet man sie als Modaladverbien/Modaladverbiale (vgl . Vater 2004: 13) . Modalwörter fungieren im Satz nicht wie Adverbien, also wie Satzglieder, sondern sie sind Schaltwörter (Parenthetika), die sich auf den ganzen Satz beziehen und ihn hinsichtlich der Modalität prägen (vgl . Moskalskaja 1971: 51) . Die einfachsten Entsprechungen im Falle der epistemischen Lesart Deutsch – Russisch sind Modalwörter aller Art, für die in der jeweiligen Sprache meistens ein Äquivalent zu finden ist. Die typologische Ähnlichkeit zwischen Deutsch und Russisch ergibt sich in fast völliger Entsprechung in der Bedeutung und Funktion von vielleicht – возможно, vermutlich – предположительно, begreiflicherweise – разумеется; bestimmt – определенно; gewiss – непременно u . a . Dafür sollen zwei Beispiele aus dem Roman von P . Süskind “Das Parfum” mit der Übersetzung von E . Vengerov herhalten: (1) (2) (3) (4) Wahrscheinlich hätte er nirgendwo anders überleben können. – Вероятно, нигде больше он бы не выжил. Es ist zwar nicht recht, was ich tue, aber Gott wird ein Auge zudrücken, bestimmt wird Er es tun! – Вообще-то я поступаю дурно, но Господь посмотрит на это сквозь пальцы, конечно, Он так и сделает! (Süskind) Dass im russischen Text die Modalwörter sogar abgesondert werden, ist ein Beleg dafür, dass Modalität nicht Bestandteil desjenigen Sachverhaltes ist, der in einem Satz beschrieben wird, sondern etwas zusätzlich zu diesem Sachverhalt Ausgedrücktes (vgl . Vater 1975: 104) . Gewisse Schwierigkeiten entstehen, wenn man im Russischen nach den Äquivalenten der Modalverben mit Infinitiv I und II zum Ausdruck der epistemischen Modalität sucht . Dies hängt damit zusammen, dass die Modalverben im Russischen in der epistemischen Lesart relativ selten vorkommen: (5) (6) (7) (8) Он сейчас должен прийти. – Jetzt kommt er bestimmt/muss er gleich kommen. Это мог сделать только хороший мастер. – Das kann nur ein guter Meister gemacht haben. Im Deutschen besitzen die Modalverben die Fähigkeit, Deontik/Grundmodalität zu bezeichnen und Epistemiklesarten zu führen, was im Russischen nicht der Fall ist. Außerdem ist der Infinitiv II als morphologische Form im Russischen nicht vorhanden, deswegen kann nur ein semantisches Äquivalent den Sinn eines Satzes mit deutschen Modalverbfügungen im Russischen wiedergeben . Dies erschwert einem Nicht-Muttersprachler den Prozess der Aufschlüsselung der Semantik solcher sprachlichen Ausdrücke sogar im Kontext . 214 Irina A. Šipova Bei den Verben müssen, dürfen (im Konjunktiv Präteritum), mögen, können, werden mit Infinitiv I oder II geht es um die Bezeichnung von einem Wahrscheinlichkeitsgrad in Bezug auf das Eintreten einer Situation, wobei nach Vater (2004: 13) müssen einen hohen, werden und dürfen einen mittleren, mögen und können einen schwächeren Wahrscheinlichkeitsgrad ausdrücken . Um möglichst genau diese Bedeutungsnuancen im Russischen wiederzugeben, sollte man die Kenntnisse über die zu beschreibenden Situationen einbeziehen und nach Entsprechungen suchen, die die russische Sprache zum Ausdruck der epistemischen Modalität bietet . Dabei ist jedoch zu erwähnen, dass die mögliche semantische Entsprechung bzw . eine korrekte Übersetzung in erster Linie durch die subjektive Wahrnehmung des deutschen Textes unter Berücksichtigung der Situation und des Gesamtkontextes bedingt ist . Um das zu illustrieren, wird hier eine Reihe von Beispielen aus bekannten Werken der deutschen schönen Literatur angeboten, die mit den allgemein bekannten literarischen Übersetzungen versehen sind und die zum Teil die epistemische Lesart mancher Sätze ignorieren, zum Teil jedoch eine fast ideale Entsprechung dafür enthalten . Zuerst einige Beispiele aus dem Roman von F . Kafka „Der Prozess“ in der Übersetzung von Rita Reit-Kovalëva: (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15) (16) Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. – Кто-то, по-видимому, оклеветал Йозефа К., потому что, не сделав ничего дурного, он попал под арест. … nein, sie dürfte aber in der Küche sein und dem Advokaten eine Suppe kochen. – Да нет же, она, наверное, на кухне, варит суп для адвоката. Sie werden bemerkt haben, dass ich zwar eine große Kanzlei habe, aber keine Hilfskräfte beschäftige. – Вы, наверно, заметили, что при весьма обширной канцелярии у меня нет никаких помощников. Ich mag im Allgemeinen nicht verlockend sein, für ihn bin ich es aber. – Может быть, для других я ничуть не привлекательна, а для него – очень. Die folgenden Beispiele sind dem Roman von Th. Fontane „Effi Briest“ sowie seiner Übersetzung von Ju. Svetlanov und G. Jegerman entnommen: (17) Da wird wohl schon mehr drin stehen; die wissen immer alles. – (18) Уж там, наверное, напишут побольше, они там знают все. (19) Das kann doch nur so zusammenhängen, dass sie noch nicht recht weiß, was sie an ihm hat. – (20) Это объяснимо разве тем, что она еще до конца не осознает, что он собой представляет. Epistemische Modalität im Deutschen und Russischen… 215 Die Strukturen Modalverb + Infinitiv I oder II zum Ausdruck der epistemischen Modalität sind also durch solche Mittel wie Modaladverbien по-видимому, наверное, разве ins Russische übersetzbar . Es ist auch der Modalausdruck может быть möglich . In den Beispielen 10, 12, 14, 16, 18, 20 entspricht der russische Text semantisch dem deutschen (Beispielsätze 9, 11, 13, 15, 17, 19) . Doch verschwindet dabei die im Deutschen vorhandene Note des persönlichen Engagements des Sprechers, weil von ihm nicht nur die Äußerung formuliert, sondern auch die Verantwortung für die Annahme übernommen wird (vgl . Fritz 2000) . Es lässt sich feststellen, dass epistemische Adverbien nur die Einschätzung des Wahrheitsgehaltes durch den Sprecher signalisieren, wobei die deutschen epistemischen Modalverben nicht nur den beurteilenden Sprecher, sondern zusätzlich die Quelle seines Urteils lokalisieren . Obwohl die deutschen Beispielsätze mit Modalverbfügungen nicht so zahlreich sind, fällt auf, dass verschiedene Ausdrücke ins Russische oft mittels derselben lexikalischen Morpheme übersetzt werden . Man könnte daraus folgern, dass die Bedeutungsnuancen der epistemischen Lesart manchmal so fein sind, dass sie in einer Fremdsprache schwer differenzierbar erscheinen. Außerdem sind Beispiele zu finden, wo die epistemische Lesart ignoriert wird . Das könnte bedeuten, dass eine epistemische Erweiterung des Sachverhaltes in bestimmten Kontexten nach der Meinung der Übersetzer nicht relevant ist . In dem folgenden Beispiel scheint das der Fall zu sein: (21) Das Bild stammt aus seiner Jugend, er kann aber niemals dem Bilde auch nur ähnlich gewesen sein, denn er ist fast winzig klein. – (22) Эту картину с него писали в молодости, но он и тогда был ничуть не похож, ведь он совсем крошечного роста. (Kafka) Es gibt aber Varianten, wo die Übersetzung eher nicht überzeugt, was im Weiteren belegt wird . Die epistemische Lesart der Modalverben im Deutschen kann obendrein durch den Konjunktiv Präteritum überlagert werden . Das bedeutet, dass die Modalverben in Übereinstimmung mit ihrer Grundbedeutung verstärkend oder abweichend wirken können . Im Russischen ist diese Bedeutungsschattierung manchmal schwer wiederzugeben: (23) Das könnte sehr wohl möglich sein! – (24) Это весьма и весьма возможно! (Süskind) Der Beispielsatz (23) enthält das Modalverb können im Konjunktiv, was seine epistemische Bedeutung des schwächeren Wahrscheinlichkeitsgrads im Kontext verstärkt . Der russische Satz (24) ignoriert die Epistemizität des Verbs und enthält nur die Wiederholung des Modalworts весьма, das die Aufgabe des epistemischen modalen Ausdrucks erfüllt . 216 Irina A. Šipova In semantischer Sicht zerfallen die deutschen epistemisch verwendeten Modalverben in solche mit Vermutungsbedeutung und solche mit Bedeutung einer Fremdbehauptung (Evidentialität) . Die letztere Funktion können die beiden Modalverben wollen und sollen erfüllen . Die evidentielle Lesart wird in diesem Fall teilweise durch die epistemische überdeckt . Es handelt sich um eine vom Sprecher gewöhnlich distanziert gesehene Rede einer fremden Person . Bei sollen ist es die Rede einer im aktualen Satz nicht genannten Personengruppe über das syntaktische Subjekt (vgl . Buscha/Heinrich/Zoch 1989: 22, 23) . Bei der Übersetzung eines Satzes mit sollen ins Russische bedient man sich Verben, die die Wiedergabe einer fremden Aussage einführen wie утверждают, говорят, wobei diese Schaltwörter bzw . Schaltsätze im Russischen die modale Bedeutung eines vorsichtigen Zweifels haben: (25) (26) (27) (28) „Solche Freisprüche,“ antwortete der Maler, „soll es allerdings gegeben haben“– Говорят, что такие случаи оправдания бывали – сказал художник. (Kafka) Es soll ein sehr schönes Mädchen sein. – Говорят, она очень красивая девочка. (Fontane) Bei wollen ist es die Rede des syntaktischen Subjekts über sich selbst (die Form der 1 . Person Sg ./Pl . ist nicht möglich) . Die modale Intention des Verbs wollen ist eine gewisse kritische Konnotation von der Seite des Informators . Im Russischen wird sie mit Hilfe der Modalpartikeln якобы, вроде бы wiedergegeben, die die Distanzierung von der Aussage des Subjekts des Satzes ausdrücken . (29) Manche behaupteten, um vier Uhr noch zu Hause oder anderswo beschäftigt gewesen zu sein, und keiner wollte etwas bemerkt haben. (30) Некоторые утверждали, что в четыре часа были заняты дома или где-то ещё, и будто бы никто ничего не видел. (Droste–Hülshoff, Übersetzung I . Šipova) Beispiele (29) und (30) zeigen, dass der Sprecher im deutschen und im russischen Satz der fremden Behauptung mit deutlicher Skepsis gegenübersteht . Unter den anderen verbalen Ausdrücken für die epistemische Lesart sind in erster Linie noch die Modalitätsverben scheinen und glauben zu erwähnen . Wenn die anderen Modalitätsverben eine deontische Lesart erlauben, sind diese beiden primär für die epistemische bestimmt . Die unterschiedliche Betrachtungsperspektive lässt einen Nicht-Muttersprachler nach möglichen Äquivalenten suchen, weil das intensionale Verb scheinen die äußere Modalität – die Vermutung des Sprechers – bezeichnet und glauben die innere Modalität, also die Vermutung des Subjekts (vgl . Schendels 1979: 98) . Im Russischen ist dieser Unterschied daran zu merken, dass man sich bei der Übersetzung des Verbs scheinen der Einfügung казалось/кажется bedient, und bei glauben erscheint ein unpersönlicher Satz mit dem Verb по/казаться in der 3 . Pers . Sg ./Pl ., das mit dem Dativ der Person verbunden ist, welche die entsprechende Handlung vollzieht . Epistemische Modalität im Deutschen und Russischen… 217 (31) Die junge Frau schien sofort einen großen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. – (32) Казалось, молодая женщина сразу произвела на него большое впечатление. (Fontane) (33) Er glaubte auf einem Schiff zu sein, das sich in schwerem Seegang befand. – (34) Ему казалось, что он на корабле в сильнейшую качку. (Kafka) (35) K. glaubte in eine Versammlung einzutreten. – (36) К. сначала показалось, что он попал на собрание. (Kafka) Das Ignorieren von epistemischer Bedeutung, die diese Verben einer Äußerung verleihen, kann man manchmal auch in einer russischen Übersetzung beobachten, was aber im folgenden Beispiel nicht gerechtfertigt zu sein scheint . (37) Innstetten, unbefangen und heiter, schien sich seines häuslichen Glücks zu freuen und beschäftigte sich viel mit dem Kinde. – (38) Инштеттен, довольный и веселый, радовался своему домашнему счастью и очень много занимался ребенком. (Fontane) Eine wichtige Rolle beim Ausdruck der epistemischen Modalität spielen in beiden Sprachen Modalpartikeln. Nach Liefländer-Koistinen (2004: 550) sind sie unflektierbare Wörter, die die Einstellung des Sprechers hinsichtlich der vom Hörer erwarteten situationsbezogenen Haltung, dessen Vorwissen und Reaktionen signalisieren . Sie sind nicht Satzglieder, dienen aber pauschal zum Ausdruck besonderer zusätzlicher Bedeutungen einiger Satzglieder (vgl . Moskalskaja 1971: 49) . Wie Engel (2006: 205) behauptet, gehören die Modalpartikeln in erster Linie der gesprochenen Sprache an, was sowohl für Deutsch als auch für Russisch gilt . Auch sie drücken das Verhältnis des Sprechers zum Gesagten aus . Zu betonen ist, dass ein eindeutiges Zusammenfallen der lexikalischen Bedeutungen von Modalpartikeln in beiden Sprachen kaum möglich ist, zum Teil weil es für die meisten der Partikeln mehrere Verwendungsmöglichkeiten gibt (vgl . Engel 2006: 205) . Wenn man dieselbe deutsche Partikel im gleichen Satz, aber in verschiedenen Kontexten ins Russische übersetzt, so bekommt man in jedem Fall eine neue Variante der Übersetzung . Als Beispiel wird der Satz (39) ‘Was machst du denn da?’ in verschiedenen Situationen angeboten . Wenn man z .B . gestört wird, so würde dieser Satz voll Empörung auf Russisch klingen: (40) Ты-то что тут делаешь? Wenn man aber einem Bekannten begegnet, wo man es nicht erwartet, würde der Satz heißen: 218 Irina A. Šipova (41) А ты что тут делаешь? Wenn man über eine neue Arbeitsstelle mit Interesse fragt, so lautet der Satz: (42) И что же ты тут дeлаешь? Es ist einsichtig, dass für die richtige Interpretation des Satzes der pragmatische Aspekt entscheidend ist, also, welche illokutive Situation die Verwendung der einzelnen Partikel voraussetzt . Das Gleiche gilt auch für die deutsche Sprache, was man an einem russischen Beispiel beobachten kann . Der Satz (43) kann unterschiedlich interpretiert und übersetzt werden: (43) Съешь еще кусочек торта, ведь он такой вкусный! (44) Iss noch ein Stückchen Torte, sie schmeckt doch so gut! Die Modalpartikel doch prognostiziert eine negative Antwort, und die Variante: (45) Iss noch ein Stückchen Torte, sie schmeckt ja so gut! sieht eine positive Reaktion vor . In beiden Fällen ist die Situation (der Kontext) der Schlüssel zur Lösung der Frage, welchen Partikeln welche Äquivalente in der anderen Sprache entsprechen . Die Partikeln können unter anderem kombiniert werden, wodurch ihre genaue Definition erschwert wird. So könnte man vorschlagen, die Sentenz von F . Kafka ins Russische übersetzen zu lassen: (46) „Aber denn doch wohl nicht gar so sehr...“ Oder ein Zitat aus V . Šukšin: (47) Тот невесело как-то, но и не так чтобы уж совсем печально усмехнулся. (Шукшин) – (48) Derjenige lächelte ja nicht irgendwie lustig, aber auch doch nicht so ganz traurig. (Übersetzung I . Šipova) Wie schon erwähnt, ist die Kombination von verschiedenen Ausdrucksmitteln der epistemischen Lesart möglich . (49) Denn von „Fährlichkeiten“ – … – wird sich in diesem Falle wohl sprechen lassen. – (50) … об «опасностях», – … – можно в данном случае много говорить. (Fontane) (51) Mit diesem Worte wird er wohl recht haben, aber er sollte es lieber nicht gebrauchen, … – (52) В этом он совершенно прав, но лучше бы ему не говорить так, … (Fontane) Epistemische Modalität im Deutschen und Russischen… 219 Beispielsätze (49), (51) zeigen, dass werden in seiner epistemischen Lesart mit anderen Ausdrucksmitteln der epistemischen Modalität kombiniert wird, was seine temporale Bedeutung völlig aufheben kann . – Die russische Übersetzung (50), (52) scheint das zu bestätigen . Durch den komplexen Gebrauch von Ausdrucksmitteln der epistemischen Lesart kann eine höhere Stufe der Emotivität produziert werden . Dafür ein Beispiel: (53) Er war‘s, unzweifelhaft! Und doch – er war es auch nicht, er konnte es nicht sein, er konnte kein Mörder sein. (54) Это был он, несомненно он! И все-таки не он, не мог он им быть, не мог он быть убийцей. (Süskind) Modalwort, Modalpartikel, epistemisches Modalverb sowie seine Wiederholung im Beispiel (54) schaffen eine affektive, deutlich emotional gefärbte Aussage . Dazu trägt auch die emphatische Intonation des ersten Satzes bei, was die Worte von Vinogradov bestätigt, dass auch die Intonation ein wichtiges Ausdrucksmittel ist, das Verhältnis zur Aussage wiederzugeben (vgl . Vinogradov 1972: 17) . Dies gilt für beide Sprachen, ist aber ein spezifisches Forschungsgebiet mit eigenen Methoden und Belegen und kann hier nicht abgehandelt werden . Zusammenfassung Der Vergleich der Ausdrucksmittel der epistemischen Modalität im Deutschen und im Russischen erlaubt folgende Schlussfolgerungen: 1 . Der Begriff der Modalität wird in beiden Sprachen grundsätzlich gleich definiert. 2 . In den meisten Fällen haben die grammatisch-lexikalischen Strukturen zum Ausdruck der epistemischen modalen Bedeutung ihre Äquivalente in der anderen Sprache, obwohl einige Nuancen doch verloren gehen können . 3 . Das deutsche Sprachsystem verfügt über mehr grammatische Ausdrucksmittel der Modalität als das russische; z .B . ist das System der Modal- und Modalitätsverben im Deutschen vielfältiger als im Russischen . Dadurch ist es möglich, die feinsten modalen Schattierungen auszudrücken . 4 . Im Russischen ist der Anteil der lexikalischen Ausdrucksmittel der Modalität höher als der der grammatischen . Abschließend lässt sich sagen, dass jede kontrastive Untersuchung auf diesem Gebiet insbesondere unter didaktischem Aspekt wichtig und daher von großem praktischem Wert ist . Literatur Abramov, Boris A . (1999): Teoretičeskaja grammatika nemeckogo jazyka . Moskva: Vlados . Admoni, Vladimir G . (1986): Der deutsche Sprachbau. Moskau: Hochschule . 220 Irina A. Šipova Anochina, Swetlana P . / Olga A . Kostrova (2006): Sravnitelnaja tipologija nemeckogo i russkogo jazykov. Samara: SGPU . 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Averina Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen im Vergleich zum Russischen und Besonderheiten ihres Funktionierens in der Rede Mein Beitrag ist der Analyse der Semantik der epistemischen Modalität auf der Satzebene im Deutschen im Vergleich zum Russischen gewidmet . Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, zu zeigen, dass einem bestimmten strukturellen Satzmodell das semantische Modell und ein konkreter Situationstyp entspricht . Demnach werden in dem Beitrag die Aufgaben gestellt: 1 . die Mittel zum Ausdruck der Vermutung im Deutschen und im Russischen in Satzmodellen zu behandeln; 2 . die semantischen Besonderheiten der strukturellen Satzmodelle und 3 . ihre Rolle in der Textgestaltung zu zeigen . Die Behandlung der genannten Probleme gibt die Möglichkeit, die syntaktischen Besonderheiten der Sätze mit der Semantik der Vermutung im Deutschen und im Russischen zu vergleichen, die Auswahl der funktionalen Synonyme zu erklären und ihr stilistisches Potenzial aufzudecken . Außerdem kann das helfen, bei der Übersetzung Äquivalente nicht auf der Satzebene, sondern auf der Textebene zu finden. Die Semantik der Vermutung wird im Rahmen der epistemischen Modalität behandelt . Ich stimme mit Vater (1975: 104) überein, wenn er schreibt: „Modalität ist nicht Bestandteil des in einem Satz beschriebenen Sachverhalts, sondern etwas, was zusätzlich zu diesem Sachverhalt ausgedrückt wird“ . Unter der Vermutung verstehe ich die Einschätzung der Gewissheit des Sachverhalts durch den Sprecher . In der Sprachwissenschaft wird die epistemische Modalität verschieden untergliedert . So unterscheiden die Autoren der „Grammatik in Feldern“ drei Wahrscheinlichkeitsgrade: Sicherheit, Unsicherheit und Zweifel (vgl . Buscha u . a . 2006) . Anders wird die epistemische Modalität von Fritz (2000a) skaliert . Er spricht von den modal merkmallosen und merkmalhaften Sätzen: „Tatsächlich führt der einfache Aussagesatz aber zur uneingeschränkten epistemischen Geltung der Äußerung . Ein modal-epistemischer Wert kommt aus dieser Perspektive allen geäußerten Sätzen zu, da jede Äußerung eine hörerseitige Einschätzung des Sprecherglaubens erwartet .“ (Fritz 2000a: 85) Strukturelle Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen Die Frage nach der Rolle der epistemischen Elemente in einem Satz wird in der Sprachwissenschaft aktiv diskutiert . Thomas A . Fritz stellt Folgendes fest: 224 Anna V. Averina „Für alle modalen Elemente gilt grundsätzlich, dass sie andere Zeichen modifizieren: sie wirken in der Regel als Zeichen über propositionale Zeichen und können deshalb als Meta-Zeichen betrachtet werden . . . Der Basis-Proposition sind sie stets hierarchisch übergeordnet .“ (Fritz 2000b: 91) John Lyons spricht von „a factive predicator“ in Sätzen der Art It is amazing that they survived, wo das Wort amazing als „predicator“ auftritt (vgl . Lyons 1977: 795) . Von den überordnenden Prädikaten schreibt auch Valentin Bogdanov . Zu den Prädikaten solcher Art zählt er Phasen-, Modal- und Kausativverben (vgl . Bogdanov 1977) . Die modalen Prädikate sind von der Proposition abhängig und können nicht einen selbständig Satz bilden . Auf jeden Fall nehmen die Sätze mit epistemischen Elementen einen besonderen Platz in der Aussage ein . So ist der Satz „Peter glaubt, dass Melbourne in Australien liegt genau dann wahr, wenn es tatsächlich so ist, dass Peter das glaubt, ganz unabhängig davon, ob das, was er glaubt, wahr oder falsch ist .“ (Tugendhat/Wolf 1983: 122, zitiert nach Fritz 2000b: 89) Den Modusbegriff kritisiert Weinrich (1964) folgendermaßen: „Der Modusbegriff ist unbrauchbar, ärgerlich und irreführend, weil er mitten durch alle Sprachstrukturen schneidet .“ (ebd . 277, zitiert nach Fritz 2000b: 91) Ich meine, dass man je nach der Art des Ausdrucks der epistemischen Bedeutung bestimmte Situationstypen absondern kann . Um sie zu charakterisieren, gehe ich auf die Struktur des Satzes ein . Nach der Meinung von Vladimir Gak kann sie auf folgenden drei Ebenen betrachtet werden: – auf der logisch-semantischen (auf dieser Ebene unterscheidet man das semantische Subjekt und Prädikat); – auf der logisch-kommunikativen (man spricht in dieser Hinsicht von der Thema-Rhema Gliederung); – auf der strukturell-syntaktischen (man unterscheidet das grammatische Subjekt und Prädikat) (vgl . Gak 1998: 125) . Die Aussage mit der Semantik der Vermutung besteht aus zwei Teilen: aus dem propositionalen Teil (Sachverhalt selbst) und der epistemischen Darstellung des Sachverhalts, d .h . aus der Einstellung des Sprechers zum Tatbestand . Vom logisch-semantischen Standpunkt aus hat jeder Teil sein semantisches Subjekt und Prädikat (Ich bezeichne sie als propositionales Subjekt und propositionales Prädikat . Sie bilden ein Ganzes und treten als Objekt des epistemischen Prädikats auf) sowie epistemisches Subjekt und epistemisches Prädikat . Dabei werden das epistemische Subjekt und das epistemische Prädikat nicht immer als grammatisches Subjekt / Prädikat ausgedrückt – der epistemische Teil der Aussage kann eliminiert werden: Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen… 225 z .B .: Ich glaube, er ist krank — semantische Subjekte und Prädikate stimmen mit den grammatischen überein . Er muss krank gewesen sein — das epistemische Subjekt wird nicht genannt, aber wir wissen, dass die Meinung des Sprechers ausgedrückt wird . Das semantische Subjekt stimmt mit dem grammatischen überein . Die Vermutung gilt dem Sachverhalt in der Vergangenheit und wird von dem Sprecher im gegenwärtigen Geschehen geäußert . Wahrscheinlich war er krank – das epistemische Subjekt wird nicht genannt . Vom logisch-semantischen Standpunkt aus erfüllt das Modalwort wahrscheinlich die Rolle des epistemischen Prädikats . Wir wissen auch nicht, in welchem Verhältnis zum Redemoment der Sachverhalt steht, weil das grammatische Prädikat auf der strukturell-syntaktischen Ebene des Satzes, das auf das Zeitverhältnis hinweist, fehlt . Man kann entweder von der ontologischen Möglichkeit (Potentialität) oder der Epistemizität sprechen: (1) (2) „Wer weiß das?“ sage ich vorsichtig, um sie nicht weiter zu erregen . „Vielleicht hat der Tod einen ganz falschen Namen . Wir sehen ihn immer nur von einer Seite . Vielleicht ist er die vollkommene Liebe zwischen Gott und uns“ . (E .M . Remarque . Der schwarze Obelisk) Wahrscheinlich haben wir alle etwas Angst vor großen Worten . Es ist so entsetzlich viel damit gelogen worden . Vielleicht haben wir auch Angst vor unsern Gefühlen . (E .M . Remarque . Der schwarze Obelisk) Im Auszug (1) geht es um die Beschaffenheit des Todes; in (2) äußert der Sprecher seine Überlegungen über den inneren Zustand seiner Umgebung . In den angeführten Aussagen handelt es sich um die Eigenschaften der Objekte ohne Zeitbezug . (3) (4) Vielleicht ist es auch die elektrische Zündung . Schauen Sie doch mal unsern Motor nach . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) Er schwieg . Er dachte wahrscheinlich an letzte Worte, an eine letzte Liebesbeteuerung, an etwas, was er hätte mitnehmen können in seine Einsamkeit . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) In Beleg (3) geht es um die Vermutung, die den Sachverhalt in einem bestimmten Zeitraum angeht . Der Sprecher macht seine Schlussfolgerung über die Ursache der Störung . Im Auszug (4) ist die Rede von dem möglichen Gedankengang einer der Figuren des Romans; die Vermutung hat einen bestimmten Zeitbezug . Die Besonderheit des epistemischen Teils der Aussage besteht auch darin, dass er inhaltlich und grammatisch immer von dem propositionalen Teil abhängig ist – die Vermutung existiert nicht an und für sich und hat ohne propositionalen Teil keinen Sinn . Nach der Ausdrucksform des epistemischen Teils der Aussage habe ich 5 Satzmodelle aufgestellt . Anna V. Averina 226 Modell 1: S(e) + P(e) + S(p) + P(p) Sätze mit einem explizit ausgedrückten epistemischen Subjekt und Prädikat . S(e) ist epistemisches Subjekt, P(e) – epistemisches Prädikat, S(p) – propositionales Subjekt und P(p) – propositionales Prädikat . Diesem Modell entsprechen: • (5) • (6) Satzgefüge mit einem Objektsatz: „Möchtest du in sie zurück?“ fragte sie . „Ich glaube nicht, dass ich es könnte . Mein Vaterland hat mich wider meinen Willen zum Weltbürger gemacht . Nun muss ich es bleiben . Zurück kann man nie .“ (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) Satzreihe: Ich werde, so glaube ich, Mönch werden, Priester werden, Subprior und vielleicht Abt werden . (H . Hesse . Narziss und Goldmund) Modell 2: Man + P(e) + S(p) + P(p) Der zusammengesetzte Satz mit einem epistemischen Prädikat und einem explizit ausgedrückten unbestimmten epistemischen Subjekt . (7) Meines . Eines, das nirgendwo bleiben kann; das sich nie ansiedeln darf; immer im Rollen bleiben muss . Das Dasein des Emigranten . Das Dasein des indischen Bettelmönches . Das Dasein des modernen Menschen . Es gibt übrigens mehr Emigranten, als man glaubt . Auch solche, die sich nie vom Fleck gerührt haben . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) Modell 3: S (p) + P (e + p) Sätze mit einem impliziten epistemischen Subjekt und einem Prädikat mit der epistemischen und propositionalen Bedeutung . Diesem Modell entsprechen folgende Satzstrukturen: Modell 3a: S(p) + Modalverb in der finiten Form+Infinitiv I (II) Das Prädikat (finites Modalverb mit dem Infinitiv I (II) des Vollverbs) drückt sowohl die Handlung als auch die Vermutung aus, deshalb kann man solche Sätze als Sätze mit einer doppelten Prädikation betrachten . Die Zeitform des Prädikats deutet darauf hin, dass die Handlung im Verhältnis zum Redemoment gleichzeitig oder vorzeitig geschieht: (8) Nicht ein einziges Möbel; die Besitzer mussten es ausgeräumt haben, um zu flüchten. (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen… 227 Modell 3b: S(p) + werden im Präsens in der finiten Form+Infinitiv I (II) Es handelt sich um den einfachen Satz mit einem impliziten epistemischen Subjekt (also den Satz mit der doppelten Prädikation) . Die Zeitform des Prädikats deutet darauf hin, dass die Vermutung in der Gegenwart geäußert wird und den Sachverhalt der Gegenwart oder der Vergangenheit betrifft: (9) „Lass uns still sein und warten“, sagte Helen . „Es wird irgendein Bekannter sein . Wenn ich nicht antworte, geht er weg .“ (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) Modell 4: Vfin + S(p) + nicht (kein) + Objekt + Infinitiv I + (?) Sätze mit einem impliziten epistemischen Teil der Aussage . Entscheidungsfragen mit dem Negationswort nicht oder kein: (10) „Tut sie dir gar nicht leid, die Kleine?“ Er sah sie an . „Ob sie mir nicht leid tut, fragst du? Darauf sage ich: heute nicht mehr“ . (S . Zweig . Angst) Modell 5: S(p) + P(p) + Modalwort (Modalpartikel) Sätze mit einem impliziten epistemischen Subjekt und Prädikat, der Sprecherglaube ist aber mit einem Modalwort markiert . (11) Mir ist nicht ganz wohl zumute . Vielleicht hat eine der Schwestern spioniert und die Oberin will mir sagen, ich solle nur mit Kranken über sechzig sprechen, oder sie will mir sogar kündigen, obschon der Oberarzt erklärt hat, es sei gut, wenn Isabelle Gesellschaft habe . (E .M . Remarque . Der schwarze Obelisk) Die von mir vorgeschlagenen Satzmodelle sind nicht identisch – jedes hat seinen situativen Kontext, in dem es steht . Modelle 1 und 2, in denen das grammatische Subjekt mit dem semantischen übereinstimmt, spiegeln eine alternative Situation wider, in der auf die Person, die ihre Vermutung ausdrückt, hingewiesen wird . In diesem Fall spreche ich von dem stilistischen Potential des epistemischen Subjekts . Modelle 3, 4 und 5 charakterisieren eine andere Situation (ich bezeichne sie als eine nicht alternative Situation), weil aus dem Kontext klar sein muss, wem die angeführte Meinung gehört . Das epistemische Prädikat des 3 . Modells stimmt mit dem propositionalen überein – ich spreche dann von dem stilistischen Potential der Sätze mit der doppelten Prädikation . Modalwörter und Modalpartikeln mit epistemischer Bedeutung (Modell 5) erfüllen die Rolle des epistemischen Prädikats – auf die situativen Besonderheiten ihres Gebrauchs gehe ich weiter unten ein . 228 Anna V. Averina Der situationsbezogene Gebrauch der Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung und ihr stilistisches Potenzial Ich möchte jetzt die semantische und die situationsbezogene Charakteristik der Satzmodelle geben und ihre Rolle in der Textgestaltung zeigen . Als Forschungsmaterial habe ich Romane von E .M . Remarque und H . Fallada benutzt . Modell 1: S(e) + P(e) + S(p) + P(p). Der Sprecherglaube ist markiert . Solche Satzarten stehen gewöhnlich am Anfang eines Mikrothemas im Ganztext und führen den Gedankengang der Figuren, also die direkte Rede ein: (12) Georg tut einen langen Zug aus seiner Meerschaumspitze. „Ich glaube, das weiß heute keiner mehr von sich in Deutschland . Nicht einmal der göttliche Stinnes . Die Sparer sind natürlich alle pleite . Die Arbeiter und Gehaltsempfänger auch . Von den kleinen Geschäftsleuten die meisten, ohne es zu wissen . Wirklich glänzend geht es nur den Leuten mit Devisen, Aktien oder großen Sachwerten“ . (E .M . Remarque . Der schwarze Obelisk) So ein Satzschema ist gesprächstypisch und wirkt in einem Dialog neutral: (13) „Ich danke dir, dass du sie angezogen hast“, sagte ich . „Ich bin sicher, dass ich morgen abend wieder hier sein kann [ . . .] .“ (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) In einem Monolog hat diese Form eine andere Wirkung: Sie führt die Erörterung der Situation von den Figuren ein, die sich mit den Gedanken des Autors verflicht. In einem Text erfüllt sie die Rolle der Kohäsion (des Zusammenhalts), indem sie Mikrotexte verbindet (Mikrotext ist eine Satzfolge mit dem gemeinsamen Themabezug seiner Komponente) (vgl . Moskalskaja 2004) . Das können wir am Beispiel des folgenden Auszugs sehen: (14) „Ich hatte Butterbrote bei mir“, sagte Schwarz, „und ich fand einen Bach mit Wasser . Mittags wanderte ich weiter . Mein Ziel war der Ort Feldkirch, von dem ich wusste, dass er im Sommer von Ferienreisenden besucht wurde . Ich erwartete, da nicht so aufzufallen . Auch Züge hielten dort . Ich erreichte ihn . Mit dem nächsten Zug fuhr ich von der Grenze weg, um aus der gefährlichsten Zone herauszukommen . Als ich in das Abteil trat, saßen dort zwei SA-Männer in Uniform . Ich glaube, dass mein Training mit der Polizei Europas mir in diesem Augenblick zu Hilfe kam, sonst wäre ich wohl zurückgesprungen . So stieg ich ein und setzte mich in eine Ecke neben einen Mann in Lodentracht, der ein Gewehr bei sich hatte“ . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen… 229 In dem angeführten Fragment des Romans führt der Satz Ich glaube, dass .. . die Erinnerungen der Hauptperson ein und enthält einfach die Abbildung der Vergangenheit im Bewusstsein des Sprechers . Er tritt auch als Mittel der Retrospektion (des Rückblicks) auf . Im folgenden Auszug hebt die Struktur ich glaube den Hauptgedanken hervor: (15) Heute würden wir in der Landschaft unserer Jugend umher gehen wie Reisende. Wir sind verbrannt von Tatsachen, wir kennen Unterschiede wie Händler und Notwendigkeiten wie Schlächter . Wir sind nicht mehr unbekümmert – wir sind fürchterlich gleichgültig . Wir würden da sein; aber würden wir leben? Wir sind verlassen wie Kinder und erfahren wie alte Leute, wir sind roh und traurig und oberflächlich – ich glaube, wir sind verloren . (E .M . Remarque . Im Westen nichts Neues) Der Satz ich glaube, wir sind verloren verallgemeinert das Gesagte . Das Personalpronomen ich in Verbindung mit dem Verb des Meinens dient auch der Absonderung der Tatsache: (16) Wilke hatte seitdem, ohne dass er es wollte, eine gewisse Abneigung gegen Wüllmann, die dieser später auch nicht dadurch aus der Welt schaffen konnte, dass er sich wie ein vernünftiger Arzt benahm und die Hinterbliebenen seiner Fälle zu Wilke schickte . Für Wilke war der Sarg des Riesen eine ständige Mahnung, nicht zu leichtgläubig zu sein, und ich glaube, das war auch der Grund, warum er mit der Zwillingsmutter in ihre Wohnung gegangen ist — er wollte sich selbst davon überzeugen, dass die Toten inzwischen nicht schon wieder auf Holzpferden herum ritten . (E .M . Remarque . Der schwarze Obelisk) Wenn das epistemische Subjekt in Form des Personalpronomens du oder er auftritt, dann wird betont, dass die Meinung des Sprechers im Gegensatz zur Meinung des Gesprächspartners steht: (17) „Ich wohne im „Walhalla“, oben unter dem Dachstuhl, und ich arbeite im „Walhalla“ . Ich bin nicht mehr so jung, wie du glaubst; ich muss sehen, dass ich etwas Festes habe, bevor ich keine Engagements mehr finde“. (E.M. Remarque. Der schwarze Obelisk) (18) Brünner war bekannt gewesen für seine guten Korrekturen . Er hatte manchem geholfen, besaß aber selbst keinen Ausweis, als er gefasst wurde, weil er abergläubisch war; er glaubte, er sei ehrlich und ein Wohltäter und ihm würde nichts passieren, solange er seine Kunst nicht für sich selbst benützte . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) . (=er glaubt, dass er ehrlich ist, aber das ist nicht so) (19) „Wozu ist er überhaupt gekommen?“ Helen lächelte . Es war ein merkwürdiges Lächeln . „Er glaubt, ich gehöre ihm . Ich müsse tun, was er wolle“ . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) .(=er glaubt, dass ich ihm gehöre, aber das ist nicht so) Th .A . Fritz deutet auf eine Gesetzmäßigkeit hin: je ausführlicher der Sprecherglaube merkmalhaft zur Sprache kommt, desto mehr verkehrt sich die 230 Anna V. Averina festlegungsbezogene Wirkung in das Gegenteil . Dieses Phänomen bezeichnet er als „Markierungsparadoxon“ der epistemischen Modalität: „Die Leistung des pragmatischen Deutungsprozesses, der Merkmallosigkeit mit „Sprechersicherheit“ verbindet, kann über den Versuch, den Sprecherglauben merkmalhaft zu kommunizieren, nicht in gleicher Weise erreicht werden . Die Bedeutung schlägt dann in das Kontradiktorium um. Gelegentlich nutzen Journalisten dieses Phänomen bewusst, um Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Sprechers zu wecken: Die Deutsche Terminbörse (DTB) ist sich „ganz sicher“, dass sie ihren britischen Widersacher Liffe bis zum Jahresende in einem heiß umkämpften Marktsegment schlägt .“ (Fritz 2000a: 101) Modell 2: Man + P(e) + S(p) + P(p) Sätze mit dem explizit ausgedrückten unbestimmten epistemischen Subjekt . Das Modell 2 führt die Überlegungen des Autors ein und dient oft als eines der Merkmale der erlebten Rede: (20) Ich tat es nicht . Meine linke Hand hielt in meiner Tasche den Pass des toten Schwarz umklammert, als könne mir Kraft daraus zufließen. Ich sagte mir vor, dass es jetzt gleich sei, ob ich mich länger in der Nähe der Grenze aufhielte oder nicht, und dass ich sicherer sei, je weiter ich ins Land hineinführe . Ich beschloss auch, die Nacht durch zu fahren . Im Zuge fragte man weniger nach Papieren als in einem Hotel . Es ist typisch, dass man glaubt, wenn man sich der Panik überlässt, überall seien Scheinwerfer auf einen gerichtet und die Welt habe nichts anderes zu tun, als einen zu suchen . Man hat das Gefühl, alle Zellen des Körpers wollten sich selbständig machen, die Beine wollten ein zuckendes Bein-Reich errichten, die Arme nichts als Abwehr und Schlagen sein, und sogar Lippen und Mund könnten nur noch zitternd den ungeformten Schrei zurückhalten . Ich schloss die Augen . Die Versuchung, der Panik nachzugeben, war größer, weil ich allein im Abteil war . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) Das Pronomen man besitzt ein reiches Referenzpotenzial, dementsprechend hat der Ausdruck man glaubt, dass..., man vermutet, dass ... eine Reihe von Referenzeigenschaften . Diese Struktur kann mit der 1 ., 2 . oder der 3 . Person Singular oder Plural identisch sein, z .B .: (21) Mein Kopf brummt und dröhnt in der Gasmaske, er ist nahe am Platzen . Die Lungen sind angestrengt, sie haben nur immer wieder denselben heißen, verbrauchten Atem, die Schläfenadern schwellen, man glaubt zu ersticken – Graues Licht sickert zu uns herein . Wind fegt über den Friedhof . (E .M . Remarque . Im Westen nichts Neues) In dem angeführten Fragment verwendet der Autor das unpersönliche Pronomen man, um zu zeigen, dass die Hauptperson sich selbst als vernichtet fühlt und nichts mehr wahrnehmen kann. Es tritt als Stilmittel der Depersonifizierung auf. Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen… 231 Modell 3: S (p) + P (e + p) Sätze mit dem impliziten epistemischen Subjekt und dem Prädikat, das sowohl die propositionale als auch die epistemische Bedeutung ausdrückt . Modell 3a: S(p) + Modalverb in der finiten Form +Infinitiv I (II) Diese Struktur erscheint oft am Ende des Mikrothemas und übernimmt die Funktion der Zusammenfassung: (22) Wir gingen langsam hindurch . Niemand antwortete auf unsere Rufe . Ich suchte nach elektrischen Schaltern . Es waren keine da . Das Schlösschen hatte noch keine Elektrizität; es war geblieben, wie es erbaut war . Ein kleines Speisezimmer war da in Gold und Weiß – ein Schlafzimmer in hellem Grün und Gold . Nicht ein einziges Möbel; die Besitzer mussten es ausgeräumt haben, um zu flüchten. (E.M. Remarque. Die Nacht von Lissabon) Die Vermutung beruht in diesem Fall auf dem logischen Schluss, weil die Modalverben einen bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrad ausdrücken . Die Meinung hat Begründung, stützt sich auf reale Tatsachen und schließt die Überlegungen des Sprechers ab: (23) Der Tag schien kein Ende zu nehmen . Als ich zum hundertsten Male an den Stacheldrähten vorbei strich, sah ich plötzlich, etwa zwanzig Schritte davon entfernt, auf meiner Seite, ein Paket, das in eine Zeitung gewickelt war . Es enthielt ein Stück Brot und zwei Äpfel und einen Zettel ohne Unterschrift: „heute abend“, Helen musste es hinüber geworfen haben, als ich nicht da war . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) (24) Zehn Minuten später tauchte, wie aus der Erde gewachsen, ein Zollbeamter neben mir auf . „Halt! Stehen bleiben! Was machen Sie hier?“ Er musste im Dunkeln seit langem gelauert haben . Meine Erklärung, dass ich ein harmloser Spaziergänger sei, beachtete er nicht . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) Modell 3b: S(p) + werden im Präsens in der finiten Form +Infinitiv I (II) Diese Struktur hat die Bedeutung der Vermutung in den Fällen, wenn sich das Verb werden mit dem Infinitiv I (II) der Zustandsverben verbindet. Nach meinen Beobachtungen wird diese Form in Dialogen gebraucht, weil Präsens die typische Zeitform des Dialogs ist: (25) „Das meine ich nicht . . .“ „Was denn, Herrgott? “ „Es ist derselbe . . . derselbe Geruch . . .“ „Du lieber Himmel, es wird Äther sein“, sagte Ravic, dem es auf einmal einfiel (E.M. Remarque . Arc de Triomphe) . 232 Anna V. Averina (26) „In einem kleinen Bistro in der Nähe des Arc . Man musste ein paar Stufen hinuntergehen . Es waren Chauffeure da und ein paar Mädchen . Der Kellner hatte eine Frau auf seinem Arm tätowiert . “ „Ah, ich weiß . Es wird Calvados gewesen sein . Apfelschnaps aus der Normandie“ . (E .M . Remarque . Arc de Triomphe) Die Struktur werden + Infinitiv I (II) hat in dem Dialog eine Nebenbedeutung: der Sprecher will seinen Gesprächspartner beschwichtigen: (27) „Haben Sie gesehen, was aus dem Mädchen geworden ist, mit dem ich zusammen war?“ fragte Kern . „Das Mädchen?“ Der Blonde dachte nach . „Es wird ihr nichts passiert sein . Was soll ihr schon geschehen? Mädchen lässt man doch in Ruhe bei einer Prügelei“ . (E .M . Remarque . Liebe Deinen Nächsten) Wenn aber eine solche Satzform in einer Erzählung verwendet wird, dann führt sie die Erinnerungen des Autors ein und bringt sie dem Leser näher, als ob das momentan passierte: (28) Aber einmal habe ich doch herzhafte Prügel von meinem alten Herrn bezogen, und dieses einmalige Erlebnis hat einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, dass ich mich seiner in allen Einzeilheiten heute noch erinnere . Ich werde damals zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, und mein Busenfreund war zu der Zeit Hans Fötsh, der Sohn unseres Hausarztes . (H . Fallada . Damals bei uns daheim: Erlebtes, Erfahrenes und Erfundenes) Die Struktur werden + Infinitiv I(II) ist für alle Wahrscheinlichkeitsgrade offen. Man darf nicht sagen *Er muss wahrscheinlich zu Hause gewesen sein, möglich ist aber der Satz Er wird wahrscheinlich zu Hause gewesen sein. Das zeugt davon, dass das Modell 3b in erster Linie die Subjektivität der Meinung des Sprechers betont . Modell 4: Vfin + S(p) + nicht (kein) + Objekt + Infinitiv I + (?) Sätze mit einem impliziten epistemischen Subjekt und Prädikat – der epistemische Teil der Aussage ist unmarkiert . Die Semantik der Vermutung wird zwischen einzelnen Lexemen und Grammemen verteilt. Man bringt höflich zum Ausdruck, dass man gerne eine bestimmte Antwort des Adressaten hören möchte, ohne dass man den Adressaten direkt darum bittet . Diese Satzstruktur ist für einen Dialog typisch: (29) „Ich habe es nie gekannt“, sagte ich . „Aber will das nicht jeder? Halten, was nicht zu halten ist? Und verlassen, was einen nicht verlassen will?“ (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon). Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen… 233 (30) „Vielleicht“, sagte ich . „Aber soll man immerfort auf das Unmögliche starren und sagen: es ist unmöglich? Ist es nicht besser, es zu verkleinern und damit einen Streifen von Hoffnung hereinzulassen?“ . (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon) In einem Monolog wird diese Form selten gebraucht – sie dient dazu, den Leser in die Überlegungen der Figuren einzubeziehen und tritt als Merkmal der erlebten Rede auf: (31) „Dann kam mir eines Nachts der Gedanke, der mich danach nicht mehr losließ . Konnte ich nicht mit diesem Pass nach Deutschland reisen? Er war fast gültig, und warum sollte jemand Verdacht an der Grenze schöpfen? Ich konnte dann meine Frau wiedersehen . Ich konnte die Angst um sie zum Schweigen bringen. Ich konnte...“ (E.M. Remarque. Die Nacht von Lissabon) Modell 5: S(p) + P(p) + Modalwort (Modalpartikel) Sätze mit einem impliziten epistemischen Subjekt und Prädikat – die Epistemizität der Aussage wird mit einem Modalwort markiert . Wenn die Partikel wohl zum Ausdruck der Vermutung verwendet wird, dann wird in der Aussage in der Regel die mögliche Folge oder der Grund der Handlungen / Zustände angegeben: (32) Das Wunder ist an mir vorüber gegangen, es hat mich berührt, aber nicht verändert, ich habe noch denselben Namen und weiß, dass ich ihn wohl bis ans Ende meiner Tage mit mir herumschleppen werde, ich bin kein Phönix, die Neugeburt ist nicht für mich, ich habe zu fliegen versucht, doch nun taumele ich wie ein geblendetes schwerfälliges Huhn wieder zur Erde, zwischen die Stacheldrähte zurück . (E .M . Remarque . Der schwarze Obelisk) (33) Aber er weint nur, den Kopf zur Seite gewandt . Er spricht nicht von seiner Mutter und seinen Geschwistern, er sagt nichts, es liegt wohl schon hinter ihm; – er ist jetzt allein mit seinem kleinen neunzehnjährigen Leben und weint, weil es ihn verlässt . (E .M . Remarque . Im Westen nichts Neues) Auf den Grund einer Überzeugung weist auch das Modalwort angeblich hin: (34) Die Frau hatte am Morgen mein unaufgedecktes Bett entdeckt und geglaubt, ich sei ermordet worden . Angeblich triebe sich jemand in der Gegend herum, der schon ein paar Raubüberfälle auf dem Gewissen hatte (E .M . Remarque . Die Nacht von Lissabon). In den angeführten Aussagen wird die Vermutung ohne genaue Zeitangabe geäußert, sie gründet sowohl auf dem logischen Schluss als auch auf der Intuition des Sprechers und gilt nicht dem Mikrotext, sondern einem Satz . Anna V. Averina 234 Die situationsbezogene Charakteristik der Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen wird in Tabelle 1 zusammengefasst . Strukturelle Satzmodelle Situationsbezogene Charakteristik der Satzmodelle und die Rolle der Strukturen in der Textgestaltung Semantische Satzmodelle Modell 1 . Sätze mit einem explizit ausgedrückten epistemischen Subjekt: S(e)+P(e)+S(p)+P(p) . Hervorhebung des Hauptgedanken . Entgegensetzung der Meinung des Sprechers und der Person, von der die Rede ist . Einführung des Mikrothemas volle (komplexe) Struktur mit einem bestimmten epistemischen Subjekt Modell 2 . Sätze mit einem explizit ausgedrückten unbestimmten epistemischen Subjekt: Man +P(e)+S(p)+P(p) Einführung der erlebten Rede . Stilmittel der Depersonifikation volle (komplexe) Struktur mit einem unbestimmten epistemischen Subjekt Modell 3 . Sätze mit einem impliziten epistemischen Subjekt und einem Prädikat, dessen propositionale Bedeutung mit der epistemischen verschmolzen ist: 3a) S(p)+Modalverb in der finiten Logischer Schluss . Tritt am Ende reduzierte Struktur Form +Infinitiv I (II) der thematischen Einheit auf . 3b) S(p)+ werden im Präsens in der finiten Form +Infinitiv I (II) Die subjektive Einstellung des Sprechers zum Sachverhalt . Typische Form zum Ausdruck der Vermutung in einem Dialog . In einem Monolog werden die Erlebnisse dem Leser näher gebracht . Modell 4 . Sätze mit einem unmarkierten epistemischen Teil der Aussage: Vfin +S(p)+ nicht (kein) + Objekt + Infinitiv I (?) Höfliche Vermutung hinsichtlich reduzierte Struktur der Meinung des Adressanten . Kennzeichen der erlebten Rede in einem Monolog . Modell 5 . S(p)+Modalwort (Modalpartikel)+ P(p)) Angaben über den Grund oder die Folge der Handlungen oder Zustände . Tabelle 1 Einschätzung der Handlungen . Beiläufige Bemerkung. reduzierte Struktur reduzierte Struktur Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen… 235 Satzmodelle 1 und 2 (mit dem expliziten epistemischen Subjekt) sind für alternative Situationen charakteristisch, wenn der Sprecherglaube zum Ausdruck gebracht und betont werden muss; andere Satzmodelle sind für eindeutige, nicht alternative Situationen typisch . Strukturell-semantische Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Russischen Die russische Sprache kennt keine analytischen Mittel zum Ausdruck der Vermutung . Das Modell 3 der deutschen Sprache fehlt im Russischen . Ins Russische werden diese Strukturen mit Hilfe von Modalwörtern oder Modalpartikeln übersetzt: (35) Irgendeines meiner Worte muss ihn getroffen haben und in das Dunkel gedrungen sein, gegen das ich schon so lange kämpfe (Hesse H . Narziss und Goldmund) . Kakoje-to iz moich slov, dolžno byt’, zadelo ego i proniklo v to tëmnoe, protiv čego ja davno borjus’ . (übersetzt von G .V . Baryšnikovoj) Modalwörter und Modalpartikeln des Russischen drücken sowohl den logischen Schluss als auch die subjektive Einschätzung des Sachverhalts aus . Satzgefüge mit einem Objektsatz oder eine Satzreihe werden selten verwendet: (36) Ja očen’ rad, čto našël v vas porjadočnogo čeloveka, džentlmena, sposobnogo ponimat’ s poluslova . I ja dumaju, čto my dogovorimsja srazu. (Kuprin A.I. Granatovyj braslet) Ich freue mich, in Ihnen einen ordentlichen Menschen, einen gentleman, gefunden zu haben, dem bereits eine Andeutung genügt . Ich glaube, wir werden uns sofort einigen . (übersetzt von Charlotte Cossuth) Spezifisch für die russische Sprache ist der Gebrauch der Formen des vollendeten Aspekts zum Ausdruck der Sicherheit: (37) Stanet ona s toboj razgovarivat’! Auch die Infinitivkonstruktionen können zum Ausdruck der Vermutung verwendet werden: (38) Tebe étogo ne ponjat’. S tvoim umom da (čtoby) ne ponjat’? (Beispiel von Belajeva 1990: 161) Die Bedeutung der Vermutung wird durch die Wortfolge ausgedrückt . Die situationsbezogene Charakteristik der Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Russischen stellt Tabelle 2 dar . Anna V. Averina 236 Strukturelle Satzmodelle Situationsbezogene Charakteristik der Satzmodelle und die Rolle der Strukturen in der Textgestaltung Semantische Satzmodelle Hervorhebung des Hauptgedanken . Entgegensetzung der Meinung des Sprechers und der Person, von der die Rede ist . Einführung des Mikrothemas . volle (komplexe) Struktur mit einem bestimmten epistemischen Subjekt 2a) S(p)+Modalwort + P(p)) Logischer Schluss. Beiläufige Bemerkungen . reduzierte Struktur 2b) Vfin + S(p) + Infinitiv Beiläufige Bemerkungen. reduzierte Struktur Modell 1 . Sätze mit einem explizit ausgedrückten epistemischen Subjekt: S(e)+P(e)+S(p)+P(p) . Modelle 2 . Sätze mit einem impliziten epistemischen Subjekt Tabelle 2 Das Sprachmaterial, das ich analysiert habe, lässt folgende Schlussfolgerungen zu: 1 . Sätze mit einem explizit ausgedrückten epistemischen Subjekt sind für den Dialog typisch . In einem Monolog dienen sie dazu, den Gedanken des Sprechers hervorzuheben oder eine Tatsache abzusondern . Sätze nach dem Modell 1 können auch ein neues Thema einführen . Die Verbindung des epistemischen Prädikats mit dem Personalpronomen du oder er zeigt, dass sich die Meinung des Sprechers von der Meinung der Person, von der die Rede ist, wesentlich unterscheidet . 2 . Sätze mit einem explizit ausgedrückten unbestimmten epistemischen Subjekt können als Stilmittel der Depersonifizierung verwendet werden. Oft treten sie als Merkmal der erlebten Rede auf . 3 . Sätze mit der Struktur Modalverb+Infinitiv I(II) kommentieren gewöhnlich die Aussage und schließen ein Mikrothema in einem bestimmten Text . Man kann sie auch als Strukturen der Textebene bezeichnen . 4 . Die Fügung werden + Infinitiv I(II) ist für den Dialog typisch und tritt als subjektive Einschätzung der Aussage auf . In einem Monolog führt diese Struktur eine Erzählung ein . Sätze nach dem Modell 4 können auch in einem Monolog auftreten – sie beziehen dann den Leser in die Überlegungen der Figuren ein . 5 . Sätze mit der Modalpartikel wohl drücken oft einen logischen Schluss aus: Sie enthalten in der Regel die Angaben über den Grund oder die Folge bestimmter Handlungen oder Zustände . 6 . Für die russische Sprache ist der Gebrauch der Strukturen mit einem impliziten epistemischen Subjekt charakteristisch . Modalwörter und Modalpartikeln haben vielfältige Funktionen: Sie können sowohl in eine neue Situation einführen als auch einen logischen Schluss markieren . Satzmodelle mit der Semantik der Vermutung im Deutschen… 237 7 . Der Hauptunterschied zwischen der deutschen und der russischen Sprache in der Ausdrucksweise der Vermutung besteht darin, dass das Verb im Deutschen als ein semantisches Zentrum des epistemischen und des propositionalen Teils der Aussage auftritt (Sätze mit der doppelten Prädikation), während Modalwörter und Modalpartikeln im Russischen vom logisch-semantischen Standpunkt aus die Rolle des epistemischen Prädikats spielen . Literatur Belajeva, Jelena (1990): „Dostovernost’“, in: Bondarko, Aleksandr V . u . a . (Hgg .): Teorija funkcionalnoj grammatiki. Temporalnost´. Modalnost´. Leninrad: Nauka, 157-170 . Bogdanov, Valentin (1977): Semantiko-sintaksičeskaja organizacija predloženija . Leningrad: Izdatel’stvo Leningradskogo Universiteta . Buscha, Joachim u. a. (2006): Grammatik in Feldern. Ein Lehr- und Übungsbuch für Fortgeschrittene. München: Verlag für Deutsch . 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Zur Definition der reportativen Evidentialität Bei der reportativen Bedeutung handelt es sich um eine Subdomäne der Evidentialität, die in Aikhenvald (2006:1) definiert wird als „stating the existence of a source of evidence for some information; that includes stating that there is some evidence, and also specifying what type of evidence there is“. Je nach der Art der ausgedrückten Informationsquelle unterscheidet man gewöhnlich zwischen der direkten und der indirekten Evidentialität, die wiederum in die inferentielle (die Information wird vom Sprecher aus Prämissen erschlossen) und die reportative1 (die Information wird dem Sprecher von anderen Personen mitgeteilt) zerfällt (vgl . z .B . de Haan 2005: 379) . Zu den reportativen Ausdrücken gehören im Deutschen u . a . die Partikeln angeblich und vorgeblich sowie die Modalverbkonstruktionen wollen/sollen + Infinitiv und der sog . Referatskonjunktiv . Im Polnischen sind es die Partikeln podobno, niby, jakoby, rzekomo und die Modalverbkonstruktion mieć + Infinitiv. Die in Tabelle 1 vorläufig behaupteten Äquivalenzen reflektieren die Angaben in Engel u.a. (2000: 105, 681, 1200 f .) . Ihrer Überprüfung in Bezug auf die polnischen Partikeln diente eine Korpusuntersuchung, deren Ergebnisse in Abschnitt 5 dargestellt werden . Polnisch Deutsch Podobno jest bardzo ładna. RP ist sehr schön:F * Sie soll sehr schön sein. Jest jakoby/rzekomo/niby chory. ist RP krank:M . Niby nic o tym nie wiedział. RP nichts über das nicht wusste:M Er ist angeblich/vorgeblich krank. Ma być bardzo ładna. hat sein sehr schön:F Sie soll sehr schön sein. Były szef dyplomacji powiedział, że to dobra praktyka, że ważne decyzje zatwierdza naród. bestätigt (Ind .) Der ehemalige Leiter des diplomatischen Dienstes erklärte, es sei ein gutes Verfahren, dass das Volk wichtige Entscheidungen bestätige. Er will nichts davon gewusst haben. * F – Femininum, M – Maskulinum, RP – reportative Partikel . Hervorhebungen durch Fettdruck stammen im gesamten Aufsatz von der Verfasserin . Tabelle 1 1 Den zuweilen ebenfalls gebrauchten Terminus quotativ reserviere ich hier, Wiemer (2008b: 8) folgend, für „indicators of the (at least presumed) literal reproduction of utterances“, die manchmal als eine Untermenge der reportativen Ausdrücke aufgefasst werden (vgl . Anderson 1986) . 240 Anna Socka 2. Zur Wortklasse reportative Partikel In den Anfängen der Evidentialitätsforschung bezog man den Terminus Evidentialität nur auf grammatische Ausdrücke (etwa obligatorische Markierung am Verb in einigen Indianersprachen; vgl . Diewald 2004: 235)2. Seit den 90er Jahren gibt es jedoch eine wachsende Gruppe von Linguisten, die explizit von „lexikalische[n] evidentielle[n] Markierungen“ (Wiemer 2008a: 11) sprechen und dazu u .a . Partikeln zählen .3 Dieser Betrachtungsweise schließe ich mich im Folgenden an . Die Wortklasse, zu der die Einheiten angeblich und vorgeblich gehören, ist in der germanistischen Linguistik Gegenstand zahlreicher Kontroversen .4 In Zifonun u .a . (1997) wird angeblich (wie auch z .B . anscheinend, vermutlich, mutmaßlich) zu den Adjektiven gerechnet, da es attributiv, d.h. als Nomenmodifikator verwendet werden kann (vgl . ebd . 1003 f ., 1131 f .) . Die adverbiale Funktion kommt zwar auch „wohl alle[n] Adjektivphrasen“ zu (ebd . 1004), jedoch fungieren einige von ihnen als Verbgruppen-, andere – wie die uns hier interessierenden Lexeme – als Satzadverbialia. Ausdrücke mit satzadverbialer Funktion, die nichtflektierbar und nicht attributiv verwendbar sind (z .B . leider, vielleicht, evidentermaßen), werden dagegen als Modalpartikeln klassifiziert (vgl. ebd. 987). Durch den Hinweis darauf, dass Ausdrücke „der Basiskategorie Satzadverbiale“ jedoch auch zu „Modifikatoren attributiv verwendeter Adjektive“ umkategorisiert werden können, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sie neben dem Satzskopus viel kleinere Skopi, insbesondere den über ein attributives Adjektiv, haben können: „As far as I am able to judge, the absolutely predominant number of sentential particles demonstrates variable scope, ranging from sentence level down to parts of NPs . […] [ . . .] Angeblich kam er gestern erst um fünf mit seiner kleinen Tochter. [ . . .] Er kam gestern erst um fünf mit seiner angeblich kleinen Tochter .“ (Wiemer 2008b: 20) Eisenberg (2006) subsumiert die Ausdrücke dagegen unter die Kategorie Adverb, die er gerade durch „die Vielfalt der Bezugsmöglichkeiten“ (ebd. 210) definiert: „In einem ersten Schritt wäre das Adverb also zu charakterisieren als nichtflektierbare, einfache Einheit mit lexikalischer Bedeutung, die nicht oder nicht nur auf Substantive und die prototypisch auf Sätze beziehbar ist .“ (ebd . 208) 2 3 4 Vgl . auch Aikhenvald (2006: 6), Faller (2007: 224) . Vgl . auch de Haan (2001: 194), Hassler (2002: 143), Wiemer (2005: 107), Smirnova (2006: 61), sowie – für eine eingehende Diskussion – Wiemer (2009) . Eisenberg (2006: 218) fasst sie folgendermaßen zusammen: „Die Grundzüge (687 f .) sprechen von Modalwörtern als Teilklasse der Adverbien, Helbig/Buscha (1998: 500 f .) von Modalwörtern, die ausdrücklich keine Adverbien seien . Lang (1979) nennt sie Satzadverbiale, Clément/Thümmel (1975: 48 ff .) und die IDS-Grammatik (58) entscheiden sich für Modalpartikeln, und der Duden (1998: 369 f .) zählt den größten Teil von ihnen zu den Modaladverbien . Der Versuch einer terminologischen Klärung [ . . .] kann nur im Rahmen einer Gesamtanalyse des Bereichs der Partikeln und Adverbien erfolgen“ . Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 241 Die meisten der sog . epistemischen modalen Ausdrücke, zu denen Eisenberg (2006: 218) z .B . vielleicht, sicherlich, wirklich sowie die uns interessierenden evidentiellen Lexeme zählt, sind auch attributiv verwendbar (der angebliche Student) . In diesem Falle spricht er jedoch von Adjektiven als Konversionsprodukten aus den betreffenden Adverbien (vgl . ebd .) . Ein Nachteil des Ansatzes von Eisenberg (2006) besteht also darin, dass für eine umfangreiche Klasse von Adverbien homonyme Adjektive angenommen werden müssen . Im Ansatz von Zifonun u . a . (1997) zerfallen dagegen sog . modale Satzadverbialia in Adjektive und Modalpartikeln, je nachdem, ob es sich um flektierbare oder unflektierbare Einheiten handelt . Ballweg (2007), dessen Darstellung ausdrücklich an Zifonun u .a . (1997) angelehnt ist, dehnt dagegen den Terminus Modalpartikel auch auf die flektierbaren Einheiten im unflektierten Gebrauch aus (vgl. 547); folglich wären für diesen Teil der Modalpartikeln homonyme Adjektive anzunehmen . Für die Aussonderung der Modalpartikeln aus der Klasse der Adverbien führt er u .a . folgende Argumente an: (a) „In Kombination mit einem Responsiv [ . . .] oder allein können sie auf eine Entscheidungsfrage antworten, während Adverbien als Antwort auf eine Ergänzungsfrage dienen können“ (ebd .); (b) „Anders als Adverbien sind Modalpartikeln nicht phrasenbildend und nur beschränkt koordinierbar“ (ebd .); (c) „Modale Satzadverbialia können im Mittelfeld des deutschen Satzes die Grenze zwischen Hintergrund und (gewichtetem) Vordergrund markieren“ (ebd .) . Weitere Argumente können zahlreichen älteren Arbeiten entnommen werden, in denen meistens der Terminus Modalwort gebraucht wird5 (für eine Übersicht vgl . insbesondere Helbig/Helbig 1990: 12-29, Hetland 1992: 17-25): Sie sind in der Regel nicht negierbar, nicht durch Proformen ersetzbar (Er kommt angeblich > *Er kommt so), lassen sich in übergeordnete Sätze transformieren (Angeblich p. > Jemand gibt an, dass p), die meisten von ihnen sind in Fragesätzen, Imperati sätzen und irrealen Wunschsätzen nicht möglich (*Kommt er angeblich?, *Komm angeblich!, *Käme er doch angeblich!) . Die „Deutsch-polnische kontrastive Grammatik“ (Engel u. a. 2000) definiert Modalpartikeln als „unveränderliche Wörter, die als Antwort auf Ja-/Nein-Fragen gebraucht werden können“ (ebd . 1127) . Neben dem dort expressis verbis erwähnten inferentiellen Ausdruck anscheinend (ebd . 1128) erfüllen die reportativen angeblich und vorgeblich dieses Definitionskriterium. Ihre polnischen Äquivalente podobno, ponoć, rzekomo, jakoby, niby werden dagegen ausdrücklich zu den Abtönungspartikeln gezählt (vgl . ebd . 1200-2, 1204), die folgendermaßen charakterisiert werden: „Hier handelt es sich um Partikeln, die – nicht erfragt werden können – nicht als Antwort auf irgendwelche Fragen dienen können – nicht negierbar sind .“ (ebd . 1181) 5 Neben den in Fußnote 6 erwähnten „Grundzügen“ (Heidolph u . a . 1981) und „Deutscher Grammatik“ (Helbig / Buscha 1998 u .ö .) zählen dazu z .B . Admoni (1972), Bartsch (1972), Lang (1979), Helbig / Helbig (1990) . 242 Anna Socka Da wohl auch die Modalpartikeln (anders als Adverbien) weder erfragbar noch negierbar sind, bleibt nur die Fähigkeit, (eventuell mit einem Responsiv) Entscheidungsfragen zu beantworten, als das einzige Unterscheidungskriterium zwischen Modal- und Abtönungspartikeln .6 Die folgenden Beispiele zeigen, dass zumindest auch podobno und rzekomo diese Fähigkeit besitzen . (1) – Joasiu? Obudziłam cię? Przepraszam! Słuchaj, podobno na teatrze jest napisane w jednym zdaniu [„Krystyna Janda jako Maria Callas, Joanna Szczepkowska jako Goła Baba”]. Co ty na to? – Tam jest słowo „jako”? – Podobno. – To zabawne. (PWN, Bożena Janicka / Krystyna Janda, Gwiazdy mają czerwone pazury, 1998) ‘Joasia? Habe ich dich geweckt? Entschuldigung! Pass auf, angeblich steht am Theater in einem Satz: „Krystyna Janda als Maria Callas, Joanna Szczepkowska als Nacktes Weib“. Was sagst du dazu? – Steht da das Wort „als“? – Angeblich . – Das ist lustig .’7 (2) […] trzeba być uczciwym, by zostać politykiem? Rzekomo tak . (http://www .andegrand .pl/ forum/index .php?a=topic&t=2280&min=90&num=15&sessionid=1fea4c9f .) ‘Muss man ehrlich sein, um Politiker zu werden? Angeblich ja .’ In der polnischen linguistischen Literatur werden sie als modulanty (Jodłowski 1976, Laskowska 1992: 51 f .), modalizatory (Laskowski 1984, 1998) oder partykuły (Grochowski 1986, 1997, 2003, Maldijeva 1995) klassifiziert. Zaron (1993) zieht offensichtlich nur den satzadverbialen Gebrauch in Betracht, indem sie Lexeme wie podobno, chyba ‛wohl’, niestety ‛leider’, wcale ‛gar nicht’ als Adverbien behandelt, die in syntaktischer Hinsicht nicht konnotiert8 und in semantischer Prädikate mit einem propositionalen Argument sind . Laskowski (1998) zählt sie zur Klasse der Modalisatoren (modalizatory), d .h . nichtflektierbarer, autosyntagmatischer (d.h. primär als Äußerungsbestandteile, die syntaktische Abhängigkeitsrelationen eingehen, fungierender) Ausdrücke, die von einem beliebigen Bestandteil des Satzes syntaktisch abhängen können und hinsichtlich der Stellung im Satz keinen Einschränkungen unterliegen . Die uns hier interessierenden Lexeme gehören zu einer Subklasse der Modalisatoren, die 6 7 8 Im Deutschen unterscheiden sich die beiden Klassen zusätzlich durch die Vorfeldfähigkeit: Nur die Modalpartikeln, nicht aber die Abtönungspartikeln können im deutschen Konstativsatz das Vorfeld besetzen . In Bezug auf das Polnische heißt es aber in Engel u . a . (2000): „Im Polnischen gibt es keine generellen Stellungsrestriktionen für die Abtönungspartikeln“ (ebd . 1181) . Die in polnischen Belegen auftretenden reportativen Partikeln werden von mir im Folgenden meistens mit angeblich ins Deutsche übersetzt, um dem Leser eine mit der polnischen annähernd isomorphe Konstruktion zu bieten . Die Übersetzungen sollen also nicht als Aussagen über das beste deutsche Äquivalent verstanden werden . Gemeint ist Konnotation im Sinne von Bühler (1982: 173), dass nämlich „die Wörter einer bestimmten Wortklasse eine oder mehrere Leerstellen um sich eröffnen, die durch Wörter bestimmter anderer Wortklassen ausgefüllt werden müssen“ . In diesem Sinne eröffnet z .B . ein Adjektiv eine Leerstelle für ein Substantiv, ein Adverb dagegen für ein Adjektiv oder ein Verb (vgl. Polański 1994: 166). Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 243 zudem als Satzadverbiale fungieren und die Einstellung des Sprechers zur Proposition ausdrücken können . Grochowski (2003: 220 f .) kritisiert Laskowskis Begriff der autosyntagmatischen Lexeme als unklar . Er selbst versteht darunter Lexeme, die von anderen Ausdrucksklassen eröffnete Leerstellen ausfüllen, unter synsyntagmatischen dagegen solche, die selber Leerstellen eröffnen können . Die letzteren werden im Hinblick auf die Wortfolge klassifiziert. Die uns interessierenden Lexeme fallen dabei in die Klasse der sog . echten Partikeln (partykuły właściwe), die sich durch eine variable Position im Satz und das Eingehen von syntaktischen Relationen mit dem jeweils nachfolgenden Ausdruck auszeichnen . So könnte podobno vor jedem der Wörter in (3) stehen, wobei sich das betreffende Wort dann im Skopus der Partikel befände . (3) Dostała trzy piękne naszyjniki. (vgl. Grochowski 2003: 223) bekam:F drei schöne Halsketten Das unterscheidet Partikeln von Adverbien, die sich lediglich auf Adjektive (in Präposition: Dostała trzy niespodziewanie piękne naszyjniki) und verbale Prädikative (unabhängig von der Stellung: Niespodziewanie dostała trzy piękne naszyjniki, Dostała niespodziewanie trzy piękne naszyjniki, Dostała trzy piękne naszyjniki niespodziewanie), nicht aber auf nicht-deverbale Substantive beziehen können (*niespodziewanie naszyjniki, vgl . Grochowski 1997: 24 f .) . Werden die PartikelLexeme dagegen als Antworten auf Entscheidungsfragen gebraucht, so zählen sie die beiden Autoren zu einer getrennten Klasse der dopowiedzenia (‘Hinzufügungen’), die sich durch diese „asyntagmatische“ Verwendung auszeichnet (vgl . ebd . 16, Laskowski 1998: 58) . Unter diskurspragmatischem Gesichtspunkt sieht Tutak (2003: 73) die Lexeme als diskursivnye slova (‘Diskurswörter’) im Sinne von Kiseleva/Paillard (1998) und charakterisiert sie als Einheiten, die den sprachlichen Kommunikationsprozess gleichsam steuern, indem sie ausdrücken, wie der Sender den kommunizierten Sachbestand im Hinblick auf Wichtigkeit, Wahrscheinlichkeit, Glaubwürdigkeit u .ä . einschätzt . Extensional deckt sich die Klasse mit keiner der traditionell unterschiedenen Wortarten . Ähnlich beschreibt Czapiga (2006: 97) operatory metatekstowe (‘metatextuelle Operatoren’) als Ausdrücke, die einen auktorialen Kommentar darstellen und, obwohl sie mitten in Sätzen stehen, suprasententiale Funktionen haben . Die Verhältnisse im Deutschen und Polnischen, die in dieser kurzen und notwendigerweise unvollständigen Übersicht skizziert wurden, fügen sich in das folgende, aus einer weiteren, typologischen Perspektive entworfene Bild: „[…] on the basis of the existing literature, I have found myself unable to figure out any crucial difference (either functional or structural) between sentential adverbs and (modal) particles, I will treat them here in one rubric, leaving out for future investigations whether 244 Anna Socka there is any tenable functional difference that can be generalized over languages . I will refer to the relevant units as ‘particles’, although in various descriptions some of them might have been named ‘adverbs’ or else […]; terminology varies considerably also due to national linguistic traditions . The medley bag of words called ‘particles’ which we are concerned with here are sentential modifiers (as opposed to focus particles and particles that function as signals of turntaking or attention-regulating devices in dialogue) . […] As far as I can see, no water-tight and cross-linguistically applicable criteria have been formulated of what should count as particle; often particles are “defined” in negative terms: they are uninflected; neither are they part of the clause’s constituent structure, nor do they have to occupy fixed positions; they are highly heterogeneous in terms both of syllable structure, cliticizability and morphological provenance, etc . Ultimately the only valid criteria appear to be located on the level of pragmatic functions […] . Since structurally particles are not integrated into the syntax of the clause which they modify, their scopal behaviour can vary, and since among all reportive markers they display probably the widest array of semantic-pragmatic diversification […].“ (Wiemer 2009: 21) Für die so charakterisierte Wortklasse bleibe ich in diesem Aufsatz bei der Bezeichnung Partikel. 3. Reportative Ausdrücke im Polnischen 3 .1 . Partikeln Wiemer hat (2006) eine eingehende Untersuchung der polnischen evidentiellen Partikeln vorgelegt . Das Format der Bedeutungsexplikationen folgt der von Anna Wierzbicka entwickelten sog . Natural Semantic Metalanguage (vgl . z .B . Wierzbicka 2006: 247-261) . Bei den meisten reportativen Partikeln konnte Wiemer sowohl evidentielle als auch epistemische Bedeutungsbestandteile feststellen, wobei die letzteren verschieden stark sind und sich auf einer Skala einordnen lassen (vgl . Wiemer 2006: 50) . In Wiemers Bedeutungsexplikationen (vgl . (4), (9), (13), (22)) werden die verschiedenen Grade des Misstrauens, mit dem der wiedergebende Sprecher der wiedergegebenen Information begegnet, mithilfe verschiedener Modalverben (mit oder ohne Negation) paraphrasiert . An zahlreichen Belegen konnte Wiemer zeigen, dass podobno keinerlei Zweifel des Sprechers an der Wahrhaftigkeit der Originaläußerung mit ausdrücken muss . Die Bedeutungsexplikation (4) enthält als epistemische Komponente (c) lediglich eine agnostische Einstellung (d .h . der Sprecher übernimmt keine Verantwortung für die Wahrheit der Aussage) . So zweifelt der Sprecher in (5) keineswegs daran, dass er angerufen worden ist, vielmehr überlegt er, aus welchem Grund der Anrufer nicht durchkam . Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) (4) (5) 245 Podobno P. (a) I want to say what someone else says . (= reportive component) (b) I say: P . (c) I don’t say I know that P . (= epistemic component, ‘agnostic’ stance) (d) I think that other people can think the same . (c) leads to the implicature (e): (e) I think that P might be not true . (epistemic, cancellable) (ebd . 24) [...] Ten, dzisiaj też mam po dwudziestej pierwszej dzwonić do faceta, bo podobno wczoraj do mnie dzwonił, no ale nie mógł się dodzwonić. Nie wiem, dlaczego. Słuchawka może była źle odłożona. […] Może coś, bo tak przy fotelu stoi i ten, i za sznur może ktoś pociągnął i ten ... (PWN, zit. nach Wiemer 2006: 24 f.) ‘Also, heute muss ich auch nach 21 Uhr einen anrufen, denn er soll mich gestern angerufen haben, aber er kam nicht durch . Ich weiß nicht, warum . Vielleicht war der Hörer nicht richtig aufgelegt . [ . . .] Vielleicht so, denn es steht so neben dem Sessel, und vielleicht hat jemand an der Schnur gezogen und so . . .’ Dieselbe Bedeutung kann auch ponoć und podobnież zugeschrieben werden, Unterschiede zwischen allen drei Lexemen sind stilistischer Art . Die epistemische Komponente (c) ist durch eine Art implikative Regel mit der Implikatur (e) – also einer leicht kritischen epistemischen Beurteilung – verbunden, die lediglich pragmatisch abgeleitet und daher durchaus aufhebbar ist . Belege, in denen diese kritische Beurteilung der Wahrheit einer Aussage aktiviert ist, sind seltener . Es handelt sich meistens um Fälle, in denen mit anderen sprachlichen Mitteln Ironie oder Parodie hergestellt wird (vgl . (6), ebd . 26) . (6) Wąchock jest miastem cudów […] No więc Michale, no słyszeliśmy, słyszeliśmy tam u was to się podobno psy o budy zabijają na gumowych łańcuchach, a autobusy są szersze niż dłuższe, bo każdy chce koło kierowcy [...]. (PWN, Radio RMF FM, 2001; zit. nach Wiemer 2006: 26) ‘Wąchock ist eine Stadt der Wunder … Also, Michał, wir haben gehört, dass bei euch Hunde angeblich mit ihren Hütten zusammenstoßen und tot umfallen, weil die Ketten aus Gummi sind, und dass die Busse breiter als lang sind, weil jeder neben dem Fahrer sitzen möchte .’ Weitgehend konventionalisiert ist ferner der dialogische Gebrauch von podobno zur Einführung eines neuen Gesprächsthemas: Der Sprecher stellt eine Ergänzungsfrage nach einem Ereignis, von dem er weiß, dass es stattgefunden hat, um weitere Informationen dazu einzufordern (vgl . (7)) . (7) Scyzor podszedł do niego, zgasił niedopałek papierosa o ramę łóżka i rzucił go na koc. […] . – Podobno siedziałeś na stołówce nie za swoim drewnianym jebanym stolikiem? – Jarek cały czas walczył nad opanowaniem swych nerwów. (PWN, Wiesław Pasławski, 540 dni w armii, 1999) 246 Anna Socka ‘Scyzor kam auf ihn zu, drückte den Zigarettenstummel am Bettrahmen aus und warf ihn auf die Decke . „Angeblich hast du in der Kantine nicht an deinem Scheißholztisch gesessen?“, Jarek rang die ganze Zeit um Fassung.’ Bei der Partikel jakoby handelt es sich um einen mehr oder weniger ernsten Zweifel . Der Sprecher hält die wiedergegebene Äußerung für eher unglaubwürdig (was oft durch eine im Kontext mitschwingende Ironie begründet ist) (vgl . (8)) . Die negative epistemische Bewertung wird folglich in der Bedeutungsexplikation (9) als „(d) I think that P can be not true“ paraphrasiert . (8) (9) (...) w marcu 1976 r. […] Instytut przesłał listę tematów, które jego zdaniem stanowiły niewątpliwe osiągnięcia. Dwa tygodnie później ten sam Instytut usiłował wycofać kilka tematów, które jakoby podał przez przeoczenie, w tym wszystkie prace Brzozowskiego. (PWN, Życie i Nowoczesność 551, 1981, zit . in Wiemer 2006: 40) ‘Im März 1976 schickte das Institut eine Liste mit Themen, die seiner Meinung nach unbestreitbare Errungenschaften darstellten . Zwei Wochen später versuchte dasselbe Institut einige Themen, die angeblich versehentlich angegeben wurden, zurückzunehmen, darunter alle Arbeiten von Brzozowski .’ Jakoby P . (a) I want to say what someone else says . (= reportive component) (b) I say: P . (c) I don’t say I know that P . (= epistemic component, ‘agnostic’ stance) (d) I think that P can be not true . (epistemic, non-cancellable) (e) I think that other people can think the same . (Wiemer 2006: 43) Die negative epistemische Komponente wird jedoch nicht immer aktiviert, zuweilen (vgl . z .B . (10)) bleibt die Einstellung des Sprechers unbestimmt . (10) Sądzi się, że właśnie w takich miejscach […] pojawiły się najpierw proste ołtarze, a wreszcie skomplikowane budowle, będące ich pałacami. Tak miały, zdaniem historyków religii, powstać pierwsze świątynie. Było to jakoby zbieżne z faktem osiedlenia się mas ludzkich […] . (PWN, H . Waniek, Opis podróży mistycznej z Oświęcimia do Zgorzelca 1257-1957, 1996, zit . in Wiemer 2006: 42) ‘Es wird angenommen, dass gerade an solchen Stellen zuerst einfache Altäre und dann komplizierte Bauten errichtet wurden, bei denen es sich um ihre Paläste handelte . So sollen, nach der Meinung der Religionshistoriker, die ersten Tempel entstanden sein . Dies sei mit der Tatsache zusammengefallen, dass sich die Menschenmassen niederließen .’ Nach Wiemer (2006: 42) „[…] negative epistemic evaluation is very likely and represents the usual case, but not always is it „activated” by the context; in some cases the metaspeaker’s stance remains indeterminate . […] negative epistemic stance is not an entirely stable ingredient of its [the particle’s jakoby] meaning” . Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 247 Es scheint sich also eher um eine aufhebbare konversationelle Implikatur zu handeln . Ich schlage vor, die Bedeutungsexplikation von jakoby in Analogie zu derjenigen von podobno umzuformulieren: (9’) Jakoby P. (a) I want to say what someone else says . (= reportive component) (b) I say: P . (c) I don’t say I know that P . (= epistemic component, ‘agnostic’ stance) (c) leads to the implicature (d): (d) I think that P can be not true . (epistemic, cancellable) (e) I think that other people can think the same . Die Aufhebung der Implikatur stellt – anders als bei podobno – den markierten Fall dar, was sich mit Wiemer (ebd .) daraus erklären lässt, dass “jakoby usually occurs in contexts in which the addressee (reader) can induce the metaspeaker’s negative stance, i .e . in contexts which easily activate the pragmatically associated epistemic component of jakoby“ . Es ist insbesondere auffällig, dass jakoby sich typischerweise auf Inhalte von Meinungen oder Überzeugungen bezieht (vgl . (11)), podobno dagegen auf Propositionen, die als Tatsachen dargestellt werden (vgl . (12)) . (11) Panuje powszechne przekonanie, że była NRD – jakoby, tak jak PRL, dziesiąta potęga przemysłowa świata – została w wyniku zjednoczenia całkowicie odprzemysłowiona. (PWN, Polityka 10 .02 .2004) ‘Nach der allgemein herrschenden Überzeugung wurde die DDR – angeblich, wie die Volksrepublik Polen, die zehnte Wirtschaftsmacht der Welt – infolge der Wiedervereinigung völlig entindustrialisiert .’ (12) Juszczenko grupuje wokół siebie najrozmaitszych ludzi, działających dość chaotycznie. Osobą numer 1 jest Anatolij Zinczenko, szef jego sztabu wyborczego, ale wielkie wiece i demonstracje to podobno pomysł Julii Tymoszenko. (PWN, Rzeczpospolita 30 .10 .2004) ‘Juschtschenko gruppiert um sich diverse Leute, die ziemlich chaotisch handeln. Die Nummer 1 ist Anatolij Sintschenko, der Leiter seines Wahlkampfteams, aber große Kundgebungen und Demonstrationen waren angeblich die Idee von Julia Timoschenko .’ Rzekomo drückt von allen hier analysierten Lexemen die schärfste Distanzierung von der wiedergegebenen Information aus . Laut Wiemer (2006: 39) teilt der (wiedergebende) Sprecher durch diese Partikel offen mit, dass er der Information keinen Glauben schenkt .9 In der formalen Bedeutungsexplikation (13) wird dies durch die Komponente (b) verdeutlicht . Auch die unlöschbare epistemische 9 Vgl . Wierzbicka (1969: 61), Laskowska (1992: 52), Tutak (2003: 97) . 248 Anna Socka Komponente (d) erhält eine stärkere Paraphrase als im Falle von podobno und jakoby: „I think that P is not true“ . (13) Rzekomo P. (a) I want to say what someone else says . (= reportive component) (b) I say: someone says: “P” . (c) I don’t say I know that P . (= epistemic component, ‘agnostic’ stance) (d) I think that P is not true . (epistemic, non-cancellable) (e) I think that other people can think the same . (ebd . 39) Es lassen sich in der Tat zahlreiche Beispiele finden, auf die diese Paraphrase zutrifft, was insbesondere aus Kontextelementen oft ersichtlich ist: Ausdrücke, mit denen der Inhalt der wiedergegebenen Aussage als Lüge, Mythos, Invektiven etc . bezeichnet wird (vgl . (14)), sowie lexikalische Elemente wie w rzeczywistości ‘in Wirklichkeit’, faktycznie ‘faktisch’, mit denen eine konträre Aussage versehen wird (15)) . Manchmal wird einer Aussage der Form Rzekomo p eine Aussage gegenübergestellt, die zu ihr im logischen Widerspruch steht (vgl . (16)) oder zumindest gewichtige Gegenevidenzen liefert (vgl . (17)) . (14) Ludzi obrażano inwektywami o rzekomo zbiorowej kolaboracji i spadku po homo sovieticus . (PWN, T . Drewnowski, Próba scalenia, 1997, zit . in Wiemer 2006: 38) ‘Menschen wurden mit Invektiven über die angeblich massenhafte Kollaboration und das Erbe des homo sovieticus beleidigt .’ (15) Antyglobaliści, rzekomo broniący biednych, przyczyniają się w rzeczywistości do pogorszenia ich sytuacji . (PWN, Fakt 02 .09 .2004) ‘Globalisierungsgegner, die angeblich die Armen verteidigen, tragen in Wirklichkeit zur Verschlechterung ihrer Lage bei .’ (16) W tej chwili ważniejsza jest możliwość wyeliminowania zjawiska rejestracji kradzionych samochodów jako nowych, rzekomo kupionych w salonie . (PWN, Życie Warszawy 17 .02 .2002) ‘Zur Zeit ist es wichtiger, dass die Möglichkeit unterbunden wird, gestohlene Autos als neue, angeblich im Autohaus gekaufte anzumelden .’ (17) Ale nawet teraz, już jako rzekomo wolny człowiek, wciąż jeszcze podlega ścisłym restrykcjom: nie wolno mu rozmawiać z dziennikarzami, nie może otrzymać paszportu, by opuścić kraj, a jego praca w reaktorze atomowym przed dwudziestu laty wciąż jeszcze stanowi temat tabu . (PWN, Polityka 05 .01 .2004) ‘Aber selbst jetzt, als angeblich freier Mensch, unterliegt er zahlreichen Restriktionen: Er darf nicht mit Journalisten sprechen, bekommt keinen Pass, mit dem er das Land verlassen könnte, und seine Arbeit am Atomreaktor vor 20 Jahren ist weiterhin ein Tabu .’ Auf der anderen Seite begegnen jedoch Belege wie (18), wo der Verwendungskontext, genauer der auf die Partikel folgende Satz jeśli jej wierzyć . . . ‘wenn man Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 249 ihr glaubt’ mit der radikal ablehnenden epistemischen Haltung unvereinbar ist . Vielmehr handelt es sich um eine zweifelnde Einstellung, die durch „I think that P can be not true“ paraphrasiert werden könnte . (18) – Prawdę powiedzieć, to nie wiem co sądzić. Znam ją długo, prawie od początku mojego pobytu w Aix... Wiesz, że moim mężem był […] wnuk jej brata. Rzekomo, jeśli jej wierzyć... Ale ten wnuk, mój mąż, o niczym nie wiedział i Wiktoria była dla niego obcą kobietą, poznał ją dopiero w Aix i te jej opowiadania traktował jak dziwactwo starej panny. Z drugiej strony jednak wiem, że jest szalenie akuratna, dokładna i rzetelna. I trudno mi uwierzyć, że jest zwariowana na jednym punkcie, a w żadnym z pozostałych – nie... (PWN, Maciej Pinkwart, Dziewczyna z Ipanemy, 2003) ‘– Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich davon halten soll . Ich kenne sie lange, fast so lange, wie ich in Aix wohne . . . Du weißt, dass mein Mann der Enkel ihres Bruders war . Angeblich, wenn man ihr glaubt . . . Der Enkel, mein Mann, wusste allerdings von nichts und Wiktoria war für ihn eine fremde Frau, er hat sie erst in Aix kennen gelernt und ihre Geschichten betrachtete er als Marotten einer alten Jungfer. Auf der anderen Seite weiß ich, dass sie wahnsinnig akkurat, genau und zuverlässig ist . Und ich glaube nicht, dass sie nur in diesem einem Punkt verrückt ist, in allen anderen aber nicht .’ Um dieselbe Einstellung handelt es sich m .E . in Belegen wie (19), wobei der Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Aussage hauptsächlich darauf beruht, dass sie sich auf weit zurückliegende und folglich nicht nachprüfbare Ereignisse bezieht . (19) Musiał być rzeczywiście bardzo stary, zmarł pod koniec lat sześćdziesiątych, podobno miał za sobą wielką przeszłość artystyczną, przed wojną grał duety z Pawłem Kochańskim, rzekomo akompaniował Kiepurze, pisał muzykę do słuchowisk radiowych. […] Nikt na dobrą sprawę nie wie, o czym myślał, nikt go naprawdę nie znał. (PWN, Włodzimierz Kowalewski, Bóg zapłacz!, 2000) ‘Er muss wirklich sehr alt gewesen sein. Er starb Ende der sechziger Jahre. Er soll auf eine großartige künstlerische Vergangenheit zurückgeblickt haben . Vor dem Krieg spielte er in Duos mit Paweł Kochański, begleitete angeblich Kiepura, schrieb Musik für Hörfunkspiele . [ . . .] Keiner weiß wirklich, was er dachte, niemand hat ihn wirklich gekannt .’ Die Annahme einer zweifelnden Einstellung (einer unüberprüften und wohl auch unüberprüfbaren Information gegenüber) ist auch mit Belegen wie (20) kompatibel, wo sie allerdings durch keinerlei Kontextelemente erhärtet wird . Es handelt sich um eine Zeitungsmeldung über Ereignisse in einer belagerten Stadt . (20) Wciąż trzyma się ostatni bastion talibów i ich faktyczna stolica Kandahar. Mułłę Omara rzekomo widziano wczoraj, z ochroną, w centrum miasta. (PWN, Życie Warszawy, 26 .11 .2001) ‘Noch nicht eingenommen ist die letzte verbliebene Taliban-Hochburg und ihre faktische Hauptstadt Kandahar . Mullah Omar wurde gestern angeblich mit Leibwächtern im Stadtzentrum gesehen .’ 250 Anna Socka Aufgrund derartiger Beispiele behaupte ich, dass Wiemers Explikation der epistemischen skeptischen Komponente von rzekomo zu stark ist . Sie kann vielmehr – wie bei jakoby – mit „I think that P can be not true“ angegeben werden . Im Unterschied zu jakoby kann sie jedoch nicht durch den Kontext blockiert werden . (13’) Rzekomo P. (a) I want to say what someone else says . (= reportive component) (b) I say: someone says: “P” . (c) I don’t say I know that P . (= epistemic component, ‘agnostic’ stance) (d) I think that P can be not true . (epistemic, non-cancellable) (e) I think that other people can think the same . Möglicherweise ist der Unterschied zwischen jakoby und rzekomo auch textueller Art . Im PWN-Korpus scheint rzekomo signifikant häufiger als jakoby oder podobno in Pressemeldungen über mutmaßliche Rechtsübertretungen und deren gerichtliche Konsequenzen vorzukommen . Rzekomo ist folglich charakteristisch für die Redewiedergabe von rechtlich relevanten Aussagen wie Beschuldigungen, Geständnissen etc . und dient dabei der Unterstreichung einer distanzierten (im Sinne von ‘strikt neutraler’) Haltung des wiedergebenden Sprechers (Journalisten), der von jedweder Parteinahme Abstand nimmt, sondern lediglich berichtet . Zu prüfen wäre auch, ob die Partikel in derartigen Kontexten nicht eher in der Bedeutung ‘mutmaßlich’ gebraucht wird . (21) Francja. Oskarżony rosyjski marynarz. Przed sądem w mieście Brest na zachodzie Francji rozpoczął się proces […] drugiego dowódcy na statku Melbridge Bilbao, który rzekomo nie zapobiegł osadzeniu jednostki na mieliźnie na wodach Zatoki Mojańskiej. 43-letni Władimir Czernyszow został oskarżony o spowodowanie zagrożenia życia i zdrowia załogi przez pogwałcenie podstawowych obowiązków i zasad sztuki nawigacyjnej – napisano w akcie oskarżenia. (PWN, Rzeczpospolita 01 .09 .2002) ‘Frankreich . Russischer Matrose angeklagt . Vor Gericht in der Stadt Brest in Westfrankreich begann der Prozess gegen den zweiten Kommandanten des Schiffs Melbridge Bilbao, der es angeblich nicht verhinderte, dass die Einheit in der Molene-Bucht auf eine Sandbank lief . Der 43-jährige Vladimir Tschernischow wird angeklagt, durch fahrlässige Überschreitung von Pflichten und Regeln der Navigationskunst Leben und Gesundheit der Besatzung gefährdet zu haben – lesen wir in der Anklageschrift .’ Charakteristisch für niby ist nach Wiemer (2006) eine konzessive Bedeutungskomponente: Der Sprecher akzeptiert die Aussage im Skopus von niby, macht jedoch klar, dass er Bedenken hat, was ihre Konsequenzen anbetrifft . In der Bedeutungsexplikation (22) hat die negative epistemische Bewertung die Form eines Konditionalsatzes, der zwei Sachverhalte kombiniert: den behaupteten P und einen weiteren Q, von dem der Sprecher annimmt, dass er normalerweise gefolgert Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 251 wird . Q wird negiert, die Negation kann jedoch aufgehoben werden, zählt also nicht zur Assertion . (22) Niby P. (a) I want to say what someone else says . (= reportive component) (b) I say: P . (c) I don’t say I know that P . (= epistemic component, ‘agnostic’ stance) (d) I think that other people can think the same . (e) People think: if P, then Q; but Q is not true . (ebd . 48) Die negative epistemische Beurteilung des wiedergegebenen Sachverhaltes erfolgt meistens im Kontext der Ironie, die wiederum in der konzessiven Komponente gründet, wie z .B . in Beleg (23) . (24) ist dagegen ein Beispiel für die Aufhebung der skeptisch-konzessiven Komponente (vgl . ebd . 45-48) . (23) Trudno powiedzieć. Jest opieka, niby jest dobra. Jedzenie też jest dobra [sic!], ale osoba z rakiem żołądka musi mieć dietę. (PWN, zit. nach Wiemer ebd. 46) ‘Schwer zu sagen. Es gibt die Pflege, angeblich ist sie gut. Das Essen ist auch gut, aber eine Person mit Magenkrebs muss Diät halten .’ (24) (...) znaczy wiesz klawiatura w komputerze jest zupełnie inna, można sobie zainstalować, zmienić układ klawiatury […], ale ja nie radzę, dlatego, że jeżeli się przesiądziesz później na jakiś inny komputer […] będziesz miała problem, Hanka sobie niby zmieniła. (PWN, zit. nach Wiemer ebd.) ‘Das heißt, weißt du, die Tastatur am Computer ist ganz anders, man kann sie installieren, die Tastenbelegung ändern, aber ich rate davon ab, denn wenn du dich dann an einen anderen Computer setzt, hast du ein Problem . Hanka hat ihre angeblich geändert .’ 3 .2 . mieć + Infinitiv Die Konstruktion wird hier, in Übereinstimmung mit Engel u . a . (2000: 663) und Bartnicka u . a . (2004: 302) als eine Modalverbkonstruktion behandelt .10 Neben der reportativen kann sie mindestens zwei weitere Bedeutungen aufweisen: (i) eine modal zirkumstantielle ‘be-/empfohlene oder beabsichtigte Tätigkeit / bezweckter Zustand’ (vgl . (25)), (ii) (nur im Präteritum) eine temporale ‘relativ zu einer vergangenen Bezugszeit zukünftige Situation’ (vgl. (26), Szymański 1990: 166). (25) Tego dnia mój ojciec w osiemdziesiątym drugim roku życia ostatni raz miał pójść do pracy w aptece miejskiego szpitala zakaźnego, […] (Wszystkie 9) An diesem Tag sollte mein Vater mit 82 Jahren zum letzten Mal arbeiten gehen, in die Apotheke des Städtischen Krankenhauses für Infektionskrankheiten . (9) 10 Genau genommen zählen Bartnicka u . a . (2004) mieć zu den Modalauxiliaren, bei denen das erste Argument des infinitivischen Vollverbs als Subjekt im Nominativ realisiert wird. 252 Anna Socka (26) […] w tym samym mniej więcej czasie, [ . . .] etwa zur selben Zeit, da andere das kiedy inne ich grupy penetrowały vulkanische Nordplateau erkundeten, wo später płaskowyż wulkaniczny na taraktydzkiej Losannien entstehen sollte . (172) północy, gdzie powstać miała później Luzania . (Wizja 161) In Bezug auf die epistemische Komponente in der reportativen Verwendung sind sich die Forscher nicht einig: Ältere Autoren sprechen vom Zweifel an der wiedergegebenen Information (z.B. Świderska-Koneczna 1930: 269, Topolińska 1968: 427). Szymański (1990: 162) und Roszko (1993: 100) betonen jedoch, dass der Zweifel schwächer als bei den reportativen Partikeln rzekomo, jakoby, und nur im geeigneten Kontext präsent ist .11 Nach Engel u . a . (2000: 681) drückt mieć + Infinitiv den „Hinweis auf einen durch andere mitgeteilten Sachverhalt völlig neutraler Art“ aus und ist somit mit podobno synonym. Derselben Meinung ist Weiss (o.J.: 15 f .), der betont, dass eine skeptische epistemische Bedeutungskomponente allenfalls durch einen geeigneten Kontext impliziert werden kann . Podobno scheint viel gebräuchlicher zu sein als die Modalverbkonstruktion. Szymański (1990: 166) konnte die reportative Bedeutung nur in etwa 2% der insgesamt 912 Belege für mieć + Infinitiv in seinem Belletristik-Korpus feststellen. Etwas häufiger dürfte sie in den Massenmedien vorkommen (vgl . Roszko 1993: 99) . 4. Reportative Ausdrücke im Deutschen 4 .1 . Partikeln Angeblich und vorgeblich sind die einzigen evidentiell-reportativen Partikeln des Deutschen und ihre Bedeutung enthält für die meisten Sprecher eine klare negative epistemische Komponente . In Helbig/Helbig (1990: 77, 272 f .) wird sie folgendermaßen paraphrasiert: „Sprecher referiert Äußerungen Dritter, drückt damit indirekt Zweifel an der Faktizität von p aus, distanziert sich von dieser Meinung“. Nach Kątny (1980: 82) bringt angeblich zum Ausdruck, „daß der Sprechende sich auf die Aussage eines anderen stützt und daß er den Sachverhalt als nicht wahr oder als fraglich betrachtet” . angeblich scheint somit die Skala der negativen epistemischen Bewertung zu umfassen, die im Polnischen durch die drei epistemisch markierten reportativen Partikeln rzekomo, jakoby und niby abgedeckt wird . Zifonun u . a . (1997: 1131 f .) suggerieren jedoch, dass die mit angeblich ausgedrückte Einstellung auch lediglich agnostisch sein kann, wie bei dem subjektiv gebrauchten Modalverb sollen. Gemeint ist dabei der Gebrauch von angeblich „bei nicht auf ihre Wahrheit geprüften oder überprüfbaren 11 BeideAutoren arbeiten mit der aus der Bulgaristik stammenden Kategorie imperceptywność, bei der es sich um eine Vermengung der reportativen Evidentialität mit einer a priori skeptischen epistemischen Bedeutungskomponente handelt (vgl . dazu die Kritik in Wiemer 2006: 6 f .) . Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 253 Informationen“, also anscheinend etwa ein solcher wie bei rzekomo in (20) (man vgl . ihr Beispiel (27)12) . (27) Zu Tausenden flieht die Bevölkerung der chinesischen Provinz Sinkiang über das 6000 m hohe Grenzgebirge Tienschan in die Sowjetrepublik Kasachstan . Die Chinesen nehmen unmenschliche Strapazen auf sich, um dem Terror der Rotgardisten zu entgehen . Der Oberbefehlshaber von Sinkiang, General Wang-Mao, soll sich zu einem Geheimgespräch mit den Sowjets getroffen haben . Angeblich will Moskau dem General Waffen und Panzer zum Kampf gegen Mao Tse-tung liefern . (Cosmas, Bild 16 .2 .1967, letzter Satz zit . auch in Zifonun u . a . 1997: 1132) In Zeitungsnachrichten nähert sich der Gebrauch von angeblich in einigen Fällen dem neutralen Tatsachenbericht mit podobno, wie er in (12) vorliegt . (28) Raimund Harmstorf hat sich umgebracht . Der Schauspieler, der 1971 als „Seewolf“ bekannt wurde, litt angeblich an der Parkinsonschen Krankheit . (Cosmas, Mannheimer Morgen 04 .05 .1998) Im Kontext von längeren Textwiedergaben signalisiert angeblich, dass auch die betreffende Proposition der vorerwähnten Quelle entnommen ist, welche somit die Verantwortung für ihre Richtigkeit trägt . In (29) zweifelt Suse nicht an der Wahrheit der „Statistiken“, sondern stellt sich darauf ein, das Bild, das sie sich mit ihrer Hilfe gemacht hat, durch direkte Anschauung zu verifizieren. (29) Aber zunächst Rotterdam, seit einem Vierteljahrhundert der größte Hafen der Welt, wie Suse in einem der bunten Werbeprospekte gelesen hatte . Angeblich lief alle fünfzehn Minuten ein Schiff in diesen so genannten Europoort ein . Es hörte sich zumindest beeindruckend an, musste die Funkassistentin zugeben . Sie wartete gespannt darauf, ob es auch in Wirklichkeit derart umwerfend aussah, wie man angesichts der Statistiken vermuten konnte . (Cosmas, Hansi Hartwig, Suse an Bord, 2002, 73) Auch im folgenden Beleg zweifeln die Gesprächspartner die im Skopus von angeblich stehende Proposition nicht an . Im Gegenteil: Es werden Evidenzen für ihr Zutreffen erwähnt . (30) „Hallo, Jack“, sagte ich. „Hier spricht Jerry Cotton aus New York. Kennst du einen gewissen Mandy Rowles? Er ist angeblich einer von John F. Trabers Killern.“ „Stimmt“, erwiderte mein Kollege. „Jedenfalls deutet manches darauf hin. Wir lassen ihn lose überwachen . Bis jetzt ist aber dabei nichts herausgekommen . Der Bursche ist clever . [ . . .]“ (Cosmas, Autor unbekannt, G-man Jerry Cotton. Ein Teenager soll sterben, o.J., 6) 12 Da im vorangehenden Satz reportatives sollen mit Infinitiv Perfekt gebraucht wurde, kann der Gebrauch von angeblich in (27) auch stilistische Gründe haben . 254 Anna Socka Für vorgeblich, das viel seltener gebraucht wird, lassen sich ebenfalls vereinzelte Belege finden, in denen der Verwendungskontext keinerlei Anhaltspunkte für die negative epistemische Einstellung liefert . (31) Trotz extremer Sicherheitsvorkehrungen ist drei Tage vor Erscheinen des letzten Harry-Potter-Bandes eine angebliche Raubkopie des Buches im Internet aufgetaucht . [ . . .] Ein Anwalt der Autorin Joanne K. Rowling bestätigte, dass echtes Material des siebten Buchs im Internet zu sehen sei . Es seien aber auch „viele Schwindeleien“ darunter, sagte Neil Blair . Im Internet kursieren in verschiedenen Tauschbörsen Fotos, auf denen ein aufgeschlagenes Buch – vorgeblich aus der US-Ausgabe des Verlags Scholastic – in der Hand eines Mannes zu sehen ist . Insgesamt sind 759 mehr oder weniger gut lesbare Seiten des Buches abgebildet, die eingescannt wurden . (Cosmas, Mannheimer Morgen 19 .07 .2007) Anscheinend handelt es sich also bei der negativen epistemischen Komponente der Bedeutung von angeblich und vorgeblich um eine konversationelle Implikatur, die meistens, doch keineswegs immer, aktiviert wird . 4 .2 . sollen + Infinitiv und wollen + Infinitiv Der Unterschied zwischen den beiden Modalverbkonstruktionen besteht darin, dass der zitierte Sprecher bei wollen immer, bei sollen dagegen nie mit dem Subjektaktanten identisch ist . Eine negative epistemische Komponente (Zweifel an der Faktizität der mit sollen bzw . wollen modalisierten Äußerung) gehört nach Diewald (1999: 228), die sich ihrerseits u . a . auf Öhlschläger (1989) beruft, nicht zur Bedeutung der beiden Verben, sondern kann sich allenfalls über konversationelle Implikaturen aus der agnostischen Haltung („dem Verweis darauf, dass der aktuelle Sprecher selbst nicht die Quelle der Faktizitätsbewertung ist“) ergeben .13 Dabei ist das Vorliegen einer solchen Implikatur bei sollen der markierte Fall, „in den allermeisten Fällen [handelt es sich um] eine neutrale Wiedergabe zitierter Rede“ (Diewald 1999: 229; Fabricius-Hansen 2005: 535, Brinkmann 1962: 170, 369) .14 Beim reportativen wollen ist eine solche Implikatur dagegen eher der Default-Fall: Es deutet „oft Skepsis oder Vorbehalte an“ (Fabricius-Hansen 2005: 567) . Letnes (2008: 33) betont dagegen, dass authentische Textsorten, anders als konstruierte Beispiele in 13 Diese agnostische Haltung ist in der Auffassung von Diewald (2004: 241) ein wesentliches Merkmal der beiden Konstruktionen als Quotativa . Sie werden von der Autorin jedoch nicht als reportative Mittel angesehen . 14 Zur umfangreichen Forschung zu diesem Thema, die hier aus Platzmangel nicht referiert werden kann, sei z .B . auf Berichte in Öhlschläger (1989) und Letnes (2008) verwiesen . Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 255 Nachschlagewerken, auch Belege für die neutrale Verwendung des reportativen wollen liefern (man vergleiche sein Beispiel (32)) . (32) Der Justiz ist Frank O. nicht als Gewalttäter bekannt, seine einzige Vorstrafe verdankt er einer üblen Nachrede, und Herr B . will seit 22 Jahren sein Taxi fahren, ohne jemals Anlass zu Beschwerden gegeben zu haben . (Die Zeit 17/97, zit . in Letnes 2008: 33) 4 .3 . Referatskonjunktiv Die „indirekte Redewiedergabe“ gilt als eine der beiden wichtigsten Funktionen des markierten Modus des Deutschen, d .h . des Konjunktivs (vgl . Fabricius-Hansen 2005: 522) . Traditionellerweise zählt man ihn neben einem einleitenden Ausdruck des Sagens (wie sagen, erzählen, berichten etc .) und subordinierenden Konjunktionen (dass, ob etc .) zu den sprachlichen Mitteln, die das Vorliegen einer indirekten Redewiedergabe signalisieren . Insbesondere wird der Konjunktivgebrauch in desubordinierten Hauptsätzen, in denen er als einziger Redewiedergabemarker auftritt (sog . berichtete Rede, vgl . (33)), als reportativ angesehen . (33) Miks bestritt natürlich alles . [Von dem Bock wisse er nichts . Er habe nur Krähen schießen wollen, und das könne unmöglich ein großes Verbrechen sein .] (zit . nach Aikhenvald 2006: 107) In Grammatiken des Deutschen wird die Signalisierung der Indirektheit als der „Kernbereich“ des Konjunktivs I betrachtet (vgl . Fabricius-Hansen 2005: 546) . Zudem kann der reportativ verwendete Konjunktiv I durch den Konjunktiv II oder die würde-Form („und zwar ohne erkennbaren oder eindeutig nachweisbaren Bedeutungsunterschied“, ebd . 529) ersetzt werden, deren sonstige Verwendungsbereiche noch ausgeprägter sind als beim Konjunktiv I . Die Grammatikalisierung des Konjunktivs I als eines reportativen Ausdrucks ist also weiter fortgeschritten als bei den beiden anderen Formen . 5. Korpusuntersuchung 5 .1 . Übersicht Das Untersuchungskorpus bestand aus 6 polnischsprachigen Büchern (Belletristik und Memoiren) mit ihren jeweiligen Übersetzungen ins Deutsche (vgl . Quellenverzeichnis) . Der Umfang der Originaltexte betrug ca . 1500 Buchseiten . Sie enthielten insgesamt 95 Belege für reportative Partikeln . Tabelle 2 zeigt die Frequenz der einzelnen Partikeln sowie ihrer Äquivalente in den deutschen Übersetzungen . Anna Socka 256 angeblich (35) podobno (46) ponoć (15) jakoby (7) rzekomo (9) niby (18) 18 5 3 8 1 17 3 2 vorgeblich (1) sollen + Infinitiv (23) 1 wollen + Infinitiv (1) 1 1 Konjunktiv [1]* explizit reportativer Hauptsatz, Parenthese, Präpositionalphrase (12) 8 epistemische Partikel (1) [4] 4 1 [1] 1 1 Diskurspartikel (8) 1 anderes (7) 1 ∅ (6) 1 7 1 2 5 2 * Die Zahlen in eckigen Klammern beziehen sich auf Fälle, in denen in der deutschen Übersetzung der Referatskonjunktiv zusätzlich zur reportativen Partikel oder sollen + Infinitiv vorkommt. Tabelle 2 5 .2 . Deutsche Äquivalente polnischer reportativer Partikeln 5 .2 .1 . angeblich und sollen + Infinitiv Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass polnische reportative Partikeln am häufigsten mit angeblich bzw . sollen + Infinitiv übersetzt werden. Dem ersteren Ausdruck wird als Defaultfall eine skeptische epistemische Einstellung, dem letzteren eher eine agnostische zugeschrieben . Die Äquivalente der Partikel jakoby in dem Korpus bestätigen dies nahezu ideal: die 3 Fälle, in denen durch den Kontext eine Zweifel- (und einmal zusätzlich eine Ironie-)komponente aktiviert ist, werden mit angeblich übersetzt (vgl . (34)), die beiden mit strikt neutralem Kontext durch sollen + Infinitiv ((vgl. 35)). (34) […] wprost grzązłem w mule, wydającym fetor, który będzie mi się pewno już do końca życia kojarzył z tą tak wysoko jakoby rozwiniętą planetą, […]. (Wizja 202) (35) Kliwianami rządził jakoby szczególny imperatyw, ni to religijny, ni to świecki, żądający od nich największych wyrzeczeń w imię powszechnego Ka-Undrium . (Wizja 161) [ . . .] ich steckte in einem Schlamm, dessen Gestank mir für mein Leben lang mit diesem angeblich so hochentwickelten Planeten in Verbindung bleiben wird . (216) Die Clivianer sollen von einem spezifischen Imperativ beherrscht gewesen sein, den man der religiösen wie der weltlichen Sphäre zurechnen kann und ihnen jedenfalls die größten Entbehrungen im Namen des allgemeinen KaUndrium abverlangte . (172) Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 257 Auch die Tatsache, dass rzekomo – die Partikel, deren Bedeutung die stärkste epistemische Komponente enthält – ausschließlich mit angeblich und vorgeblich übersetzt wird (vgl . (36)), passt in das Bild . (36) [ . . .] pralka ta, przeznaczona rzekomo dla bawiących się w Indian dzieci, po prostej przeróbce zdolna była do niszczenia ogniem ciągłym dowolnych celów. (Dzienniki I 68) Dieses Modell [Waschmaschine Shotomatic] – angeblich ein harmloser Zeitvertreib für Indianer spielende Kinder – war nach einer kleinen Veränderung in der Lage, jedes beliebige Ziel durch Dauerfeuer zu vernichten . (409) Etwas komplizierter ist die Lage bei podobno und ponoć . Man begegnet einerseits Belegen, in denen ein neutrales podobno mit angeblich übersetzt wird (vgl . (37)), andererseits auch solchen, wo – obwohl qua Ironie im Kontext eine kritische epistemische Einstellung impliziert wird – die Übersetzung mittels sollen + Infinitiv erfolgt ((vgl . (38)) . Dies scheint für die Annahme zu sprechen, dass es sich bei den negativen epistemischen Bedeutungsbestandteilen beider deutschen Reportativa um konversationelle Implikaturen handelt . (37) Podobno pająki, które długo nie upolowały żadnej ofiary, zjadają z głodu własną pajęczynę, by po pewnym czasie zrobić nową […]. (Wszystkie 42) Angeblich verspeisen Spinnen, die lange nichts gefressen haben, ihre eigenen Spinnweben, um dann anschließend eine neue zu weben […] . (43) (38) Pewnie, skrachowało moc firm, taki końcem IBM chociażby, podobno wytwarza teraz tabliczki i rysiki, ale może to kawał. (Dzienniki II 301) Sicher, Firmen haben massenweise Pleite gemacht, so etwa der IBM-Konzern, er soll jetzt Schiefertafeln produzieren, aber vielleicht ist das ein Witz . (455) Der hohe Anteil an angeblich lässt sich aber auch dadurch erklären, dass die Bildung einer Infinitivkonstruktion mit sollen von einigen Ausdrücken unmöglich oder zumindest unüblich ist . Sie werden im Folgenden aufgezählt . a) Im Skopus des reportativen podobno steht ein Modalverb . (39) – A właśnie, profesorze – wpadłem mu w słowo – dlaczego pan może, a podobno osoby bardzo dawno zmarłe nie mogą? (Wizja 174) „Eben, Professor”, fiel ich ihm ins Wort, „warum können Sie das, und Leute, die schon sehr lange tot sind, können das angeblich nicht? (187) b) Die Modalverbkonstruktion würde von der für die reportative Bedeutung typischen Form sollen (im Präsens) + Infinitiv Perfekt abweichen und dadurch missverständlich klingen . Beleg (40) wurde einem science-fiction-Roman mit Präteritum als Erzähltempus entnommen . Folglich müsste auch das reportative sollen im Präteritum stehen. Es würde sich zudem mit einem Infinitiv Präsens verbinden, weil sich die Aktzeit der referierten Situation mit der vergangenen Äußerungszeit überlappt . Es hieße also Und einer sollte sogar aus dem künftigen Jahr stammen . 258 Anna Socka (40) Gdy odzyskałem przytomność, kajuta była pełna ludzi. […] Jak się okazało, wszyscy byli mną, z różnych dni, tygodni, miesięcy, a jeden podobno był nawet z przyszłego roku . (Dzienniki I 30) Als ich das Bewusstsein wiedererlangte, war die Kajüte voller Menschen . [ . . .] Wie es sich herausstellte, waren alle ich, von verschiedenen Tagen, Wochen, Monaten, und einer stammte angeblich sogar aus dem künftigen Jahr. (29) c) Im Skopus der Partikel steht ein adjektivisches Prädikat oder ein verbloses Satzäquivalent (vgl . (41), (42)) . Angeblich als deutsches Pendant ermöglicht in der Übersetzung eine ähnliche Knappheit, während sollen die Bildung eines Satzes erforderlich machen würde . (41) […] było to ponoć bardzo istotne, zapomniane później odkrycie – że osiągnięcie szczęścia wrychle znieczula na nie […] (Wizja 156) [ . . .] Das Letztere war eine angeblich sehr wesentliche, später aber in Vergessenheit geratene Entdeckung, wonach man mit erreichtem Glück gegen dieses ertaubt [ . . .] (167) (42) –Tak też myślałem. Ale tych skrzyń żaden „So dachte ich auch, aber diese Kisten wird sąd panu nie przełknie. Pan wie, co w nich kein Gerichtshof schlucken . Wissen Sie, was jest? – Podobno dzieła sztuki ... (Wizja darin ist?“ “Angeblich Kunstwerke .“ (29) 27 f .) d) Passivinfinitive im Skopus vom reportativen sollen sind zwar nicht unmöglich – im Korpus finden sich 2 Beispiele für sollen mit Passivinfinitiv als Äquivalent von ponoć und jakoby (vgl . (35) oben) – wohl aber unüblich . (43) – Podobno Heniek wyszedł znowu z wię- „Heniek ist angeblich wieder aus dem Gezienia. Widziałeś go? – zapytał ojciec. fängnis entlassen worden, hast du ihn gese(Wszystkie 137) hen?“, wollte mein Vater wissen . (145) Durch die aufgezählten formalen Faktoren lässt sich die Hälfte der als podobnoÄquivalente anzutreffenden angeblich-Vorkommen erklären . 5 .2 .2 . Diskurspartikeln Beispiel (44) zeigt, dass podobno neben der Einführung eines neuen Gesprächsthemas auch auf vorhergegangene Diskursbestandteile zurückverweisen kann . (44) – Zaraz – powiedziałem. – Mówi pan dziwne rzeczy. Przecież pan już podobno zbudował maszynę rozumną, czy nie tak? Tkwi w tym zegarze . (Dzienniki II 109 f .) „Moment”, sagte ich . „Sie erzählen seltsame Dinge . Sie haben doch schon eine vernünftige Maschine gebaut, nicht wahr? Sie steckt in der Uhr .“ (481) Besonders ausgeprägt sind die Diskursfunktionen bei niby . Die Partikel markiert die Äußerung als eine nicht ganz vorbehaltlose Zustimmung (vgl . (45)) und ist besonders häufig bei (erstaunten) Ergänzungsfragen (vgl. (46); Wiemer 2006: 48) . Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 259 (45) – […] i cóż oni będą wtedy mogli zrobić innego, niż wystosować do ciebie sprostowania? . . . – Niby tak... – rzekłem osłupiały i skonfundowany naraz – ale bo, profesorze, tam były takie szczegóły... (Wizja 54) „[ . . .] und was bleibt ihnen dann anderes übrig, als Gegendarstellungen auf dich loszulassen?” „Wahrhaftig“, sagte ich, verblüfft und beschämt zugleich . „Aber hören Sie, Professor, da waren solche Details . . .[ . . .]“ (58) (46) – Nie będę przed panem udawała – odpar- „Ich werde vor Ihnen nicht so tun als ob“, ła spokojnie. – Możemy to załatwić. entgegnete sie ruhig . „Wir können das erle– Niby co możemy załatwić, moja śliczna? digen .“ – spytał Bronek Blutman. (Początek 77) „Was können wir denn erledigen, meine Hübsche?“ fragte Bronek Blutman . (30) 5 .2 .3 . Referatskonjunktiv Die Partikeln in meinem Korpus werden so gut wie nie mit dem Referatskonjunktiv alleine übersetzt .15 Bei dem einzigen Beleg, den ich als solchen klassifiziert habe ((47)), wird mit einem subjunktorlosen Konjunktivsatz ein polnischer Nebensatz übersetzt, der die Subjunktion że ‘dass’ und die Partikel niby enthält . In 4 Fällen tritt der Konjunktiv jedoch zusätzlich zum lexikalischen Reportativ auf, mit dem rzekomo übersetzt wurde ((48)) . In zwei weiteren Fällen wird eine Partikel (podobno resp . niby) mit einer expliziten Redeeinleitung wiedergegeben, auf die ein Komplementsatz im Konjunktiv I folgt ((49)) . (47) Podobieństwo to ma uspokajać umysły, że niby tylko niewidzialne wnętrze zostanie udoskonalone, powierzchowność natomiast wcale się nie zmieni. (Wizja 142) Die Ähnlichkeit soll die Gemüter beschwichtigen, das Äußere sei ja ganz unverändert, vervollkommnet aber das ohnehin unsichtbare Innere! (151) (48) Corcoran był, według niego, solipsystą – wierzył tylko we własne istnienie, wszystkich innych miał za fantomy, senne widziadła, i rzekomo dlatego tak sobie dawniej poczynał nawet z najbliższymi: […] (Dzienniki II 11) Nach Savinellis Auffassung war Corcoran ein Solipsist – er glaubte nur an die eigene Existenz, alles anderen hielt er für Phantome, Traumvisionen; angeblich sei er früher sogar mit seinen Nächsten so umgesprungen: [ . . .] (358) (49) Zanim ojciec skontaktował się telefonicznie z Radwańskim, minęły trzy tygodnie. Podobno próbował wcześniej wiele razy, jednak nikogo nie zastawał. (Wszystkie 112) Bis mein Vater nun mit Herrn Radwanski Kontakt aufnahm, vergingen drei Wochen . Er sagte, er habe es öfters mal versucht, leider ohne Erfolg . (119) 15 Im Polnischen existiert eine mit der Partikel jakoby homonyme Subjunktion . Von 20 im Korpus enthaltenen Komplementsätzen mit dieser Subjunktion wurden 14 als subjunktionslose Komplementsätze im Konjunktiv übersetzt (vgl .: Prasa podawała, jakoby Tichy posługiwał się czyjąś pomocą, a nawet, jakoby nie istniał […] (Dzienniki 8); Die Presse berichtete, Tichy habe sich jemandes Hilfe bedient, ja er habe nicht einmal existiert [ . . .] (8)) . 260 Anna Socka 5 .2 .4 . Sonstiges Charakteristisch für podobno und ponoć ist ferner die Übersetzung mit expliziten Hören-Sagen-Phrasen wie wie es heißt, wie man hört, dem Vernehmen nach . Die polyseme Partikel niby wurde dagegen in 5 ambigen Fällen in der Bedeutung ‘nur dem Schein nach’ aufgefasst und dementsprechend mit scheinbar (vgl . (50)) bzw . einem irrealen Vergleichssatz übersetzt (vgl . (51)) . (50) Zastanawiałem się, co sądzić o moich Luzanach, którzy mieli Człaków niby to w pogardzie, a chcieli siedzieć z nimi w tych kloacznych jaskiniach […] (Wizja 305) (51) Odniosłem wrażenie, że brał moje rzeczywiste nazwisko za określenie mego charakteru (niby że ścichapęk albo cicha woda) . (Wizja 209) [ . . .] in Überlegungen versunken, was von meinen Losanniern zu halten sei, da sie die Manschen scheinbar so verachteten, dennoch mit ihnen in diesen Kloaken sitzen wollten […] (326) Tichy, meinen richtigen Namen, hielt er offenbar für eine Bezeichnung meines Charakters (als wäre ich ein heimlicher Schelm oder ein stilles Wasser) . (223) 5 .3 . Partikeln und mieć + Infinitiv Nach Szymanski (1990: 163) kookkurriert die Konstruktion mieć + Infinitiv oft mit reportativen Partikeln wie rzekomo, jakoby, ponoć . Dies konnte anhand des Korpus nicht bestätigt werden: Nur 2 Belege (beide für jakoby) enthielten eindeutig reportatives mieć + Infinitiv im selben Satz. In beiden Fällen kommen im Kontext explizite Aussagen zur Glaubwürdigkeit der referierten Informationen, die von stark distanzierter bzw . eindeutig skeptischer Einstellung zeugen . Das Zusammenspiel der Partikelbedeutungen mit derjenigen von mieć + Infinitiv muss im Rahmen einer getrennten Untersuchung erforscht werden . (52) Spektroskopowa i chromatograficzna analiza pyłu, w jaki miały się jakoby obrócić podarunki, wykryła pierwiastki właściwe dla wszelkiego rodzaju zmiotków, śmieci itp . (Wizja 78) Die spektroskopische und chromatographische Analyse des Pulvers, in das sich die Geschenke verwandelt haben sollten, erbrachte Bestandteile, wie sie in jedwedem Kehricht und Müll zu finden sind. (83) 6. Abschließende Bemerkungen Aus den Daten geht klar hervor, dass – was die Reportativität angeht – Polnisch eine Partikelsprache, Deutsch dagegen eine Modalverbsprache ist . Im Korpus dieses Aufsatzes entfallen 95 Partikelbelege auf 20 Modalverbbelege . In einem ähnlich zusammengesetzten deutschsprachigen Korpus von vergleichbarer Größe war es fast genau umgekehrt: 93 Modalverbbelege und 16 Partikelbelege (vgl . Socka 2009) . Reportative Partikeln in kontrastiver Sicht (Polnisch – Deutsch) 261 Die Berücksichtigung des deutschen reportativen Konjunktivs verändert das Bild nur unwesentlich: Er ist so gut wie nie das alleinige Übersetzungsäquivalent der polnischen Partikeln (und in nur 10% das des polnischen reportativen mieć) . Andererseits entfallen in den in Socka (2009) analysierten polnischen Übersetzungen deutschsprachiger Texte nur 15% der reportativen Partikeln auf Äquivalente des reportativen Konjunktivs . Die polnischen Reportativa und der deutsche Referatskonjunktiv kommen also offensichtlich nicht in den gleichen Kontexten vor . Die naheliegende Hypothese, dass die relative Armut des Deutschen an lexikalischen Reportativa durch den Referatskonjunktiv ausgeglichen wird, lässt sich also anhand der Datenlage nicht erhärten . Die Semantik und Pragmatik der reportativen Ausdrücke in beiden Sprachen ist noch alles andere als zufriedenstellend beschrieben . Auf jeden Fall erfordert die adäquate Bedeutungsbeschreibung eine vertiefte methodologische Reflexion zur Unterscheidung von lexikalischer Bedeutung einerseits und dem Beitrag des Kontexts andererseits . Literatur Admoni, Wladimir (1972): Der deutsche Sprachbau. Leningrad: Izdatel’stvo Prosvesčenie. Aikhenvald, Alexandra Y . (2006): Evidentiality . Oxford: Oxford University Press . Anderson, Lloyd (1986): „Evidentials, paths of change, and mental maps: Typological regular asymmetries“, in: Chafe, Wallace / Johanna Nichols (Hgg.): Evidentiality: The Linguistic Coding of Epistemology (= Advances in Discourse Processes 20). Norwood, New Jersey: Ablex, 273-312 . Ballweg, Joachim (2007): „Modalpartikeln“, in: Hoffmann, Ludger (Hg.): Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin, New York: De Gruyter, 547-553 . Bartnicka, Barbara u . a . 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