NYDAM MOSE 4
Ronald Bockius
Zur kultur- und technikgeschichtlichen Stellung
der Schiffsfunde aus dem Nydam-Moor
(mit einem Beitrag von Rainer Grabert)
PDF-Dokument des gedruckten Beitrags
II
III
Jernalderen i Nordeuropa
NYDAM MOS E
4
Die Schiffe
B E I T R ÄG E Z U F O R M , T E C H N I K U N D H I S T O R I E
von
Flemming Rieck und Ole Magnus (†)
Morten Gøthche
Ronald Bockius und Rainer Grabert
Ronja Mücke und Andreas Rau
Angelika Abegg-Wigg
Carlsbergfondet, Nationalmuseet
und Moesgård Museum
Herausgegeben von Andreas Rau
Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie, Schleswig
in Verbindung mit Jysk Arkæologisk Selskab
IV
Nydam Mose Band 4
Herausgegeben von Andreas Rau
©
2013 Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie
Übersetzungen aus dem Dänischen: Frauke Witte (Beitrag F. Rieck), Andreas Rau
(Beiträge M. Gøthche und F. Rieck) und Anton Englert (Beitrag M. Gøthche)
Gesamtredaktion: Joachim von Freeden und Andreas Rau
Titelbild: Seitenruder FNr. 3030 (Nydam Mose Band 3 S. 178 Taf. 79)
Rückseite: Männerkopf (Ausschnitt) am Pfosten FNr. 13723 (Nydam Mose Band 3 S. 147 Taf. 39)
Schrift: Palatino Linotype · Frutiger Next
Papier: 150 g Hello Silk
Satz: www.wisa-print.de
Druck und Binden: druckhaus köthen GmbH, D 06366 Köthen
Jysk Arkæologisk Selskabs Skrifter 72,4
ISBN 978-87-88415-77-3
ISSN 0107-2854
Projektvorstand von „Jernalderen i Nordeuropa“
Claus von Carnap-Bornheim, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf
Jan Skamby Madsen, Moesgård Museum
Per Kristian Madsen (Vorsitzender), Nationalmuseet
Vertrieb
Aarhus Universitetsforlag
Langelandsgade 177
DK 8200 Århus N
und
Verein zur Förderung des Archäologischen Landesmuseums Schloss Gotorf e. V.
Schloss Gotorf
D 24837 Schleswig
V
I N H A LT
VII
1
Andreas Rau
150 Jahre Faszination Nydamschiff 1863 – 2013
Flemming Rieck
Funde von Schiffen und Schiffsteilen aus dem Nydam-Moor 1859 – 2011
147
Morten Gøthche
Die Rumpfform des großen Eichenholzschiffes Nydam B
215
Ronald Bockius
Zur kultur- und technikgeschichtlichen Stellung der Schiffsfunde
aus dem Nydam-Moor (mit einem Beitrag von Rainer Grabert)
301
Ronja Mücke und Andreas Rau
Schiffsteile aus der Flensburger Sammlung –
Ausgewähltes Altfundmaterial aus dem Nydam-Moor
im Archäologischen Landesmuseum Schloss Gottorf, Schleswig
321
Angelika Abegg-Wigg
Das Nydamboot als Schiffsmodell –
Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des großen Eichenholzschiffes
343
Literatur
357
Konkordanz der Fundnummern
373
Fundortregister
377
Bildnachweis
Beilagen 1 – 8
VI
VII
150 JAH RE FA SZ I NAT ION
NYDAM SCH I F F 1863 – 2013
Schiffe faszinieren – als Mittel, mit dem der Mensch einen ihm nicht eigenen Naturraum
bewältigt, als Zeugnisse von Handwerksfertigkeiten, als Symbol für Abfahrt und Ankunft
sowie als Ausdruck von Macht und Prestige. Archäologische Schiffsfunde spiegeln in all diesen
Aspekten die Weltsicht ihrer Konstrukteure und Benutzer wider, deren Verhältnis zum Wasser
und zur See, aber vor allem deren Drang zur Mobilität. Wie sonst nur rekonstruierte Gebäude
vorgeschichtlicher Epochen vermitteln gut erhaltene Schiffswracks soziale Dimensionen, die
der Betrachter nachzuempfinden vermag (ein wenig Phantasie und Einfühlungsvermögen
vorausgesetzt). Denn Schiffe können bis heute das „Rahmenwerk“ einer in sich gegliederten und
miteinander verwobenen Gemeinschaft versinnbildlichen – dies vor allem dann, wenn es sich
um Fahrzeuge handelt, die über größere Distanzen und längere Zeiträume hinweg eingesetzt
wurden und so Zusammenhalt und Zusammenspiel einer ganzen Mannschaft erforderten, wie
es bei dem für etwa dreißig Personen ausgelegten Kriegsschiff, dem großen Eichenholzschiff aus
dem Nydam-Moor, der Fall war.
In diesem Sinne üben die kaiserzeitlichen Schiffe aus dem Nydam-Moor, vor allem aber das
hervorragend erhaltene große Eichenholzschiff – „das Nydamschiff“ –, auch 150 Jahre nach ihrer
Entdeckung im südjütländischen Opferplatz nach wie vor eine besondere Anziehungskraft nicht
nur auf Seefahrtsbegeisterte aus. Kaum eine breit angelegte Darstellung über „die Germanen“,
über vorgeschichtliche Schifffahrt oder über die Archäologie Skandinaviens kommt ohne das Nydamschiff aus. Als großformatiges archäologisches Objekt von nahezu 23 m Länge imponiert das
Nydamschiff im Museum dem Betrachter allein dadurch, dass seine Dimension, seine Gestalt und
seine baulichen Details kaum ohne zahlreiche Wechsel des Blickwinkels zu erfassen sind.
„I Gravens Midte stödte vi paa Midtdelen af den store Robaad af Egetræ“ (In der Mitte des
Grabens stießen wir auf den Mittelteil des großen Ruderbootes aus Eichenholz). So lautet Conrad Engelhardts nüchterner Schlusssatz in den Flensburger Protokollen zum 17. August 1863.
Erst am Folgetag wurde Engelhardt während der Freilegungsarbeiten die Größenordnung
seiner Entdeckung vollständig bewusst, weshalb er wohl später erst den 18. August 1863 als
Ausgrabungsdatum des Schiffes bezeichnete.
Nahezu genau 150 Jahre danach, am 18. April 2013, wurde aus Anlass des Jubiläums eine
temporäre Neugestaltung der Ausstellung in der Nydamhalle auf Schloss Gottorf in Schleswig eröffnet. In diese vom Archäologischen Landesmuseum und dem Zentrum für Baltische
und Skandinavische Archäologie gemeinsam gestaltete und in enger Zusammenarbeit mit dem
Museum Sønderjylland – Arkæologi Haderslev erarbeitete zweisprachige Sonderausstellung
„Das Nydamboot – versenkt – entdeckt – erforscht · Nydambåden – nedsænket – fundet –
udforsket“ sind auch zahlreiche Ergebnisse und offene Diskussionen aus der Vorbereitungszeit
der vorliegenden Publikation eingeflossen. Erstmalig wurde die Ausstellung des Schiffes auch
von der Darstellung eines bedeutenden Teils der Rezeptionsgeschichte begleitet: vom 1864 einsetzenden deutsch-dänischen Tauziehen um die nationale Beanspruchung des Fundes über die
Verwendung des Nydamschiffes als Germanensymbol in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
bis hin zur (in der Retrospektive fragwürdigen) Verwendung des Nydamer Ruderschiffes als
Emblem für die größte Segelsportveranstaltung der Welt, der Kieler Woche, im Jahr 1950.
VIII
150 Jahre Faszination Nydamschiff 1863 – 2013
Am Nachmittag des 17. August 2013, auf den Tag genau 150 Jahre nach Engelhardts erster Erwähnung, wurde
die originalgroße Replik des großen Eichenholzschiffes in
Sottrupskov bei Sønderborg, nur wenige Kilometer vom
Fundort entfernt, vor den Augen von etwa 5000 Besuchern
vom dänischen Prinzen Joachim und seiner Gattin Marie
auf den Namen „Nydam Tveir“ getauft und in das Wasser des Alsensundes gelassen. Zur gleichen Zeit gab die
Deutsche Post in der Gottorfer Nydamhalle sowohl einen
Sonderstempel als auch eine Sondermarke mit dem Nydamschiff heraus, die binnen weniger Stunden restlos ausverkauft waren. Darüber hinaus brachte National Geographic im Mai 2013 einen mehrseitigen deutschsprachigen Beitrag über das Nydamschiff, der im
Jubiläumsmonat August in allen skandinavischen Ausgaben des Magazins abgedruckt wurde.
Sowohl in Skandinavien als auch in Mitteleuropa und weit darüber hinaus ist die Begeisterung
für die Schiffe aus dem Nydam-Moor ungebrochen. Solange Conrad Engelhardts 1865 prophetisch anmutende Einschätzung „Sie sind einzigartig und werden dies wohl für eine lange Zeit
bleiben“ weiterhin Bestand hat, sind und bleiben die Schiffe ein primäres Studienobjekt zur frühgeschichtlichen Schifffahrt und archäologische Schauobjekte allerersten Ranges.
Über dieses Buch
Dass die Schiffsfunde aus dem Nydam-Moor genau 150 Jahre nach der Entdeckung des großen
Eichenholzschiffes eine neue Bearbeitung erfahren, ist jedoch nicht allein durch das besondere
Jubiläum gerechtfertigt: So liegt die letzte monografische (und kritisch rezipierte) Abhandlung
der Nydamschiffe durch Harald Åkerlund ein halbes Jahrhundert zurück. Auch der Zuwachs an
Neufunden durch die Grabungen des Nationalmuseums im Nydam-Moor von 1989 – 1999 ist so
enorm – man vergleiche dazu Band 3 der Reihe Nydam Mose –, dass sich teilweise gänzlich neue
Denkansätze zu Konstruktion und Handhabung der Nydamschiffe eröffnen. Nach Abschluss der
groß angelegten Ausgrabungen im Nydam-Moor im Jahr 1999 folgten zunächst lange Jahre, während der die Hölzer konserviert und die Grabung aufbereitet wurden. Erst nach Abschluss der
Konservierung von vielen Tausend Einzelobjekten ließen sich die Neufunde von Schiffsteilen
vermessen, vergleichen, zusammenfügen, Holzbestimmungen vornehmen und genauere funktionale Überlegungen anstellen. Das Ergebnis dieses von Flemming Rieck durchgeführten ersten
Auswertungsprozesses ist in Band 3 der Reihe Nydam Mose vorgelegt.
Weiterführende Überlegungen zu den Schiffsfunden aus verschiedenen Perspektiven und mit
unterschiedlichen Schwerpunkten finden sich nun im vorliegenden Band 4, der gleichzeitig mit
Band 3 erscheint. Dass eine solche Neubewertung der Nydamschiffe nicht im Alleingang zu
bewältigen war, wurde bei den vorbereitenden Gesprächen zur Publikation dieses Fundstoffes
schnell klar. Zu sehr haben sich die Forschungsergebnisse zur maritimen Archäologie im nördlichen sowie im westlichen und südlichen Europa weiterentwickelt, zu groß war das Material der
Neufunde, zu umfangreich auch die Erkenntnisse, die im Jahr 1995 bei der letzten detaillierten
Vermessung des großen Eichenholzschiffes auf Schloss Gottorf gewonnen worden waren. Als
im Verlauf des Projektes „Jernalderen i Nordeuropa“ das Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie in Schleswig die Verpflichtung für die Publikation der Neufunde aus dem
Nydam-Moor übernahm, wurde rasch deutlich, dass sowohl eine Vorstellung und Diskussion
150 Jahre Faszination Nydamschiff 1863 – 2013
IX
Am Jubiläumstag, dem 17. August 2013, wurde „Nydam Tveir“ am Alsensund zu Wasser gelassen. Zuvor war das
Schiff durch Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Marie von Dänemark getauft worden. Ihr Gatte, Seine Königliche
Hoheit Prinz Joachim, hat als Schirmherr der Nydamselskab den Nachbau des großen Eichenholzschiffes Nydam B
über Jahre hinweg begleitet (vgl. S. 200 f. mit Abb. 47).
der neuen Holzelemente von Schiffen, eine Neubewertung des auf Schloss Gottorf ausgestellten
Schiffes Nydam B, aber auch ein Vergleich der germanischen Schiffbautradition mit der der mediterranen Welt in eine Neubearbeitung einfließen sollten.
Wie aus der Literatur des vorliegenden Bandes zu ersehen ist, hat sich Flemming Rieck als
Ausgrabungsleiter der Kampagnen von 1989 – 1999 mehr als zwanzig Jahre intensiv mit den alten
und neuen Funden von Schiffen und Schiffsteilen aus dem Nydam-Moor beschäftigt. Sein Beitrag stellt eine Zusammenführung der diversen einzeln und teilweise bereits entlegen publizierten Aspekte dar, die sich vor allem aus dem Studium der modern ausgegrabenen Elemente der
drei großen Ruderfahrzeuge aus dem Nydam-Moor ergeben. Bei der Lektüre des Beitrags von
Flemming Rieck bietet es sich an, sowohl die Abbildungen der Funde auf den Tafeln in Nydam
Mose Band 3 als auch die dort im Maßstab 1 : 20 und 1 : 50 abgedruckten Pläne heranzuziehen,
um die partiell doch sehr komplexen und auf den ersten Blick „mikadoartig“ verschachtelten
Fundverhältnisse besser nachvollziehen zu können. Zur einfacheren Handhabung beider Bände
ist die im vorliegenden Band enthaltene Konkordanz (S. 357 ff.) vorgesehen.
Morten Gøthche konnte für einen Beitrag gewonnen werden, der auf seiner zusammen mit
Christian Lemée bereits 1995 durchgeführten Neuvermessung des großen Eichenholzschiffes
beruht, aber auch zahlreiche weiterführende Überlegungen und schiffbautechnische Vergleiche
mit anderen eisenzeitlichen und frühmittelalterlichen Schiffsfunden enthält. Seine Ergebnisse zu
den ursprünglichen Dimensionen und der Gestalt des Nydamschiffes sind überdies eingeflossen
in den bereits erwähnten, von Nydambådens Laug (Gilde des Nydambootes) in knapp 19 000
Arbeitsstunden angefertigten Nachbau „Nydam Tveir“.
Wie auch von Morten Gøthche eingehend diskutiert wird, gelten die Nydamschiffe als ein
wesentliches Element in der großen Entwicklungslinie vom Stammboot über das genähte, gepad-
X
150 Jahre Faszination Nydamschiff 1863 – 2013
delte Plankenboot bzw. das klinkergebaute Ruderschiff bis hin zu den gesegelten Schiffen nordischer Bauweise. Sie werden vor allem seit der 1886 vorgelegten Abhandlung von N. E. Tuxén
als älteste Zeugnisse nordischer Klinkerbauweise betrachtet. Allerdings kann Ronald Bockius in
seinem Beitrag zeigen, dass die in den drei Schiffen Nydam A, B und C wiederzufindenden technischen Lösungen und Ausrüstungsdetails ohne Kenntnisse gleichzeitiger oder vorausgehender
griechisch-römischer und vor allem provinzialrömischer Bautraditionen bzw. Schiffsbestandteile
nicht erklärbar sind. Im Rahmen der Forschungen zum Beitrag von Ronald Bockius konnte ein
Schlepptankversuch eines Modells von Nydam B im Maßstab 1 : 5 in der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam durchgeführt werden, dessen Ergebnisse von Rainer Grabert vorgelegt werden.
Sowohl die Vorbereitung zur neuen Ausstellung des Nydamschiffes ab April 2013 als auch die
intensiven Diskussionen zwischen Flemming Rieck und dem Verfasser zur funktionalen Einordnung einzelner Elemente der Schiffe aus dem Nydam-Moor führten zu einer Durchsicht des im
Magazin des Archäologischen Landesmuseums Schloss Gottorf in Schleswig vorhandenen Holzmaterials aus den Engelhardtschen Grabungen. Eine knappe Zusammenfassung dieser Sichtung
findet sich in dem Beitrag von Ronja Mücke und dem Verfasser.
Die Bedeutung des Nydamschiffes als großformatiges, plastisches und mit „Leben“ zu erfüllendes archäologisches Relikt spiegelt sich in der Vielzahl von Illustrationen des 19. und 20. Jahrhunderts, in denen das Schiff – einmal historisch möglichst präzise, ein andermal sehr frei – in
Verwendung gezeigt wird (vgl. das Frontispiz des Beitrags von Flemming Rieck). Darüber hinaus ist die Bedeutung des großen Eichenholzschiffes aber gleichermaßen an einer Vielzahl von
Modellen des Schiffes zu messen, die europaweit in den verschiedensten Museen zur Archäologie und zur Schifffahrtshistorie aufbewahrt und ausgestellt werden. Angelika Abegg-Wiggs
Beitrag ist die erste Zusammenstellung der ihr bekannt gewordenen Modelle des Schiffes. In
der großen Zahl der Modelle ist aber nicht nur die hohe Geltung des Fundes reflektiert, sondern es zeigt sich auch, welche Detailfragen, etwa zur Ruderaufhängung oder zur Anzahl der
Riemendollenpaare, bei den Modellbauern im Blickpunkt standen. Ein besonderes Augenmerk
ist auf den von Angelika Abegg-Wigg im Archivbestand des Archäologischen Landesmuseums
der Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen „wiederentdeckten“ Plan zu richten, der eine 1877
angefertigte Durchzeichnung einer Vermessung des Schiffes von 1871 wiedergibt. Er ist in diesem Band als Beilage 8 abgedruckt. Nach der von Conrad Engelhardt 1865 publizierten Halblängenzeichnung des Nydamschiffes ist dieser Plan der einzige bislang bekannt gewordene Detailplan (inkl. Spanten-, Senten- und Wasserlinienriss), der im Zeitraum der Erstmontage des Schiffes
(1863 – 1877) erstellt worden ist.
Gewiss wäre eine Erweiterung der im vorliegenden Buch abgehandelten Thematik ausgehend
von den eigentlichen Schiffsfunden wünschenswert gewesen. Von diesen nämlich führt der Weg
hin zu bekannten kaiser- und völkerwanderungszeitlichen Schiffslandeplätzen, zu Schiffshäusern, zu Orten, an denen Klinkernägel und Werkzeuge Schiffbau und -reparaturen anzeigen, zu
Transport- und Schifffahrtsrouten sowie auch zur Frage des kaiserzeitlichen Warentransports.
Es würden sich gleichermaßen Überlegungen zur sozialen und machtpolitischen Organisation
von frühgeschichtlicher Schifffahrt im Bereich von Nord- und Ostsee anschließen lassen. Diese
Themen ausführlich zu berücksichtigen hätte aber den Umfang des Bandes deutlich gesprengt.
Somit bleibt künftigen Forschungen weiterhin breiter Raum für eine Diskussion der im Folgenden bereitgestellten Grundlagen.
Ebenfalls nicht tiefergehend thematisiert werden überdies die Beziehungen zwischen Schiffsfunden und dem übrigen Material aus dem Nydam-Moor, vorwiegend Waffen und persönliche
Ausrüstungen. Denn hier bleibt die Bearbeitung der Waffenfunde abzuwarten, wenngleich die
absoluten Datierungsansätze der Schiffe und ihr Verhältnis zueinander bereits im Beitrag von
Flemming Rieck in diesem Buch kurz diskutiert werden. Dass das Kiefernholzschiff Nydam C
einer früheren Opferung als das große Eichenholzschiff Nydam B entstammt, wie es noch in jüngeren Publikationen vertreten wurde, lässt sich demnach nicht mehr aufrecht erhalten.
150 Jahre Faszination Nydamschiff 1863 – 2013
XI
Alles in allem können und wollen die Bände Nydam Mose 3 und 4 nicht den Anspruch erheben,
einen Endpunkt in der Diskussion der Schiffsfunde aus dem Nydam-Moor zu setzen. Vielmehr
mögen sie als Ausgangspunkt und gleichermaßen als Anregung betrachtet werden, die Diskussion zu Schiffbau, Schifffahrt, Mobilität und gesellschaftlicher Organisation der an die See gebundenen frühgeschichtlichen Gemeinschaften im Bereich von Nord- und Ostsee zu beleben.
Bei der Redaktion wurde darauf verzichtet, die unterschiedlichen Diktionen der Autoren und
die damit verknüpften schiffbautechnischen und nautischen Begriffe zu nivellieren. Dies ergibt
sich schon allein daraus, dass Inkongruenzen zwischen deutscher und dänischer Schiffbauterminologie auszumachen sind, die aufgrund unterschiedlicher Schiffbautraditionen historisch
gewachsen sind. Aus Gründen des Leseflusses wurden allerdings die in den Text eingebetteten
Zitate aus den skandinavischen Sprachen, vor allem aus den Engelhardtschen Aufzeichnungen
und Publikationen, aber auch aus der Nydam-Monografie Åkerlunds, so originalgetreu wie möglich übersetzt. Wenngleich es gelegentlich ein Vergnügen ist Engelhardts Arbeiten, insbesondere
seine Beschreibungen in den Flensburger Protokollen, im Originaltext zu lesen, so schien es doch
zuträglicher, auch diese Stellen in modernes Deutsch zu übertragen.
Danksagungen
Neben den Autoren gilt es zahlreichen Personen und Institutionen zu danken, die unmittelbar oder
mittelbar zur Fertigstellung des Buches beigetragen haben. Frauke Witte, Haderslev, und Anton
Englert, Roskilde, übersetzten Teile der dänischen Originalmanuskripte bzw. korrigierten diese.
Laura Buch, Kiel, und Karin Göbel, Schleswig, waren bei der Erstellung von Grafiken für die Beiträge von Flemming Rieck sowie von Ronja Mücke und dem Verfasser behilflich. Dem Dänischen
Nationalmuseum, insbesondere dem Museumsdirektor Per Kristian Madsen, ist für die Unterstützung und die vertrauensvolle Übergabe des Publikationsprojektes in die Hände des Unterzeichnenden am ZBSA in Schleswig zu danken. Die Herstellung und der Druck des Buches konnte mit
Mitteln aus dem vom Carlsbergfond finanzierten Projekt „Jernalderen i Nordeuropa“ finanziert
werden. Joachim von Freeden, wisa-print Frankfurt am Main, war auch bei der Erstellung dieser
Publikation wieder „mit an Bord“, und dank seiner Erfahrung und seinem Rat konnten zahlreiche
inhaltliche und gestalterische Klippen umschifft werden. Dafür sei ihm herzlich gedankt.
Dem Projektvorstand von „Jernalderen i Nordeuropa“, Claus von Carnap-Bornheim, Schleswig, Jan Skamby Madsen, Moesgård, und Per Kristian Madsen, København, aber auch Jørgen
Ilkjær und Jesper Laursen, beide Moesgård, ist erneut für ihr uneingeschränktes Vertrauen in
dieses Buchprojekt zu danken. Dank gilt aber ebenso den Kollegen vom Museum Sønderjylland –
Arkæologi Haderslev, die nicht nur großes Interesse am Fortschreiten der Publikationsreihe zeigten und zeigen, sondern mit denen in kollegialer und freundschaftlicher Atmosphäre auch eine
Testuntersuchung in Nydam Mose im Jahr 2011 durchgeführt wurde. Ebenfalls großes Interesse
wurde der Publikation der Bände Nydam Mose 3 und 4 von Seiten der Selskab for Nydamforskning, insbesondere Nydambådens Laug, entgegengebracht. Stellvertretend sei – im Namen aller
Autoren – Vincent Jessen, Sydals, für die fruchtbaren Diskussionen und die gastfreundschaftliche
Atmosphäre bei unzähligen Besuchen am Nachbau des Nydamschiffes gedankt.
Schleswig, im September 2013
Andreas Rau
XII
215
Ronald Bockius
Zur kultur- und technikgeschichtlichen
Stellung der Schiffsfunde
aus dem Nydam-Moor
Mit einem Beitrag von Rainer Grabert
216
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
Schiffe zwischen Römern und Barbaren.
Römische Legionäre überqueren die Donau über eine Schiffsbrücke
zur Offensive gegen die Markomannen im Jahr 172 n. Chr.
Rom, Marcussäule
217
INHALT
E I N L E I T U N G . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
ÜB E R L I E F E R U N G , E R H A LT U N G U N D V E R G L E I C H S M AT E R I A L
. . . . . . . . . . 223
B A U - U N D A U S S TAT T U N G S T E C H N I S C H E R E K O N S T R U K T I O N
. . . . . . . . . . 229
S C H I F F S T E C H N I S C H E B E W E R T U N G U N D S C H L E P P TA N K T E S T S . . . . . . . . . 233
Schiffstechnische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Schlepptanktest in der Schiffbau-Versuchsanstalt Postdam (Rainer Grabert) . . . . . . . . . 244
M E R K M A L E „N O R D I S C H E R
Prähistorische Wurzeln. . . .
Kiele . . . . . . . . . . . .
Duchten . . . . . . . . . .
Keipen . . . . . . . . . . .
Verzurrung . . . . . . . . .
Nähtechnik . . . . . . . . .
Klinkertechnik . . . . . . .
S C H I F F BA U T R A D I T I O N “
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M E R K M A L E P R O V I N Z I A L R ÖM I S C H E N
Klinkertechnik . . . . . . . . . . . . .
Abdichtungsverfahren . . . . . . . . . .
Kiel-Steven-Schäftung . . . . . . . . . .
Rigide Spanten . . . . . . . . . . . . .
Holznägel . . . . . . . . . . . . . . .
Massives Dollbord . . . . . . . . . . . .
Beflurung . . . . . . . . . . . . . . .
Seitenruder . . . . . . . . . . . . . . .
Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . .
Anker . . . . . . . . . . . . . . . . .
SCHIFFBAUS
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V O R R ÖM I S C H E S C H I F F FA H R T I M N O R D -O S T S E E -R A U M . . . . . . . . . . . . . . 285
Historische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
Riemenantrieb im westlichen Ostseegebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
Z U R R E Z E P T I O N N O R D I S C H E N S C H I F F BA U S I N D E R R ÖM I S C H E N W E LT
D I E N Y D A M -B O O T E – T E C H N I K G E S C H I C H T L I C H E
„Fellboot“-Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . .
Alteuropäischer Holzbau . . . . . . . . . . . . . . .
Stammboot-Tradition . . . . . . . . . . . . . . . .
Mediterrane und provinzialrömische Bautradition . . . .
HYBRIDE?
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Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
EINLEITUNG
Das Verständnis der Schiffsfunde aus dem NydamMoor als frühe Zeugen eines im nördlichen Europa verankerten Fahrzeugbaus kündigt sich bereits
beim Ausgräber Conrad Engelhardt an, der auf
vendel- und wikingerzeitliche Grabfunde mit den
Resten geklinkerter Rümpfe verweist (Engelhardt
1865, 12 – 15). Überdies fielen ihm schiffbauliche
Gemeinsamkeiten mit den Nordland-Booten im
Westen Norwegens auf (Engelhardt 1866b, 32 f.)1.
Jene Sichtweise verdichtete sich nach der Aufdeckung norwegischer Schiffsgräber des 9. Jahrhunderts, als bauliche Übereinstimmungen – neben
der Klinkertechnik das Verzurren der Außenhaut
mit den Spanten durch perforierte Knaggen – der
Wikingerfahrzeuge von Tune und Gokstad mit
den Nydam-Booten wahrgenommen wurden (Tuxen 1886, 63 – 65). War dieses Urteil ganz auf den
Vergleich mit konstruktiven Merkmalen um Jahrhunderte jüngerer Schiffe gestützt, bestätigte der
1921/1922 ausgegrabene Bootsfund des 4. Jahrhunderts v. Chr. von Hjortspring auf Als mit seiner mittels Zurrklampen an ausspreizenden Querrahmen
verlaschten Außenhaut (Rosenberg 1937) die technikgeschichtliche Einbindung von Nydam in einen
„nordischen“ Kreis vor- und frühgeschichtlichen
Schiffbaus, und es tauchen nun auch Begriffe wie
„Tradition“ und „Kontinuität der Entwicklung“ auf
(Shetelig 1930, 23 – 27 bes. 25).
Das aus Lindenholz genähte, von Gustav Rosenberg und anderen strictu sensu unzutreffend als geklinkert bezeichnete Hjortspring-Boot (Rosenberg
1937, 109; Hornell 1946, 196; 200) ließ sich aufgrund seiner charakteristischen Silhouette zudem
mit Bootsdarstellungen bronze- und eisenzeitlicher
Petroglyphen Südskandinaviens vergleichen und
hierdurch ikonografisch einordnen, ohne freilich
Bauweise und Baumaterial der abgebildeten Fahrzeuge mit letzter Gewissheit ableiten zu können
(Rosenberg 1937, 89 – 92; 111; Marstrander 1963,
139 – 146; 450; Coles 1993, 28 f. Abb. 5.3a). Aller-
1
dings vermittelte der eisenzeitliche Fund konstruktive Prinzipien, die ihn als materielles Surrogat bzw.
als Derivat eines als Archetypus gedachten „Fellbootes“ (Abb. 1; 33; 34,2) erscheinen ließen (Shetelig 1930, 25), dessen jüngste Abkömmlinge als mit
Tierhaut bespannte Wasserfahrzeuge unterschiedlicher Ausführungen und Größe in der arktischen
Zone noch im 19. Jahrhundert gebaut wurden,
durch antike Schrift- und Bildquellen aber auch
regional für weite Teile der Alten Welt einschließlich Nordwesteuropas bezeugt sind (Bockius 2007a,
13 – 15 Karte 1). So vertrat insbesondere Sverre
Marstrander die Theorie vom Ursprung des nordeuropäischen Plankenschiffbaus im hautbespannten Wasserfahrzeug (Marstrander 1963, 111 – 139;
445 – 448).
Dagegen stellte Philibert Humbla (1937, 25 – 28;
1949, 24 – 30) Hjortspring und Nydam in eine gemeinsame Entwicklungsreihe, die er von einer
mehrteiligen Spielart des Einbaums mit künstlich
geweiteten Bordwänden und in den so verformten
monoxylen Rumpf eingesetzten separaten Quervergurtungen ableitete. Ähnlich suchten James
Hornell und bald darauf Albert Eskeröd die evolutiven Wurzeln früher nordischer Plankenboote – Hjortspring, Nydam und Halsnøy (siehe unten
S. 228 f.) – in Stammbooten, erweitert um Planken
(Hornell 1946, 197 f.; Eskeröd 1956, 67 – 80 mit älterer Lit.). Konstruktive Eigenschaften nordischer
Plankenfahrzeuge und formale Prinzipien des Fundes von Als und südskandinavischer Felsbilder sah
Hornell (1946, 199 – 213) im ozeanischen Bootsbau
Indonesiens und Polynesiens wiederholt und zählte
auch andere Gleichläufigkeiten nordeuropäischer
und mittelpazifischer Sachkultur auf, selbst kulturelle Phänomene, gleichwohl bei diachronen Vergleichen. Ohne unabhängige Entwicklungsstränge
völlig auszuschließen, rechnete er mit einer auf
neolithisch-bronzezeitliche Mobilität gestützten
Ideenvermittlung.
Dazu Näheres zusammengefasst bei Crumlin-Pedersen 2004, 37; 42 f. 60 Anm. 1.
Einleitung
219
Abb. 1 Verbreitung mesolithischer bzw. frühneolithischer Stammboote und Paddel (8. bis spätes 5. Jahrtausend. v. Chr.) als chorologischer Hinweis auf die Existenz archäologisch nur unzureichend bezeugter „Fellboote“.
Stammboote; Paddel.
Wurden die in der älteren Forschung behandelten
Klinkerfahrzeuge noch als Produkte einer Skelettoder Mallenbauweise verstanden (Crumlin-Pedersen 2004, 40)2, beschrieb Gerhard Timmermann
erstmals im Jahre 1941 das auf die sukzessive Verbindung von Kiel, Steven und Planken mit sekundär eingepassten Spanten gestützte Bauverfahren
(shell-first) des Nydam-Bootes (Timmermann 1941;
1956c, 404 – 406).
Im wissenschaftlichen Diskurs der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg wurden die Schiffsfunde aus dem
Nydam-Moor nach wie vor als frühe Vertreter einer
spezifisch skandinavischen Bootsbautradition betrachtet (Brøgger / Shetelig 1951, 33 – 41; Åkerlund
1963, 133 – 150; 159 f.). Die Diskussion der technikgeschichtlichen Verwurzelung des nordischen Klinkerbootes setzten schwedische und norwegische
Gelehrte fort: Dessen Ursprünge wurden im urgeschichtlichen Einbaum gesucht oder mit frühen Ver2
tretern von Wasserfahrzeugen verbunden, die man
sich in Kenntnis völkerkundlicher Zeugen oder der
antiken Literatur als mit Tierhaut bespannte Boote
vorstellte (zusammenfassend Crumlin-Pedersen
1972, 211 – 215). Demgegenüber griff Crumlin-Pedersen (1972, 215 – 233) erneut Humblas Sichtweise auf und begründete unter Hinzuziehung neuen
ethnografischen und schiffsarchäologischen Materials die Herleitung des doppelspitzgatt geformten,
mit eleganten Linien versehenen nordischen Plankenfahrzeugs aus dem gespreizten, zuweilen um
aufgesetzte Seitenplanken ergänzten Stammboot;
ganz anders Gerhard Falk (1980), der in einem
posthum veröffentlichten Aufsatz die beachtenswerte Theorie vertrat und begründete, dass nach
dem Auftriebsprinzip wirkende „Kielflöße“ mit
strömungsgünstig geschnittenen, wenn auch nicht
wasserdichten Schiffskörpern an den evolutionären Anfang nordeuropäischen Schiffbaus gehörten.
Man vergleiche z. B. Brøgger / Shetelig 1951, 28: „… must be easier to stretch skins on a timber skeleton than to carve
planks of wood, then fit them in and sew them to the framework“.
220
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
Das prähistorische Fellboot existierte für ihn
nicht.
1963 wies Harald Åkerlund (1963, 31 – 50; 155
Abb. 18; 30) auf die Deformation des erhaltenen
Fahrzeugs Nydam B hin. Dimensionale und formale Veränderungen wurden nicht nur durch die
Lagerung des Fahrzeuges im See bzw. im Moor
und durch natürlichen Trockenschwund der Hölzer nach der Bergung verursacht; auch die beim
Transport per Dampfschiff von Flensburg nach
Kiel 1877 dem Rumpf zugemutete Beanspruchung
sowie bei und nach seiner Remontage wiederholt
vorgenommene Ergänzungen (dazu besonders LaBaume 1948, 3 – 5; Åkerlund 1963, 49 – 52 Abb. 31;
Rieck 2002b, 454 f.) dürften zu dem Schwund beigetragen haben. Die anfängliche Unterbringung auf
einem nicht nur aus museologischem Blickwinkel
wenig geeigneten Dachboden in Kiel (Arenhold
1914, 184; Shetelig 1930, 5) und die kriegsbedingte
Auslagerung auf einer Schute bis zur Neuaufstellung in Schleswig haben aus heutiger Sicht als konservatorisch bedenklich zu gelten, so sehr sie auch
dazu beigetragen haben, dass das Fahrzeug in umfangreichem Maße erhalten geblieben ist.
Vom versierten Schiffskonstrukteur Frederik Johannessen 1929/19303 und von dem nicht minder
erfahrenen Schiffshistoriker Åkerlund bis 1961 erarbeitete Planzeichnungen und Linienrisse (vgl.
Shetelig 1930, Taf. 1 – 2; Åkerlund 1963, 31 – 62;
154 – 156 Taf. 4 – 5) unterscheiden sich in einer Weise, die auch dem in solcher grafischer Darstellungsweise ungeübten Auge auffällt. Scheint ersterer bei
seiner Vermessung und planerischen Dokumentation davon ausgegangen zu sein, dass die Rumpfform des seinerzeit in Kiel ausgestellten Rumpfes
mehr oder minder dem antiken Zustand entspricht,
stützte sich Åkerlund auf seine in Schleswig vorgenommenen Aufmessungen, berücksichtigte den
Schwund der Außenhaut und behielt bei seinen
designerischen Maßnahmen auch schiffsphysikalische Erwägungen im Auge (Åkerlund 1963, 34 – 44
Abb. 18). So geht auf ihn die Erkenntnis zurück,
dass bereits bei der von Engelhardt begleiteten Rekonstruktion des Rumpfes aus Originalteilen die
Ausrichtung der Keipen und die Anordnung des
Seitenruders als falsch zu gelten haben, somit Bug
und Heck vertauscht worden sind (Åkerlund 1963,
52 – 62; 156). Dänische Forschungen haben seit den
3
1990er Jahren die von Johannessen und Åkerlund
erstellten schiffsgeometrischen Entwürfe revidiert
und lieferten eine neue Rekonstruktion. Diese entstand auf der Basis eines in Roskilde entwickelten
Verfahrens, das sich die Konkordanz der Klinknagelbohrungen nach Remontage maßstäblich verkleinerter Plankenabwicklungen zu eigen macht
und mit einem hohen Grad Genauigkeit die ursprüngliche schiffsgeometrische Form erschließt
(Gøthche 2000; vgl. Gøthche in diesem Band;
Jensen 1999, 131 f. Abb. 5.16; 139 Abb. 5.24).
Der von Åkerlund (1963, 63 – 73 Abb. 48 – 49)
vertretenen Rekonstruktion einer demontierbaren
Längsvergurtung unter Verwendung der in größerer Zahl im Moor angetroffenen Augenhölzer trat
Detlev Ellmers (1972, 326 f. Nr. 140b – c) entgegen.
Letzterem war die Ähnlichkeit jener Objekte mit
Kompartimenten der Spantrahmen im HjortspringBoot aufgefallen. Er zog in Erwägung, dass das
Kiefernholzboot Nydam C mit einer vergleichbaren Rahmenkonstruktion ausgesteift war (Ellmers
1972, 327 Nr. 140c), hergestellt jeweils aus einer
kräftigen Haselnussrute, die U-förmig gebogen
und beiderseits durch die Enden eines Augenholzes gesteckt wurde. Galten Ellmers die Fahrzeuge
als typologische Vorläufer skandinavisch-altenglischer Ruderkriegsschiffe, stellte er sie als konstruktiv eng verwandte Mannschaftsboote neben
die bis ins 19. Jahrhundert in Schweden gebräuchlichen Kirchschiffe (ebd. 35 f. 48 – 52; 69). Bot Herbert Jankuhn (1977, 33) den skurrilen, Erwägungen
Ellmers’ (1972, 326 f.) aufgreifenden Deutungsversuch, es könne sich bei den Augenhölzern um eine
Art Abstandhalter für die Spantköpfe handeln,
werden sie inzwischen als Bestandteile vorfabrizierter Unterkünfte identifiziert, die unter dem Einfluss des römischen Militärzeltes gestanden haben
(Rieck / Jørgensen 1997, 222 f. Abb. 3).
Seit den späten 1980er Jahren unternommene
dendrochronologische Untersuchungen ergaben
für das antik zerstörte Eichenholzboot Nydam A
eine Bauzeit um 190 n. Chr. (ad 185 – 200), für Nydam B zwischen 310 und 320 n. Chr. sowie für
das Kiefernholzboot Nydam C von ca. 296 n. Chr.
(Bonde 1990; 1999; 2001, 355 f.; vgl. S. 229 f.) – das
Vorhandensein eines vierten Fahrzeuges im Moor
bleibt mysteriös (Crumlin-Pedersen / Rieck 1993,
41 – 44). Auf Neufunde der dänischen Ausgrabun-
Darauf basierende schiffsphysikalische Kalkulationen bei Herner 1932. Pläne und Berechnungen übernommen für
Bau und experimentelle Bewertung eines Modells im Maßstab 1 : 10: Timmermann 1956c. – Eine gleichermaßen dem
älteren Linienriss folgende Replik in natürlicher Größe, 1934/1935 für einen Propagandafilm gebaut: Timmermann
1956c, 407; Åkerlund 1963, 47 Abb. 27 – 28; 59 Abb. 36.
Einleitung
221
Hellenistische Form (Typ A);
kaiserzeitliche Form
Abb. 2 Verbreitung antiker Stockanker aus Eisen. –
(Typ B / C) (ergänzt nach Bockius 2000a);
typologische Bestimmung unsicher. — Fundorte Typ A: Agde, dép.
Herault, F. – Ashqelon, IL. – Camarina, Sizilien, I. – Cannes, dép. Alpes-Maritimes, F. – Cap Dramont, dép. Var, F. –
Capo Testa, Sardinien, I. – Isla Pedrosa, prov. Girona, E. – Isla Cabrera, Cabo Moro Boti, Balearen, E. – Isola di Mal
di Ventre, Sardinien, I. – La Ciotat, dép. Bouches-du-Rhône, F. – Los Ullastres, Cabo San Sebastian, prov. Gerona, E
(Typ A ?). – Portoferraio, prov. Livorno, I. – Punta Scaletta, Isola di Giannutri, I. – Secca di Capistello, Lipari, I. —
Fundorte Typ B / C: Agde, dép. Herault, F. – Insel Andros, GR. – Augst, Kt. Basel, CH. – Baratti, Toscana, I. – Bulbury, Dorset, GB. – Museum Cagliari, Sardinien, I (FO unbekannt). – Cala Mindola, Isola di Levanzo, I. – Cap Béar,
dép. Pyrénées-Orientales, F. – Cap Dramont, dép. Var. – Capo Granitola, Campobello di Mazara, Sizilien, I. – Capo
Rasocolmo, Sizilien, I. – Comacchio, Valle Ponti, Emilia Romagna, I. – Eich, Kr. Alzey-Worms, D. – Rheinmuseum
Emmerich, Kr. Kleve, D (2 Exemplare, ev. FO Salmorth oder Rindern). – Fiumicino, Lazio, I. – Grand Ribeaud, Îles
d’Hyères, dép. Var, F. – Île de Planier, dép. Bouches-du-Rhône, F. – Île du Grand Rouveau, dép. Var, F. – Île du Petit
Congloué, dép. Bouches-du-Rhône, F. – Isla Cabrera, Balearen, E. – Isola di Bergeggi, Liguria, I. – Isola di Montechristo, Tyrrhenisches Meer, I. – Iža, okr. Komárno, SK. – Kap St. Andreas, Bez. Famagusta, CY. – Kap Plavac, Insel Zlarin,
HR. – Kuyu burnu, prov. Balikesir, TR. – La Chrétiennes, bei Agay, dép. Var, F. – Lago di Nemi, Lazio, I. – Les Sorres,
Lobregat-Delta, prov. Barcelona, E. – Mainz, D. – Malamocco, Venedig, I. – Marritza, Sardinien, I. – Mündung des
Arade, Algarve, P. – Newe Yam, IL. – Novi Sip, Bez. Kladovo, RS. – Nydam Mose, Sottrupskov sn., Südjütland, DK. –
Pisa, Toscana, I. – Halbinsel Plemmirio, Sizilien, I. – Pompeji, Campana, I. – Porto Badisco, Apulien, I. – Port-Vendres,
dép. Pyrénées-Orientales, F. – Punta Braccetto, Camarina, prov. Ragusa, I. – Randello, Sizilien, I. – Rindern, Kr. Kleve,
D. – Rom, Ponte Cavour, I. – Salmorth, Kr. Kleve, D. – Scarponne, Gem. Dieulouard, dép. Meurthe-et-Moselle, F. – Ses
Salines, Colònia de Sant Jordi, Mallorca, E. – Museum Side, prov. Antalya, TR (FO unbekannt). – Skoljic-Riff, Insel
Unije, HR. – Sobra, Insel Mljet, HR. – Sud-Lavezzi, dép. Corse, F. – Vechten, Gem. Bunnik, prov. Utrecht, NL. – Villepey bei Fréjus, dép. Var, F. – Vimose, Odense, Fünen, DK (Typ B / C ?). – Stadtmuseum Worms, D (FO unbekannt). –
„bei Xanten“. – Nicht kartiert: Duisburg bzw. Rheinhausen, D.
222
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
gen der Jahre 1989 – 1999 gestützt, konnte Flemming
Rieck Wesentliches zu schiffbaulichen Eigenarten
und Ausstattung der Fahrzeuge sowie ihrer Rekonstruktion beisteuern, so dass sich heute ein deutlich
schärferes Bild ergibt (Rieck 1994b; 1997b; 1998a;
1998b; 1999; 2000; 2002a; 2002b; 2003; 2004c; 2006;
vgl. Rieck in diesem Band).
Die Wahrnehmung des großen Eichenholzschiffes Nydam B durch die provinzialrömische
Archäologie reicht bis ins späte 19. Jahrhundert
zurück, als der Ausgräber des frühkaiserzeitlichen
Mannschaftsbootes von Bunnik-Vechten, Samuel
Muller, Zeichnungen aus Engelhardts NydamPublikation zur Wiederherstellung seines eigenen,
aufgrund ausgrabungsspezifischer Kalamitäten
erst nachträglich dokumentierten Befundes herangezogen zu haben scheint (dazu De Weerd 1988,
194; Bockius 2002a, 105 – 118), ohne freilich Schlussfolgerungen zu ziehen, die technikgeschichtliche
Zusammenhänge zwischen beiden Fahrzeugen begründet hätten.
Rund ein Jahrhundert später konzedierten Detlev
Ellmers (1983, 531 f.) und Ole Crumlin-Pedersen
(1990, 113 [Riemenantrieb und Klinknagel]; 1997a,
185; 187 Abb. 1 – 3), dass der im Norden innovative
Riemenantrieb ebenso wie die Verwendung des seinem Wesen nach mediterranen Eisenankers (Abb. 2)
sowie des Bootsniets germanischer Nachahmung
bzw. Übernahme unterliegen. Konzeptuelle Gleichläufigkeiten von Nydam B und des spätrömischen
Fahrzeugtyps Mainz A anerkennend und selektiven Technologietransfer in Rechnung stellend, bestritt Crumlin-Pedersen indes die Vorbildfunktion
römischer Mannschaftsboote im konstruktiven Sinne (ebd.). Zuletzt lockerte er seine Skepsis und listete unter der Überschrift „Roman influence“ weitere
4
Gesichtspunkte auf, die den technikgeschichtlichen
Schnitt zwischen Hjortspring und Nydam ausmachen, darunter die Verwendung von eisernen
Klinknägeln und von Eichenholzplanken relativ
einheitlicher Besäumung sowie die bootsbauliche
Einführung des Kiels, dem mittels einer im antiken
Ostseeraum zuvor unbekannten Holzverbindung
gleichartig geformte Vor- und Achtersteven angesetzt werden. Den Ideentransfer trugen aus seiner
Sicht hauptsächlich in den Norden zurückkehrende
germanische Hilfstruppenangehörige und ehemalige Soldaten der an Rhein und Donau stationierten
„Flotten“, im 3. Jahrhundert auch die das litus Saxonicum bedrohenden Sachsen (Crumlin-Pedersen
1990, 111 – 113; 2010, 68). Zwar zitiert Crumlin-Pedersen den Übergang vom Paddel- zum Riemenantrieb gleichermaßen unter „Römischer Einfluss“,
folgt jedoch dem in der skandinavischen Forschung
diskutierten ikonografischen Beleg für die Existenz
nordischer Ruderfahrzeuge bereits zur mittleren
vorrömischen Eisenzeit, gestützt auf ein Petroglyph
des Felsbilderfeldes Dalbo II, westlich von Oslo
(Crumlin-Pedersen 2010, 68; 70 Abb. 2.70)4.
Angeregt durch fachliche Gespräche über das
Phänomen der nordischen Klinkertechnik mit
Crumlin-Pedersen und dem Verfasser ging George
Indruszewski (2009a; 2009b) dem Problem der Entstehung jenes schiffbaulichen Verfahrens nach und
verwies auf Vorlagen im gallorömischen Milieu,
dort namentlich am provinzialrömischen Binnenschiff. Technologische Einflüsse aus einer im norddeutsch-polnischen Raum gedachten Technikzone
erläuterte Indruszewski (2003, bes. 332 – 335) zuvor
mit teils gegenseitiger Durchdringung germanischskandinavischer Bautraditionen monoxyler Boote
und Plankenfahrzeuge.
Zur Bootsdarstellung und ihrer Datierung vgl. Østmo 1992, 11 – 14; 42 – 44 Abb. 5 – 6; 26; 2006, 61 – 69 Abb. 6; Kaul 2003,
195 Abb. 5.19).
Überlieferung, Erhaltung und Vergleichsmaterial
223
ÜBERLIEFERUNG, ERHALTUNG
UND VERGLEICHSMATERIAL
Die Revision der im 19. Jahrhundert ergrabenen
Schiffsfunde aus dem Nydam-Moor steht unter
dem dominierenden Eindruck des im Archäologischen Landesmuseum Schleswig ausgestellten
„großen Eichenholzschiffes“ Nydam B, das aufgrund seiner vergleichsweise guten substanziellen
Erhaltung dem Betrachter ein dreidimensionales
Bild vermittelt, das sich uns für die Boote Nydam A
und C entzieht. Hier können auch die während der
dänischen Grabungen von 1989 – 1999 dokumentierten Funde und Befunde nur in bescheidenem Maße
beitragen, da allenfalls Abmessungen und gewisse
formale Kriterien beider komplett zerstörter Rümpfe erschlossen werden können. Dennoch ist die wissenschaftliche Aussagekraft der jüngst gehobenen
Bootsteile kaum zu überschätzen, tragen doch die
neueren Aufschlüsse zum Verständnis der individuellen Bootsausstattungen bei. Das ist insofern
als großer Fortschritt zu werten, als sich dadurch
Aufschlüsse einstellen, die auch die Fahrzeuge Nydam A und C in Umrissen Gestalt annehmen lassen, wenn auch mehr im konstruktiven denn im
schiffsgeometrischen Sinne. Dabei stehen typologische und technische Parameter im Vordergrund,
Baumaterialien bzw. Holzarten, die Gestaltung
und Anordnung von Fittings und – nicht zuletzt –
bootsbauliche Verfahrensmuster. Wir verlassen
uns bei der Beurteilung des Erkenntniszugewinns
weitgehend auf die hier und in der Vergangenheit
publizierten Daten Flemming Riecks, der als bester
Kenner der Materie für eine Reihe Neufunde die
Zuweisung nicht mehr im Verband angetroffener
Objekte zu einem der drei Rümpfe begründet (vgl.
Rieck in diesem Band).
Zur technikgeschichtlichen Herleitung des Fundstoffs aus dem Nydam-Moor eignen sich alle zeitgenössischen und älteren schiffsarchäologischen
Befunde, die Merkmale mit ihnen teilen. Vom unten näher zu beleuchtenden provinzialrömischen
5
Material sowie von bronze- und eisenzeitlichen
Primär- und Sekundärquellen aus England, Wales
(Crumlin-Pedersen 2003b) und Irland (unten
S. 253 – 256) abgesehen, handelt es sich um Relikte
der jüngeren vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit aus Dänemark, Norwegen und
Schweden (Abb. 3).
Eine Schlüsselrolle kommt nach wie vor dem
Moorfund von Hjortspring auf Alsen zu, dem vor
wenigen Jahren erneut und in verschiedener Weise
Aufmerksamkeit geschenkt worden ist (Rosenberg
1937; Valbjørn u. a. 2000; Valbjørn 2003a; 2003c;
Crumlin-Pedersen / Trakadas 2003; Indruszewski
2009b, 689 – 699). Dem von Hjortspring vertretenen
Fahrzeugtyp lässt sich eine lange als Bootsausstattung unerkannt gebliebene, in den 1920er Jahren
im schwedischen Norrland aufgedeckte Sitzducht
aus der Zeit um 220 v. Chr. an die Seite stellen
(Jansson 1994; Holmqvist 1997). Die aus Kiefer
gefertigte, mit zwei anatomisch geformten Sitzen
versehene Ducht ähnelt denen aus dem Moorfund
auf Als, zeigt indes Merkmale, die ihre Montage in
einem hölzernen Boot mit massiven Spanten oder
gebogenen Querrahmen anderen Querschnitts
implizieren.
Beiden Funden scheinen sehr schlecht erhaltene
Bootsreste zeitlich nahe zu kommen, die zwischen
etwa 1920 und 1931 beim Torfstechen aufgedeckt
und 1943 sowie 2006 bei Nachgrabungen nahe dem
Hof Haugvik im äußersten Süden des norwegischen Norrlands freigelegt wurden (Sylvester 2009
mit weiterer Lit.). Dabei handelt es sich mehrheitlich um Bruchstücke von Kiefernholzplanken, die
jeweils mit noch (?) bis zu zwei perforierten Klampen zum Festzurren von Spanten versehen waren.
Vier Radiokarbondaten verweisen auf einen Ansatz
in der späten Bronze- bis in die späte vorrömische
Eisenzeit5. Da bis auf die Knaggen und einmal den
Nachweis zweier Holznägel aus Weide oder Espe
Zur Datierung der Bootsreste von Haugvik siehe S. 276 mit Anm. 54.
224
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
typologisch verwertbare Maßgaben fehlen, steht
die Identifizierung der Fragmente als Relikte eines
genähten oder geklinkerten Fahrzeuges aus.
Zwei ebenfalls dürftig erhaltene Funde von den
Inseln Halsnøya und Valderøya vor der Südwestküste Norwegens gehen auf genähte Plankenboote
aus Kiefernholz mit Zurrklampen und Dichtmittel
(imprägnierter Wollstoff) zwischen den überlappenden Planken zurück; sie wurden mit Tiersehne bzw. Bastschnur vernäht. Vom Halsnøy-Boot
wurden noch ein Spant sowie eine Riemendolle
geborgen (Shetelig 1917, 359 – 363 Abb. 158 – 162;
Færøyvik 1937; Brøgger / Shetelig 1951, 24 – 26;
34; 39 mit Abb. S. 25; Ellmers 1972, 332 f. Nr. 162;
166). Die Ergebnisse ihrer Altersbestimmung anhand von 14C-Proben kommen der Entstehungszeit der Schiffsfunde aus dem Nydam-Moor nahe
bzw. fallen noch in die späte Kaiserzeit; Valderøy
240 – 420 ad, Halsnøy 390 – 535 ad (Myhre 1980).
Jüngere Untersuchungen der spärlich erhaltenen
Relikte lieferten neue Erkenntnisse zur Nähtechnik sowie zum Herstellungsverfahren der Planken
(Fasteland 1996).
Das Fragment eines Flachkiels oder einer Planke
aus Kiefernholz mit zwei erhaltenen Zurrklampen
kam in sekundärer Verwendung als Teil einer Brunnenverschalung bei einer völkerungswanderungszeitlichen Hofstelle in Hjemsted Banke, Skærbæk,
Südjütland zum Vorschein (Rieck / Crumlin-Pedersen 1988, 135 mit Abb. unten). Die auf einem
Moränenrücken am Geestrand, gut 3 km vom heutigen Küstenverlauf der Nordsee entfernt gelegene
Siedlung bestand schon zur älteren Kaiserzeit; ihr
gingen Häuser aus dem Übergang von der Spätbronze- zur Eisenzeit voran. Die dendrochronologisch datierten Brunnen gehören ins 5. bis in die
1. Hälfte vom 6. Jahrhundert6.
Bootsrelikte vom Fundplatz Mangersnes auf
Radøy nördlich von Bergen beanspruchen trotz
ihrer heterogenen Zusammensetzung Interesse als
Parallelen. Auszumachen sind beschädigte Dollen
unterschiedlicher Verbindungstechnik, Spantbruchstücke, Fragmente von Riemen oder vom Seitenruder sowie Plankenreste, die im Boden mit großen
Mengen hölzerner Werkabfälle vermengt waren.
Bei dem Fundstoff scheint es sich um Rückstände
6
7
eines über Jahrhunderte hinweg genutzten Instandsetzungsplatzes für kleinere Boote zu handeln, dessen Nutzung mit einer mutmaßlichen Fischfalle in
Verbindung gebracht wird. Die ältesten Radiokarbondaten lieferten eine Dolle vom Nydam-/Halsnøy-Typ mit Alter von cal. 30 bc – 250 ad sowie das
Fragment eines gelaschten Spants, ad 25 – 130. Andere Objekte nähern sich dem typochronologisch an,
teils sind sie völkerwanderungszeitlich einzustufen
(Ekroll 1988; 1989; A. E. Christensen 1995. B. Kolflåth: www.mangerkulturen.no/utvikling_1/litlist.
htm.)
Ein etwas anders zusammengesetztes, aber auch
Bootsteile umfassendes organisches Fundmaterial
wird aus einem verlandeten Arm am Unterlauf des
Grönån bei Kattleberg, Skepplanda sn., der ins Kattegat mündet, gemeldet (Nordqvist 2011). Darunter befinden sich unter anderem zwei Keipen, ein
Knie sowie Bruchstücke von Riemen, Spanten mit
Hinweisen auf Zurrverbindung und Plankenreste.
Nach den in größerer Zahl verfügbaren Radiokarbondaten sind einzelne der Objekte älter anzusetzen als der Nydam-Horizont (Nordqvist 2011, 21;
87 f. Beil. 2).
Am Mooropferplatz Ejsbøl bei Haderslev kamen
Bruchstücke von Riemen sowie die Keipe eines
leichteren Fahrzeuges zum Vorschein, von denen
die Dolle aufgrund ihrer stratigrafischen Verknüpfung mit Waffen und Schmuckgegenständen der
beginnenden Völkerwanderungszeit zugeschrieben
wurde (Ørsnes 1988, 23 – 24; 98; 154 Taf. 191,11 – 12;
201 [Ejsbøl-Süd]). Billigt man den erhaltenen Bootsteilen den Charakter von Driftholz zu, kommt für
sie auch kaiserzeitliches Alter in Betracht, da die
Grabungen im Moor an verschiedenen, teils bis zu
200 m entfernten Fundstellen Konzentrationen von
Klinknägeln aufgedeckt haben, die mit Einzeldeponierungen einer gemeinsamen Opferung der Stufe C 2 in Verbindung gebracht werden7. Die Dolle
von Ejsbøl zeigt Merkmale, die auf eine Verzurrung
mit dem Schergang des Bootes schließen lassen, unterscheidet sich vom Typus Nydam-Halsnøy indes
dadurch, dass der Grummet-Stropp zur Fixierung
des Riemens durch eine runde Ausklinkung an
der Basis des Beschlages, unterhalb vom Horn der
Keipe, geführt war. Die zierlichen Abmessungen
Ethelberg 1988, 136; 138 erwähnt zwar das Bootsteil, bezeichnet aber nicht die nähere Herkunft. Nach seiner Beschreibung (ebd. 141) könnte es sich um den Brunnen 18781 handeln, datiert 489 ± 55 n. Chr. – Crumlin-Pedersen 1990, 108
mit Datierung ins 7. Jahrhundert.
Für das Grabungsareal 1998/1999, Komplexe D und E vgl. Andersen 2003, 251 – 254 Abb. 9 – 11, für das Grabungsareal
1955 – 1964, Ejsbøl-Süd, vgl. Ørsnes 1988, 23 f. 95 – 98; 153 Taf. 191,1 – 10; 192 – 200 (Andersen 2003, 256 verortet die
Bootsniete irrtümlich in Ejsbøl-Nord). – Einzelne sehr große Nägel und Fragmente ohne Beschläg mitgerechnet, handelt es sich um mehr als 700 Eisenverbinder.
Überlieferung, Erhaltung und Vergleichsmaterial
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Abb. 3 Verbreitung vorrömisch-eisenzeitlicher und kaiserzeitlicher Plankenfahrzeuge im westlichen Ostseeraum und Skandinavien, nach hölzernen Relikten;
Datierung unsicher. – Fundorte: 1 Nydam Mose; 2 Hjortspring; 3 Hjemsted; 4 Ejsbøl; 5 Kattleberg; 6 Halsnøy; 7 Björke; 8 Mangersnes; 9 Valderøy; 10 Hampnäs; 11 Haugvik.
226
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
der Dolle ließen offenbar ein seitliches Durchbohren bzw. Durchlochen nicht zu. Das beste Gegenstück bietet eine freilich kürzere, über Verzurrung
hinaus auch mit Holznägeln befestigte Keipe aus
Mangersnes (A. E. Christensen 1995, 75 – 77 Abb. 7),
die gemäß ihrer Radiokarbondatierung in die ältere
Vendelzeit gehört.
Eine Sonderstellung hinsichtlich seiner Konstruktion nimmt das wohl noch spätkaiserzeitliche Wrack
aus Björke in Mittelschweden ein (Humbla 1949;
Mellander 1984). Das als Bootsopfer deponierte,
aufgegebene oder verloren gegangene Fahrzeug8
besteht aus einem gehöhlten, anschließend gespreizten Lindenholztrog, an den je ein Seitenbord
aus Kiefer in Klinkertechnik angesetzt worden ist. In
gleicher Manier wurden Steven und eine Flickung
am Boden fixiert. Gewachsene Spanten aus Tanne
mit in der Stärke abgesetzter Sohle waren durch
gestemmte Öffnungen hindurch mit Weidenruten
an den Zurrklampen von Trog und Seitenborden
verlascht. Die Sicherung eines längeren Risses im
monoxylen Boden erfolgte durch eine mit Klinknägeln (?) befestigte Latte, während ein kleiner Riss
mit zwei Weidenruten zusammen gezurrt wurde
(Humbla 1949, 11 – 13 Abb. 6; 18 f. Abb. 13 – 14)9.
Handelt es sich bei dem Fund von Björke um
ein ursprünglich rund 7 m langes, mehrteiliges
Stammboot in Doppelspitzgattbauweise mit geweitetem Trog, sind jenem Typus weitere kaiserzeitliche Einbäume mit angesetzten Komponenten an
die Seite zu stellen. Ihre Verbreitung konzentriert
sich auf küstennahe Fundplätze im westlichen
und südlichen Ostseeraum, wobei einschränkend
festzuhalten ist, dass eine Mehrteiligkeit der Fahrzeuge erhaltungsbedingt eher selten nachgewiesen werden kann (Crumlin-Pedersen 2006, bes.
40 f. Abb. 6 – 7; 56 Tabelle 1 Nr. 1 – 9)10. Unter ihnen
eignen sich allein die erweiterten, mit Spanten
ausgestatteten, monoxyl basierten Fahrzeuge von
Vaale und der Lecker Au zum schiffstechnischen
Vergleich mit Nydam; das über 12 m lange Boot von
Vaale bedingt, da hier im Rahmen seiner Vorbereitung zur Ausstellung im Museum Vaterländischer
Alterthümer Kiel Restaurierungen vorgenommen
wurden, die den Befund nicht unerheblich verstellen (zitiert bei Timmermann 1956a, 219; Hirte 1987,
726; 728 – 734; Kat. 52 Nr. 85 Taf. 17; 1989, 113 – 118
8
9
10
Abb. 3 – 4; Autopsie des Verf. in Schleswig). Zählen
dazu moderne Ergänzung und komplette Nachbildung von Spanten, professionell vervollständigte Schiffsenden, Flickungen sowie serienweise
Nagellöcher in den Bordwänden, scheinen die zur
Reparatur eines langen Risses angelegten Schwalbenschwanznuten ebenso wie bei einem frühkaiserzeitlichen Fund aus Dänemark antik zu sein (Hirte
1989, 119; 125 Abb. 8).
Am Vaaler Stammboot waren die Spanten mit
Holznägeln in der monoxylen Schale fixiert. Dasselbe trifft für den leider zugrunde gegangenen
Einbaum von Leck zu. Überdies teilten beide Fahrzeuge ebenso wie ein später aufgefundenes Stammboot aus dem mitteljütländischen Bjedstrup (Meyer
2002) an den Bordkanten (?) Relikte von binnenbords ausgesparten Knaggen, zumindest im Falle
von Vaale mit senkrechten Bohrungen bzw. Zapflöchern (Hirte 1989, 118 f. Abb. 6 – 7; 122 – 124 Abb. 10;
131). Jeweils spiegelsymmetrisch an beiden Seiten
über den Bootskörper verteilt, hätten ihre Abstände (Leck: mittschiffs ca. 90 – 95 cm; sonst 80 – 85 cm;
Vaale: ca. 90 – 100 cm) konventionellem Riemenantrieb genügt. Indes leiten sich von der rekonstruierten Mittschiffsbreite der Rümpfe, wohl etwas über
1 m beim Vaaler Stammboot und etwa 1,4 m beim
Fund von Leck, Querschiffsräume ab, die allein
Paddelantrieb zugelassen hätten, es sei denn ihre
ursprüngliche Rumpfbreite wäre durch angesetzte
Seitenborde und Beschläge deutlich größer ausgefallen, als es die ausgegrabenen Relikte zu erkennen
geben. Dass im Stammboot von Leck ein unter zwei
Spanten geschobenes (?) Paddel angetroffen wurde,
spricht ebenso wie die Rumpfabmessungen gegen
Ruderantrieb. Für den Einbaum sind mit eisernen
Nieten vorgenommene Reparaturen überliefert,
und die Spanten scheinen über Nüstergatts verfügt
zu haben (Hirte 1987, 738 – 741; Kat. 31 – 32 Nr. 51
Taf. 9).
Beide Fahrzeuge werden als schlanke Doppelspitzgatter mit weit ausfallenden Stevenkonturen
rekonstruiert, die monoxylen Eichenholzrümpfe
geweitet, was die Aufkimmung der Böden vorne
und achtern (Rocker) zur Folge hatte. Im Boot aus
der Lecker Au fällt ein Spant mit einer zentralen
Mastspur (?) auf, die als querschiffs verlaufende
langrechteckige Einlassung (5,5 × 13,7 cm) gut 6 cm
Timmermann 1956b, 223 identifiziert die im Wrack angetroffenen Steine als Ballast, was für ein nicht besegeltes Fahrzeug wenig plausibel erscheint.
Eine Parallele dazu bietet das stark beschädigte wikingerzeitliche Stammboot von Fiholm, Västmanland, mit Knaggen und genähten (?) Rissreparaturen, abgebildet bei McGrail 1981, 214 Abb. 4.1.1. Zur Datierung Lanting 1998, 69
(bp 985 ± 95).
Vgl. dazu die Bootsgräber bei Madsen 1994; Johansen 2001; Ossowski 2003.
Überlieferung, Erhaltung und Vergleichsmaterial
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Abb. 4 Verbreitung kaiserzeitlicher Stammboote (1. Jahrhundert v. Chr. bis 3. Jahrhundert n. Chr.). – Rümpfe:
konventionell gehöhlt; künstlich gespreizt;
Typisierung ungewiss. – Fundorte: 1 Pommerœul; 2 De Meern;
3 Steinhuder Meer; 4 Jemgum; 5 Schonungen; 6 Gieten; 7 Ritsch; 8 Vaale; 9 Haale; 10 Lecker Au; 11 Egernsund; 12 Vimose; 13 Hedegård; 14 Tebbestrup; 15 Siljan; 16 Västra Frölunda; 17 Jyllinge; 18 Hillerød; 19 Slusegård; 20 Bobrowniki; 21 Naramowice; 22 Barkarby; 23 Valentuna; 24 Ulkowy; 25 Weklice; 26 Kraków; 27 Kozarze; 28 Masłomęcz.
tief in das Spant eingesenkt worden ist. Käme hier
aus hydrodynamischen Gründen allenfalls eine
leichte Treibbesegelung in Betracht, wird man den
Booten Paddelantrieb zubilligen dürfen; Hirte ging
von Stakantrieb aus (Hirte 1989, 129 – 132). Radiokarbondatierungen liefern für beide Boote einen
Ansatz ins 2. / 3. Jahrhundert n. Chr.11.
Angesichts Seitenhöhen von mittschiffs knapp
über einem halben Meter erscheint eine Interpretation der Knaggen als Befestigungspunkte für Setzborde durch Christian Hirte (1989, 131 f. Abb. 12,3)
zunächst nachvollziehbar. Ältere Ergänzungsvor11
schläge gingen von dort aufgelegten, mit Holznägeln befestigten Duchten aus (zuletzt Åkerlund
1963, 118 – 120 Abb. 79) – eine Rekonstruktion, die
man angesichts des wohl noch ins 5. Jahrhundert
gehörenden Stammbootes von Bjedstrup in Zentraljütland (Meyer 2002, 36) wiederbeleben möchte.
Der nach Augenschein künstlich geweitete monoxyle Rumpf mit von 3 auf 1 cm Wandstärke reduzierten Seiten ist unvollständig, jedoch mit einem
teilweise erhaltenen Ende überliefert. Die Oberkanten des maximal 80 – 90 cm breiten und kaum
40 cm tiefen Trogs verfügen über noch zwei Paare
Vaale: bp 1820 ± 55; cal. ad 198 ± 69; Leck: bp 1790 ± 44; cal. ad 231 ± 72.
228
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
Abb. 5 Vaale, Kr. Steinburg. Entwurf einer sektionalen
Rekonstruktion des Stammbootes, gestützt auf den Befund. – Ohne Maßstab.
binnenbords überstehender Knaggen mit annähernd senkrechten, unten die Knaggen durchstoßenden Zapflöchern unsymmetrischen Querschnitts
und einem Längsabstand von 115 cm. Zum stärker
in Mitleidenschaft gezogenen Abschnitt des Bootskörpers hin mögen mehr Strukturen dieser Art
existiert haben. Offensichtlich ohne Spanten ausgestattet und einer Reihe weiterer künstlich geweiteter Stammboote an die Seite zu stellen (Abb. 4),
wird man hier davon ausgehen können, dass der
Bootskörper ursprünglich mit quer aussteifenden
Traversen in Form gehalten wurde, die mit den
Knaggen durch passgerecht geschnitzte Hölzer verbunden waren. Das schließt aber weder aus, dass
jene Spreizen als Duchten genutzt wurden, noch
dass ihre massive Verstiftung eine komplementäre Befestigung jeweils eines Setzbordes zugelassen
hatte (Abb. 5). Angesichts der vergleichsweise großen Distanz der Montagepunkte und ihrer kleinen
Zahl kann hier von einem Mannschaftsboot nicht
die Rede sein. Dem – zweifelsohne gepaddelten –
Fahrzeug werden nicht mehr als ursprünglich 5 m
Länge zugestanden. Trotz vergleichbarer verbindungs- bzw. beschlagstechnischer Merkmale ist der
Fund von Bjedstrup anders zu klassifizieren als die
Stammboote von Vaale und Leck.
Behält man Form, Ausstattung, Betriebsart und
Bauweise der Schiffsfunde aus dem Nydam-Moor
im Blick, lassen sich im provinzialrömischen Milieu
ebenso wie im Mittelmeergebiet archäologische Primär- und Sekundärquellen namhaft machen, die auf
die eine oder andere Weise zum Vergleich taugen.
Um mit Letzteren zu beginnen, ist hier auf ein spätrömisches Graffito im Horologion des Andronikos
(„Turm der Winde“) in Athen hinzuweisen, dass die
Silhouette eines Kriegsschiffes vom Typ Neumagen
zeigt, ausgerüstet mit sichelförmigen Dollen, deren
Druckpunkte eindeutig nach achtern orientiert sind
(Damianidis 2011, 87 f. Abb. 2 – 3; vgl. hier Abb. 32).
Die Darstellung zeigt nicht nur einen für Südeuropa ganz ungewöhnlichen Dollentypus, sondern aus
ihr geht auch ein Betriebsschema der Riemen hervor, das dem mediterranen Ruderfahrzeug fremd
war, hingegen der am nordeuropäischen Ruderfahrzeug üblichen Anordnung mit heckwärts an
der Dolle anliegendem Riemen entspricht.
Sodann werden Darstellungen eine Rolle spielen,
die zeitgenössische Mannschaftsboote abbilden,
unter anderen zwei reliefverzierte Scherben aus der
Trierer Sigillata-Manufaktur (Ellmers 1977 – 1978).
Zwecks Beurteilung der Eisenanker aus dem Nydam-Moor und aus Vimose (Ilkjær / Lønstrup
1981; Ellmers 1988; Bemmann / Bemmann 1998b, 48
Nr. 378 Taf. 30,378; Rieck 2004b, 175 f.; Buchwald
2004) kann auf reichen Fundstoff in der römischen
Welt verwiesen werden (Abb. 2).
Unter den provinzialrömischen und mediterranen Schiffsfunden sind sämtliche Wracks geruderter Plankenfahrzeuge (Zusammenstellung in
Bockius 2012, 381 – 390) heranzuziehen, um bootsbauliche und ausstattungstechnische Unterschiede
oder Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Über die
Mannschaftsboote vom Typ Oberstimm (Bockius
2002a) und die Mainzer Schiffsfunde (Bockius 2006)
hinaus lohnt sich ein Blick auf das spätantike, mehrteilige Stammboot in Yverdon-les-Bains (Arnold
1992), das bauliche und betriebliche Schnittmengen
mit den Fahrzeugen aus Leck und Vaale teilt. Nicht
zuletzt sind sämtliche mit überlappender Seitenbeplankung versehenen römischen Binnenfrachter aus
dem Rheingebiet (Bockius 2000b; de Groot / Morel
2007; Jansma / Morel 2007) und die Reste eines
geklinkerten Rumpfes aus Bordeaux (Sibella u. a.
2006) in Augenschein zu nehmen, ebenso einzelne
homologe holzhandwerkliche Befunde an gallorömischen Plattbodenfahrzeugen (De Boe / Hubert
1976, 233; De Boe 1978, 27; Haalebos 1996, 483 – 485
Abb. 6 – 7 Taf. 67,2; 74,2 – 76,1; Jansma / Morel 2007,
123 – 127 Abb. 6.14; 140 f. 146 f. Abb. 7.5 u. Beil.).
229
BAU- UND AUSSTATTUNGSTECHNISCHE
REKONSTRUKTION
Da Flemming Rieck (in diesem Band) die Zuordnung
von Neufunden als Komponenten individueller
Fahrzeuge und die Möglichkeiten ausstattungstechnischer Ergänzung ausführlich erörtert, kann
ich mich hier auf das Wesentliche beschränken,
ohne auf forschungsgeschichtliche Details eingehen
zu müssen. Zunächst sei festgehalten, dass der geheimnisumwitterte Bootsfund Nr. 4 („Nydam D“)
allzu vage erscheint, um näher in Betracht gezogen
zu werden. Als Repräsentant eines vierten Bootes
werden das Fragment einer Kiefernholzplanke sowie eine unvollständige Dolle aus Birkenholz, die
den Beschlägen aus Erle des Kiefernholzbootes
typologisch nahesteht (Crumlin-Pedersen / Rieck
1993, 41 Abb. 7.2), bemüht. Sollten diese Relikte auf
ein sonst nicht erfasstes Fahrzeug zurück gehen,
wäre dieses schiffstypologisch näher an Nydam C
zu rücken als an die Eichenholzboote.
Als schiffstechnische Gemeinsamkeiten besitzen
die drei archäologisch nachgewiesenen Fahrzeuge
die überlappende Beplankung mit Klinknagelverbindungen, Schergänge mit nach außen verdicktem
Dollbord sowie in der Plankenschale an Zurrklampen befestigte Spanten. Betriebstechnisch sind sie
durch ihre zugeordneten Dollen sämtlich als Ruderfahrzeuge charakterisiert. Andere Merkmalsverwandtschaften beschränken sich auf jeweils zwei
der Bootsfunde. Das um 190 n. Chr. gebaute, vor
seiner Deponierung im See intentional zerstörte Eichenholzboot Nydam A12 entsprach hinsichtlich der
für seine Beplankung und das Dollbord verwendeten Holzart dem um mehr als ein Jahrhundert jüngeren Nydam B. Hingegen gleichen seine lateral
mit Schnitzfurchen ornamentierten Zurrklampen
denen des Kiefernholzbootes (Rieck 1998b, 268; 276
Abb. 108; 111). Den aus der Anordnung der Knaggen
abgeleiteten Spantabstand von 105 cm bzw. rund
1,08 m (Crumlin-Pedersen / Rieck 1993, 44; Rieck
1998b, 268; 281; 2000, 209; 2002a, 76; 2002b, 452; 2003,
299) trifft man auch im erhaltenen Eichenholzboot
12
an, dort mittschiffs in den Sektionen 4A / 3A, 1A / 0
und 0/1F; folglich hat Nydam A zweifelsohne als vergleichbar großes Fahrzeug zu gelten. Das massive
kantholzförmige Dollbord, das mit dem Schergang
mittels senkrecht gesetzter Holznägel verbunden
war, verfügte über bei der Zurichtung des Rohlings
ausgesparte klotzartige Riemenwiderlager mit quer
verlaufender Durchlochung für Grummets (Engelhardt 1865, 6; 64 Taf. IV,27; Rieck / Crumlin-Pedersen 1988, 114 mit Abb.).
Das vielleicht noch dem 3. Jahrhundert angehörende, aufgrund eines Terminus post quem um
320 n. Chr. oder später in das 4. Jahrhundert zu
datierende Kiefernholzboot (Bonde 1999, 31; Bonde / Daly 2000, 4 – 6 Abb. 4; vgl. dazu Rau 2010,
44 – 46 Anm. 3) unterscheidet sich von Nydam A
durch seine gemischte Beplankungstechnik, durch
sein Baumaterial und die Konstruktion vom Dollbord. Vor seiner unrühmlichen Zerstörung mit
einem massiven querformatigen Kiel mit festen
Stevenanläufen versehen, war der Schiffskörper in
Klinkerbauweise erstellt, ausgenommen die beiden
Schergänge aus Lindenholz, die mit den obersten
Plankengängen aus Kiefer überlappend mit Lindenbast vernäht waren; in gleicher Weise waren
die Schergangsplanken miteinander verschäftet.
Als Abdichtungsmedium begegnet imprägniertes
Gewebe. Die Bordkanten der Lindenholzgänge waren auf bis zu 4,5 cm Stärke verdickt und boten so
Auflagefläche für Dollen aus Erlenholz und Birke
(FNr. 9229), die gewöhnlich an vier Stellen durch
weite Bohrlöcher im Schergang hindurch mit Lindenbasttampen verzurrt wurden. Bei den Dollen
handelt es sich um knapp 1 m bis 117 cm lange
Beschläge mit D-förmigem Querschnitt, die aneinander gereiht, fast immer an beiden Enden durch
vertikale Blattverbände überlappend, eine nur
durch die aufragenden Riemenwiderlager unterbrochene Dollbordlinie bildeten. So entstand der
optische Eindruck eines homogenen Dollbords,
Zur Chronologie der Niederlegung vgl. Rau 2010, 33 f. 42 f. Zum Fällalter Bonde / Daly 2000; Bonde 2001, 355 f.
230
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
dessen Segmentierung kaum wahrnehmbar war,
sieht man von individuellen gestalterischen Besonderheiten jeder Einzeldolle ab. Zur Fixierung der
Bootsriemen dienten durch eine Öffnung unterhalb
vom Horn geführte Grummets aus Weide.
Das komplett geklinkerte Eichenholzboot Nydam B – um 310/320 n. Chr. gebaut (Bonde 1990;
1999, 31; Bonde u. a. 1991, 102 f. Abb. 4; Bonde / Daly 2000, 4 – 6 Abb. 4), aber erst zwei bis drei
Generationen danach im See versenkt (dazu Rau
2010, 37 f. 43 f. 46 mit Anm. 33) – hat mit dem Kiefernholzboot das auf der Landung verpresste imprägnierte Gewebe und die Befestigungstechnik
der Dollen gemeinsam. Demgegenüber unterscheidet sich seine breite zweiteilige Kielplanke mit
angeschäfteten Steven, und auch die seitlich unverzierten Zurrklampen heben sich von Nydam C
ab. Wie bei Nydam A lagen die mit einem Absatz
geformten Spantköpfe auf konsolenartigen Klampen auf, die auch die zweifach vernagelten Ruderduchten trugen; im großen Eichenholzboot waren
die Spantenden jeweils durch eine dritte Bohrung
hindurch von unten fixiert. Die jeweils separat mit
zwei Lindenbaststricken auf die verdickt profilierte
Bordkante gezurrten sichelförmigen Dollen, mit individuellen stilistischen Eigenarten versehen, wurden aus Erle, Eberesche und Birke hergestellt.
Die dänischen Grabungen der 1990er Jahre haben eine Fülle von organischen Funden zutage
gefördert, die aus typologischen oder auch stratigrafischen Gründen den ursprünglich als komplette Rümpfe versenkten Fahrzeugen Nydam B
und C zugeordnet werden können. Darunter beanspruchen aus Erle geformte Hölzer, die an einem
Ende mehr oder minder naturalistisch gestaltete
Gesichter bärtiger Männer zeigen, besondere Aufmerksamkeit. Zwei der Objekte verfügen über horizontale vierkantige Öffnungen im Bereich des
Kopfes und wurden zusammen mit einem dritten Fragment im Engelhardtschen Grabungsareal
einmal paarweise, ein andermal einzeln dort aufgedeckt, wo sich ursprünglich die Schiffsenden
von Nydam B befunden hatten. Flemming Rieck
deutet die Gegenstände als in Vor- und Achterschiff auf den Bordkanten rastende, binnenbords
an Zurrklampen gelaschte Poller, von denen zwei
Vertreter als Träger horizontal durchgesteckter
Hölzer in Betracht kommen, die zum Belegen von
Festmacher- oder Muringsleinen dienten (Rieck
1993; 1997a, 37 f.; 2002a, 80; Gøthche 2000, 47 f.
Abb. 39).
Eine große Zahl meist aus Linde, seltener aus Erle,
Pappel oder Esche geformter Bretter sind aufgrund
ihrer Besäumung, Schmiegen und Abmessungen
Abb. 6 Nydam B. Sektionale Rekonstruktionen
der Rumpfeinbauten. – Ohne Maßstab.
als Relikte einer längsschiffs verlegten Beflurung
zu interpretieren, mit denen der Rumpfboden im
Bereich der Spantzwischenfelder abgedeckt war.
Die Bodenbretter, teils um rollmattenartige Partien aus angebändselten Haselnussrundstäben ergänzt, lagen laut Riecks Ansicht auf brettartigen,
mit einer nach oben gerichteten Mittelrippe verstärkten Querhölzern (biti), die ihrerseits, mit ihren
U-förmig ausgeklinkten Enden die beiden Bauchabschnitte eines Spants aussparend, Quergurten
aufgesetzt waren. In dieser Weise lassen sich zwei
um 102/109 cm bzw. um 132/135 cm lange Querträger mit geschmiegten und längs an die Rumpfkontur angepassten Hirnseiten identifizieren, der
kürzere mit zentraler Durchlochung für eine senkrechte Stütze. Demnach war die längsschiffs angeordnete Beflurung der Spantzwischenfelder jeweils
durch die Mittelrippe eines Querträgers begrenzt,
erlaubte so ein vorteilhaftes sektionales Öffnen des
Bilgeraumes durch Einrollen der Rundstäbe oder
Bau- und ausstattungstechnische Rekonstruktion
Ausheben bzw. Umklappen der zusammen gebundenen Flurplanken (Abb. 6).
Überreste von Profilbrettern mit wulst- oder
stegartiger Kante lassen mit einer homologen konstruktiven Verwendung rechnen, wiewohl ihre
Identifizierung als Bootsausstattung und Funktionsbestimmung in der Masse kaum beizubringen
ist. So fallen einzelne, besser erhaltene Stücke aus
Esche und Linde durch ihre sorgsame Falzung mit
Rand begleitendem schmalem Steg auf, teils auch
durch beträchtliche Längen von bis zu rund 2,2 m
(FNr. 2401; 2500; 6085; 9126; 12844). L-förmig profiliert, rund 12 – 16 cm breit und in der Fläche 2,5 – 4 cm
stark, bieten sich nominell auch diese Hölzer als
Träger für rechtwinklig zur Längsachse aufgelegte Flurplanken an, deren Hirnseiten von der erhabenen Rahmenleiste begrenzt wurden. Anders als
die einem Spant aufgelegten Querträger geringerer Größe wären rund 1,9 m (FNr. 2401) und 2,2 m
(FNr. 9126) lange Komponenten im Bodenbereich
eines Rumpfes mit den Abmessungen von Nydam B
querschiffs nicht unterzubringen. Überdies sucht
man an den Profilbrettern vergebens nach Spuren,
die ein Auflegen auf die Beplankung nahelegten.
Auch scheinen die Elemente nur sporadisch mit
Zurrings befestigt worden zu sein. Demnach ließe
sich hier allenfalls mit ihrer Anordnung längsschiffs,
z. B. paarweise auf Spanten gelegt und als Träger für
querschiffs verlegte Flurplanken, rechnen.
Zu den im Moor alt und neu geborgenen Riemen sei festgehalten, dass sich die komplett erhaltenen bzw. zusammensetzbaren Geräte nach
ihrer deutlich variierenden Länge auf drei bis vier
Gruppen verteilen (Abb. 7). Über die Zahl der im
Moor deponierten Fahrzeuge lässt sich daraus gar
nichts ableiten: Erstens sind die 17 messbaren Exemplare – sie genügten nicht einmal, um Nydam B
damit auszustatten – numerisch bei weitem nicht
repräsentativ; zweitens beanspruchen gerade Boote
mit gegen die Schiffsenden hin deutlich ansteigenden Scherlinien (positiver Sprung) unterschiedlich lange Riemen; drittens lässt sich allenfalls für
Nydam B und auch dort nur näherungsweise das
Freibord berechnen und so einmal eine Zuordnung
vertreten (siehe unten S. 234 – 237 Abb. 11 – 13). Unter den komplett erhaltenen Riemen fallen das mit
358,5 cm längste Stück sowie ein gut 3,3 m langes
Exemplar (FNr. 2633 und 3037) durch formale Besonderheiten auf. Beide schließen sich durch ein
Detail am Griffende sowie den gerundet vierkantigen Schaftquerschnitt zusammen. Rieck (in diesem Band S. 109 – 112) hält sie für „Steuerriemen“,
13
231
Abb. 7 Funde von Bootsriemen mit bekannter Gesamtlänge. Gelb: Ahorn; Rot: Esche; Grau: unsichere Holzbestimmung. – 1 FNr. 4530; 2 FNr. 4576; 3 FNr. 12189;
4 FNr. 12190; 5 FNr. 2470 + 3741 + 4435; 6 Engelhardt
1865; 7 FNr. 2384; 8 FNr. 12191; 9 FNr. 2699; 10 FNr.
2518 + 4739; 11 FNr. 3035; 12 FNr. 3429; 13 FNr. 3037;
14 Engelhardt 1865 (vgl. Anm. 14); 15 FNr. 3036;
16 FNr. 3800; 17 FNr. 2633.
doch scheint mir das ungewöhnliche Profil des
Schafts keineswegs ungeeignet, um solche Riemen
an Dollen mit annähernd geradem, senkrechtem
Widerlager der für Nydam A bezeugten Form zu
fahren. Überdies fällt am Blattende des kürzeren
der beiden Riemen eine mittig angeordnete zipflige
Verlängerung auf, wie sie auch bei einem gut 3,4 m
langen Riemen aus der Engelhardtschen Grabung
begegnet (Engelhardt 1865, 9; 63 Taf. III,20). Dessen nierenförmiger Schaftquerschnitt, ob nun durch
Abnutzung entstanden oder nicht, reiht das Gerät
eher hier als bei den übrigen Funden ein. Sollten
sie zur Ausstattung ein und desselben Ruderfahrzeugs gehört haben, käme aufgrund seiner Dollen
Nydam A in Betracht, dem aufgrund des zwischen
FNr. 2633 und 3037 rund 27 cm betragenden Längenunterschiedes ein markanter Sprung der Scherlinie zu bescheinigen wäre. Die Stratigrafie spricht
indes für eine Zugehörigkeit zu Nydam B (Rieck in
diesem Band S. 110).
Bis auf den zuletzt besprochenen Altfund13 waren
sämtliche der im Diagramm verglichenen Riemen
mit Längen bis rund 3 m Länge (sieben Nachweise)
aus Ahorn hergestellt worden. Dagegen bestehen
Sofern zutreffend, Engelhardt 1865, 63 zu Taf. III,20: „Fyrretræsaarer [Kiefernholzriemen]“.
232
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
alle deutlich mehr als 3 m langen Neufunde aus
Esche14. Sieht man von zwei „annähernd vollständigen“ Exemplaren (FNr. 4530 und 4576) mit etwa
2,7 – 2,8 m Länge ab, liegen die übrigen fünf Riemen
nur maximal 15 cm auseinander; die beiden beschädigten Zeugnisse dürften ursprünglich derselben
Maßmarge entsprochen haben. So liegt die Vermutung nahe, dass die aus Ahorn gefertigten Riemen
zum selben Boot gehört haben. Dieses Fahrzeug ver-
14
fügte über weniger Sprung als oben für Nydam A
unterstellt. Und da zur Riemenausstattung von
Nydam B Gerätelängen mit deutlich über 3 m Länge zu rekonstruieren sind (S. 237 mit Abb. 11 – 13),
kommt für die Ahorn-Riemen am ehesten das Kiefernholzboot in Betracht, dem folglich ein geringeres Freibord oder eine andere Duchtanordnung
in der Vertikalen als für das große Eichenholzboot
hergeleitet zu bescheinigen ist.
Die Identifizierung als Eichenholz bei Engelhardt 1865, 63 zu Taf. 3,19 geht auf eine Verwechslung des 3,4 m langen
Riemens mit Esche zurück. Das Wiederauffinden und die Zusammensetzung der einzelnen Riementeile eben dieses
Stücks im Archäologischen Landesmuseum Schleswig erlaubt die Bestimmung des Holzes als Esche (Mitt. A. Rau).
233
SCHIFFSTECHNISCHE BEWERTUNG
UND SCHLEPPTANKTESTS
Schiffstechnische Bewertung
Ältere Untersuchungen
Morten Gøthches in den Jahren 1998 – 2000 erstellte,
2008 für das Projekt zum Bau einer experimentellen Replik durch die Selskabet for Nydamforskning
weiter ausgearbeitete Rekonstruktion des großen
Eichenholzbootes steht neben älteren Entwürfen,
die im Einzelnen eines Kommentars bedürfen. Die
bekannteste, nicht nur in Veröffentlichungsorganen
von Schiffbauern verbreitete Rekonstruktion geht
auf den norwegischen Schiffbauingenieur Frederik Johannessen zurück. Sie gründete auf seiner
Vermessung des damals in Kiel untergebrachten
Rumpfes im Mai 1929. Das Ergebnis beeindruckt
mehr durch seine Zuverlässigkeit suggerierenden soliden schiffstechnischen Planzeichnungen
mit strakenden Linien, weniger dadurch, dass er
lediglich Hauptabmessungen vermerkt. Johannessen war alles andere als zufrieden mit der Auswertung seines schiffsgeometrischen Entwurfs. So
identifizierte er konstruktive Schwächen, einerseits
hinsichtlich der Längsfestigkeit vom Rumpf, andererseits im Sinne einer Schwimmlage mit geringem
aufrichtenden Moment. Überdies rechnete er mit
relativ hohem Fahrtwiderstand. Drohender labiler
oder nur grenzwertig stabiler Schwimmlage wollte er durch Einflussnahme auf die Lage vom Massenschwerpunkt entgegenwirken, in der Praxis das
Übernehmen einer Last in der Bilge. Diese Empfehlung wurde konkret als Ballast – mindestens eine
Tonne – ausgewiesen, bezog aber hoch angesetzt
erscheinende Zuladungen, namentlich Waffen und
Proviant bzw. Trinkwasser, offenbar in die Berechnungen ein. Da ein Übermaß an Gewichtseintrag
in der oberen Rumpfpartie – der Gewichtsschwerpunkt eines auf einer Ducht sitzenden Ruderers
oder Passagiers befindet sich im Bereich dessen
Magengrube – Johannessens schiffsphysikalisches
System konterkarieren musste, wundert es nicht,
dass die mit 45 Mann veranschlagte Besatzung be-
reits in der Veröffentlichung als womöglich zu viel
bezeichnet wurde (Shetelig 1930, 21 – 23 Taf. 1 – 2 ).
Griffen Haakon Shetelig und der als Experte zu
Rate gezogene Johannessen aus heutiger Sicht entschieden zu hoch, fiel das mit 3,3 t kalkulierte oder
geschätzte, jedenfalls nicht eigens begründete Leergewicht des Bootes (inklusive Riemen gerechnet)
erstaunlich niedrig aus, selbst wenn man den Genannten zugesteht, dass sie von den erst durch die
dänischen Grabungen der 1990er bekannt gewordenen Rumpfeinbauten noch keine Kenntnis haben
konnten. Auch ein im Altonaer Museum nach dem
Plan des Norwegers gebautes Modell ließ für den
kalkulierten Rumpf 20 % mehr Schiffsgewicht erwarten (Timmermann 1956c, 407).
Gingen Johannessens Vermessung und designerische Interpolation auf einen zu seiner Zeit bereits je
zweimal de- und remontierten (Nydam-FlensburgKiel) sowie dreimal transportierten Bootskörper
(Nydam–Flensburg–Kiel–Kiel) aus geschwundenem, zweifellos trockenem archäologischem Nassholz ohne hinreichende Dimensionsstabilisierung
zurück, wird schon für das Jahr 1871, also bald nach
der Hebung im Moor und der ersten Remontage
des großen Eichenholzbootes in Flensburg die Erstellung eines Linienplanes (Beilage 8) und der Bau
eines Modells im Maßstab 1 : 6 durch den Flensburger Schiffbaumeister Bernhard Techant vermeldet
(Shetelig 1930, 5; LaBaume 1948, 3; Wiell 1997a,
218; 289 Anm. 28; Timmermann 1956c, 403 [irrtümlich 1863/1864]). Auch diesem Riss wird man eher
die Qualität einer professionellen Dokumentation
des schiffsgeometrischen Status quo vom NydamBoot im 19. Jahrhundert als den Versuch einer die
antike Wirklichkeit näherungsweise treffenden formalen Wiederherstellung zubilligen.
Johannessens 1930 vorgelegter Planentwurf fand
sehr bald Interesse im Kreise deutscher Schiffbauingenieure. Der in seinem Fach wohlbekannte, in
Kiel lehrende Heinrich Herner machte davon Gebrauch und plädierte 1932 für einen fahrtüchtigen
Nachbau (Herner 1932). Herners Berechnungen
234
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
und Hebelarmkurven bescheinigten einem auf dieser Grundlage projektierten Ruderfahrzeug ausreichende Stabilität, ohne dass das Resultat beim
modernen Konstrukteur Begeisterung erzeugt hätte. Wie es scheint ohne Herners aktive Beteiligung,
lief im September 1934 bei der renommierten Werft
Abeking & Rasmussen in Lemwerder an der Weser
die von der NS-Kulturgemeinde beauftragte Replik „Stedingsehre“ vom Stapel, deren Linienplan
an Johannessens Vorlage angelehnt war, wenn er
ihm nicht sogar uneingeschränkt entsprochen hatte
(Rasmussen 1999, 12 f. Anm. 6 Abb. 515; Gøthche in
diesem Band S. 212 Abb. 56). Ihr wissenschaftlicher
Nutzen bleibt begrenzt. Historische Fotografien
wecken den Eindruck, dass das Boot mit 30 Ruderern voll besetzt und bei Übernahme von Passagieren mit bis zu 45 Personen gänzlich überfüllt war
(ebd. 16 f. 21 – 23 Abb. 10 – 12; 18 – 19). Ferner erkennt
man als Innenballast übernommene Findlinge, die
Johannessens Empfehlungen Rechnung trugen
(Schiffbau, Schiffahrt u. Hafenbau 35, 1934, 343
Abb. 2; Werft, Reederei, Hafen 23, 1934, 34 Abb. 2;
Yacht 42, 1934, 6 mit Abb.).
Schon im Zweiten Weltkrieg interessierte sich
Gerhard Timmermann, seinerzeit Schiffbauhistoriker am Altonaer Museum, für das Konstruktionsprinzip und die hydrostatischen Eigenschaften
des großen Eichenholzbootes (Timmermann 1941;
1956c). Von einem unter seiner Aufsicht gebauten
Modell sowie aus den Berechnungen Herners bezogene Daten verwendete Timmermann zur Kalkulation eigenschaftsrelevanter dimensionsloser
Zahlen, Koeffizienten aus Flächen und Volumen
des Schiffskörpers, die er mit Datensätzen anderer Wasserfahrzeuge verglich (ebd. 406; 610 mit
Tabelle).
Kaum zehn Jahre nach Erscheinen der Arbeiten
Timmermanns setzte sich der schwedische Schiffshistoriker Harald Åkerlund mit dem inzwischen
in Schleswig ausgestellten Fahrzeug auseinander.
Sensibilisiert durch Wahrnehmungen an geborgenen Schiffsteilen aus der frühen Wikingerzeit und
dem hohen Mittelalter, wies er darauf hin, dass der
Schiffskörper von Nydam B seit dem 19. Jahrhundert durch Schrumpfungsprozesse hervorgerufene
dimensionale und formale Veränderungen durchlaufen haben müsse (Åkerlund 1963, 33 – 44; 155
Abb. 18)16. Im Detail für den Verfasser nicht durch15
16
schaubar, entwickelte Åkerlund bei Kompensation des mit 13 – 14 % veranschlagten tangentialen
Schwunds einen plantechnischen Entwurf, der sich
von Johannessens Linien sehr deutlich abhebt, u. a.
durch größere Breite und Bauhöhe mittschiffs, nicht
zuletzt aber durch ein völliges Hauptspant mit im
Unterwasserschiff nahezu kreisbogenförmiger
Spantkontur, die – hier ist Åkerlund beizupflichten – eine höhere Formstabilität erwarten ließe als
Johannessens trichterförmiger Querschnitt mit im
oberen Drittel der Bordwände einfallenden Seiten
(vgl. Åkerlund 1963, Taf. 2; 5). Das revidierte Design erzeugte mehr Freibord und einige Zentimeter
weniger Tiefgang. Letzteres geht auch aus der Lage
der Konstruktionswasserlinie in dem von Åkerlund
publizierten Linienriss hervor.
Angesichts der spezifischen Montagetechnik der
gewachsenen Spanten überträgt sich deren Kurvatur nur mittelbar über die Zurrklampen auf den
Verlauf der Außenhautkontur. Diese stellt nicht
notwendigerweise ein getreues Abbild des Spants
dar, da sich beim Einpassen der Quergurte in die
Plankenschale durch bootsbauliche Veränderungen, etwa Nacharbeiten von Zurrklampen, oder
durch hingenommene Klüfte zwischen Spant und
Knagge Konturen nicht 1 : 1 übertragen. Indes
ist eine kardinale Übereinstimmung hinsichtlich
geometrischer Gestalt und Abmessungen vorauszusetzen. Es genügt ein Blick auf die von Magnus
Petersen gezeichneten Spanten O, 4A und 8A (Engelhardt 1865, Taf. II,3 – 6; 1866b, Taf. II,3 – 6: „10th
… 14th … 18th rib“), um zu erkennen dass Åkerlunds Entwurf allzu kleine Radien aufweist; die
Basis seines Hauptspants fällt markant breiter aus
als die von Petersens Spant Nr. 10, die unschwer in
Johannessens Spantplan und Riss wiederentdeckt
werden kann. Åkerlund verdient Anerkennung,
auf die dimensionalen und morphologischen Veränderungen aufmerksam gemacht zu haben. Sein
Wiederherstellungsversuch hingegen ist, soweit er
auf die Schiffsform abzielt, abzulehnen.
Die von Gøthche (in diesem Band S. 179 f.
Abb. 25 f.; Beilage 3) erstellte Rekonstruktion bildet
den Rumpf ohne Beplankung ab, verzeichnet stattdessen den Verlauf der Oberkante jeder Planke als
Punkte auf Mallkurven („Nakkelinier“). Um die
äußere Oberfläche und damit den Schiffskörper in
seiner gesamten räumlichen Ausdehnung zu erfas-
Der hier abgebildete englisch beschriftete Riss, 1937 veröffentlicht, geht auf den britischen Designer und Segelenthusiasten Uffa Fox zurück, der als planerische Quelle für die Lemwerder Replik sicher nicht herhalten kann, sondern
seinerseits Johannessens Zeichnungen kopierte.
Zu dimensionalen Veränderungen zwischen der zeichnerischen Dokumentation von 1863 und 1929 vgl. Rieck / Crumlin-Pedersen 1988, 116 f.)
Schiffstechnische Bewertung und Schlepptanktests
sen (dazu Jensen 1999, 15 – 20 Abb. 2.4 – 7), wurden
für unsere Zwecke die nach ihren individuellen
Abmessungen (Breite, Stärke) einschließlich der
Landung (Überlappungstiefe) definierbaren Plankengänge sowie Kiel- und Stevenprofile im Maßstab 1 : 10 in der Weise zeichnerisch ergänzt, wie
in der Werftpraxis ein Klinkerrumpf koordinatengerecht auf Mallen errichtet wird. Zeitlich mit der
grafischen Ergänzung der Rekonstruktionspläne
einhergehend, erfolgte 2012 in Mainz der Bau eines
Schlepptankmodells im Maßstab 1 : 5 unter Verwendung des dänischen Mallplanes und der mit
Schnitten versehenen Zeichnungen von Profilhölzern (Steven; Kiel), auf die sich auch der Bau der in
Skottrupskov am Alsund von der Selskabet for Nydamforskning auf Kiel gelegten Replik in Originalgröße stützt (vgl. Gøthche in diesem Band S. 200 f.).
Beim zeichnerischen Beplanken der Mallkurven
zeigte sich die Präzision des zur Verfügung gestellten Planmaterials an winkeltreuen Landungsprofilen der Kielplanke sowie an den Sponungen und
Schmiegen von Vor- und Achtersteven. Stimmigkeit der rekonstruierten Spantkonturen kündigte
sich beiläufig auch dadurch an, dass die mindestens 6 – 7 cm überlappenden Planken im Bereich ihrer Lannung allenfalls bei Überbrückung kleinerer
Radien leichter Schmiegen bedurften, um vollflächigen Sitz zu gewährleisten. Das grafische Endprodukt vermittelt die charakteristische geometrische
Gestalt des geklinkerten Schiffskörpers durch eine
Serie von Querschnitten einheitlichen Abstandes
(Abb. 9 – 10). Es unterscheidet sich nach seinem Erscheinungsbild und durch veränderte Rauminhalte
von den kraweel gezeichneten, durch Senten überprüften und auf die Innenfläche des Schiffskörpers
bezogenen Planprojektionen der dänischen Vorlage
(vgl. Gøthche in diesem Band S. 179 Abb. 25).
Die oberflächentreue, dreidimensional verbindliche Darstellung des rekonstruierten Rumpfes
durch Querschnitte erlaubt es, schiffsphysikalisch
relevante Zahlen durch Messung oder Berechnung
von Strecken und Flächen zu gewinnen. Sie lassen
sich als Parameter verwerten, um mit auf anderer
Grundlage ermittelten Größen in Beziehung gesetzt
zu werden und so als geometrische Größen, hydrostatische Daten und Koeffizienten zur Beurteilung
der Eigenschaften des Fahrzeuges beizutragen.
Von besonderem Interesse sind hier gewisse Strecken, Volumenanteile und das Gewicht des Schiffskörpers. Einige Abmessungen lassen sich ohne
Zwischenschritte den Planunterlagen entnehmen:
die nicht exakt bestimmbare Länge über alles, die
Länge zwischen den Loten, die größte Breite sowie
die Seitenhöhe und die Raumtiefe inklusive Kiel
235
Verdrängung
m³
35
30
25
20
15
10
5
0
0
50
Abb. 8
Tiefgang
100
134 cm
Nydam B. Verdrängungsdiagramm
(vgl. Tabelle 5).
(Tabelle 3). Diese Werte sind hydrostatisch von
nachrangiger Bedeutung. Zur näherungsweisen Bestimmung von Tiefgang und Freibord, nicht zuletzt
von Flächen- und Gewichtsschwerpunkten sowie
Hebelarmen muss die Verdrängung errechnet werden, die sich volumetrisch vom Schiffsgewicht einschließlich Zuladung ableitet.
Hatte Johannessen für das leere Boot mit Riemen
3,3 t angesetzt, ergab die Wiegung eines auf gleicher
Plangrundlage gebauten Modells im Maßstab 1 : 10
3,925 t in der Natur. Letzterem wird man unterstellen dürfen, dass es aus abgelagertem Holz hergestellt wurde, folglich in Relation leichter wog als ein
zumindest temporär bewittertes Fahrzeug; überdies fehlten der Beplankung und folglich auch den
Spanten die Massenanteile des von Johannessen
nicht berücksichtigten Schwunds. Dass die Quergurte des Modells sämtlich aus Eichenholz geformt
wurden, sah Timmermann (1941, 57 – 60 Abb. 1 – 3;
1956c, 404 – 407 Abb. 33 – 42) als Manko für einen
Vergleich. Das kann hier jedoch vernachlässigt werden, weil Nydam B offenbar zumindest teilweise
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
236
vorne
achtern
-10
+10
200
-9
+9
-8
+8
-7
-6
+7
+5
-4
-3
-1-2
+4 +3
+2
+1
100
56 cm
50
0
150
100
Abb. 9
50
50
100
150
Nydam B. Klinkergerechter Spantriss (Außenhautkonturen), generiert aus der schiffsgeometrischen
Rekonstruktion im Center for Maritime Archaeology, Roskilde. – M. 1 : 20.
0,746 m²
0
150
+6
-5
Bug
+8
+7
+6
+5
+4
+3
+2
+1
Heck
±0
-1
-2
-3
-4
-5
-6
M (+0,8)
Abb. 10
Nydam B. Spantarealkurve für Version I (vgl. Tabelle 5).
-7
-8 LWL = 17,6 m
Schiffstechnische Bewertung und Schlepptanktests
Abb. 11 Nydam B. Rekonstruierter Rumpfquerschnitt bei Achse
+ / - 0. – Wasserlinie bei
Tiefgang 0,60 m für
∆ = 9,12 t. – Riemenlänge
3,3 m. – M. ca. 1 : 35.
Abb. 12 Nydam B. Rekonstruierter Rumpfquerschnitt bei Achse + 6 m
(Vorschiff). – Wasserlinie
bei Tiefgang 0,60 m für
∆ = 9,12 t. – Riemenlänge
3,6 m. – M. ca. 1 : 35.
Abb. 13 Nydam B. Rekonstruierter Rumpfquerschnitt bei Achse - 7 m
(Achterschiff). – Wasserlinie bei Tiefgang 0,60 m für
∆ = 9,12 t. – Riemenlänge
3,6 m. – M. ca. 1 : 35.
237
238
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
Anzahl
Material
max. Länge
14,31 m
Breite gemittelt
Höhe / Stärke
Volumen m3 Massen
Kielplanke
1
Eiche
(planimetriert)
(planimetriert)
0,387 (x γ1)
0,350 t
Vordersteven
1
Eiche
ca. 5,7 m
(planimetriert)
(planimetriert)
0,112 (x γ2)
0,095 t
Achtersteven
1
Eiche
ca. 5,4 m
(planimetriert)
(planimetriert)
0,116 (x γ2)
0,100 t
Plankengang 1
2
Eiche
0,377 m
0,035 m + Knaggen
0,506 (x γ1)
0,455 t
17,42 m
Plankengang 2
2
Eiche
19,09 m
0,437 m
0,035 m + Knaggen
0,614 (x γ1)
0,550 t
Plankengang 3
2
Eiche
20,07 m
0,424 m
0,030 m + Knaggen
0,541 (x γ2)
0,460 t
Plankengang 4
2
Eiche
20,78 m
0,377 m
0,030 m + Knaggen
0,507 (x γ2)
0,430 t
Plankengang 5
2
Eiche
21,52 m
(planimetriert)
(planimetriert)
0,928 (x γ2)
0,790 t
Niete
Spanten, gewachsen
Duchten
snellen / Duchtstempel
Keipen
Riemen, inkl. Ersatz
Seitenruder
ca. 1850
19
Eisen
diverse Hölzer
16 (15/1)
40
Linde
diverse Hölzer
30
–
–
–
–
0,040 t
ca. 64,5 m
0,08 m
0,12 m
0,620 (x γ4)
0,500 t
ca. 40 m
0,25 m
0,03 m
0,300 (x γ3)
0,165 t
0,07 m
0,035 m
0,070 (x γ4)
0,055 t
ca. 0,6/0,8 m
diverse Hölzer
36 (30/6)
1
–
–
Esche
ca. 3,35 m
nach Proil
diverse Hölzer
ca. 3,25 m
(planimetriert)
–
nach Proil
(planimetriert)
–
0,120 t
0,324 (x γ4)
0,260 t
0,137 (x γ4)
0,110 t
4,480 t
Belurung / Fläche P2
biti / Querträger
2 Anker, Trossen u. a.
23,5 m
2
2 je Spant
2
Linde; Hasel; andere
Linde; andere
–
–
ca. 51 m
Eisen / Holz / Bast
–
0,125 m
–
0,025 – 0,030 m
0,035 m
–
0,646 (x γ3)
0,350 t
0,223 (x γ3)
0,125 t
–
0,200 t
5,155 t
Besatzung (inkl. Ausrüst.)
30 – 32 à 85 kg
–
–
–
–
2,700 t
7,855 t
Tabelle 1 Nydam B. Massenerhebung auf der Grundlage der aktuellen Rekonstruktion (γ1 Eiche, temporär benetzt:
0,9 g / cm3; γ2 Eiche, bewittert: 0,85 g / cm3; γ3 Linde / Hasel, bewittert; 0,55 g / cm3; γ4 sonstige Hölzer, bewittert:
0,8 g / cm3). – Gewicht der Keipen nach Wiegung von Repliken durch die Nydamselskab geschätzt.
auch mit Eichenholzspanten ausgestattet war
(z. B. Rieck 1998b, 273). Problematischer erscheint
mir die Wahrnehmung, dass die Zurrklampen des
Hamburger Modells überproportioniert wirken. In
der Summe wird man aber davon ausgehen können, dass Nydam B im Ausbauzustand des Modells,
also ohne Beflurung, Zuladung und den am Modell
unberücksichtigten Schwund, jedoch bei einer für
temporär im Wasser liegendes, bewittertes Holz anzunehmenden Dichte17 über 4 t gewogen hatte.
Meine Erhebungen zu den Massen ergeben für
den leeren, mit Duchten, Keipen, Riemen und
Seitenruder, aber ohne Beflurung ausgestatteten
Rumpf knapp 4,5 t (Tabelle 1). Addiert man hierzu das ungefähre Gewicht der in älteren Rekonstruktionen unberücksichtigten Einbauten sowie
einer bescheidenen nautischen Ausrüstung – Anker, Tauwerk, Ößfässer und Reparaturmaterial für
Laschungen und Abdichtung (Werkzeuge gehen
in der Kalkulation persönlicher Ausrüstung der
17
Mannschaft auf) –, ergeben sich für das einsatzfähige, unbemannte Fahrzeug rund 5,2 t Gewicht. Es
schließt eine im Fußraum der Ruderer ansetzende
Beflurung ein, auf die Innenkante vom zweiten
Plankengang aufgelegte Querträger, Flurplanken
und Rollmatten.
Geht man mit Shetelig und Johannessen von
einer dreißigköpfigen Ruderbesatzung aus und
rechnet über den Rudergänger hinaus mit einem
weiteren Mannschaftsmitglied, ingesamt also 32
Personen, so ist das Boot räumlich ausgelastet und
nach seemannschaftlichem Ermessen voll besetzt.
Billigt man jedem Mann, je nach seiner Bewaffnung, 10 – 15 kg individuelle Ausrüstung zu, wird
das Mannschaftsgewicht ungefähr 2,7 t betragen
haben – wohlgemerkt das Minimum, da Extras,
wie Wetterschutzvorrichtungen oder mitgeführte
zerlegbare Landunterkünfte, wie sie in der Literatur als Zurüstung anklingen (Rieck / Jørgensen
1997, 222 f. Abb. 3), nicht zum Standard gehört
Verf. rechnet mit unterschiedlich stark durchfeuchteten Partien und Holzdichten. Vgl. dazu die Erwägungen bei Englert 1997, 23.
Schiffstechnische Bewertung und Schlepptanktests
haben werden und im Übrigen ebenso wie die bei
Shetelig unterstellte, geradezu abenteuerlich anmutende fünfundvierzigköpfige Besatzung nebst
ihrer Proviantierung mit je 10 kg pro Mann zu den
historischen Unabwägbarkeiten zählen. Um es vorwegzunehmen: Nydam B ließe sich über die hier
veranschlagten 7,8 m3 Einsatzverdrängung hinaus
befrachten, ohne dass seine Betriebstauglichkeit
in Frage gestellt werden müsste (siehe unten). Da
bleiben eo ipso Spielräume für zusätzliche Massen,
die dann freilich auch Raum beanspruchen und,
auf den Rumpf nach nautischen Prinzipien verteilt,
namentlich in der Vertikalen professionell gestaut
worden sein mussten.
Wir berühren hier den Aspekt Ballast: Johannessen wollte angesichts einer metazentrischen Höhe
von gerade 0,25 m als Maß für die aufrichtende Kraft,
gerechnet einschließlich Ballast von nicht unter einer
Tonne sowie 450 kg Proviant und Wasser, die er sich
vernünftigerweise im Kielraum des Bootes untergebracht vorgestellt haben wird, den Zustand allzu
labil erscheinender Schwimmlagen ausgeschlossen
sehen (siehe oben). Seine Maßgaben mögen sich
so erklären, dass hier einerseits ein Fahrzeug für
mehrtägigen Seeaufenthalt kalkuliert werden sollte, das auch noch „… so viele Mann als möglich an
Bord nehmen und soviel als möglich Ruder führen
konnte“ (Shetelig 1930, 30). Tatsächlich hielt Engelhardt eine Ansammlung kleinerer Steine in der
Mittelsektion des versenkten Eichenholzbootes für
Ballast (Engelhardt 1866, 34). Er ließ aber offen, ob
er damit Reste eines im Fahrbetrieb gehaltenen Ballasts gemeint hatte oder bei der Deponierung des
Fahrzeugs im See eingebrachtes Gewicht, um das
Boot nach Flutung gegen den Auftrieb des Holzes
auf Grund zu halten18. Ersteres kann für einen im
günstigsten Fall etliche hunderte von Metern über
Land beförderten, dabei doch wohl bestmöglich
geleichterten Rumpf nicht überzeugen. Fehlt es somit an einem eindeutigen archäologischen Hinweis,
weckt Johannessens Postulat nach Innenballast den
Verdacht einer Rückversicherung angesichts allzu
anspruchsvoller Einsatzszenarien. Die Frage nach
der Stabilität stellt sich nach wie vor, nun allerdings
vor dem Hintergrund einer revidierten Rekonstruktion. Zur Aufklärung können zukünftig eine erneute
Stabilitätsberechnung sowie praktische Empirie mit
der dänischen Replik beitragen.
18
19
239
Erwägungen zu den Einsatzbedingungen
Die dem großen Eichenholzboot verbreitet entgegengebrachte Bewunderung, nicht zuletzt aber
auch die ihm zuerkannten Schwächen sind von
der Vorstellung eines „Typschiffes“ bzw. „standard ship“ geprägt, mit dem germanische Trupps
seit dem späten 3. Jahrhundert die Küsten Galliens
und Britanniens bedroht und schließlich die angelsächsische Besetzung der Insel vollzogen hätten
(z. B. Ellmers 1983, 532; Crumlin-Pedersen / Rieck
1993, 39; sinngemäß Herner 1932, 148). Im Vertrauen oder durch Insistieren auf dessen Seetauglichkeit (Brøgger / Shetelig 1951, 36) stellte man
sich sogar das Überqueren der Nordsee vor. Zwar
wurden auch schon Zweifel geäußert, ob vor dem
5. Jahrhundert eine maßgebliche Bedrohung Englands von See her überhaupt stattgefunden hat
(Cotteril 1993, 227 – 231). Indes sind Überfälle germanischer „Piraten“ auf die nordgallische und britannische Küste schon für das 3. und 4. Jahrhundert
hinreichend verlässlich bezeugt, und die in dieser
Zeit angelegten oder ausgebauten Festungen des
litus Saxonicum lassen das strategische Konzept
einer in die Tiefe gestaffelten Abwehr von See her
operierender, in die Flussmündungen eindringender Aggressoren erkennen (Haywood 1991, 23 – 45;
zusammenfassend Eggers 2001). Jenes Zielgebiet
wurde von Nordosten am sichersten, wenn auch
nicht auf kürzestem Wege, unter Befahrung der
geschützten Gewässer der friesischen Wattenküste
und der niederländisch-belgischen Mündungsdeltas erreicht, eine Route19, die sich mit terrestrischer
Navigation bewältigen ließ und immer wieder Gelegenheit zur Landsicht und zum Landfall bot. Erst
nahe der Rheinmündung oder beim Eintritt in den
Englischen Kanal waren, je nach Ausgangspunkt,
ein oder mehr Etmals vom Kontinent her über offene See unumgänglich, wollte man die Küste Britanniens erreichen.
Ähnliches gilt angesichts der sich an die NydamBoote und an Fahrzeuge aus anderen dänischen
Mooren knüpfenden ereignisgeschichtlichen Vorgänge um von See her erfolgter Angriffe auf jütische
oder inseldänische Plätze (z. B. von Carnap-Bornheim 1997, 227 – 229 Abb. 1). Reisen über rund 45 – 60
Seemeilen durch den Skagerrak und die jütische
Küste entlang nach Süden bedurften nautischer
Nach den hier vertretenen Verdrängungsverhältnissen wäre für den auf 4,3 t geleichterten Rumpf eine minimale Wassertiefe von 0,4 m vorauszusetzen. Vgl. Abb. 8.
Sinngemäß Green 1963, 103 – 113 Abb. 29; Greenhill 1976, 186; Crumlin-Pedersen 1990, 113. – Zu den nautischen
Bedingungen riemengestützter Küstenfahrt und den militärischen Risiken vgl. Haywood 1991, 72.
240
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
Routine, idealer Weise sichtigen Wetters und ruhiger See, um spätestens am zweiten Tag Gelegenheit zu finden, am Zwischenziel die Bevorratung
an Wasser und Nahrung zu ergänzen. Vorstöße
von Südschweden oder der holsteinisch-mecklenburgischen Ostseeküste hätten die Küstensäume
entlang erfolgen können ohne besondere Risiken
und Versorgungsengpässe. Somit brauchte es nicht
zwangsläufig einer modernem Sicherheitsdenken
genügenden Expeditionsausrüstung, sondern nur
dessen, was als notwendig erachtet wurde und sich
im Boot nach verfügbarem Raum und Tragfähigkeit unter Beachtung seemannschaftlicher Prinzipien verstauen ließ. Charles Greens Vorstellung,
dass in dem zum Standardschiff erhobenen, rund
21,5 m langen, gerade 3,3 m breiten Schiffskörper
eines Nydam B 60 – 80 Leute Platz gefunden haben,
war der Not geschuldet, ein arithmetisches Mittel
zur Begründung konstanten Ruderbetriebs zu finden, nicht zuletzt als Plädoyer für die von ihm favorisierte Küstenroute germanischen Vordringens
gegen Britannien (Green 1963, 103 f.). Wenn er auch
konzediert „The ship would certainly be very full
and, if, in addition to food and water, some bulky
personal possessions were also brought, it would
probably be uncomfortably so“ (ebd.), werden hier
nicht allein die räumlichen Möglichkeiten des Fahrzeuges weit überanstrengt, sondern auch seine Betriebsfähigkeit in Frage gestellt.
Den nautischen Bedingungen küstennaher Fahrt
genügte ein offenes, frei manövrierbares Boot, dessen Tiefgang das Befahren seichter Gewässer und
das Anlanden an natürlichen Ufern gewährleistete.
Angesichts Wind und Gezeitenströmen war beim
Navigieren ein gewisses Geschwindigkeitspotenzial vorteilhaft. Seegang, der graduell die Festigkeit
eines Fahrzeuges beansprucht, haben insbesondere
schlanke, nach ihren Hauptabmessungen gestreckte Schiffskörper (Tabelle 2,24 – 26) konstruktive
Stabilität und Flexibilität entgegenzusetzen – bei
Nydam B geboten durch den geklinkerten Rumpf
mit nicht starr verbundenen Spanten sowie durch
den profilierten obersten Plankengang, der maßgeblich zur Längsvergurtung, nicht zuletzt auch
zur Aussteifung der Bordwände beitrug. Überkommender See wirkte beim Eichenholzboot die durch
positiven Sprung gekennzeichnete Scherlinie mit
hoch aufragendem Bug und Heck entgegen. Das
Freibord hatte den beim Eintauchen des Fahrzeugs
in Fahrt seitlich ablaufenden oder durch andere
Einflüsse auftreffenden Wellen standzuhalten.
Schiffsmaße im Vergleich
Die für Nydam B aus der Rekonstruktion hergeleiteten Maße, Koeffizienten und Verhältniszahlen
fügen sich in das schiffsgeometrische Gerüst eines
auf Vortrieb mit Muskelkraft gestützten Mannschaftsbootes, das Merkmale von Seetauglichkeit
erkennen lässt. Das wird deutlich, vergleicht man
seine Daten mit ähnlich dimensionierten antiken
Fahrzeugen, zunächst Hjortspring und Oberstimm.
Ersteres kann als ein auf geschützten Küstengewässern, Fjorden und Flüssen der westlichen Ostsee bei leichter See eingesetztes Boot mit einer
zwanzigköpfigen Paddelmannschaft in Anspruch
genommen werden (Vinner 2003), wenn man so
will als „Kriegskanu“; die Boote von Oberstimm
können als primär geruderte, auf der Donau verwendete Binnenfahrzeuge gedeutet werden (Bockius 2002a, 119 – 126). Nydam B verfügt über eine
wenigstens um die Hälfte größere Besatzung und
Verdrängung, kann indes noch als relativ leicht
gelten (Tabelle 3,23). Obwohl deutlich länger als
die verglichenen Rümpfe, entspricht die Breite in
der ermittelten Schwimmwasserlinie den Werten
der Oberstimm-Boote (Tabelle 3,5) und übertrifft
deren Tiefgänge als unbefrachtete Version um wenige Zentimeter (Tabelle 3,8). Demgegenüber beläuft sich das Freibord von Nydam B / I ungefähr
auf das Doppelte der für das Hjortspring-Boot
anzunehmenden Strecken (Tabelle 3,9) und liegt
zwei Dezimeter über dem Maß für Oberstimm 2.
Das lässt sich als ein Kriterium für die Seetauglichkeit des Nydam-Bootes auffassen, doch sind da
noch andere, die sich in seinen Völligkeitszahlen
widerspiegeln.
Das Verhältnis der eingetauchten Hauptspantfläche zum umgebenden Rechteck aus Breite in
der Wasserlinie und Tiefgang (CM; Tabelle 3,17) ist
ein Gradmesser für den Formwiderstand bei Bewegung durch das Wasser. Mit CM 0,63 weist Nydam B einen Mittelwert auf, der leicht oberhalb der
etwas günstigeren Koeffizienten der verglichenen
Rümpfe liegt, ausgenommen Kenn Jensens Kalkulation für das Hjortspring-Boot, die sich beim
Nachrechnen seiner Strecken und Fläche sogar auf
0,743 steigert; hier erstaunt die ungewöhnlich große
Hauptspantfläche AM, die beträchtlich höher reicht
als Timmermanns Ansatz, wiewohl dessen Version
mit der Jensens sonst doch harmoniert. Im mittleren
Bereich und wiederum etwas höher als bei den Berechnungen für Hjortspring und Oberstimm steht
die Völligkeit der Wasserlinienfläche (CWP ) von Nydam B mit dem Wert 0,74 (Tabelle 3,18). Sie füllt ein
umschreibendes Rechteck aus Länge in der Wasser-
Schiffstechnische Bewertung und Schlepptanktests
1
Schiffstechnische Daten
Abk.
Formel
max. Länge
Lmax
–
241
Version I
22,85 m
Version II
22,85 m
2
Länge in der Wasserlinie
LWL
–
17,54 m
17,82 m
3
Länge zwischen Loten
LPP
–
16,48 m
16,72 m
4
max. Breite
Bmax
–
3,34 m
3,34 m
5
Breite in der Wasserlinie
BWL
–
2,08 m
2,18 m
6
Mittschiffshöhe
H
–
1,34 m
1,34 m
7
Raumtiefe
D
–
2,25 m
2,25 m
8
Tiefgang
Tmax
–
0,555 m
0,60 m
9
Freibord
FM
–
0,780 m
0,74 m
10
Verdrängung
V
–
7,82 m3
8,99 m3
11
Deplacement
∆
–
7,935 t
9,12 t
12
Leistungsmasse
∆ / M.
13
Hauptspantläche
AM
14
Wasserlinienläche
15
∆ / Mannschaft
0,265/0,284 t
0,304/0,326 t
–
0,729 m
0,835 m2
AWP
–
25,350 m2
26,68 m2
Lateralläche
ALP
–
8,050 m
8,72 m2
16
Benetzte Fläche
WS
–
33,58 m2
35,43 m2
17
Völligkeit AM / Mittschiffskoeizient
CM
AM / BWL x T
0,63
0,64
18
Völligkeit AWP / Wasserlinienkoeizient
CWP
AWP / LPP x BWL
0,74
0,73
2
2
19
Völligkeit V / Blockkoeizient
CB
V / LPP x BWL x T
0,41
0,41
20
Schärfegrad / prismatischer Koeizient
CP
V / LPP x AM
0,65
0,64
21
Schlankheitsgrad / Längenkonstante
CV
LPP / 3√V
8,30
8,04
22
Völligkeit der benetzten Fläche
CWS
WS / (3√V)2
8,52
8,19
23
Relative Verdrängung
Vr
∆ / (0,1 x LPP)3
1,77
1,95
24
Länge-Breite-Index
LB
LPP / BWL
7,92
7,67
25
Breite-Tiefgang-Index
BT
BWL / T
3,75
3,63
26
Länge-Tiefgang-Index
LT
LPP / T
29,69
27,87
Tabelle 2
Nydam B. Schiffsmaße (Nr. 1 approximativ; Nr. 8 bis Unterkante Kiel; Nr. 11 für ρ = 1,015 g / cm3).
Version I: Minimum-Deplacement; Version II: mit hypothetischer Zuladung.
linie ohne Überstände (Steven) und entsprechender
Breite um den genannten Faktor aus.
Der Sachverhalt kann folgendermaßen veranschaulicht werden: Der im frühen 18. Jahrhundert
im Hedwigenkoog in Dithmarschen gesunkene
Küstenfrachter mit Rundheck und annähernd parallelen Seiten lieferte die Koeffizienten CM 0,89 – 0,90
und CWP 0,91 – 0,92 (Englert 1997, 25 f.). Betrachtet
man dessen mit steilen Bordwänden versehenen
Rumpf dreidimensional und setzt seinen verdrängten Raum ins Verhältnis zum umgebenden Quader,
so leitet sich daraus der Blockkoeffizient CB 0,64 ab.
Dem steht für Nydam B die Zahl 0,41 gegenüber.
Das Eichenholzboot gleicht darin Hjortspring, unterscheidet sich indes von den Binnenfahrzeugen
Oberstimm 1 und 2, deren stark gewölbte Bogenkiele deutlich niedrigere Kennzahlen ergeben (Tabelle 3,19). Sein relativ kleiner Blockkoeffizient
zusammen mit der relativ großen Völligkeit der
Wasserlinienfläche spricht für respektable Querund Längsstabilität des Fahrzeuges.
Als Indikator für relative Schlankheit und Fahrtwiderstand setzt die Längenkonstante die Länge
zwischen den Loten bzw. die Länge der Wasserlinie ohne vorn und achtern über die Außenhaut
ragende Komponenten (Steven) ins Verhältnis zur
Verdrängung. Hier ergibt sich für Nydam B eine
gegenüber Oberstimm deutlich niedrigere, theoretisch ungünstigere Zahl, die sich vom CV der beiden Hjortspring-Entwürfe noch deutlicher absetzt
(Tabelle 3,21), wohingegen die Werte für die Völligkeit der benetzten Fläche von Nydam B und Oberstimm näher beieinander liegen (Tabelle 3,22). Die
gegenüber Nydam B größeren Längenkonstanten
erklären sich aus der relativ großen Wasserlinienlänge der verglichenen Rümpfe bei maximal der
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
242
Nydam B / I
Nydam B / II
Hjortspring (1)
Hjortspring (2)
Oberstimm (3)
1
Lmax
22,85 m
22,85 m
15,33 m
18,09 m
15,4 – 16,0 m
2
LWL
17,54 m
17,82 m
13,66 m
14,85 m
15,1 – 15,3 m
3
LPP
16,48 m
16,72 m
13,66 m
14,85 m
14,3 – 14,6 m
4
Bmax
3,34 m
3,34 m
2,07 m
2,02 m
2,73 – 2,77 m
5
BWL
2,08 m
2,18 m
1,47 m
1,50 m
2,08 – 2,15 m
6
H
1,34 m
1,34 m
0,78 m
0,71 m
1,03 – 1,05 m
7
D
2,25 m
2,25 m
1,80 m
–
–
8
Tmax
0,555 m
0,60 m
0,32 m
0,35 m
0,46 – 0,52 m
9
FM
0,780 m
0,74 m
0,46 m
0,36 m
0,51 – 0,59 m
10
V
7,82 m3
8,99 m3
2,810 m3
3,13 m3
3,82 – 4,52 m3
11
∆
12
∆ / M.
13
AM
14
AWP
15
ALP
16
WS
33,58 m
35,43 m
–
16,66 m
17
CM
0,63
0,64
0,541
0,728
0,563 – 0,588
18
CWP
0,74
0,73
0,631
0,538
0,611 – 0,619
19
CB
0,41
0,41
0,438
0,398
0,270 – 0,284
20
CP
0,65
0,64
0,810
0,545
0,452 – 0,512
21
CV
8,30 / (8,8)
8,04
9,650
10,157
8,830 – 9,148
22
CWS
8,52
8,19
–
7,79
8,035 – 8,624
23
Vr
1,77/1,47)
1,95 (1,61)
1,118
0,968
1,306 – 1,452
24
LB
7,92
7,67
9,3
9,912
6,65 – 7,02
25
BT
3,75
3,63
4,6
4,233
4,08 – 4,59
26
LT
29,69
27,87
42,8
41,957
28,1 – 31,1
9,12 t
2,850 t
3,170 t
3,80 – 4,50 t
0,265/0,284 t
7,935 t
0,304/0,326 t
0,143 t
0,159 t
0,205 – 0,233 t
0,729 m2
0,835 m2
0,39 m2
0,546 – 0,684 m2
25,350 m
2
8,050 m2
2
26,68 m
2
8,72 m2
2
0,255 m2
12,700 m
2
–
12,97 m
2
4,55 m2
2
18,42 – 19,19 m2
4,50 – 4,99 m2
21,0 – 22,1 m2
Tabelle 3 Nydam B. Vergleich der Schiffsmaße antiker Mannschaftsboote.
1 ergänzt nach Timmermann 1956; 2 nach Jensen 1999; 3 ergänzt und korrigiert nach Bockius 2002a.
Hälfte der Verdrängung vom Nydam-Boot. Setzte
man dort regelwidrig die Wasserlinienlänge einschließlich der stark vorspringenden Stevenprofiltiefen ein, leitete sich daraus ein CV von 8,8 ab, der
dem Minimum der Oberstimm-Boote gleichkommt.
Als Anhaltspunkt für das Geschwindigkeitspotenzial und Schiffsgewicht stellt die relative
Verdrängung (Tabelle 3,23) das Deplacement ins
Verhältnis zur Länge zwischen den Loten. Um die
Hälfte größer als beim Hjortspring-Boot und deutlich über den für die Oberstimm-Rümpfe errechneten Zahlen, erscheint Nydam B relativ schwer. Das
schlägt sich in ähnlicher Weise durch die Leistungsmassen der miteinander verglichenen Fahrzeuge
nieder: Hatte auf dem Hjortspring-Boot ein Paddler – allerdings bei gegenüber Riemenantrieb geringerem Wirkungsgrad – nur rund 140 – 160 kg Masse
zu beschleunigen und in Fahrt zu halten, steigern
sich diese Wert für Oberstimm um 30 – 60 %, wohin-
gegen für Nydam B mit theoretisch 265 – 284 kg nahezu das Doppelte anzunehmen ist (Tabelle 3,12).
Der mit 0,65 höhere prismatische Koeffizient CP
(Tabelle 3,20) von Nydam B lässt mit mehr Kraftaufwand zur Aufrechterhaltung der Fahrt rechnen,
leitet sich aber auch von weniger scharf geschnittenen Schiffsenden ab, die beim Stampfen im Seegang
durch erhöhten Auftrieb einem Unterschneiden
und überkommender See entgegenwirken.
Die eigenschaftsrelevante Verwandtschaft mit den
verglichenen Mannschaftsbooten relativiert sich,
hält man den Datensatz des Nydam-Bootes neben
zwei außerordentlich schlanke, von rund 60 Mann
geruderte Langschiffe wikingischer Magnate: Etliche Meter kürzer, mit einem beträchtlich geringeren
Einsatzgewicht und von nur halb soviel Riemen angetrieben wie die Fahrzeuge des späten 10. und des
11. Jahrhunderts, spiegeln die Formkoeffizienten
des Eichenholzbootes höchste Koinzidenz mit den
Schiffstechnische Bewertung und Schlepptanktests
Nydam B / I
Nydam B / II
Hedeby 1
Skuldelev 2
1
Lmax
22,85 m
22,85 m
30,09 m
29,28 m
2
LWL
17,54 m
17,82 m
28,75 m
26,93 m
3
LPP
16,48 m
16,72 m
28,75 m
26,93 m
4
Bmax
3,34 m
3,34 m
2,58 m
3,76 m
5
BWL
2,08 m
2,18 m
2,20 m
2,90 m
6
H
1,34 m
1,34 m
1,52 m
1,77 m
7
D
2,25 m
2,25 m
4,34 m
5,22 m
0,88 m
8
Tmax
0,555 m
0,60 m
0,75 m
9
FM
0,780 m
0,74 m
0,77 m
0,89 m
10
V
7,82 m3
8,99 m3
18,18 m3
21,11 m3
11
∆
12
∆ / M.
13
AM
14
AWP
15
ALP
16
WS
33,58 m
17
CM
18
19
20
7,935 t
9,12 t
0,265/0,284 t
0,304/0,326 t
0,729 m2
25,350 m
18,43 t
0,835 m2
0,357/0,383 t
0,94 m2
1,26 m2
57,03 m2
19,00 m2
19,20 m2
35,43 m
67,13 m
79,02 m2
0,63
0,64
0,615
0,582
CWP
0,74
0,73
0,755
0,730
CB
0,41
0,41
0,412
0,361
CP
0,65
0,64
0,670
0,624
8,050 m2
2
8,30 / (8,84)
21
CV
CWS
23
Vr
24
LB
7,92
25
BT
3,75
26
LT
29,69
8,52
1,77 / (1,47)
26,68 m
21,43 t
0,297/0,341 t
2
2
22
Tabelle 4
2
8,72 m2
2
8,04 / (8,57)
47,78 m
2
10,940
9,734
9,717
10,345
0,776
1,097
7,67
13,058
9,275
3,63
2,936
3,284
27,87
38,340
30,463
8,19
1,95 / (1,61)
Nydam B. Vergleich der Schiffsmaße mit Daten wikingerzeitlicher Langschiffe
(ergänzt nach Jensen 1999).
für die rekonstruierten Rümpfe Hedeby / Haithabu 1 (Jensen 1997; 1999, 48 – 55; B22 – 23 Nr. 10;
Crumlin-Pedersen 1997b, 91 f. Tabelle 4.1 [jeweils
mit leicht variierenden Werten]) und Skuldelev 2
(Jensen 1999, 48 – 55; B34 – 35 Nr. 16; Crumlin-Pedersen 1997b, 92 Tabelle 4.1) ermittelten Zahlen wider (Tabelle 4,17 – 20). Daraus lässt sich zwar nichts
über das Geschwindigkeitspotenzial des NydamBootes ableiten, außer dass den wikingerzeitlichen
Schiffen bei gleichen Umgebungsbedingungen trotz
der größeren Leistungsmasse rechnerisch eine deutlich höhere maximale Fahrt zugebilligt werden kann
(Nydam B: 7,5 – 8,7 kn [Fn = 0,30/0,35]; Hedeby 1 /
Skuldelev 2: 9,5 – 11,4 kn [Fn = 0,30/0,35])20. Andere
Eigenschaften der Boote, so sie aus dem Form- und
Verdrängungswiderstand resultieren, dürften indes
20
243
sehr ähnlich gewesen sein. Da man in Nordeuropa vor dem 17. Jahrhundert kein Schiffsdesign mit
plantechnisch definierter Schiffsform voraussetzen
kann, werden sich solche morphologischen Gleichläufigkeiten einerseits aus den gewählten Hauptabmessungen und Proportionen, nicht zuletzt aber aus
dem Baukonzept unter Anwendung der shell-firstMethode auf der Basis angewandter Klinkertechnik
erklären.
Nydam B konnte bei voller Riemenbesatzung
eine respektable Marschfahrt erreichen, und selbst
bei einem theoretischen Verlust von 50 % der Besatzung wäre der Rumpf noch hinreichend manövrierfähig gewesen (vgl. das nachfolgende Kapitel
zum Schlepptanktest von R. Grabert). Seine Kapazität lässt sich an der Verdrängungskurve ablesen
Für die auf Skuldelev 2 fußende Replik wurden im Experiment unter Riemen Maximalwerte von 11 kn gemessen:
Bill u. a. 2007, 63.
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
244
+9
+8
+7
+6
WL 0.5
–
–
–
–
WL 1
–
–
WL 2
–
–
0,0201 0,033 0,065 0,092 0,109 0,132 0,145 0,144 0,138 0,105 0,010 0,067 0,043 0,021 0,009
WL 3
–
–
0,0353 0,087 0,147 0,196 0,234 0,267 0,278 0,274 0,265 0,232 0,204 0,151 0,113 0,069 0,033 0,001
WL 4
–
0,004 0,076
0,164 0,254 0,328 0,383 0,427 0,436 0,430 0,415 0,371 0,338 0,273 0,213 0,137 0,077 0,011
WL 5
–
0,015 0,136
WL 5.6
–
0,032 0,176
–
WL 6
–
+5
+4
+3
+2
+1
0
-1
-2
-3
-4
-5
-6
-7
-8
-9
- 10
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
0,268 0,385 0,483 0,560 0,606 0,624 0,613 0,590 0,546 0,491 0,413 0,336 0,235 0,140 0,032
–
–
0,330 0,471 0,591 0,680 0,727 0,744 0,733 0,710 0,659 0,594 0,507 0,418 0,305 0,188 0,054
–
–
0,001 0,005 0,007 0,010 0,016 0,018 0,013 0,006 0,005
0,054 0,011 0,022 0,026 0,038 0,046 0,050 0,043 0,034 0,027 0,001 0,001
0,040 0,216
0,384 0,540 0,666 0,762 0,812 0,834 0,820 0,795 0,741 0,671 0,577 0,478 0,350 0,225 0,069 0,001
–
WL 9
0,015 0,204 0,536
0,844 1,106 1,326 1,466 1,544 1,571 1,561 1,510 1,436 1,333 1,190 1,028 0,818 0,580 0,282 0,044
–
WL 12
0,101 0,492 1,010
1,464 1,836 2,119 2,318 2,412 2,462 2,445 2,380 2,272 2,148 1,956 1,741 1,432 1,077 0,624 0,201 0,004
Tabelle 5 Nydam B. Spantareale, planimetriert aus klinkergerecht ergänztem Mallkurvenplan 217-TR – 48. – Die
Verdrängungsberechnung liefert für die gewählten Eintauchtiefen folgende Werte: V0.5 = 0,078 m3; V1 = 0,319 m3;
V2 = 1,142 m3; V3 = 2,564 m3; V4 = 4,348 m3; V5 = 6,474 m3; V5.6 = 7,905 m3; V6 = 8,990 m3; V9 = 18,80 m3; V12 = 30,44 m3.
(Abb. 8; Tabelle 5): Zuladung von 1 t, ob nun Equipment oder Beute, resultierte in rund 4 cm weniger
Freibord, 2 t in rund 10 cm minus. Bei optimaler
Verstauung konnte die Befrachtung zur Steigerung
der Gewichtsstabilität beitragen. Heute wie damals
oblag es der Verantwortung eines Schiffsführers,
wie mit den Konsequenzen solcher Konditionen
umzugehen ist, d. h. zu beurteilen, welche Risiken
bestehen und welche Maßnahmen zu deren Minimierung ergriffen werden können.
Die hier erörterten Daten gründen originär in
den von Morten Gøthche bereitgestellten Kurven
und bautechnischen Zeichnungen, denen auch das
in Mainz hergestellte Schlepptankmodell im Maßstab 1 : 5 schiffsgeometrisch folgt. Anders als die im
Linienriss dargestellten Flächen und abzuleitenden
Volumina wurde dessen Rumpfhaut durch Beplankung von Mallen erzeugt, deren Kurvatur der
maßstabsgerechten Vergrößerung Gøthches „Nakkelinier“ entsprach. Wie die Einrichtung des Testmodells in der SVA Potsdam ergab, tauchte es bei
dem als Deplacement gelieferten Wert 10 mm tiefer
ein, als es die plantechnisch basierte Berechnung
erwarten ließ. Wie wiederholte Nachprüfungen an
Zeichnungen und Modell bestätigt haben, unterscheidet sich letzteres formal durch etwas steilere
Kielgänge, hervorgerufen durch Toleranzen bei
den Schmiegen an den Kielflanken und geringfügige Maßabweichungen, wie sie sich in der Praxis
kaum vermeiden lassen. Das im Kielgangsbereich
schärfere Unterwasserschiff führt zwar zu einem etwas größeren Tiefgang als kalkuliert; indes gleicht
sich die formale Differenz bis zur Konstruktionswasserlinie hin aus, da sich die Hauptspantfläche
für beide Versionen als identisch erwies.
Schlepptanktest in der SchiffbauVersuchsanstalt Postdam
Rainer Grabert
Vorbereitung des Modells für die Versuche
Am 24. August 2012 wurden Widerstandsversuche
in der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam (SVA)
mit dem Modell M1504S000 durchgeführt und in
einem Versuchsbericht (Grabert 2012) dokumentiert. Das Modell ist vom Römisch-Germanischen
Zentralmuseum (RGZM) im Maßstab von 1 : 5 gebaut und zur SVA nach Potsdam gebracht worden
(Abb. 14 – 15). Dort wurde es für die Versuche vorbereitet. An der Außenhaut war ein Liniennetz notwendig, um während der Versuche die Ausmaße
der Wellenbildung beurteilen zu können. Spanten
entsprechend dem Linienriss des RGZM von -10 im
Hinterschiff bis + 10 im Vorschiff geben die Orientierung in horizontaler Richtung. Eine durchgehende Wasserlinie auf Höhe des berechneten Tiefgangs
von 120 mm (60 cm im Original) und darauf basierend weitere Wasserlinien im Abstand von 20 mm
geben die Orientierung in vertikaler Richtung. Um
das Modell während der Messungen auf geradem
Kurs zu halten wurden Führungen an Bug und
Heck angebracht, die Querbewegungen verhindern
aber Längs- und Vertikalbewegungen zulassen.
Weil sich am Modell die turbulente Strömung
erst weiter hinten ausbilden würde als am Original,
sind Turbulenzerreger in Form von Sandstreifen
am Spant + 7 angebracht worden. Würde man darauf verzichten, wäre der gemessene Widerstand zu
gering. Um den Eigenwiderstand der Sandstreifen
Schiffstechnische Bewertung und Schlepptanktests
auszugleichen, wurden sie nicht direkt am Vorsteven angebracht. Weiterhin wurde am Spant 0 eine
Zugstange gelenkig angebracht, an der das Modell
über ein Kraftmessglied gezogen werden konnte.
Die Gelenke an beiden Enden der Zugstange sind
notwendig, damit das Modell während der Messungen frei trimmen und tauchen kann.
Vor dem Versuch wurde das Modell auf die
vorher berechnete Verdrängung eingetrimmt. Die
Differenz zwischen dem zu untersuchenden Verdrängungsgewicht sowie dem Gewicht des Modells
wurde mit Ballastgewichten ausgefüllt. Diese wurden so verteilt, dass das Modell vorn und hinten den
gleichen Tiefgang und keine Krängung hatte. Beim
Eintrimmen stellte sich heraus, dass die berechneten Werte für Verdrängungsgewicht und Tiefgang
nicht zusammenpassten. Weil die Verdrängung der
Basiswert ist, wurde dieser Wert beibehalten und
mit dem sich daraus ergebenden Tiefgang weitergearbeitet. Der ursprünglich berechnete Wert für
den Tiefgang war 120 mm (60 cm am Original). Die
Versuche wurden mit einem Tiefgang von 130 mm
(65 cm am Original) durchgeführt.
Die Versuche fanden in der Schlepprinne der
SVA statt. Diese hat eine Länge von 280 m, eine
Breite von 9 m und eine Wassertiefe von 4,5 m.
Über diesem Kanal fährt auf Schienen der Schleppwagen, der das Modell durchs Wasser zieht. Vom
Schleppwagen ragen drei Streben senkrecht in das
Modell. Die zwei äußeren sind die Führungen für
den geraden Kurs des Modells. An der mittleren
befindet sich ein Kraftmessglied, an dem die Zugstange befestigt wird. Um dynamisches Tauchen
und Trimmen messen zu können, befanden sich am
Schleppwagen Drahtpotenziometer senkrecht über
Bug und Heck. Abbildung 16 zeigt das Modell am
Schleppwagen.
Durchführung der Modellversuche
Bei einem Widerstandsversuch wird das Modell
vom Schleppwagen auf eine vorgegebene Geschwindigkeit beschleunigt. Wenn sich das Modell in einem
stationären Zustand befindet, wird mit der Messung
begonnen. Nach Ablauf der Messung wird das Modell gestoppt und zurück gefahren. Sobald sich die
Wellen auf der Wasseroberfläche wieder beruhigt
haben, was bis zu 30 Minuten dauert, kann mit der
nächsten Messung begonnen werden. Üblicherweise
werden die Messungen für verschiedene Geschwindigkeiten vorgenommen. Vor Beginn der Messungen mit dem Modell des Nydam-Bootes wurde bei
einer Fahrt das Ruder auf seinen neutralen Winkel
eingestellt, das heißt, es erzeugte keine Querkraft.
245
Mit dieser Einstellung wurde der Widerstand im Geschwindigkeitsbereich von 3 – 9 Knoten in Schritten
von 1 Knoten gemessen. Während der Messungen
wurde das Modell mit 2 Kameras von vorn und von
hinten fotografiert. Die folgenden Fotos zeigen die
Wellenbildung bei verschiedenen Geschwindigkeiten. Die Bilder der vorderen Kamera (Abb. 17 – 20)
zeigen, dass sich bei 3 und 5 Knoten kaum eine Wellenbildung zeigt. Erst bei größeren Geschwindigkeiten entsteht eine Bugwelle, die bei 9 Knoten etwa
20 mm Höhe (10 cm am Original) erreicht. Die Bilder
der Heckkamera (Abb. 21 – 24) zeigen sehr schön die
Wellen, die etwas weiter weg vom Boot entstehen,
sowie die Welle, die am Ruder entsteht.
Umrechnung der Messwerte vom Modell
auf die Großausführung
Für die Versuchsauswertung wird die Froudesche
Methode (von William Froude im Jahre 1871 eingeführt) angewendet, d. h. Massen- und Schwerkräfte
sind an Modell und Großausführung in gleichem
Verhältnis. Daraus folgt, dass die Wellenbildung an
Modell und Großausführung geometrisch ähnlich
sind. Die Reibungsanteile werden jeweils rechnerisch berücksichtigt, weil die Ähnlichkeitsgesetze
für die Reibungskräfte nicht gleichzeitig eingehalten werden können. Im Detail sieht die Prozedur
folgendermaßen aus (zu Symbolen bzw. Abkürzungen siehe Tabelle 6). Aus dem gemessenen Widerstand wird der dimensionslose Widerstandsbeiwert
des Modells gebildet. Davon zieht man den viskosen
Widerstandsanteil des Modells ab, der das Produkt
aus Formfaktor und Reibungswiderstandsbeiwert
ist, und erhält den Restwiderstandsbeiwert. Da
der Restwiderstand nur Massen- und Schwerkräfte
enthält, ist der Restwiderstandsbeiwert für Modell
und Großausführung gleich. Dazu addiert man den
viskosen Widerstandsanteil des Schiffes und einen
Rauigkeitszuschlag.
Die Reibungswiderstandsbeiwerte werden nach
der ITTC Korrelationslinie von 1957 jeweils für die
Reynoldszahl des Modells und der Großausführung getrennt berechnet. Der Formfaktor berücksichtigt die Krümmung der Außenhaut und ist für
Modell und Großausführung gleich. Er ist notwendig, weil sich der Reibungswiderstandsbeiwert
nach der ITTC-Korrelationslinie nur auf eine ebene
Platte bezieht. An Flächen mit einer Krümmung,
wie sie an Schiffen immer vorhanden sind, treten
größere viskose Widerstände auf, was durch den
Formfaktor berücksichtigt wird.
Der Formfaktor wurde nach dem Verfahren
von Prohaska, welches hier nicht weiter erläutert
246
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
wird, ermittelt. In Abbildung 25 sind die Widerstandsanteile zusammen mit dem Formfaktor in
der übersichtlichen Darstellung nach Paffet dargestellt. Die Kurve CFM ist der für dieses Modell berechnete Reibungswiderstandsbeiwert. CTM ist der
gemessene Gesamtwiderstandbeiwert. Mit dem
Modell wurden auch so kleine Geschwindigkeiten
gefahren, dass vernachlässigbar kleine Wellenwiderstände und damit nur viskose Widerstände
auftraten. Den viskosen Widerstandsbeiwert CVM
erhält man aus der Multiplikation von Formfaktor
und Reibungswiderstandsbeiwert.
Der Widerstand des Ruders wurde nach der
β-Methode mit β = 0,6 umgerechnet, d. h. 60 % des
gemessenen Widerstandes des Ruders werden zusammen mit dem Schiffswiderstand umgerechnet.
Dazu wurde das Modell einmal mit und einmal
ohne Ruder geschleppt. Der Anteil des Ruders am
Gesamtwiderstand beträgt bei der kleinsten Geschwindigkeit (3 kn) 13 % und sinkt bis auf 4 %
bei der größten Geschwindigkeit (9 kn). In Abbildung 26 sind die Widerstandskurven des Modells
ohne Ruder sowie die des Ruders dargestellt.
Der Rauigkeitszuschlag berücksichtigt die größere Rauigkeit des Schiffes gegenüber dem Modell. Abweichend vom üblichen Rauigkeitswert
kS = 0,15 mm für moderne Stahlschiffe liegt dieser
Wert für Holz zwischen 0,2 mm und 1,0 mm (Sass
u. a. 1961). Die Güte der Holzbearbeitung bei diesem Boot ist nicht belegt, hat aber erheblichen
Einfluss auf das Ergebnis. Darum werden zwei Ergebnisse berechnet, die als obere und untere Grenze angenommen werden können. Die Außenhaut
war nachweislich nicht beschichtet, und mit den
Arbeitsmethoden zu dieser Zeit kann angenommen werden, dass Rauigkeitswerte im Bereich von
0,6 ≤ kS ≤ 1,0 erreicht wurden. Deshalb wurden zwei
Widerstandskurven berechnet (Abb. 27). Bei einer
Geschwindigkeit von 9 Knoten ergibt sich durch
die unterschiedlichen Rauigkeitswerte eine Differenz von 9,5 % im Widerstand.
Bewertung der Ergebnisse
Aus den gemessenen Werten soll nun versucht
werden, Schlussfolgerungen auf die erreichbaren
Geschwindigkeiten zu ziehen. Ein normaler Mann
kann über einen längeren Zeitraum (etwa zehn
Stunden) 140 Watt Leistung abgeben und kurzzeitig
(etwa eine Stunde) etwa 200 Watt (Asskamp / Schäfer 2008). Bei Leistungssportlern sind Leistungen
von 1000 Watt für etwa eine Stunde abrufbar. Man
kann bei antiken Ruderern bestimmt von einem gu-
ten Trainingszustand ausgehen, dieser wird aber
immer noch weit entfernt von dem Niveau heutiger Hochleistungssportler gewesen sein. Unter
der Annahme, dass ein antiker Ruderer über einen
längeren Zeitraum eine Leistung von 150 Watt aufbringen und diese kurzzeitig auf 400 Watt erhöhen
konnte, erhält man mit 30 Ruderern 4,5 Kilowatt für
die normale Marschfahrt, die auf 12 Kilowatt gesteigert werden konnten.
Es kann aber nicht die volle Leistung der Ruderer für den Vortrieb genutzt werden. Verluste
entstehen z. B. am Ruderblatt, weil ein Druckausgleich über die Kanten des Ruderblattes stattfindet und Wirbel gebildet werden. Auch an den
Ruderdollen entstehen Reibungsverluste. Weitere
Verluste entstehen dadurch, dass das Boot keine
gleichmäßige Geschwindigkeit hat. Während die
Ruder durch das Wasser gezogen werden ist die
Geschwindigkeit des Bootes höher, wenn die Ruder
wieder zurückgeführt werden ist sie niedriger als
die Durchschnittsgeschwindigkeit. Von Kleshnev
(2008) werden Gesamtwirkungsgrade der Propulsion beim Rudern angegeben, die zwischen 74 %
beim Einer und 81 % beim Achter liegen. Diese Untersuchungen gelten für die modernen Boote bei
den Olympischen Spielen. Auch wenn man annehmen kann, dass bei 30 Ruderern ein höherer Wirkungsgrad erreicht wird, ist zu bedenken, dass die
technischen Voraussetzungen in früheren Zeiten
auf wesentlich geringerem Niveau waren. In Asskamp / Schäfer 2008 wird ein Wirkungsgrad von
70 % verwendet, der hier übernommen wird. Es ergeben sich also Leistungen zwischen 3,15 und 8,4
Kilowatt.
Damit sind Geschwindigkeiten von etwa 5,8
Knoten für die Marschfahrt erreichbar. Unter der
Annahme eines etwas glatteren Schiffsrumpfes
und der Aufbringung der Maximalleistung wären
8 Knoten möglich. Abbildung 28 veranschaulicht
die Verhältnisse. Man sieht auch, dass die Leistungskurve mit wachsender Geschwindigkeit immer steiler wird. Will man z. B. die Geschwindigkeit
um 1 Knoten von 4 auf 5 Knoten erhöhen, benötigt
man dafür eine Leistungssteigerung von einem Kilowatt. Für eine Geschwindigkeitssteigerung von 6
auf 7 Knoten (ebenfalls um 1 Knoten) sind schon
mehr als drei Kilowatt erforderlich.
Diese Werte gelten für glattes Wasser, d. h. für
ruhige See. Durch Wind und Wellen wird der Widerstand stark zunehmen und die erreichbare Geschwindigkeit herabgesetzt. Untersuchungen dazu
stehen noch aus. Aber auch diese ersten Untersuchungen können schon einen Eindruck von den
Möglichkeiten der antiken Seefahrer vermitteln.
Schiffstechnische Bewertung und Schlepptanktests
Abb. 14 Das Modell
M1504S000,
schräg von vorn.
Abb. 15 Das Modell
M1504S000,
schräg von hinten.
Abb. 16 Das Modell
am Schleppwagen.
247
248
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
Abb. 17 Wellenbild
von vorn, 3 kn.
Abb. 18 Wellenbild
von vorn, 5 kn.
Abb. 19 Wellenbild
von vorn, 7 kn.
Schiffstechnische Bewertung und Schlepptanktests
Abb. 20 Wellenbild
von vorn, 9 kn.
Abb. 21 Wellenbild
von hinten, 3 kn.
Abb. 22 Wellenbild
von hinten, 5 kn.
249
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
250
Abb. 23 Wellenbild
von hinten, 7 kn.
Abb. 24 Wellenbild
von hinten, 9 kn.
5,5
5,0
4,5
10³*C
4,0
1+k
3,5
3,0
2,5
2,0
2
3
4
5
10−6*Re
6
7
8
Abb. 25 Widerstandsanteile des Modells.
Schiffstechnische Bewertung und Schlepptanktests
251
16
R BH
14
12
RM [N]
10
8
6
4
2
Abb. 26 Gesamtwiderstand des Modells
ohne Ruder und Ruderwiderstand (RAPP).
R App
0
0,5
0,7
0,9
1,1
1,3
1,5
VM[m/s]
1,7
1,9
2,1
2,3
9
10
3,0
2,5
2,0
R T [kN]
Rauigkeit = 0,6 mm
Rauigkeit = 1,0 mm
1,5
1,0
0,5
Abb. 27 Widerstandskurven
für das Original.
0,0
2
3
5
4
6
V [kn]
7
14
13
12
11
Rauigkeit = 0,6 mm
Rauigkeit = 1,0 mm
10
PE [kW]
9
Maximum
8
7
6
5
4
3
Minimum
Erreichbare Geschwindigkeiten.
1
0
VMIN
Abb. 28
2
3
4
5
6
7
V [kn]
VMAX
2
8
9
10
8
252
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
Symbol
Name
Deinition oder Erklärung
SI – Einheit
AM
Hauptspantläche
Auf halber Länge zwischen Vorderen und hinteren Lot
m2
CF
Reibungswiderstandsbeiwert
RF / (S q)
1
CFM
Reibungswiderstandsbeiwert Modell
CR
Restwiderstandsbeiwert
RR / (S q)
1
CT
Gesamtwiderstandsbeiwert
RT / (S q)
1
RV / (S q), bzw. (1+k) CF0
1
V / (g L)1/2
1
CTM
Gesamtwiderstandsbeiwert Modell
CV
Beiwert des gesamten Zähigkeitswiderstandes
CVM
Beiwert des gesamten Zähigkeitswiderstandes Modell
Fr
Froudezahl
g
Erdbeschleunigung
m / s2
k
Dreidimensionaler Formfaktor
1
kS
Sandrauigkeit des Schiffes
kW
Kilowatt
L
Länge des Schiffes
LOS
Länge über alles, eingetaucht
m
LPP
Länge zwischen den Loten
m
LWL
Länge in der Wasserlinie
PE, PR
Effektive Leistung (Gesamtschleppleistung)
RV
W
q
Dynamischer Druck
ρ V2/2
Pa
Kraft, die der Längsbewegung entgegenwirkt
N
Mittlerer Durchmesser der Sandkörner auf einer Oberläche um eine equivalente Rauigkeit zu erhalten
m
Referenzlänge des Schiffes (im allgemeinen Länge
zwischen den Loten)
m
m
R
Widerstand (Kraft)
RAPP
Anhängewiderstand
RBH
Widerstand des Rumpfes ohne Anhänge
RM
Widerstand Modell
RT
Gesamtwiderstand
Re
Reynoldszahl
S
Benetzte Oberläche
m2
SBH
Benetzte Oberläche des bloßen Rumpfes
m2
T
Tiefgang des Schiffskörpers
m
TA
Tiefgang am hinteren Lot
m
TF
Tiefgang am vorderen Lot
m
V
Geschwindigkeit, generell für das Schiff oder das Modell
m/s
VM
Geschwindigkeit, Modell
zV
dynamische Tauchung für das Modell oder das Schiff
m
zVA
dynamische Tauchung am hinteren
m
zVF
dynamische Tauchung am vorderen Lot
zVM
dynamische Tauchung an Mitte Schiff
Δ
Verdrängungsmasse
λ
Modellmaßstab
μ
Viskosität
v
Kinematische Viskosität
N
V L/v
1
m
(zVF + zVA) / 2
m
Schiffsabmessungen (Index S) dividiert durch entsprechende Modellmessungen (Index M)
λ = LS / LM = BS / BM = TS / TM
1
kg
kg / ms
μ/ρ
m2 / s
π
Kreiskonstante
3.1415926535
1
ρ
Dichte
dm / dV
kg / m3
θV
Dynamischer Trimmwinkel
Ñ
Verdrängungsvolumen
Δ / (ρ g)
m3
grd
Tabelle 6
Verzeichnis der Symbole und Begriffe.
253
MERKMALE
„NORDISCHER SCHIFFBAUTRADITION“
Die Durchmusterung der Schiffsfunde aus dem
Nydam-Moor, gestützt auf Vergleiche nordeuropäischer Funde und im überregionalen Kontext,
fördert ein eigenständiges Technikerbe zutage, das
Konventionelles mit Neuem verbindet. Komparative Faktoren sind einerseits typologische Merkmale,
wie etwa Schiffsform und die Gestalt von Beschlägen, andererseits konstruktive Prinzipien und technische Details. Mit Blick auf den oben zusammen
gestellten Fundstoff wird deutlich, dass hier von
Uniformität keine Rede sein kann: Bauverfahren
und Materialien unterscheiden sich erheblich, teils
auch Ausstattungskomponenten. Schlussfolgerungen über den indigenen Charakter oder über
technikgeschichtliche Verbindungen zu anderen
Schiffbauregionen lassen sich erst ziehen, verfolgt
man den nordischen Bootsbau der römischen Eisenzeit weit in die Vergangenheit zurück und würdigt gleichermaßen den zeitgenössischen Fundstoff
aus anderen Räumen vor- und frühgeschichtlichen
Schiffbaus.
Prähistorische Wurzeln
Wie Ole Crumlin-Pedersen übersichtweise dargelegt
hat (Crumlin-Pedersen 2003b, 209 – 218; 246), reicht
eine der technologischen Wurzeln skandinavischen
Plankenschiffbaus mindestens bis zur frühen Bronzezeit zurück, archäologisch belegt durch Relikte
relativ schwerer plattbodiger Fahrzeuge, gefunden
in England und Wales (Abb. 29). Sie gelten als Repräsentanten einer von Austausch und Beschaffung von Prestigegütern profitierenden Elite (Van
de Noort 2011, 160 – 165; 176), eignen sich für den
21
Einsatz auf Binnen- und geschützten küstennahen
Gewässern, unter günstigen Witterungsbedingungen womöglich sogar für die offene See (Gifford
u. a. 2006; mit Einschränkungen Coates 2005b).
Ihre konstruktiven Charakteristika sind starke, mit
Span abhebenden Methoden zugerichtete Planken
und Profilstücke aus Eichenholz, die in einer älteren Phase mittels Verzurrung und Riegeltechniken
einen vergleichsweise plumpen Bootskörper entstehen ließen. Beim Formen der Komponenten binnenbords dienten ausgesparte Buckel, Dechsel und Beil
mit erhabenen Rippen nach passgerechter Perforation zum Durchstecken von Keil- und Riegelhölzern
(Abb. 29 – 30), die zur Querstabilität der Bodenpartie
und der Seiten beitrugen, wohingegen punktuelles
Verzurren entlang der Nahtkanten für den Querverband sorgte. Das Baumuster der in geringer Zahl
und höchst unterschiedlichem Erhaltungszustand
überlieferten Fahrzeugreste erweist sich als individuell und komplex, insbesondere beim Gestalten
der zwar verjüngten, dennoch stumpfen Schiffsenden. Eher grob wirkender Ausführung der Verbindungen und Aussteifung stehen teils aufwändig
hergestellte profilierte Nahtkanten gegenüber, die
erahnen lassen, dass der Dichtigkeit der Rümpfe,
gewährleistet durch prozessseitig eingepresste Kordeln und Stränge aus Moos, besonderes Augenmerk
galt. Die Verzurrung mit Eibenruten integrierte eine
binnenbords den Nahtsäumen aufgelegte halbrunde Leiste, die primär dem Straffen der Verbindung
diente. Weder lässt sich Teer- oder Pechverwendung
nachweisen, noch zeichnet sich eine Verwendung
von Spanthölzern ab (zur Übersicht vgl. McGrail
1996, 31 – 34)21.
Die an den früh- und mittelbronzezeitlichen
Schiffsfunden kenntlichen Techniken, namentlich Verzurrung, durch Knaggen oder Gratprofile
Die Rekonstruktion von Seitenspanten bei Eskeröd 1956, 77 f. Abb. 18 und Wright 1994, 31 – 33 Abb. 3 u. 5 ist spekulativ. Zu schiffstechnischen Details McGrail / Denford 1982, 28 – 39 Abb. 3.1 – 2.9 – 12 Tabelle 3.1.
254
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
Abb. 29
Dover, Kent. Wrack der mittleren Bronzezeit. – Ohne Maßstab.
gesteckte Riegelverbinder und Deckleisten, sind von
neolithischen und bronzezeitlichen Stammbooten
im westlichen Ostseeraum und auf den Britischen
Inseln hinreichend bekannt; die Riegeltechnik lässt
sich auf dem Kontinent bereits für den spätneolitischen Hausbau nachweisen22. Die Verwendung von
Moos findet sich im Kontext von Rissreparaturen
oder Brunnenabdichtung seit dem Frühneolithikum
(Arnold 1995, 52). So erschließt sich das auf starre
und flexible Verbindungen gestützte schiffbauliche
Verfahrensmuster als ein kontinentaleuropäisches
Phänomen. Auf komplementäres Zusammenwirken von Zurrings und Deckleisten trifft man zuerst
im pharaonischen Schiffbau des Alten Reiches (Bockius 2002b, 200 – 203 Abb. 5).
Fehlt es in Mittel- und Nordeuropa außerhalb
Britanniens an archäologischen Zeugnissen bronzezeitlicher Plankenfahrzeuge – an ihre Stelle traten der Einbaum und stofflich kaum nachweisbare
Boote mit Tierhautbespannung (Bockius 2002b,
200 – 203 Abb. 5) – lässt sich dort die weitere Entwicklung in Umrissen nachzeichnen. So lässt sich
hier ebenso wie im Mittelmeerraum eine technologische Veränderung erkennen, die das auf relativ
kurze Bindemedien reduzierte Verfahren des Verzurrens gegen im Prinzip endloses Vernähen mit
gedrehter Schnur oder dünnem Tauwerk ersetzte.
Den derzeit ältesten Nachweis vernähter Beplankung liefert der Fund eines Fahrzeugs in Brigg,
North Lincolnshire. Dabei handelt es sich um die
Überreste eines aus relativ schmalen, fast parallelseitig besäumten Planken geformten Rumpfes
22
(Abb. 30), datiert in die späte Bronzezeit (Switsur
1989, 1113 f. 1116 Tabelle 3; McGrail 1996, 34 f. mit
weiterer Lit.). Wiewohl die Diskussion über dessen
Rekonstruktion als Plattboden- oder rund gebautes
Fahrzeug noch im Fluss ist, kündigen sich hier Gemeinsamkeiten und Unterschiede gegenüber den
bis zu zwölf Jahrhunderte älteren Relikten an. Haben die Planken nun bohlenartigen Zuschnitt ohne
plastische Anformungen an dem zu erzeugenden
Bootskörper, verteilen sich reihig angelegte, ausgesparte längliche Knaggen mit quer verlaufenden
Durchbrüchen über den gefundenen Schalenrest,
und in-situ-Fragmente verdeutlichen, dass der
Rumpf mit durchgesteckten Querriegeln versteift
wurde. Aussehen und Konstruktion der Schiffsenden bleiben mangels Erhaltung im Dunkeln, doch ist
hier mit komplexen handwerklichen Maßnahmen
zu rechnen, entweder mit plastisch geformten Bauteilen, die an Bug und Heck die Seiten mit dem aufkimmenden, verjüngten Boden verbinden, oder mit
dort separat eingesetzten Formteilen. Dass solche
Anwendungen des britannischen Bootsbaus weit in
die Eisenzeit hinein fortdauerten, legt der Vergleich
des Wracks von Dover (Abb. 29) aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. mit dem mehrteiligen Stammboot
von Hasholme (Abb. 31) aus den Jahrzehnten um
300 v. Chr. nahe, die beide die Verwendung profilierter Rumpfkompartimente veranschaulichen.
Vgl. die in Knagge-Riegel-Bauweise gefügte Tür aus Pappel, Hasel und Esche, gefunden in einer Siedlungsschicht
des mittleren Horgen, aus der Zeit um 3232 v. Chr.: Bleicher u. a. 2011, 20 f. mit Abb.; Jahrb. Arch. Schweiz 94, 2011,
234. – Eine dem spätrepublikanischen Prahm aus dem Laibacher Moor zugeordnete „Planke“ mit mehrfach durchbohrter Knagge (Kahanov 2004, 68 f. Abb. 80) widerrät einem konstruktiven Zusammenhang mit dem Schiffsfund
und könnte deutlich älter sein.
Merkmale „Nordischer Schiffbautradition“
0
1
Abb. 30
Abb. 31
255
2m
Brigg, North Lincolnshire. Endbronzezeitliche Bootsreste. – Plan ohne Maßstab.
Hasholme, Yorkshire. Mehrteiliges Stammboot der mittleren vorrömischen Eisenzeit.
Ronald Bockius · Zur kultur- und technikgeschicht lichen Stellung der Schiffsfunde
256
Abb. 32
Lough Lene, Co. Westmeath. Mehrteiliges späteisenzeitliches Boot mit konstruktiven Merkmalen
der Stamm- und Plankenboottradtion. 400 cal. bc / 100 cal. bc. – Ohne Maßstab.
Kiele
Die plastisch ausformende Zurichtung der Kielenden mit ursprünglich durch Klinknägel mit der
Beplankung verbundenen Steven des Kiefernholzbootes aus dem Nydam-Moor (Engelhardt
1865, 11 mit Abb.) lässt sich mit dem annähernd
zeitgenössischen Fund von Björke vergleichen
(Rieck / Crumlin-Pedersen 1988, 121; zur Stevenkonstruktion auch Jensen 2009, bes. Abb. 3; 6). Mit
seinen aufkimmenden Enden steht er der Kielplanke des Hjortspring-Bootes überaus nahe (vgl. die
Detailzeichnungen bei Indruszewski 2009b, 698
Abb. 153,1). Das sieht nach dem Werk von Händen
aus, die gewohnt sind, Holz zu modellieren statt es,
wo immer möglich und aus moderner Perspektive
sinnvoll, aus vorgefertigten Bauteilen zusammenzu23
24
setzen. Der Kiel von Nydam C mit seinen geradezu
skulpierten Stevenanläufen wirkt wie das Halbzeug
eines Stammbootes, zu dessen Vervollständigung
lediglich noch zwei Seitenplanken fehlen.
Demgegenüber verfügt Nydam B über eine mittschiffs fast 60 cm breite, aus zwei Segmenten verschäftete Kielplanke, die konzeptuell vom künstlich
geweiteten Lindenholztrog des Björkebootes ebenso weit entfernt ist wie sie sich von völkerwanderungs- und wikingerzeitlichen, nicht zuletzt auch
antik-mediterranen Balken- bzw. im Querschnitt
T-förmigen Kielen23 unterscheidet. Kielplanken
sind wiederholt an rund gebauten Plankenfahrzeugen romano-keltischer Bauart anzutreffen:
nicht nur an Vertretern provinzialrömischer Binnenschifffahrt und an Wracks küstentauglicher
Fahrzeuge24, sondern ebenso an den gallorömisch-
Vgl. etwa die Kiele der Kvalsund-Boote: Shetelig / Johannessen 1929, 58; 62 f. Abb. 37; Taf. 3,1 – 2; 4,1 – 2.5.
Als Beispiele vgl. Marsden 1994, 37 – 39 Abb. 23 Tabelle 1; 65 mit Abb. 58 (London-Blackfriars); Nayling / McGrail 2004, 21 – 23; 112 f. Abb. 6.2; 117 f. 152; 241 – 243 Abb. A2.1 – 2 (Barland’s Farm); Rule / Monaghan 1993, 29 – 31
Abb. 5 – 6; 10; 15 – 17 (Guernsey). – Zum Kiel im Mittelmeerraum Casson 1971, 212 – 215 Appendix 1; Steffy 1994,
37 – 75 Abb. 3 – 15; 1